Urteil des OLG Köln vom 13.01.2006
OLG Köln: beweisverfahren, prozess, vergütung, gebühr, aufspaltung, eingriff, datum
Oberlandesgericht Köln, 17 W 302/05
Datum:
13.01.2006
Gericht:
Oberlandesgericht Köln
Spruchkörper:
17. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
17 W 302/05
Vorinstanz:
Landgericht Aachen, 8 O 156/05
Tenor:
Die sofortige Beschwerde wird zurückgewiesen
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt die Beklagte.
Gegenstand für das Beschwerdeverfahren: 566,00 EUR
G r ü n d e
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I.
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Noch unter der Geltung der Bundesrechtsanwaltsgebührenordnung, also vor dem 01.
Juli 2004, leitete der Kläger ein selbständiges Beweisverfahren gegen die Beklagte ein.
Die Klageschrift im Hauptsacheverfahren ging erst am 12. April 2005 bei Gericht ein.
Das Landgericht hat die Klage rechtskräftig abgewiesen. Zur Festsetzung angemeldet
hat die Beklagte 1.152,00 EUR das selbständige Beweisverfahren betreffend, berechnet
nach der Bundesrechtsanwaltsgebührenordnung, nämlich je eine 10/10 Prozess- bzw.
Beweisgebühr nebst Auslagenpauschale, für das Hauptsacheverfahren eine 1,3
Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 VV RVG, eine 1,2 Terminsgebühr nach Nr. 3104 VV
RVG sowie eine Auslagenpauschale, insgesamt 1.435,00 EUR.
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Die Rechtspflegerin hat für das selbständige Beweisverfahren die Beweisgebühr und
die Pauschale nach altem Recht und für das Hauptsacheverfahren die Gebühren wie
beantragt festgesetzt. Bezüglich der Prozessgebühr ist sie der Ansicht, diese sei auf die
Verfahrensgebühr anzurechnen.
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Hiergegen richtet sich das Rechtsmittel der Beklagten. Sie meint, eine
Anrechnungsvorschrift existiere nicht.
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Der Kläger verteidigt das Vorgehen der Rechtspflegerin.
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II.
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Die gemäß § 104 Abs. 3 Satz 1 ZPO i.V.m. § 11 Abs. 1 RPflG statthafte und auch
ansonsten verfahrensrechtlich unbedenklich zulässige sofortige Beschwerde hat in der
Sache selbst keinerlei Erfolg.
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In nicht zu beanstandender Weise hat die Rechtspflegerin die zur Zeit der Geltung der
Bundesrechtsanwaltsgebührenordnung bezüglich des selbständigen Beweisverfahrens
entstandene Prozessgebühr auf die Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 VV angerechnet.
Soweit ersichtlich ist der vorliegende zur Entscheidung stehende Sachverhalt in der
veröffentlichten Rechtsprechung nach Einführung des
Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes noch nicht entschieden worden. Auch in der Literatur
wird diese Konstellation - wenn überhaupt - nur kurz behandelt (s. den Überblick bei:
Hansens, RVGreport 2004, 242).
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Nach Goebel/Gottwald, RVG, § 61 Rn. 18 f., ist die gesamte anwaltliche Tätigkeit nach
der Bundesrechtsanwaltsgebührenordnung abzurechnen. Dieses Ergebnis lässt jedoch
außer Acht, dass der Prozessauftrag erst zu einem Zeitpunkt erteilt wurde, als dieses
Gesetz bereits durch das Rechtsanwaltsvergütungsgesetz abgelöst worden war.
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N. Schneider (in: Gebauer/Schneider, RVG, 2. Aufl., § 61 Rn. 41; ders.: AGS 2004, 221,
223) ist dagegen der Ansicht, § 61 Abs. 1 Satz 1 RVG sei entgegen seines Wortlautes
nicht anwendbar. Solches zu tun verstieße gegen Artikel 14 GG. Bei Anwendung des
Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes werde eine neue Vergütung ausgelöst. Der
Auftraggeber aber, der den Anwalt für das selbständige Beweisverfahren (Prozess- und
Beweisgebühr nach der BRAGO) bereits bezahlt hat, müsse nun, obwohl er dieses
bereits mit der Zahlung getan habe, eine weitere Vergütung für den Rechtsstreit zahlen.
Das stelle einen Eingriff in eine gesicherte Rechtsposition dar.
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Dieser Ansicht kann nicht gefolgt werden. Sie unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten
höchst bedenklich. Es geht nicht an, ein Gesetz deshalb nicht anwenden zu wollen, weil
man es für missglückt hält. Zum Anderen überzeugt auch die Begründung nicht, soweit
ein Verstoß gegen das Grundgesetz vorliegen soll. Ob es nach dem selbständigen
Beweisverfahren noch zu einem Klageverfahren kommt, weiß der Antragsteller
unabhängig davon nicht, ob er seinen Rechtsanwalt schon bezahlt hat. Das hängt
sowohl von dem Prozessgegner als auch von dem Ausgang des selbständigen
Beweisverfahrens ab. Wodurch ein grundgesetzlich bereits geschützter
Vertrauenstatbestand geschaffen werden soll, ist nicht ersichtlich.
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Zu folgen ist deshalb der Ansicht von Hansens, a.a.O. Wird der Prozessauftrag erst nach
dem Stichtag 30. Juni 2004 erteilt, so gilt insoweit das Rechtsanwaltsvergütungsgesetz.
Es findet eine Aufspaltung statt. Die Gebühren für das selbständige Beweisverfahren
sind noch nach der Bundesrechtsanwaltsgebührenordnung, diejenigen für das
Klageverfahren nach dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz zu berechnen. Allerdings gilt
dann, worauf die Rechtspflegerin im Nichtabhilfebeschluss zusätzlich zu Recht
hingewiesen hat, die Anrechnungsbestimmung der Vorbemerkung 3 Abs. 5 VV RVG.
Die entsprechende Anwendung dieser Vorschrift, die die Anrechnung der
Verfahrensgebühr des selbständigen Beweisverfahrens auf diejenige des
Hauptsacheprozesses regelt, hat zur Folge, dass auch die nach der
Bundesrechtsanwaltsgebührenordnung im selbständigen Beweisverfahren entstandene
Prozessgebühr auf die Verfahrensgebühr des Hauptsacheprozesses anzurechnen ist.
Zur Anrechnungsproblematik s. auch: KG RVGreport 2005, 223 (Anrechnung der
Prozessgebühr bei Abstandnahme vom Urkundenprozess auf die Gebühr nach Nr. 3100
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VV), OLG Düsseldorf JB 2005, 474 f. (Anrechnung der im Mahnverfahren angefallenen
Widerspruchsgebühr nach altem Recht auf die Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 VV)
und AG Freiburg JB 2005, 82 (Anrechnung der Geschäftsgebühr nach § 118 BRAGO
auf die Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 VV).
III.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
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