Urteil des OLG Köln vom 14.02.2006

OLG Köln: wiederholungsgefahr, zukunft, persönlichkeitsrecht, verfügung, firma, unterlassen, geschäftsführer, begriff, verkündung, meinungsfreiheit

Oberlandesgericht Köln, 15 U 176/05
Datum:
14.02.2006
Gericht:
Oberlandesgericht Köln
Spruchkörper:
15. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
15 U 176/05
Vorinstanz:
Landgericht Köln, 28 O 450/05
Tenor:
Auf die Berufung der Verfügungsklägerin wird das Urteil des
Landgerichts Köln vom 28. September 2005 - 28 O 450/05 - unter
Zurückweisung der weitergehenden Berufung abgeändert und wie folgt
neu gefasst:
Die Verfügungsbeklagte wird verurteilt, es unter Androhung eines
Ordnungsgeldes von bis zu 250.000 EUR und für den Fall, dass dieses
nicht beigetrieben werden kann, der Ordnungshaft oder der
Ordnungshaft von bis zu sechs Monaten, zu vollziehen an den
Geschäftsführern, für jeden Fall der Zuwiderhandlung zu unterlassen, in
Bezug auf die Verfügungsklägerin die Formulierung
"Dass die Schauspielerin als Geschäftsführerin von "T U" zwangsläufig
mehr war als nur ahnungsloses Opfer, (...)",
wie in folgenden zwei Beiträgen erfolgt:
pp.
zu verwenden, ohne jeweils den klarstellenden Zusatz aufzunehmen,
dass die Verfügungsklägerin keine eigene Kenntnis von
Produktplacement-Engagements der GmbH hatte, nichts mit dem
operativen Geschäft der GmbH zu tun hatte und nur formal im
Handelsregister als Geschäftsführerin eingetragen war.
Im Übrigen wird der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung
abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Verfügungsbeklagte.
Gründe:
1
I.
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Die Parteien streiten über die Zulässigkeit einer presserechtlichen Äußerung. Die
Verfügungsklägerin nimmt die Verfügungsbeklagte wegen Verletzung ihres allgemeinen
Persönlichkeitsrechts auf Unterlassung in Anspruch.
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Die Verfügungsbeklagte veröffentlichte sowohl in der Printausgabe der von ihr verlegten
Zeitung "L B" vom 20. Juli 2005 im Ressort "Blick" als auch in der auf ihrer Domain
abrufbaren Online-Ausgabe www. L. B. de in der dortigen Rubrik "Medien" einen Artikel
zum sogenannten Produktplacement, in dem auch die Verfügungsklägerin und eine
Firma "T U" GmbH genannt werden, an der die Verfügungsklägerin damals beteiligt war
und deren Geschäftsführerstellung sie innehatte. Wegen der Einzelheiten der Artikel
wird auf die im Tenor enthaltenen Ablichtungen verwiesen.
4
Die Verfügungsklägerin meint, in den genannten Artikeln entstehe der Eindruck, sie
habe von einem angeblichen Produktplacement Engagement durch die "T U" GmbH
Kenntnis gehabt. Dieser Eindruck ergebe sich aus der Veröffentlichung folgender
Passage:
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"( ...). Dass die Schauspielerin als Geschäftsführerin von "T U" zwangsläufig mehr war
las nur ahnungsloses Opfer, (...)".
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Die Parteien sind sich darüber einig, dass die Verfügungsklägerin die Stellung der
Geschäftsführerin nur formell innehatte, mit dem operativen Geschäft der "T U" GmbH
nichts zu tun hatte und von den Vorgängen zum angeblichen Produktplacement keine
eigene Kenntnis besaß. Sie streiten jedoch darüber, ob die Verfügungsbeklagte durch
die fragliche Passage im Gesamtzusammenhang eine Kenntnis der Verfügungsklägerin
vom Geschehen als verdeckte Tatsache behauptet hat oder ob sie nur eine Wertung -
und damit Meinung - dahin ausgedrückt hat, die Verfügungsklägerin sei als
Geschäftsführerin für das Geschehene rechtlich verantwortlich.
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Der Antrag der Verfügungsklägerin auf Erlass einer einstweiligen Verfügung, mit der sie
die Unterlassung dieser Formulierung von der Verfügungsbeklagten begehrte, wurde
vom Landgericht Köln mit Urteil vom 28. September 2005 - 28 O 450/05 -
zurückgewiesen. Das Landgericht hat ausgeführt, das Verständnis der
Verfügungsklägerin einer verdeckten Tatsachenbehauptung dränge sich dem Leser
gerade nicht unausweislich auf. Vielmehr könne die Formulierung auch als plakative
zusammenfassende Bewertung der unstreitigen Tatsachen verstanden werden, die
insbesondere auf die organschaftliche Stellung der Verfügungsklägerin in der "T U"
GmbH gestützt sei. Bei diesem Verständnis entstünde der Eindruck positiver Kenntnis
nicht. Aufgrund einer möglichen auch äußerungsfreundlichen Lesart der Formulierung
scheide nach den geltenden Maßstäben (vgl. nur BGH NJW 1998, 3047, 3048) ein
Unterlassungsanspruch aus. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf das Urteil des
Landgerichts Köln vom 28. September 2005 (Bl. 75 ff d.A.) Bezug genommen.
8
Mit der frist- und formgerecht eingelegten Berufung verfolgt die Verfügungsklägerin
weiterhin ihren ursprünglichen Unterlassungsanspruch. Sie ist der Auffassung, das
Landgericht habe zu Unrecht den Erlass der einstweiligen Verfügung versagt. Ihr stünde
der beantragte Unterlassungsanspruch zu. Die Verfügungsklägerin ist der Ansicht, die
Deutung der angegriffenen Äußerung, sie habe Kenntnis vom Produktplacement-
Engagement gehabt, sei nicht nur "nahe liegend", sondern die einzige mögliche
Deutung.
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Dies ergebe sich aus der "aktivischen" Berichterstattung über die
Geschäftsführertätigkeit der Verfügungsklägerin sowie der Verwendung des Begriffs
"familiären Bande" zwischen ihr und ihrem Ehemann. Auch der Umstand, dass sich die
Verfügungsklägerin nach Aufgabe der Geschäftsführertätigkeit wieder der
Schauspielerei widmen könne, spreche dafür. Das impliziere gerade, dass sie sich
vorher der operativen Geschäftsführung gewidmet habe. Der Begriff "mehr als nur
ahnungsloses Opfer" könne auch grammatisch nur so verstanden werden, dass die
Betroffene Bescheid wusste.
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In dem Artikel sei nicht davon die Rede, wie und ob ein Geschäftsführer für Vorgänge
hafte, die er nicht kennt. Dies sei im Zusammenhang mit den berichteten Aktivitäten der
Verfügungsklägerin nur so zu verstehen, dass die Verfügungsklägerin positiv Kenntnis
gehabt habe. Da von einer Geschäftsführerhaftung nicht die Rede sei, werde eine
andere Deutung als die der tatsächlichen Kenntnis vom Geschehen nicht nahe
gebracht.
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Weiterhin meint sie, auch bei einer zulässigen Annahme beider Deutungsmöglichkeiten
sei nach der jüngsten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts im Fall "Stolpe"
(Beschluss vom 25. Oktober 2005 - 1 BvR 1696/98 - NJW 2006, 207 ff) nicht mehr auf
die das Presseunternehmen weniger belastende Deutung abzustellen. Nach dieser hier
anwendbaren Entscheidung sei der Unterlassungsanspruch vielmehr begründet. Ein
Unterlassungsanspruch scheide nicht deshalb aus, weil eine Äußerung, die das
Persönlichkeitsrecht eines anderen verletze, auch eine Deutungsvariante zulasse, die
zu keiner Persönlichkeitsbeeinträchtigung führe. Schließlich habe der Äußernde die
Möglichkeit und die Pflicht, sich in Zukunft eindeutig und in rechtlich zulässigem Umfang
auszudrücken. Die vom Landgericht getroffene Entscheidung sei daher nun überholt.
12
Die Verfügungsklägerin beantragt,
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die Antragsgegnerin und Berufungsbeklagte unter Aufhebung des Urteils des
Landgerichts Köln vom 28. September 2005 - 28 O 450/05 - zu verurteilen, es bei
Vermeidung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung
festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000 EUR, ersatzweise Ordnungshaft,
oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, letztere zu vollziehen an den
Geschäftsführern, es zu unterlassen, in Bezug auf die Antragstellerin und
Berufungsklägerin durch die Formulierung
14
"Dass die Schauspielerin als Geschäftsführerin von "T U" zwangsläufig mehr
war als nur ahnungsloses Opfer, (...)"
15
den Eindruck zu erwecken, die Antragstellerin habe Kenntnis von
Produktplacement-Engagements der "T U" GmbH gehabt.
16
Die Verfügungsbeklagte beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
18
Sie ist der Auffassung, die jüngste Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts im
Fall "Stolpe" sei vorliegend nicht anwendbar. Anders als in dieser Entscheidung gehe
es vorliegend nicht um die Interpretationsfähigkeit einer Äußerung, sondern darum, ob
ein bestimmter Eindruck mit der Äußerung erweckt werde oder nicht. Mit dem
Landgericht meint die Verfügungsbeklagte weiterhin, ihr Verständnis der Äußerung sei
gerade nicht fernliegend.
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Die "Stolpe" Entscheidung beziehe sich auf eine konkrete Tatsachenbehauptung, die
objektiv mehrdeutig sei. Nur für diese Fälle gelte der festgelegte Maßstab, nicht aber für
sog. verdeckte Äußerungen, also für Äußerungen, die lediglich einen nicht ausdrücklich
geäußerten Eindruck erweckten. Diese Fälle der verdeckten Behauptung seien nur
gegeben, wenn sich der dem Persönlichkeitsrecht widerstrebende Eindruck zwingend
aufdränge. Dies sei hier aber nicht der Fall, was auch aus der Formulierung folge, dass
"N mit in die Affäre gezogen wird, hätte ich ihm gern erspart".
20
Im übrigen meint die Verfügungsbeklagte, sei das Urteil des Landgerichts jedenfalls bis
zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zutreffend gewesen. Selbst wenn die
Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts auf den zu entscheidenden Rechtsstreit
anzuwenden wäre, scheitere der Unterlassungsanspruch nun an der
Wiederholungsgefahr, da eine zunächst zulässige Berichterstattung erst im Nachhinein
unzulässig wurde. In diesem Fall spreche keine Vermutung für die Wiederholung der
Formulierung.
21
Für die Zukunft erklärt die Verfügungsklägerin zudem, die streitgegenständliche
Formulierung nur noch mit dem Hinweis zu verwenden, die Antragstellerin sei "nur
insoweit zwangsläufig mehr als nur ahnungsloses Opfer (gewesen), als sie als alleinige
Geschäftsführerin der "T U" GmbH für Produktplacement-Engagements der "T U" GmbH
rechtlich verantwortlich (sei)." Aufgrund dieser Erklärung fehle es für die Zukunft auch an
einer Begehungsgefahr.
22
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die
gewechselten Schriftsätze und die zu den Akten gereichten Anlagen, insbesondere die
zu den Akten gereichten und im Tenor genannten Artikel Bezug genommen.
23
II.
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Die zulässige Berufung ist ganz überwiegend begründet. Dem Antrag der
Verfügungsklägerin auf Erlass einer einstweiligen Verfügung ist in tenorierter Weise
stattzugeben. Die Verfügungsklägerin hat sowohl einen Verfügungsanspruch als auch
einen Verfügungsgrund gem. §§ 935, 936, 920 Abs. 2, 294 Abs. 1 ZPO glaubhaft
gemacht.
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1. Der Verfügungsklägerin steht ein Unterlassungsanspruch entsprechend §§ 1004 Abs.
1, 823 Abs. 1, Abs. 2 BGB, § 186 StGB wegen Verletzung des allgemeinen
Persönlichkeitsrechts i.S.v. Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG gegen die
Verfügungsbeklagte zu. Sie ist durch die seitens der Verfügungsbeklagten verlegte
streitgegenständliche Formulierung in ihrem allgemeinen Persönlichkeitsrecht verletzt
26
und es besteht die Gefahr der Wiederholung einer derartigen Formulierung.
Mit der streitgegenständlichen Äußerung hat die Verfügungsbeklagte zwar nicht
ausdrücklich, wohl aber im Kontext geäußert, die Verfügungsklägerin habe positive
Kenntnis vom Produktplacement-Engagement der GmbH gehabt. Der als Maßstab
heranzuziehende Durchschnittsleser bzw. -hörer gelangt nach Würdigung des
Aussagegehalts der im Antrag genannten Äußerung im Gesamtzusammenhang zu dem
Ergebnis, die Verfügungsbeklagte habe diese Aussage verdeckt behauptet (vgl. zum
Maßstab BGH NJW-RR 1994, 1246 m.w.N.; OLG Köln NJW-RR 1998, 1175, 1176 f).
Aufgrund der gesamten Tatsachenmitteilung wird durch die streitgegenständliche
Passage der Eindruck einer positiven Kenntnis ausnehmend nahe gelegt, weshalb der
Senat die verdeckte Äußerung als eine Tatsachenbehauptung bereits in den parallelen
Verfahren zum Gegendarstellungsanspruch in seinen Urteilen vom 20.12.2005 - 15 U
173/05 und 15 U 174/05 - angesehen hat.
27
Zur Begründung hat der Senat mit dem Landgericht vornehmlich darauf abgestellt, dass
Erstmitteilung der Verfügungsbeklagten die Tatsache sei, dass die Verfügungsklägerin
Geschäftsführerin der GmbH war und dass der GmbH vorgeworfen werde,
Produktplacement betrieben zu haben. Aufgrund dieser Tatsachenmitteilung werde der
Eindruck einer positiven Kenntnis im Kontext dem durchschnittlichen Leser
ausnehmend nahe gelegt. Der Senat ist nicht der Auffassung der Verfügungsbeklagten
gefolgt, es werde in dem Artikel nur auf die Stellung der Verfügungsklägerin als
Geschäftsführerin abgestellt, aus der sich nicht zwingend eine positive Kenntnis ergebe.
Es ist schließlich nicht die rechtliche Verantwortlichkeit der Verfügungsklägerin
angesprochen worden. Der Artikel legte gerade nicht nahe, die Verfügungsklägerin
habe sich um die Geschäfte der GmbH nicht gekümmert und habe die Position der
Geschäftsführerin quasi nur formal bekleidet. Vielmehr suggerierte der Satz, sie könne
sich nach Beendigung ihrer Geschäftsführertätigkeit wieder voll auf ihren Hauptjob
konzentrieren, gerade ein tatsächliches Engagement in der GmbH, was für eine positive
Kenntnis spricht. Zudem wird von einem durchschnittlichen Leser die Tätigkeit als
Geschäftsführer durchaus so verstanden, dass diesem die Aktivitäten der GmbH
mindestens bekannt sind. Dass die Verfügungsklägerin mit den Aktivitäten der GmbH
vertraut war, wird im übrigen auch durch andere Passagen des Artikels nahe gelegt. So
heißt es, dass die GmbH von den "Eheleuten" 1993 gegründet wurde, die
Verfügungsklägerin "führe im Nebenberuf ein einträgliches Unternehmen", "ihr gehörten
die restlichen 20 Prozent" der GmbH. Auch die Formulierung, dass die
Verfügungsklägerin nicht erreichbar sei, wegen (von der Verfügungsbeklagten in
Anführungszeichen gesetzt) eines sehr engen Drehplans, legt nahe, sie wolle sich zu
den Vorwürfen nicht äußern. Im Kontext suggeriert auch diese Formulierung positive
Kenntnis. Insbesondere die Formulierung, dass die Verfügungsklägerin nach elf Jahren
die Geschäftsführung aufgegeben habe und sich seit Dezember 2004 wieder voll auf
ihren Hauptjob konzentrieren könne, spricht für ein aktives Engagement. Schließlich
wird auf andere "familiäre Verstrickungen in den jüngsten ARD-Affären" bezug
genommen, bei denen die Frauen auch beteiligt waren. Schließlich und dem kommt
eine besondere Bedeutung zu, wird in der Titelzeile auf die Aktivitäten der
Verfügungsklägerin angespielt, wenn es heißt, sie gerate ins Blickfeld der
Schleichwerbungs-Prüfung und sei - im nächsten Satz - Gesellschafterin und
Geschäftsführerin einer verdächtigten Firma. Die semantische Anspielung bei der
Verwendung des Begriffs "familiäre Bande" in der Titelzeile spricht ergänzend für
positive Kenntnis.
28
Auch der Satz, dass "N mit in die Affäre gezogen wird, hätte ich ihm gern erspart",
bestätigt das gewonnene Auslegungsergebnis. Die Formulierung deutet jedenfalls nicht
ausdrücklich - wie die Verfügungsbeklagte meint - auf fehlende Kenntnis hin.
Hineingezogen werden kann man gerade auch mit entsprechender Kenntnis vom
Geschehen. Es geht bei dieser Passage nur um die Konsequenzen, nicht um das Maß
der Kenntnis. Angesichts der sonst mitgeteilten Einzelheiten reicht diese Formulierung
daher aus, den bereits entstandenen Eindruck zu verstärken, entgegen wirkt sie ihm
nicht.
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Wie bereits erwähnt, hatte die Verfügungsklägerin nach den unstreitigen Feststellungen
des angegriffenen landgerichtlichen Urteils keine Kenntnis von Produktplacement-
Engagements der GmbH, hatte nichts mit dem operativen Geschäft der GmbH zu tun
und war nur formal im Handelsregister als Geschäftsführerin eingetragen. Die
Richtigkeit dieses Verständnisses vom Tatsachenvortrag ist durch einen
unwidersprochenen Hinweis des Senats und ausdrückliche Erörterung in der
mündlichen Verhandlung nochmals gesichert worden. Damit ist die Tatsachenmitteilung
der Verfügungsbeklagten unwahr und verletzt somit das allgemeine
Persönlichkeitsrecht der Verfügungsklägerin.
30
Es ergibt sich für den geltend gemachten Unterlassungsanspruchs keine andere
rechtliche Beurteilung der Äußerung als im Prozess über die
Gegendarstellungsansprüche der Verfügungsklägerin. Dem Landgericht kann darin
zugestimmt werden, dass die streitgegenständliche Äußerung auch einer anderen
Interpretationsmöglichkeit offen steht. So mag die Äußerung von einem Teil des
unvoreingenommenen und verständigen Publikums nicht als verdeckte
Tatsachenmitteilung, sondern als zusammenfassende Bewertung der Tatsache
verstanden werden, dass die Verfügungsklägerin Geschäftsführerin der GmbH war. Die
angegriffene Äußerung könnte daher auch so verstanden werden, als weise sie
lediglich auf die zwingenden rechtlichen Folgen der Rolle als Geschäftsführerin einer
GmbH hin, ohne eine positive Kenntnis der Verfügungsklägerin nahe zu legen. Wenn
auch der Senat dazu neigt festzustellen, die verdeckte Tatsachenbehauptung dränge
sich geradezu auf, so verschließt er sich nicht dem Umstand, dass die Äußerung
mehrdeutig verstanden werden kann.
31
Zutreffend hat das Landgericht den Maßstab zur Beurteilung von
Unterlassungsansprüchen von mehrdeutigen Äußerungen auf der Grundlage der
damals maßgeblichen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und des damaligen
Stands der ständigen bundesverfassungsgerichtlichen Rechtsprechung bestimmt. Der
Bundesgerichtshof hat in seiner "Stolpe" Entscheidung entschieden, dass im Fall der
Möglichkeit mehrerer sich nicht gegenseitig ausschließender Deutungen des Inhalts
einer Äußerung für die rechtliche Beurteilung diejenige zugrunde zu legen ist, die dem
auf Unterlassung in Anspruch Genommenen günstiger ist und den Betroffenen weniger
beeinträchtigt (BGH NJW 1998, 3047, 3048; vgl. auch BGH NJW 2002, 1192, 1194;
NJW 2004, 598, 599; zurückhaltend auch das BVerfG bei der Gewährung von
Unterlassungsansprüchen bei verdeckten Tatsachenbehauptungen vgl. BVerfG NJW
2004, 1942).
32
Das Landgericht hat diesen Maßstab zutreffend seiner Entscheidung zugrunde gelegt.
Zwischenzeitlich ist er aber überholt.
33
Mit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. BVerfG NJW 2006, 207) ist
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das genannte Urteil des Bundesgerichtshofs im Fall "Stolpe" aufgehoben worden und
der Maßstab für Unterlassungsansprüche insoweit neu bestimmt worden. Danach ist
nun zwischen Sanktionen wegen in der Vergangenheit erfolgter Äußerungen und der
Entscheidung über die Unterlassung zukünftiger Äußerungen zu unterscheiden (vgl.
BVerfG NJW 2006, 207, 209). Das Bundesverfassungsgericht verneint einen gleichen
Schutzbedarf für die individuelle Grundrechtsausübung und die Funktionsfähigkeit des
Meinungsbildungsprozesses bei gerichtlichen Entscheidungen über die Unterlassung
zukünftiger Äußerungen. Im Rahmen der rechtlichen Zuordnung von Meinungsfreiheit
und Persönlichkeitsschutz sei zu berücksichtigen, dass der Äußernde die Möglichkeit
habe, sich in der Zukunft eindeutig auszudrücken und damit zugleich klarstellen könne,
welcher Äußerungsinhalt der rechtlichen Prüfung einer Verletzung des
Persönlichkeitsrechts zu Grunde zu legen sei. An diesen Inhalt würden die für die
Abwägung bei Persönlichkeitsbeeinträchtigung durch Werturteile oder
Tatsachenbehauptungen in der Rechtsprechung entwickelten Prüfkriterien und
Abwägungsmaßstäbe angelegt.
Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ist auf den vorliegenden Fall
anwendbar.
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Anders als die Verfügungsbeklagte meint, ist die Rechtsprechung der "Stolpe"
Entscheidung auch auf sog. verdeckte Äußerungen anwendbar, wie sie hier
anzunehmen ist. Es ist nicht erkennbar, dass zwischen Äußerungen, die einen Eindruck
erwecken, und sog. verdeckten Äußerungen zu differenzieren ist. Da im Rahmen der
Ermittlung des Aussagegehalts nicht nur auf die im Klageantrag genannte Textpassage
abgestellt werden darf, sondern vielmehr diese im Zusammenhang mit dem Aussagetext
zu deuten ist (vgl. BGH NJW 1998, 3047, 3048), können sich verschiedene
Verständnismöglichkeiten ergeben. Im Rahmen dieser verschiedenen
Interpretationsmöglichkeiten unterscheidet der Bundesgerichtshof nicht danach, ob sich
ein bestimmter Sinngehalt der beanstandeten Äußerung durch die Erweckung eines
Eindrucks ergibt oder ob die Behauptung in versteckter Form aufgestellt wird (BGH NJW
1994, 1246, 1247). Es ist nach den Ausführungen der Verfügungsbeklagten auch nicht
erkennbar, in welcher Weise hier eine Differenzierung geboten ist, um die sich
gegenüber stehenden Rechte der Meinungsfreiheit und des allgemeinen
Persönlichkeitsrechts zu gewährleisten. Regelmäßig ergibt sich gerade durch eine
verdeckte Äußerung ein bestimmter Eindruck. Der Verfügungsbeklagten ist zwar darin
zuzustimmen, dass sich nicht aus jedem durch eine verdeckte Äußerung begründeten
Eindruck eine mehrdeutige Äußerung ergibt. Eines näheren Eingehens auf diese
Problematik bedarf es hier jedoch nicht. Vorliegend führt jedenfalls die - im Wege der
Interpretation gewonnene - Äußerung zu einem objektiv mehrdeutigen Aussagegehalt.
Die streitgegenständliche Textpassage beinhaltet im Kontext entweder die Aussage, die
Verfügungsklägerin hatte positive Kenntnis von dem Produktplacement-Engagement
der GmbH oder sie sei rechtlich verantwortlich. Der durch die Äußerung entstandene
Aussagegehalt ist somit objektiv mehrdeutig und in der ersten Aussagevariante
unrichtig.
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Gemessen an den Feststellungen des Bundesverfassungsgerichts ist die Äußerung zu
unterlassen. Die Verbreitung der unwahren Tatsachenbehauptung war rechtswidrig. Die
Verfügungsbeklagte kann sich nicht auf die Wahrnehmung berechtigter Interessen
berufen.
37
Der Umstand, dass mit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts eine
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Änderung des Maßstabs zu berücksichtigen ist, die erst nach der Verkündung der
landgerichtlichen Entscheidung eingetreten ist, ergibt nichts anderes. Maßgeblich für die
Entscheidung ist die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen
Verhandlung der Tatsacheninstanz. Die geänderte Rechtsprechung führt nicht, wie die
Verfügungsbeklagte meint, dazu, dass die Berichterstattung der Verfügungsbeklagten
zunächst zulässig war und der Unterlassungsanspruch erst im Nachhinein, nach
Verkündung des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts entstanden ist.
Hinzu kommt, dass sich die Abgrenzung zwischen zulässiger Meinung und
unzulässiger Tatsachenbehauptung noch aus einem anderen rechtlichen Gesichtspunkt
ergibt: Der beschriebene Eindruck der Kenntnis der Verfügungsklägerin ergibt sich auch
durch die von der Verfügungsbeklagten gewählten Art einer bewusst unvollständigen
Berichterstattung, die unzulässig ist. Wenn dem Leser Tatsachen mitgeteilt werden, aus
denen er erkennbar eigene Schlussfolgerungen ziehen soll, so dürfen hierbei keine
wesentlichen Tatsachen verschwiegen werden, die dem Vorgang ein anderes Gewicht
geben könnten. Soll der Leser aus mehreren unstreitigen Tatsachen eine bestimmte
ehrverletzende Schlussfolgerung ziehen, so ist eine bewusst unvollständige
Berichterstattung rechtlich wie eine unwahre Tatsachebehauptung zu behandeln (vgl.
BGH Urt. v. 22.11.05 - VI ZR 204/04 - becklink 161771; BGH VersR 2000, 193 jeweils
m.w.N.).
39
Selbst mit dem Ansatz der Verfügungsbeklagten, hier sei hinsichtlich der Kenntnis der
Verfügungsklägerin nur eine Meinung geäußert worden, die im Zusammenhang mit der
rechtlichen Verantwortung als Geschäftsführerin stehe, wurde die Berichterstattung zur
unwahren Tatsachenbehauptung, weil nicht mitgeteilt wurde, dass die
Verfügungsklägerin keine eigene Kenntnis hatte und nur formal die
Geschäftsführerposition inne hatte.
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Der Unterlassungsanspruch scheitert auch nicht daran, dass es an der
Begehungsgefahr fehlt. Ist es bereits zu einem rechtswidrigen Eingriff in die
Schutzsphäre gekommen, so begründet dies insbesondere bei ehrverletzenden
Angriffen die Vermutung der Wiederholungsgefahr (vgl. Wenzel, Das Recht der Wort
und Bildberichterstattung, 5. Aufl., Rz 12.7 ff). An ihre Widerlegung werden strenge
Anforderungen gestellt. Im Fall der Wiederholungsgefahr bei verdeckten Äußerungen
(vgl. dazu Wenzel, a.a.O., Rz 12.14) mag im Einzelfall die Wiederholungsgefahr fehlen,
wenn anzunehmen ist, dass die konkrete Behauptung im Kontext so nicht mehr
aufgestellt wird. Daran fehlt es hier. Auch durch die Erklärung der Verfügungsbeklagten
in der Berufungserwiderung ist die Wiederholungsgefahr nicht entfallen. Zwar kann der
Äußernde eine Verurteilung zur Unterlassung vermeiden, wenn er eine ernsthafte und
inhaltlich ausreichende Erklärung abgibt, die mehrdeutige Äußerung nicht oder nur mit
geeigneten Klarstellungen zu wiederholen (vgl. BVerfG NJW 2006, 207, 209). Ob und in
welchem Maße hiermit das Bundesverfassungsgericht neue Maßstäbe für die
Wiederholungsgefahr bei Unterlassungsansprüchen setzen wollte, kann dahin gestellt
bleiben. Der Berufungsvortrag der Verfügungsbeklagten entspricht jedenfalls nicht den
vom Bundesverfassungsgericht genannten Anforderungen.
41
Der Senat hält die Erklärung, zu der die Verfügungsbeklagte bereit ist, für nicht
ausreichend, das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Verfügungsklägerin zu
gewährleisten. Die Verfügungsbeklagte hält an der Äußerung im Kontext fest. Sie
schränkt ihre Äußerung lediglich durch einen Zusatz ein, der sich auf die rechtliche
Verantwortung bezieht. Allein dadurch wird aber nicht das Maß der tatsächlichen
42
Kenntnis der Verfügungsklägerin näher konkretisiert. Die Verfügungsbeklagte erklärt
gerade nicht, dass sie in Zukunft nur noch behaupten werde, die Verfügungsklägerin
habe kraft ihrer rechtlich formalen Position als Geschäftsführerin Kenntnis gehabt bzw.
haben können und müssen. Sie distanziert sich in keiner Weise vom Begriff des
ahnungslosen Opfers im familiären Kontext. Auch mit der in der Berufungserwiderung
genannten Formulierung, zu der sie sich in Zukunft bereit erklärt, bleibt der
Aussagegehalt mehrdeutig. Rechtlich verantwortlich ist die Verfügungsklägerin in jedem
Fall, unabhängig davon, ob sie tatsächlich positive Kenntnis hatte, oder ob ihr eine
Kenntnis nur kraft formaler Eigenschaft als Geschäftsführerin zugerechnet wird. Zu einer
konkreten Aussage hinsichtlich der sich aus der Position eines Geschäftsführers
ergebenden Kenntnis und zu etwaigen Zurechnungstatbeständen will sich die
Verfügungsbeklagte gerade nicht verhalten.
Im übrigen bleibt die Unrichtigkeit durch Weglassen wesentlicher Umstände
unverändert erhalten.
43
Schließlich fehlt es für eine Entkräftung der Vermutungswirkung an der Abgabe einer
strafbewehrten Unterlassungserklärung (vgl. Wenzel, a.a.O., Rz 12.20 ff).
44
Dem Unterlassungsanspruch war daher in tenorierter Form zu entsprechen. Mit den
gegenüber dem Antrag der Verfügungsklägerin erfolgten Einschränkungen wird der
verfassungsgerichtlichen Vorgabe nach Klarheit und Erkennbarkeit des Verbots
entsprochen (vgl. BVerfG NJW 2004, 1942, 1943).
45
2. Neben dem Verfügungsanspruch ist auch ein Verfügungsgrund gegeben, §§ 936, 920
Abs. 2, 294 Abs. 1 ZPO. Das Merkmal der besonderen Eilbedürftigkeit nach § 940 ZPO
ist erfüllt. Aufgrund der Aktualität der Vorwürfe gegen die Firma "T U" GmbH über
Produktplacement-Engagements ist zu befürchten, dass die Verfügungsklägerin
weiterhin mit Formulierungen, wie die der streitgegenständlichen Art, Gegenstand des
öffentlichen Interesses und der Tagespresse sein wird.
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3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1, 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO. Das
geringfügige Unterliegen der Verfügungsklägerin hinsichtlich des Inhalts der
beantragten einstweiligen Verfügung wirkt sich kostenmäßig nicht aus. Eine
Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit erübrigt sich, da einstweilige
Verfügungen kraft Gesetzes vorläufig vollstreckbar sind, §§ 936, 929 ZPO. Wegen § 542
Abs. 2 S. 1 ZPO entfällt eine Entscheidung über die Zulassung der Revision
gleichermaßen.
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Die Androhung der Ordnungsmittel folgt aus § 890 Abs. 1 ZPO.
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Der Gegenstandswert für das Berufungsverfahren beträgt 15.000 EUR.
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