Urteil des OLG Köln vom 27.08.1999

OLG Köln: arbeitsunfähigkeit, schweigepflicht, verhinderung, diagnose, verdacht, fraktur, entschuldigungsgrund, auflage, anschrift, krankheit

Datum:
Gericht:
Spruchkörper:
Entscheidungsart:
Vorinstanz:
Normen:
Leitsätze:
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Aktenzeichen:
Rechtskraft:
Tenor:
Oberlandesgericht Köln, 13 W 54/99
27.08.1999
Oberlandesgericht Köln
13. Zivilsenat
Beschluss
13 W 54/99
Landgericht Aachen, 12 O 38/98
ZPO §§ 380 I, 381 I
1. Ein ärztliches Attest, das einem Zeugen aus Gesundheitsgründen die
Fähigkeit abspricht, den Vernehmungstermin wahrzunehmen, stellt
grundsätzlich eine genügende Entschuldigung für das Ausbleiben des
Zeugen dar. 2. In der Vorlage eines ärztlichen Attestes durch einen
Zeugen, der damit sein Ausbleiben entschuldigen will, kann die
konkludente Erklärung gesehen werden, daß der Zeuge den
ausstellenden Arzt bei etwaigen Nachfragen des Gerichts hinsichtlich
des Entschuldigungsgrundes von der Schweigepflicht entbindet. 3.
Etwaigen Zweifeln an Aussagekraft oder Zuverlässigkeit der ärztlichen
Bescheinigung hat das Gericht von Amts wegen im Freibeweisverfahren
nachzugehen.
unanfechtbar
Der angefochtene Beschluß wird aufgehoben.
G r ü n d e
I.
Mit Schreiben vom 09.04.1999 hat der vom Landgericht auf den 13.04.1999 als Zeuge
geladene Beteiligte zu 1. unter Beifügung der Kopie einer ärztlichen
Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ("Erstbescheinigung" vom 09.04.1999 für die Zeit bis
zum 16.04.1999) dem Gericht seine krankheitsbedingte Verhinderung mitgeteilt. Die
Zivilkammer hat daraufhin mit im Termin vom 13.04.1999 verkündeten Beschluß gegen den
Zeugen ein Ordnungsgeld in Höhe von 300,00 DM, ersatzweise drei Tage Ordnungshaft,
festgesetzt und ihm die durch sein Nichterscheinen entstandenen Kosten auferlegt. Das
Landgericht hat die Entschuldigung des Zeugen als nicht genügend angesehen, weil die
ärztliche Bescheinigung lediglich Arbeitsunfähigkeit attestiere, indessen nichts dazu
aussage, ob der Zeuge reise- oder vernehmungsfähig sei. Die Zivilkammer hat es auch
abgelehnt, die gegen den Zeugen verhängten Maßnahmen aufzuheben, nachdem dieser
eine ärztliche Bescheinigung nachgereicht hat, in der bestätigt wird, daß der Zeuge
aufgrund der Schwere der seine Arbeitsunfähigkeit vom 09.04. - 16.04.1999 begründenden
Erkrankung aus ärztlicher Sicht nicht reisefähig war. Zur Begründung heißt es im Schreiben
der Berichterstatterin vom 09.06.1999: "Abgesehen davon, daß auch die jetzt vorgelegte
ärztliche Bescheinigung inhaltlich nicht aussagekräftig ist, bestehen erhebliche Bedenken
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ärztliche Bescheinigung inhaltlich nicht aussagekräftig ist, bestehen erhebliche Bedenken
gegen die Behauptung, aufgrund Krankheit nicht reisefähig gewesen zu sein. Nach dem
Termin vom 13.04.99 rief noch am gleichen Tag ein Richter des LG H. an, der anfragte, ob
es richtig sei, daß Sie wegen eines Termins vor der Aachener 12. Zivilkammer den Termin
in H. nicht wahrnehmen könnten. Bei dieser Sachlage kann die Kammer nicht von einem
entschuldigten Fernbleiben durch Sie ausgehen."
II.
Die zulässige Beschwerde des Beteiligten zu 1., der das Landgericht nicht abgeholfen hat,
führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses. Unabhängig davon, ob die
Entscheidung des Landgerichts, gegen den Zeugen im Termin vom 13.04.1999 einen
Ordnungsmittel- und Kostenbeschluß gemäß § 380 Abs.1 ZPO erlassen, aus damaliger
Sicht rechtens war, hätte dieser Beschluß jedenfalls nachträglich aufgehoben werden
müssen, weil der Zeuge mit der ärztlichen Bescheinigung über seine Reiseunfähigkeit zum
Termin vom 13.04.1999 sein Fernbleiben nachträglich genügend entschuldigt hat (§ 381
Abs. 1 ZPO).
1. Richtig ist, daß Arbeitsunfähigkeit, die nicht mit Reise- oder Vernehmungsunfähigkeit
verbunden ist, ein Fernbleiben des Zeugen nicht genügend entschuldigt. Eine andere
Frage ist es, ob ein - wie hier - kurz vor dem Termin eingegangenes
Entschuldigungsschreiben unter Beifügung einer ärztlichen
Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung dem Gericht nicht Anlaß gibt, sich durch telefonische
Anfrage bei dem Arzt (die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung enthielt in lesbarer Form
Name, Anschrift und Telefonnummer des ausstellenden Arztes) die erforderliche
Aufklärung zu verschaffen. Ein solcher Anruf verbot sich nicht etwa im Hinblick auf die
ärztliche Schweigepflicht. In der Vorlage eines ärztlichen Attestes durch einen Zeugen, der
damit sein Nichterscheinen entschuldigen will, kann die konkludente Erklärung gesehen
werden, daß der Zeuge den ausstellenden Arzt bei etwaigen Nachfragen des Gerichts
hinsichtlich des Entschuldigungsgrundes von der Schweigepflicht entbindet (vgl. OLG
Düsseldorf, VRS Bd. 84 (1993), S. 458, 460; Karlsruhe, NStZ 1994, 141; BayObLG NStZ-
RR 1999, 143 - jeweils zu § 329 Abs.1 StPO).
1. Wenn die Zivilkammer aber schon, ohne von dieser Möglichkeit Gebrauch zu machen,
einen Beschluß nach § 380 Abs.1 ZPO gegen den Zeugen erließ, dann gab spätestens die
mit dem Aufhebungsantrag überreichte ärztliche Bescheinigung über die Reiseunfähigkeit
des Zeugen am Terminstag Anlaß, etwaigen Zweifeln an dem Inhalt des Attestes oder an
der Richtigkeit der darin enthaltenen Aussage von Amts wegen im Freibeweisverfahren
nachzugehen. Gerade wegen dieser Aufklärungsmöglichkeit kann eine ärztlich
bescheinigte Reiseunfähigkeit nicht schon deshalb von vornherein als ungenügende
Entschuldigung angesehen werden, weil weder die Art der Erkrankung angegeben noch
die daraus folgende Reiseunfähigkeit erläutert ist. Ein ärztliches Attest, das einem Zeugen
aus Gesundheitsgründen die Fähigkeit abspricht, den Vernehmungstermin wahrzunehmen,
stellt grundsätzlich eine genügende Entschuldigung für sein Ausbleiben dar. Argwöhnt das
Gericht, daß es sich um ein Gefälligkeitsattest handeln könnte, so ist das Gericht gehalten,
ihm geeignet erscheinende Aufklärungsmaßnahmen zu ergreifen. Im übrigen ist hier schon
nicht nachvollziehbar, weshalb es erhebliche Bedenken gegen die von dem Zeugen
geltend gemachte krankheitsbedingte Reiseunfähigkeit zum 13.04.1999 begründen soll,
daß der Zeuge sein Nichterscheinen zu einem am gleichen Tage anstehenden Termin vor
dem Landgericht H. mit seiner - wie anzunehmen ist: früheren - Zeugenladung vor das
Landgericht Aachen begründet hat.
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1. Die Tatsache, daß der Zeuge sein Nichterscheinen zum nächsten
Beweisaufnahmetermin (vom 13.07.1999) erneut mit Reiseunfähigkeit entschuldigt hat (die
hierzu beigefügte ärztliche "Folgebescheinigung" vom 01.07.1999 erfaßt den Zeitraum bis
zum 15.07.1999 und enthält als Diagnose: "Fraktur 5. Mittelfußknochen links"), mag Anlaß
zu einer strengeren Prüfung geben. Ob - wiederum ohne jegliche Aufklärungsmaßnahmen
des Gerichts - der Erlaß eines erneuten Ordnungsmittelbeschlusses gerechtfertigt war, hat
der Senat hier nicht zu entscheiden. Aus den vorstehenden Ausführungen ergibt sich
jedoch, daß auch jener Beschluß in einem etwaigen Beschwerdeverfahren voraussichtlich
keinen Bestand haben wird, wenn die Zivilkammer dem Verdacht, daß der von dem
Zeugen geltend gemachte Entschuldigungsgrund nur vorgeschoben ist, nicht nachgeht
(das gilt auch für die Frage, ob der Zeuge das Gericht von der sich abzeichnenden
Verhinderung rechtzeitig verständigt hat). Von dem Ergebnis der freibeweislichen
Aufklärung kann auch abhängen, ob eine etwa erneut auf gesundheitliche Gründe
gestützte Entschuldigung des Zeugen (zu dem nunmehr auf den 26.10.1999 bestimmten
Termin zu seiner Vernehmung) an die Auflage geknüpft werden kann, daß sich der Zeuge
dem Amtsarzt vorzustellen habe (wie dem Hinweis zur Ladungsverfügung vom 14.07.1999
zu entnehmen ist).
Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlaßt (vgl. Zöller/Greger, ZPO, 21. Aufl., § 380 Rdn.
10; Musielak, ZPO, § 380 Rdn. 6, 7).