Urteil des OLG Köln vom 04.07.1995
OLG Köln: grobe fahrlässigkeit, cmr, parkplatz, firma, frachtführer, aktivlegitimation, england, verschulden, verkehr, abtretung
Datum:
Gericht:
Spruchkörper:
Entscheidungsart:
Schlagworte:
Normen:
Leitsätze:
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Aktenzeichen:
Oberlandesgericht Köln, 22 U 272/94
04.07.1995
Oberlandesgericht Köln
22. Zivilsenat
Urteil
22 U 272/94
FRACHTRECHT; VERSCHULDEN; HAFTUNGSBEGRENZUNG
CMR Art. 23 Abs. III, 28 Abs. I, 29
Sorgfaltspflicht des Frachtführers beim Abstellen eines Aufliegers
Frachtrecht, Verschulden, Haftungsbegrenzung
1.) Eine ,dem Vorsatz gleichstehende" (Art. 29 CMR) grobe
Fahrlässigkeit des Frachtführers ist nicht gegeben, wenn dieser einer
weitverbreiteten Übung entsprechend einen (später gestohlenen)
Lastwagenauflieger auf einem grenznahen niederländischen
Autobahnparkplatz abstellt, auf dem es bisher zu LKW-Diebstählen nicht
gekommen ist.
2.) Die Haftungsbegrenzung aus Art. 28 Abs. I CMR ergreift auch
deliktische Ersatzansprüche (vertragsfremder) Dritter.
T a t b e s t a n d:
Die Klägerin verlangt als Transportversicherer von dem Beklagten aus übergegangenem
Recht Schadensersatz für den Verlust von Ladegut.
Die Klägerin ist Transportversicherer der Firma S. N. Informationssysteme AG. Die Firma S.
beauftragte die Streithelferin, eine Speditionsgesellschaft, für die Beförderung von
Elektromaterial und elektronischen Teilen zur Firma S. Ltd. in H./England zu sorgen. Die
Streithelferin schloß mit dem Beklagten, der für sie bereits seit 1983 England-Transporte
durchführte, einen Frachtvertrag. Hiernach war der Beklagte verpflichtet, die Sendung
gegen einen Festpreis von 1.900,00 DM von A. nach H. zu befördern. Der Fahrer des
Beklagten übernahm am 21.08.1992, einem Freitag, mit einem Auflieger die betreffende
Ladung, nämlich insgesamt 164 Kolli mit Elektro- und Computermaterial. Er erhielt zwei
CMR-Frachtbriefe nebst vier Ladelisten, aus denen sich der Wert der Ladung in Höhe von
insgesamt 1.073.615,80 DM ergab.
Die übernommene Ladung hatte am Montag morgen um 8.00 Uhr in H. einzutreffen und
mußte deshalb montags um 0.01 Uhr auf der Fähre in Calais verladen werden. Der
Beklagte hatte von der zuständigen Behörde trotz mehrfacher Bemühungen keine
Sondergenehmigung erhalten, die es ihm ermöglicht hätte, trotz des in Deutschland
geltenden Sonntagsfahrverbots am Sonntag von A. abzufahren. Da es in Holland und
Belgien kein Sonntagsfahrverbot gibt, fuhr der Fahrer des Beklagten mit dem Auflieger zu
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dem Parkplatz L. in den Niederlanden. Dieser Parkplatz liegt unmittelbar an der Autobahn
A .. hinter der deutsch-niederländischen Grenze. Auf ihm befindet sich außer einer
Raststätte eine große Tankstelle, die Tag und Nacht geöffnet ist. Der Fahrer stellte den
Auflieger am Freitag, den 21.08.1992 gegen 17.30 Uhr unmittelbar neben den Tankbuchten
ab. Er koppelte die Zugmaschine ab und fuhr mit dieser zurück nach Deutschland. Der
Auflieger war nicht gegen unbefugtes Anhängen gesichert.
Als der Fahrer den Auflieger am 23.08.1992 gegen 17.00 Uhr zum Weitertransport abholen
wollte, stellte er fest, daß der Auflieger samt Ladung zwischenzeitlich gestohlen worden
war. Der leere Auflieger wurde später auf einem Parkplatz wiedergefunden. Ferner wurde
ein Teil der Ladung in einem Lagerhaus in den Niederlanden entdeckt und zurückgebracht.
Der Wert des wieder aufgefundenen Ladeguts beträgt nach den von der Klägerin
eingeholten Sachverständigengutachten 144.670,87 DM. Bei der anschließenden
Abwicklung des Versicherungsfalls wies die Streithelferin in einem Schreiben vom
26.01.1993 an den mit der Sache befaßten Versicherungsmakler darauf hin, daß das
Abstellen von beladenen Trailern zum Umpritschen im internationalen Verkehr auf
Parkplätzen an der Grenze absolut üblich sei und sie deshalb Wert darauf lege, daß der
Beklagte nicht in Haftung genommen werde (Bl. 55, 56 d.A.).
Die Streithelferin hat am 05.04.1993 ihre vertraglichen Ansprüche gegen den Beklagten an
die Klägerin abgetreten. Ferner hat die Firma S. N. am 12.10.1992 und am 01.04.1993 die
ihr aus dem Transport zustehenden Ansprüche an die Klägerin abgetreten. Wegen der
Einzelheiten wird auf die zu den Akten gereichten Abtretungserklärungen Bezug
genommen. Die Klägerin, die den entstandenen Schaden in Höhe von 911.100,00 DM
reguliert hat, hat aus abgetretenem Recht in zwei nach der ersten mündlichen Verhandlung
verbundenen Rechtsstreitigkeiten (42 O 71/93 und 42 O 128/93 LG Aachen) den Beklagten
auf Zahlung von insgesamt 1.011.849,00 DM in Anspruch genommen. Die Klagesumme
setzt sich aus dem Wert der gestohlenen Ware, den Kosten für die erneute
Zusammenstellung von ebenfalls gestohlenen Ordnern mit Bauzeichnungen sowie aus
Sachverständigenkosten, entgangenem Gewinn und Rücktransportkosten zusammen.
Die Klägerin hat die Ansicht vertreten, daß der auf Anweisung des Beklagten handelnde
Fahrer den Diebstahl grob fahrlässig verursacht habe, indem er den Auflieger unbewacht
und ungesichert auf dem Parkplatz abgestellt habe. Sie hat behauptet, der Fahrer des
Beklagten habe den Wert der Ware anhand der übergebenen Ladelisten gekannt und ihm
sei auch bekannt gewesen, daß die Ladung aus elektronischen Bauteilen bestand, die
wegen der guten Absetzbarkeit stark diebstahlsgefährdet gewesen sei. Sie hat ferner die
Auffassung vertreten, daß die Üblichkeit des Abstellens von beladenen Aufliegern auf
Parkplätzen in Belgien und Holland nicht dem Vorwurf der groben Fahrlässigkeit
entgegenstehe.
Die Streithelferin, die dem Rechtsstreit auf Seiten der Klägerin beigetreten ist, hat
behauptet, sie habe nicht gewußt, daß der Beklagte im Laufe der langjährigen
Vertragsbeziehungen und in diesem konkreten Fall beladene Auflieger unbewacht auf
einem Parkplatz hinter der Grenze abgestellt habe.
Die Klägerin hat beantragt,
den Beklagten zu verurteilen, an sie 1.011.849,00 DM nebst 5 % Zinsen aus 109.444,29
DM seit dem 13.03.1993 sowie 5 % Zinsen aus 902.404,68 DM seit dem 19.03.1993 zu
zahlen.
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Die Streithelferin hat sich dem Antrag der Klägerin angeschlossen.
Der Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte hat behauptet, es sei mit der Streithelferin abgemacht gewesen, daß die ihm
freitags übergebene Ladung am Wochenende auf einem Parkplatz in den Niederlanden
abgestellt werde. Zumindest habe die Streithelferin von dieser Art der Durchführung der
Wochenendtransporte nach England gewußt. Alle Spediteure und Frachtführer aus A. und
Umgebung würden wegen des Sonntagsfahrverbots die zum Weitertransport bestimmten
Güter jenseits der Grenze auf Parkplätzen abstellen. Zudem sei es auf dem von ihm
benutzten Parkplatz seit Jahren zu keinem Diebstahl gekommen. Eine effektive
Diebstahlssicherung gegen unbefugtes Aufsatteln des Aufliegers gebe es nicht, so daß ihm
auch nicht der Vorwurf unzureichender Sicherung des Aufliegers gemacht werden könne.
Im übrigen hat der Beklagte die Ansicht vertreten, daß die Streithelferin durch ihre
Erklärung gegenüber dem Versicherungsmakler auf die Geltendmachung von Ansprüchen
gegen ihn verzichtet habe.
Das Landgericht hat Beweis erhoben gemäß Beweisbeschluß vom 14.01.1994 durch
Einholung eines Sachverständigengutachtens. Wegen des Ergebnisses der
Beweisaufnahme wird auf das schriftliche Gutachten vom 28.04.1994 (Bl. 179 - 186 d.A.)
verwiesen.
Durch Urteil vom 28.10.1994, auf das wegen aller Einzelheiten Bezug genommen wird, hat
das Landgericht den Beklagten zur Zahlung von 67.367,94 DM nebst 5 % Zinsen seit dem
13.03.1993 verurteilt und die weitergehende Klage abgewiesen. Zur Begründung hat das
Landgericht ausgeführt, der Beklagte hafte als Frachtführer für den in seinem Gewahrsam
eingetretenen Verlust des Beförderungsguts im Rahmen der Haftungshöchstsummen des
Artikels 23 CMR und sei daher zur Zahlung von 67.367,84 DM verpflichtet. Die Klägerin sei
aufgrund wirksamer Abtretung zur Geltendmachung des Ersatzanspruchs legitimiert. Ein
darüber hinausgehender Ersatzanspruch scheide aus. Dem Beklagten sei es nicht gemäß
Artikel 29 CMR verwehrt, sich auf die Haftungsbeschränkung des Artikels 23 CMR zu
berufen, da nach den Umständen des Falles nicht von einem grob fahrlässigen Verhalten
des Beklagten bzw. seines Fahrers ausgegangen werden könne.
Gegen das ihr am 10.11.1994 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 12.12.1994 (Montag)
Berufung eingelegt und das Rechtsmittel nach entsprechender Fristverlängerung mit einem
am 13.02.1995 eingegangenen Schriftsatz begründet.
Die Klägerin begehrt mit ihrer Berufung die Verurteilung des Beklagten zur Zahlung
weiterer 944.481,16 DM. Sie wiederholt und ergänzt hierzu ihr Vorbringen vor dem
Landgericht und bekräftigt ihre Auffassung, daß das Abstellen eines unbewachten und
nicht gesicherten Aufliegers mit diebstahlsgefährdetem Ladegut über einen Zeitraum von
mehr als 48 Stunden auf einem leicht zugänglichen öffentlichen Parkplatz in Kenntnis des
Werts der Ladung von etwa 1.000.000,00 DM als grob fahrlässig anzusehen sei, weil der
Beklagte bzw. sein Fahrer diejenige Sorgfalt unbeachtet gelassen habe, die jedem hätte
einleuchten müssen. Außerdem sei die Rechtsprechung zu LkwDiebstählen in Italien und
Rußland auf den gesamten europäischen Raum anzuwenden, insbesondere auf derart
diebstahlsgefährdete Plätze wie Rast- und Parkplätze an internationalen Fernstraßen.
Die Klägerin beantragt,
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1. unter Abänderung des am 28.10.1994 verkündeten Urteils des Landgerichts Aachen (42
O 71/93) wird der Beklagte zur Bezahlung weiterer 944.481,16 DM nebst 5 % Zinsen aus
42.076,45 DM seit 13.03.1993 sowie 5 % Zinsen aus 902.404,68 DM seit 19.03.1993
verurteilt,
2. der Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Die Streithelferin wiederholt und ergänzt ihr erstinstanzliches Vorbringen und schließt sich
dem Berufungsantrag der Klägerin an.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung kostenpflichtig zurückzuweisen.
Der Beklagte ergänzt seinen bisherigen Vortrag, wonach das Abstellen des Aufliegers auf
dem Parkplatz unter den damals gegebenen Umständen nicht als grob fahrlässig
angesehen werden könne. Er bestreitet weiterhin die Aktivlegitimation der Klägerin, da die
Streithelferin in ihrem Schreiben vom 26.01.1993 an den Versicherungsmakler den Vorwurf
grober Fahrlässigkeit verneint habe und deshalb nicht davon auszugehen sei, daß sie mit
ihrer Abtretungserklärung einen Anspruch aus Artikels 29 CMR an die Klägerin habe
übertragen wollen. Im übrigen tritt der Beklagte dem Berufungsvorbringen der Klägerin und
ihrer Streithelferin entgegen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivortrags und des Vorbringens der Streithelferin
wird auf die gewechselten Schriftsätze und auf die zu den Akten gereichten Unterlagen
Bezug genommen.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e:
Die form- und fristgerecht eingelegte und auch im übrigen zulässige Berufung hat in der
Sache keinen Erfolg.
Der Klägerin steht über den vom Landgericht zuerkannten Betrag hinaus kein weiterer
Anspruch auf Schadensersatz wegen des gestohlenen Ladeguts zu.
Die Aktivlegitimation der Klägerin kann aufgrund der vorgelegten Abtretungserklärungen
nicht zweifelhaft sein. Zwar hatte die Streithelferin zunächst mit Schreiben vom 26.01.1993
gegenüber dem Versicherungsmakler, der Firma Schunck KG, geäußert, sie halte die
Annahme einer groben Fahrlässigkeit des Beklagten für sachlich unrichtig und lege Wert
darauf, daß der Beklagte nicht in Haftung genommen werde (Bl. 55 d.A.). Dieses Schreiben
hinderte sie jedoch nicht, später ihren Standpunkt zu ändern und auch solche
Ersatzansprüche gegen den Beklagten an die Klägerin abzutreten, die eine grobe
Fahrlässigkeit voraussetzen. Dementsprechend heißt es in ihrer Abtretungserklärung vom
05.04.1993 (Bl. 18 d.A.) ohne irgendeine Einschränkung, daß sie ,sämtliche vertraglichen
Ansprüche" gegen den Beklagten an die Klägerin abtrete, was nur so verstanden werden
kann, daß gegebenenfalls auch Ansprüche, die einen Vorwurf grober Fahrlässigkeit
voraussetzen, übergehen sollten. Das mit der Berufung verfolgte weitere Klagebegehren
scheitert daher nicht an fehlender Aktivlegitimation, wohl aber daran, daß ein Anspruch auf
einen höheren Schadensersatz als vom Landgericht zugesprochen weder der Streithelferin
noch der Firma S. N. zustand, so daß die Abtretung eines solchen Anspruchs in Leere ging.
1. Die an die Klägerin abgetretenen vertraglichen Ansprüche der Streithelferin unterliegen
den Vorschriften des Übereinkommens über den Beförderungsvertrag im internationalen
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Straßengüterverkehr (CMR) vom 19.05.1956, da der Ort der Übernahme des Ladeguts und
der für die Ablieferung vorgesehene Ort in verschiedenen Staaten liegen, von denen
mindestens einer Vertragsstaat ist (Artikel 1 Abs. 1 CMR). Aus diesem Übereinkommen
kann jedoch ein vertraglicher Anspruch auf den von der Klägerin begehrten weiteren
Schadensersatz nicht hergeleitet werden.
Gemäß Artikel 23 Abs. 3 CMR haftet der Frachtführer auf Schadensersatz wegen des
Verlusts von Ladegut nur bis zu einer durch das Rohgewicht des Ladeguts bestimmten
Höchstgrenze, wie vom Landgericht in dem insoweit nicht angefochtenen Urteil
zugesprochen. Ein darüber hinausgehender vertraglicher Schadensersatzanspruch kann
sich nur aus Artikel 29 CMR ergeben, der jedoch voraussetzt, daß der Schaden vorsätzlich
oder durch ein dem Frachtführer bzw. seinem Fahrer zur Last fallendes Verschulden
verursacht worden ist, das nach dem Recht des angerufenen Gerichts dem Vorsatz
gleichsteht. Der Bundesgerichtshof ist in ständiger Rechtsprechung der Auffassung, daß für
die Anwendung des Artikels 29 CMR die grobe Fahrlässigkeit dem Vorsatz gleichzustellen
ist (BGH, VersR 1984, 134; BGH, NJW-RR 1986, 248). Danach kann der Frachtführer über
die Haftungshöchstgrenze des Artikels 23 Abs. 3 CMR hinaus auf Schadensersatz in
Anspruch genommen werden, wenn ihm oder seinem Fahrer (Artikel 29 Abs. 2 CMR) im
Zusammenhang mit der Behandlung des Frachtguts der Vorwurf grober Fahrlässigkeit zu
machen ist.
Das Landgericht ist in dem angefochtenen Urteil zutreffend davon ausgegangen, daß nach
den Umständen des vorliegenden Falles der Vorwurf grober Fahrlässigkeit ausscheidet.
Auf die entsprechenden Urteilsausführungen, denen sich der Senat anschließt, wird Bezug
genommen. Die Erwägungen der Berufung geben keinen Anlaß zu einer anderen
Beurteilung.
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs setzt der Begriff der groben
Fahrlässigkeit allgemein und auch für Artikel 29 CMR voraus, daß die im Verkehr
erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt worden und auch in subjektiver
Hinsicht dasjenige unbeachtet geblieben ist, was im gegebenen Fall jedem einleuchten
mußte (vgl. BGHZ 10, 14, 16 f; BGH, VersR 1984, 551 f. und 1985, 1060). Ob im
vorliegenden Fall eine objektiv schwere Sorgfaltspflichtverletzung zu bejahen ist, kann
offenbleiben. Jedenfalls scheidet ein Vorwurf grober Fahrlässigkeit aus, weil hier nach den
Umständen das Fehlverhalten des Beklagten bzw. seines Fahrers in subjektiver Hinsicht in
einem milderen Licht erscheint.
Fortsetzung: 22 U 272 A Datensatznummer: 1370