Urteil des OLG Köln vom 26.02.2010
OLG Köln (kaufmännischer angestellter, berufliche tätigkeit, vorzeitige entlassung, stgb, stpo, strafe, bewährung, umstände, freiheitsstrafe, höhe)
Oberlandesgericht Köln, 2 Ws 59/10
Datum:
26.02.2010
Gericht:
Oberlandesgericht Köln
Spruchkörper:
2. Strafsenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
2 Ws 59/10
Tenor:
I.
Der angefochtene Beschluß wird wie folgt abgeändert :
Die Vollstreckung des Restes der Freiheitsstrafe aus dem Urteil des
Landgerichts H. vom 30.06.2008 wird mit Wirkung zum
5. März 2010
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zur Bewährung ausgesetzt.
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Die Bewährungszeit beträgt drei Jahre.
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Dem Verurteilten wird die Weisung erteilt, die Wohnung unter der Anschrift ...
beizubehalten.
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Er hat die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts B. über jeden
Wohnungswechsel während der Bewährungszeit unverzüglich zu unterrichten.
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Dem Verurteilten wird die Auflage erteilt, einen Geldbetrag von ... an folgende
Einrichtung zu zahlen :
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G r ü n d e :
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I.
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Der Beschwerdeführer verbüßt derzeit eine Freiheitsstrafe von drei Jahren vier Monaten,
zu der ihn das Landgericht H. am 30.06.2008 wegen Steuerhinterziehung und
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Diebstahls verurteilt hat. Der Verurteilte war bis zum Verkauf seines 1974 gegründeten
Unternehmens Anfang 2002 selbständiger Unternehmer. Nach den Urteilsfeststellungen
hatte der Verurteilte im Zeitraum zwischen 1999 und 2001 u.a. durch Schwarzverkäufe
an einen belgischen Geschäftspartner Einkommen-, Gewerbe- und Umsatzsteuer in
Höhe von insgesamt rund 1 Mio DM hinterzogen. Zwischen September 2002 und
August 2004 belieferte er den belgischen Kunden in mehreren Fällen an den Büchern
des nicht mehr ihm gehörenden Unternehmens vorbei mit "schwarzer Ware".
Der Verurteilte hat die Hälfte der gegen ihn verhängten Strafe, von der nach dem Urteil
wegen Verfahrensverzögerungen vier Monate als verbüßt gelten, am 29.12.2009
verbüßt, zwei Drittel würden am 19.07.2010 verbüßt sein, das Strafende ist für den
30.08.2011 vermerkt.
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Mit dem angefochtenen Beschluss hat es die Strafvollstreckungskammer abgelehnt, die
Vollstreckung des Strafrestes bereits nach Verbüßung der Hälfte der Strafe gem. § 57
Abs. 2 Nr. 2 StPO zur Bewährung auszusetzen.
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Gegen diese ihm am 30.12.2009 zugestellte Entscheidung richtet sich die am
06.01.2010 bei dem Landgericht eingegangene sofortige Beschwerde des Verurteilten.
Der Senat hat den Verurteilten am 26.02.2010 persönlich angehört.
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II.
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Die gem. § 454 Abs. 3 Satz 1 StPO statthafte, nach § 311 Abs. 2 StPO fristgerecht
eingelegte sofortige Beschwerde ist begründet.
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1. Die formellen Voraussetzungen für eine Halbstrafen-Aussetzung auf Grund
besonderer Umstände gem. § 57 Abs. 2 Nr.2 StGB liegen vor.
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2. Abweichend von der Auffassung der Strafvollstreckungskammer hält der Senat die
Halbstrafen-Aussetzung auch in der Sache für gerechtfertigt.
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a) Dem Verurteilten kann zweifelsfrei eine günstige Sozialprognose gestellt werden, die
in jedem Falle Voraussetzung einer Reststrafenaussetzung ist. Der vorherigen
Einholung eines Prognosegutachtens nach § 454 Abs. 2 StPO bedurfte es nicht, da die
abgeurteilten Taten nicht unter § 66 Abs. 3 Satz 1 StGB fallen.
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Der Verurteilte hat die Taten zwar unter laufender Bewährung begangen; er war wegen
Steuerhinterziehung von etwa 2 Mio DM Einkommensteuer in den Jahren 1993 bis 1998
durch Strafbefehl vom 31.03.2000 bereits zu einer Bewährungsstrafe von einem Jahr
sowie zur Geldstrafe von 200 Tagessätzen zu 2.500 DM verurteilt worden, wobei die
Geldstrafe bezahlt und die Freiheitsstrafe im April 2003 erlassen worden ist . Da der - im
Strafverfahren von Anfang an rückhaltlos geständige - Verurteilte erstmals eine
Freiheitsstrafe verbüßt, spricht eine Vermutung dafür, dass der Vollzug seine Wirkung
erreicht hat und dies der Begehung neuer Straftaten entgegenwirkt. Aus dem Umstand,
dass der Strafverbüßung ein Bewährungsbruch vorausgegangen war, folgt nicht stets
ein strengerer Beurteilungsmaßstab (Fischer, StGB, 57. Aufl., § 57 Randnr. 14). Die über
einen Zeitraum von etwa einem Jahrzehnt begangenen Steuerhinterziehungen wiegen
zwar schwer, der von den sozialen Folgen seines Verhaltens schwer getroffene
Verurteilte hat unter diesen Lebensabschnitt aber einen glaubwürdigen und
überzeugenden Schlußstrich gezogen. Davon hat sich der Senat bei der Anhörung
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einen eigenen Eindruck verschaffen können. Er hat mit starker emotionaler Berührung
zum Ausdruck gebracht, dass er sich wegen der Straftaten vor allem vor seiner Familie
schämt und sein Leben als zerstört ansieht, gleichwohl aber das Urteil nicht für
ungerecht hält. Im Zeitpunkt des Urteils lagen die Taten bereits 4 bis 7 Jahre zurück.
Das Risiko der Begehung weiterer Steuerstraftaten – nur um diesen Deliktsbereich geht
es – ist nach dem Verkauf des Unternehmens auch objektiv gering.
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Die nachhaltige Wirkung des Vollzugs ergibt sich aus dem Führungsbericht des Leiters
der Justizvollzugsanstalt E. vom 14.10.2009, in dem die vorzeitige Entlassung des von
der Inhaftierung als enorm beeindruckt geschilderten Verurteilten wegen vorbildlicher
Führung befürwortet wird. Die Vollzugsplanung war auf eine Entlassung zu Ende des
Jahres 2009 ausgelegt.
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Der Verurteilte hat sich am 16.09.2008 zum Strafantritt im offenen Vollzug gestellt. Seine
bereits zum 1. Mai 2008 aufgenommene Beschäftigung als kaufmännischer Angestellter
bei einem Immobilienunternehmen in B. konnte er bereits ab dem 26.09.2008 fortführen.
Dem Verurteilten bereitet seine Tätigkeit Freude, so dass er sie nach der Haftentlassung
fortführen will, was er wegen seines Alters, seiner gesundheitlichen Beeinträchtigungen
und auch aus wirtschaftlichen Gründen nicht tun müsste.
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Die Anhörung durch den Senat hat darüber hinaus ergeben, dass die Familie – zu der
neben Ehefrau und zwei schon erwachsenen Töchtern auch schon mehrere
Enkelkinder gehören – im Leben des Verurteilten eine ganz besonders wichtige Stelle
ein nimmt, wobei sich der Verurteilte vom plötzlichen Kindstod eines Enkelkindes im
vergangenen Jahr besonders betroffen zeigte.
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Zusammenfassend kann dem Verurteilten eine uneingeschränkt positive
Sozialprognose gestellt werden.
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b) Der Senat bejaht darüber hinaus abweichend von der Auffassung der
Strafvollstreckungskammer auch besondere Umstände im Sinne des § 57 Abs. 2 Nr. 2
StGB. Es muß sich dabei um solche Umstände handeln, die über die schon gestellte
günstige Sozialprognose hinaus eine Aussetzung der Hälfte der Strafe rechtfertigen
können. Die von der Rechtsprechung hierzu entwickelten Grundsätze, die auch der
Senat vertritt (vgl u.a. SenE vom 01.08.2006 – 2 Ws 343/06 -) hat die
Strafvollstreckungskammer in der angefochtenen Entscheidung dargelegt; darauf wird
zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen.
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Zunächst ist es zu einer im Urteil näher dargestellten rechtsstaatswidrigen Verzögerung
des Verfahrens gekommen, die über die im Urteil durch Anrechnung von 4 Monaten
bereits vorgenommene Berücksichtigung eine Kompensation im Rahmen der
Vollstreckung geboten erscheinen läßt. Die von ihm nicht zu vertretende lange
Verfahrensdauer hat den Verurteilten nachvollziehbar außerordentlich belastet. Nach
etwa 3-wöchiger Untersuchungshaft im Oktober 2004 wurde der Verurteilte
anschließend unter zunächst strengen, später gemilderten Meldeauflagen sowie einer
hohen Kaution verschont. Der – von ihm als "schlimmste Zeit seines Lebens"
beschriebene – Zeitraum von mehr als 3 ½ Jahren bis zur Hauptverhandlung bedeutete
für den in seiner Heimatstadt hochangesehenen Verurteilten bereits vor rechtskräftiger
Verurteilung einen tiefen Fall. Wenngleich der Verlust des persönlichen Ansehens und
der sozialen Stellung die an sich vom Verurteilten zu verantwortende Folge seiner
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Straftaten ist, hat doch die überlange Verfahrensdauer eine zusätzliche schwere
Belastung zur Folge gehabt, die um so schwerer wiegt, als sich der Verurteilte den
Vorwürfen von Anfang an gestellt hat.
Gesichtspunkte der Generalprävention stehen der Entlassung zum Halbstrafenzeitpunkt
nicht entgegen. Neben dem Umstand, dass der angerichtete Steuerschaden bereits
2005 vollständig beglichen worden ist, ist abweichend von der Auffassung der
Strafvollstreckungskammer aus Sicht des Senats die Lebensleistung des Verurteilten zu
würdigen. Zu dieser gehört, dass er unter großem persönlichen Einsatz durch den
Aufbau eines Unternehmens mit zuletzt 300 Arbeitsplätzen und Steuerzahlungen in
Höhe von einigen hundert Millionen Euro zum Gedeihen des staatlichen
Gemeinwesens in besonderer Weise beigetragen hat. Das mindert das sonst durchaus
bedeutsame Gewicht des Gesichtspunktes der Sozialschädlichkeit von Steuerstraftaten
im Rahmen der Prüfung der Strafaussetzung.
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Ins Gewicht fallen bei der vorzunehmenden Gesamtschau daneben auch das
fortgeschrittene Alter des jetzt 67-jährigen Verurteilten und seine gesundheitlichen
Beeinträchtigungen. Nach den dem Senat vorgelegten ärztlichen Attesten leidet der
Verurteilte nach einem im Kindesalter erlittenen Unfall an einer chronifizierten
Knocheneiterung am rechten Oberschenkel, die zu einer Vielzahl von operativen
Eingriffen führte, äußerst schmerzhaft ist und Bewegungseinschränkungen zur Folge
hat. Er ist deswegen besonders haftempfindlich. Daneben bestehen urologische
Beschwerden, wegen der dem Verurteilten ebenfalls eine Operation bevorsteht.
Angesichts dieser Umstände ist die berufliche Tätigkeit des Verurteilten besonders hoch
zu bewerten.
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Der Senat hat schließlich auch bedacht, dass der Halbstrafentermin zum
Entlassungstermin hier bereits um mehr als zwei Monate überschritten ist und der 2/3-
Zeitpunkt bereits in 4 ½ Monate erreicht würde.
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3. Der Senat hat die Bewährungszeit auf 3 Jahre festgesetzt, was er angesichts des in
der Höhe der verhängten Strafe zum Ausdruck gekommenen Tatunrechts für
angemessen hält. Zur Sicherstellung der Bewährungsaufsicht durch die
Strafvollstreckungskammer wird der Verurteilte verpflichtet, einen etwaigen
Wohnungswechsel anzuzeigen. Außerdem ist es aus Sicht des Senats angebracht,
dass der Bestand der Bewährung für den ansonsten von einschränkenden Weisungen
freien Verurteilten fühlbar gemacht wird. Dem dient die nach § 56 b Abs. 2 Nr. 2 StGB
erteilte Auflage zur Zahlung eines Geldbetrages an eine gemeinnützige Einrichtung, die
hier im Hinblick auf die Sozialschädlichkeit Tat in besonderem Maße angebracht
erscheint. Dass der Geldbetrag der Unterstützung von Kindern zugute kommt, entspricht
dem eigenen Wunsch des Verurteilten. Der Senat hat es allerdings für angemessen
gehalten, den Betrag im Hinblick auf seine guten Vermögensverhältnisse höher zu
bemessen als vom Verurteilten angeboten.
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