Urteil des OLG Köln vom 31.01.2001

OLG Köln: umkehr der beweislast, berufliche tätigkeit, verdienstausfall, belgien, schmerzensgeld, unterlassen, operation, behandlungsfehler, chemotherapie, rechtsnachfolger

Oberlandesgericht Köln, 5 U 175/00
Datum:
31.01.2001
Gericht:
Oberlandesgericht Köln
Spruchkörper:
5. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
5 U 175/00
Vorinstanz:
Landgericht Aachen, 11 O 479/98
Tenor:
Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil der 11. Zivilkammer des
Landgerichts Aachen vom 07.08.2000 - 11 O 479/98 - aufgehoben und
die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung - letzteres auch
über die Kosten des Berufungsverfahrens - an das Landgericht
zurückverwiesen, soweit der Beklagte zu einem höheren
Verdienstausfallschaden als 107.000,- DM nebst 4 % Zinsen seit dem
11. Januar 1999 verurteilt worden ist. Es wird festgestellt, dass der
Klageantrag zu 2. (Erstattung des Verdienstausfallschadens) dem
Grunde nach gerechtfertigt ist.
T a t b e s t a n d :
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Der Kläger hat als Rechtsnachfolger seiner im März 1999 verstorbenen Ehefrau
Schadensersatzansprüche gegen den Beklagten wegen fehlerhafter Behandlung
geltend gemacht. Die Ehefrau des Klägers war Patientin bei dem Beklagten, einem
Gynäkologen.
2
Die ursprüngliche Klägerin hat dem Beklagten vorgeworfen, er habe von ihr selbst
ertastete Knoten in ihrer Brust nicht unverzüglich rechtzeitig hinsichtlich ihrer
Beschaffenheit abgeklärt und demzufolge eine beiderseitige Brustkrebserkrankung zu
spät erkannt mit der Folge, dass diese Erkrankung erst zeitlich verzögert habe therapiert
werden können. Bei sachgerechtem Vorgehen hätte er bereits im November 1995
mittels Stanzbiopsie die Dignität des Knotens in der rechten Brust abklären lassen
müssen. Die ursprüngliche Klägerin hat insoweit Schmerzensgeld, dessen
Angemessenheit sei mit 100.000,00 DM beziffert hat, sowie ferner die Erstattung von
Verdienstausfall für die Jahre 1997 und 1998 begehrt. Hierzu hat sie vorgetragen, bei
früher einsetzender Therapie des Mammakarzinoms mittels Chemotherapie bzw.
Bestrahlung hätte sie bereits ab Januar 1997 wieder berufstätig sein können, so dass ihr
ein Verdienstausfall von 172.412,-- DM entgangen sei, den sie wie folgt errechnet hat:
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1997: Entgangenes Bruttogehalt: 111.812,-- DM abzügl. 50.400,-- DM Krankengeld;
1998: Entgangenes Bruttogehalt: 111.000,-- DM.
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Der Kläger hat beantragt,
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1.
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den Beklagten zu verurteilen,
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an ihn aus Anlass der während des Zeitraums von September 1995 bis Juli 1996
durchgeführten ärztlichen Behandlung seiner am 13.03.1999 verstorbenen Ehefrau
C.R. ein angemessenes Schmerzensgeld, dessen Höhe in das Ermessen des
Gerichts gestellt wird, zu zahlen;
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2.
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an ihn 172.412,00 DM nebst 4 % Zinsen seit Klagezustellung zu zahlen.
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Der Beklagte hat beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Er hat vorgetragen, er habe im November 1995 nicht fehlerhaft vorwerfbar weitere
diagnostische Maßnahmen unterlassen. Zu einer invasiven Diagnostik habe zum
damaligen Zeitpunkt keine Veranlassung bestanden. Er habe sich vielmehr auf die
Ergebnisse der Radiologen verlassen dürfen.
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Das Landgericht hat nach Einholung eines Sachverständigengutachtens von Prof. Dr.
M. durch Urteil vom 07.08.2000, auf welches wegen aller Einzelheiten Bezug
genommen wird, der Klage in Höhe eines Schmerzensgeldes von 30.000,00 DM sowie
hinsichtlich des geltend gemachten Verdienstausfalls in vollem Umfang stattgegeben
und zur Begründung ausgeführt, die unterlassene Diagnostik schon im November 1995
stelle einen groben Behandlungsfehler dar. Dieser bewirke eine Umkehr der Beweislast
hinsichtlich der Kausalität. Den somit ihm obliegenden Gegenbeweis mangelnder
Ursächlichkeit habe der Beklagte nicht zu erbringen vermocht. Angesichts der
eingetretenen Verschlechterung der Prognose und des tatsächlichen
Krankheitsverlaufes sei ein Schmerzensgeld in Höhe von 30.000,00 DM angemessen;
ferner stehe dem Kläger als Rechtsnachfolger der Patientin ein Ersatz auf entgangenen
Verdienstausfall in Höhe von - unstreitig - 172.412,00 DM zu.
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Gegen dieses am 09.08.2000 zugestellte Urteil hat der Beklagte am 07.09.2000
Berufung eingelegt und diese am 18.10.2000 - nach Verlängerung der
Berufungsbegründungsfrist bis zum 09.11.2000 - begründet.
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Der Beklagte greift das landgerichtliche Urteil nur insoweit an, als er zur Zahlung von
mehr als 137.000,00 DM verurteilt worden ist. Er greift das landgerichtliche Urteil weder
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zum Grunde noch auch hinsichtlich des zuerkannten Schmerzensgeldbetrages zur
Höhe an; vielmehr greift er das landgerichtliche Urteil nur hinsichtlich der Höhe des
geltend gemachten und zuerkannten Verdienstausfalls an. Insoweit trägt er vor, das
Landgericht sei zum einen zu Unrecht davon ausgegangen, dass bei einer früheren
Operation, nämlich bereits bis Ende Dezember 1995, die inzwischen verstorbene
Ehefrau des Klägers schon zum 01.01.1997 weder arbeitsfähig gewesen wäre. Insoweit
weist der Beklagte darauf hin, dass sowohl nach den Feststellungen der
Gutachterkommission als auch nach den Darlegungen des erstinstanzlichen
Sachverständigen auch bei einer früheren Diagnostik und Operation des beidseitigen
Mammakarzinoms eine Chemotherapie und eine Bestrahlung erforderlich gewesen
wären, weshalb die Ehefrau des Klägers frühestens ab 01.07.1997 wieder arbeitsfähig
hätte werden können. Hinsichtlich der damit sich ergebenden Monate Januar bis Juni
1997 sei demzufolge kein Verdienstausfallschaden zu erkennen. Im übrigen rügt der
Beklagte, dass das Landgericht zu Unrecht das volle Bruttoarbeitsentgelt abzüglich des
bezogenen Krankengeldes zuerkannt habe. Tatsächlich seien die Sozialabzüge, die
steuerlichen Abzüge und auch die steuerlichen Vergünstigungen schadensmindernd zu
berücksichtigen, in welcher Hinsicht der Beklagte eine eigene Berechnungsaufstellung
vorträgt, wonach sich ein Verdienstausfall für 1997 und 1998 von insgesamt 106.662,58
DM ergibt.
Der Zinsausspruch ist nicht angegriffen.
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Der Beklagte beantragt,
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das Urteil des Landgerichts Aachen vom 07.08.2000 aufzuheben und die Klage
abzuweisen, soweit der Beklagte zur Zahlung von mehr als 137.000,00 DM verurteilt
worden ist.
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Der Kläger beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen,
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ihm zu gestatten, Sicherheit auch durch die Bürgschaft einer deutschen Großbank,
öffentlichen Sparkasse, Volks- oder Raiffeisenbank zu leisten.
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Der Kläger wiederholt und vertieft sein erstinstanzliches Vorbringen und macht weiterhin
geltend, bei adäquater sachgerechter Diagnostik und Therapie hätte seine Frau ab
01.01.1997 ihre berufliche Tätigkeit wieder aufnehmen können. Da er und seine Ehefrau
in BELGIEN gelebt hätten, seien Steuern in Deutschland nicht angefallen und auch
keine Sozialabzüge.
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Wegen des weiteren Parteivorbringens wird auf die beiderseitigen Schriftsätze nebst
Anlagen Bezug genommen.
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E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
32
Die zulässige Berufung des Beklagten führt zur Aufhebung und Zurückverweisung der
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Sache an das Landgericht, welches über den geltend gemachten
Verdienstausfallschaden im angefochtenen Umfang erneut zu verhandeln und zu
entscheiden haben wird, letzteres auch über die Kosten des Berufungsverfahrens.
Der Senat sieht sich zur Aufhebung und Zurückverweisung der Sache im
angefochtenen Umfang gemäß § 539 ZPO veranlasst, weil das Verfahren des
Landgerichts an einem wesentlichen Mangel leidet und das landgerichtliche Urteil auch
hierauf beruht. Das Landgericht ist nämlich seiner gesetzlich vorgeschriebenen
Aufklärungspflicht nach § 139 ZPO nicht in dem vorliegend gebotenen Umfang
nachgekommen.
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Gemäß § 139 ZPO hat das Gericht darauf hinzuwirken, dass die Parteien sich über alle
erheblichen Tatsachen vollständig erklären und die sachdienlichen Anträge stellen,
insbesondere auch ungenügende Angaben der geltend gemachten Tatsachen
ergänzen und die Beweismittel bezeichnen. Zu diesem Zweck muss das Gericht den
Sach- und Streitstand mit den Parteien nach der tatsächlichen und der rechtlichen Seite
erörtern und ggf. bei entsprechenden Unklarheiten Fragen stellen.
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Dieser Verpflichtung ist das Landgericht nicht nachgekommen, wenn es das Vorbringen
des Klägers zu dem angeblichen Verdienstausfall seiner verstorbenen Ehefrau ohne
weitere Nachfrage als unstreitig behandelt und in dieser Weise seiner zuerkennenden
Entscheidung zugrunde gelegt hat.
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Nach dem Gang des erstinstanzlichen Verfahrens war offenkundig, dass die Parteien in
erster Linie gegensätzlich zum Anspruchsgrund vorgetragen hatten und sich der
Schwerpunkt des erstinstanzlichen Verfahrens hierauf bezog. Schon vor diesem
Hintergrund hatte das Gericht Veranlassung zu der Annahme, dass der Beklagte
möglicherweise die Höhe des keinesfalls eindeutig selbstverständlichen
Verdienstausfallschadens nur versehentlich nicht bestritten hatte.
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Außerdem hat das Landgericht gänzlich außer Ansatz gelassen, dass die gegnerische
Partei erst dann und insoweit zu einem Bestreiten gehalten ist, wenn die andere Partei
zunächst ein substantiiertes schlüssiges Klagevorbringen erbracht hat.
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Hieran fehlte es im Rahmen des klägerischen Vorbringens gerade. Insoweit war
nämlich zu fordern, dass der Kläger - unbeschadet eines Bestreitens des Beklagten -
zunächst einen substantiierten Vortrag zum tatsächlichen Verdienstausfall anbot. Der
Kläger hatte hierzu in erster Instanz nur die Bescheinigung der Arbeitgeberfirma seiner
verstorbenen Frau vorgelegt. Aus dieser ergab sich allerdings lediglich, dass die
ursprüngliche Klägerin die nachfolgend aufgezeigten Bruttogesamtentgelte bezogen
hatte. Hiermit war jedoch ein tatsächlicher Verdienstausfallschaden nicht hinreichend
substantiiert dargetan und belegt. Die ursprüngliche Klägerin hat in der Klageschrift nur
vorgetragen, da sie in BELGIEN wohne und in Deutschland berufstätig sei, seien ihr die
Bezüge jeweils brutto ausgezahlt worden, weil Steuern/Sozialversicherungsbeträge in
BELGIEN abgeführt worden seien. Da die ursprüngliche Klägerin im weiteren Verlauf
ihres Klagevorbringens jedoch ferner ausgeführt hatte, dass sie seitens der AOK R. ein
Bruttokrankengeld in genannter Höhe erhalten hatte, lag es auf der Hand, dass die
Sozialversicherungsbeiträge eher doch in Deutschland von dem Bruttoentgelt
abgezogen worden sind. In jedem Fall wären aber auch bei einer
versicherungsmäßigen und steuerlichen Berücksichtigung ausschließlich in BELGIEN
jedenfalls von dem Bruttoentgelt Steuern und Sozialabgaben abgegangen; für einen
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substantiierten schlüssigen Vortrag zum geltend gemachten Verdienstausfallschaden
war demzufolge zu verlangen bzw. hätte der Klägerin respektive dem Kläger
aufgegeben werden müssen, näher zu den steuerlichen und
sozialversicherungsrechtlichen Abzügen vorzutragen. Auf die Bruttoentgelte konnte vor
dem Hintergrund eines zu verlangenden schlüssigen Vortrages zur Schadenshöhe
insoweit nicht abgestellt werden. Es war demzufolge verfahrensfehlerhaft, wenn das
Landgericht - obwohl ihm einerseits die Unschlüssigkeit des Vorbringens des Klägers
sowie andererseits das mutmaßlich nur versehentliche Unterlassen eines Bestreitens
dieser Klageforderung nicht verborgen bleiben konnte - gleichwohl die Parteien nicht
hierauf hingewiesen und insbesondere nicht der Klägerin ergänzenden Vortrag
aufgegeben hat; in jedem Falle hätte das Landgericht den Beklagten darauf hinweisen
müssen, dass es seine Entscheidung hinsichtlich des Verdienstausfallschadens auf den
von ihm als unstreitig erachteten klägerischen Vortrag stützen wollte, wobei dem
Beklagten insoweit Gelegenheit zu ergänzendem Vortrag hätte gegeben werden
müssen.
Dass das Landgericht dieser ihm obliegenden Hinweispflicht nicht nachgekommen ist,
stellt einen wesentlichen Verfahrensfehler dar, auf dem die angefochtene Entscheidung,
was den nur noch streitigen Verdienstausfallschaden anbetrifft, auch beruht. Der Senat
hält es nicht für angezeigt, die demzufolge noch ausstehenden Hinweise und Auflagen
an die Parteien selbst durchzuführen, da insoweit noch umfangreicher weiterer Vortrag
und ggf. auch eine weitere Beweisaufnahme zu gewärtigen ist mit der Folge, dass den
Parteien im Ergebnis eine Tatsacheninstanz genommen würde, wollte der Senat selbst
zur Sache verhandeln und entscheiden. Es ist nämlich zu berücksichtigen, dass
möglicherweise die Frage, ob bei früherer Diagnostik und Therapie die Ehefrau des
Klägers in der Tat bereits zum 01.01.1997 oder aber - wie vom Beklagten jedenfalls
nachvollziehbar behauptet - erst zum 01.07.1997 wieder arbeitsfähig gewesen wäre,
möglicherweise ebenfalls noch einer Beweisaufnahme zugeführt werden muss. Nach
den Feststellungen des erstinstanzlichen Sachverständigen ist es jedenfalls offen, ob
eine Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit der Patientin schon zum 01.01.1997
möglich gewesen wäre; es spricht allerdings viel dafür, dass diese Frage letztlich auch
nicht weiter aufzuklären sein wird. Der Senat sieht Veranlassung zu dem Hinweis, dass
insoweit die Beweislast beim Kläger liegen dürfte. Bei dieser Frage handelt es sich
nämlich nicht um eine Frage nach einer Primärschadensfolge; vielmehr stellt ein
Verdienstausfallschaden einen Sekundärschaden dar, hinsichtlich dessen die auf
einem groben Behandlungsfehler beruhende Umkehr der Beweislast nicht durchgreift
(siehe die Rechtsprechungsnachweise bei Steffen/Dressler, Arzthaftungsrecht, 8. Aufl.,
Rn. 547).
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Nach allem wird das Landgericht zu der allein noch im Streit befindlichen
Schadensposition des Verdienstausfallschadens nach Maßgabe der vorstehenden
Ausführungen erneut zu verhandeln und zu entscheiden haben. Aus
Klarstellungsgründen und zwecks Vermeidung des Anscheins eines durch die
Teilaufhebung etwa bewirkten unzulässigen Teilurteils hat sich der Senat veranlasst
gesehen, den noch im Streit befindlichen Anspruch dem Grunde nach für gerechtfertigt
zu erklären. Dass der Zinsanspruch nicht angegriffen ist, hat der Senat im Tenor zum
Ausdruck gebracht.
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Berufungsstreitwert: 65.412,00 DM
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(202.412,00 DM - 137.000,00 DM)
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Wert der Beschwer für beide Parteien: über 60.000,-- DM.
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