Urteil des OLG Köln vom 08.06.2005

OLG Köln: vergleich, widerruf, vollstreckbarkeit, bedingung, geschäft, bindungswirkung, hindernis, anfechtbarkeit, blockade, verfahrensökonomie

Oberlandesgericht Köln, 13 W 28/05
Datum:
08.06.2005
Gericht:
Oberlandesgericht Köln
Spruchkörper:
13. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
13 W 28/05
Vorinstanz:
Landgericht Aachen, 1 O 191/04
Tenor:
Auf die sofortige Beschwerde der Klägerin wird der angefochtene
Beschluss aufgehoben und der Rechtspfleger angewiesen, den Antrag
der Klägerin vom 07.04.2005 auf Erteilung einer qualifizierten
Vollstreckungsklausel unter Beachtung der Rechtsauffassung des
Senats erneut zu bescheiden.
G r ü n d e
1
I.
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Die Klägerin begehrt eine von dem Rechtspfleger zu erteilende titelergänzende
("qualifizierte") Vollstreckungsklausel gemäß § 726 ZPO, nachdem die zuständige
Gerichtsvollzieherin die Zwangsvollstreckung aus dem vom Urkundsbeamten der
Geschäftsstelle mit einfacher Vollstreckungsklausel versehenen gerichtlichen
Widerrufsvergleich vom 04.11.2004 abgelehnt und eine qualifizierte Klausel für
erforderlich gehalten hat. In dem am 04.11.2004 vor dem Landgericht Aachen
geschlossenen Vergleich, in dem sich der Beklagte zur Zahlung von 3.750 EUR an die
Klägerin verpflichtet hat, wurde beiden Parteien vorbehalten, den Vergleich durch
Einreichung eines Schriftsatzes bis 18.11.2004 zu widerrufen. Nachdem bei Gericht
kein Widerruf eingegangen war, hat der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle auf den
Antrag der Klägerin vom 10.02.2005 den Vergleich vom 04.11.2004 mit einer
Vollstreckungsklausel versehen. Ihren mit Hinweis auf die Rechtsprechung des BAG
(Beschluss vom 05.11.2003 - 10 AZB 38/03 -, NJW 2004, 701) und des OLG
Saarbrücken (Beschluss vom 24.05.2004 - 5 W 99/04 -, NJW 2004, 2908) begründeten,
nach telefonischer Rücksprache mit dem Rechtspfleger zunächst zurückgenommenen
Antrag vom 15.03.2005 auf Erteilung einer qualifizierten Vollstreckungsklausel hat die
Klägerin unter dem 07.04.2005 erneuert.
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Mit Beschluss vom 12.04.2005 hat der Rechtspfleger in Kenntnis der Tatsache, dass
das Vollstreckungsorgan unter Bezugnahme auf die vorgenannten Entscheidungen von
der Klägerin eine qualifizierte Klausel eingefordert hat, den Antrag mit der Begründung
zurückgewiesen, dass der Vergleich mit Widerrufsvorbehalt keine Tatsache als
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Vergleichsinhalt begründe, deren Eintritt Vollstreckungsvoraussetzung sei. Der
hiergegen gerichteten sofortigen Beschwerde der Klägerin vom 20.04.2005 hat der
Rechtspfleger nicht abgeholfen, da die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts eine
Mindermeinung darstelle.
II.
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Das zulässige Rechtsmittel ist begründet. Die Klägerin hat - gegen Rückgabe der ihr
vom Urkundsbeamten erteilten einfachen Vollstreckungsklausel - Anspruch auf eine
vom Rechtspfleger zu erteilende qualifizierte Vollstreckungsklausel. Der Senat folgt den
Gründen, aus denen das Bundesarbeitsgericht und - hieran anschließend - das OLG
Saarbrücken (a.a.O.) auch in den typischen Fällen eines durch schriftsätzliche Erklärung
gegenüber dem Gericht widerruflichen Vergleichs gemäß § 726 ZPO den Rechtspfleger
für die Erteilung der Vollstreckungsklausel zuständig erachtet.
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1. Die von Sauer/Meiendresch (NJW 2004, 2870 ff.) für ergiebig gehaltene
Unterscheidung zwischen Wirksamkeit und Vollstreckbarkeit des Vergleichs führt nicht
weiter. Soweit § 726 Abs.1 ZPO davon spricht, dass die "Vollstreckung" des Titel von
der Bedingung abhängen müsse, gilt dies auch und erst recht für eine "externe"
Bedingung wie die Nichtausübung oder die nicht wirksame Ausübung des
Widerrufsvorbehalts, wenn - wie Sauer/Meiendresch (a.a.O.) meinen - nicht die
Wirksamkeit des Titels, sondern nur dessen Vollstreckbarkeit von der Bedingung
abhängig sein soll. Ebenso wenig überzeugt der Versuch, im Streitfalle dem Schuldner
die Beweislast für den Zugang der Widerrufserklärung aufzuerlegen; denn es geht um
die Wirksamkeits- und/oder Vollstreckbarkeitsvoraussetzung des Titels, die vom
Gläubiger zu beweisen ist, auch wenn die zu beweisende Tatsache im Nichteintritt einer
Handlung, nämlich des Widerrufs, besteht.
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2. Ernster zu nehmen ist die in Rechtsprechung (OLG Stuttgart, NJW 2005, 909) und
Schrifttum (Nierwetberg, Rpfleger 2005, 292 ff.) geäußerte Kritik daran, dass das
Bundesarbeitsgericht eine an Sinn und Zweck des § 726 ZPO orientierte
einschränkende Auslegung, wie sie auch der vom BAG (a.a.O.) aufgehobenen
Entscheidung des LAG Berlin vom 30.05.2003 - 3 Ta 926/03 - zugrunde lag, abgelehnt
und stattdessen nach dem Gesetzgeber gerufen hat. Übereinstimmung scheint
allerdings darin zu bestehen, dass die Zuständigkeit des Rechtspflegers nicht davon
abhängig gemacht werden kann, ob die Prüfung des Bedingungseintritts im Einzelfall
Schwierigkeiten bereitet. Es kann daher nur darum gehen, ob der "nicht widerrufene
Widerrufsvergleich" eine typische Fallgruppe darstellt, die entsprechend einer über
Jahrzehnte verbreiteten Auslegungspraxis wegen ihrer Einfachheit (der die Gerichtsakte
verwaltende Urkundsbeamte der Geschäftsstelle ist "am nächsten dran", den fehlenden
Eingang der Widerrufsmitteilung binnen der bedungenen Frist festzustellen) vom
Anwendungsbereich des § 726 ZPO ausgenommen werden kann. Wenn aber ein dem
Rechtspfleger von Gesetzes wegen übertragenes Geschäft nicht dem Urkundsbeamten
der Geschäftsstelle übertragen werden kann, weil es im Einzelfall besonders einfach
wäre, muss dies ebenso für typische Fallkonstellationen gelten, in denen es sich so
verhält. Im Übrigen ist nicht zu verkennen, dass sich schon vor der Entscheidung des
BAG Widerspruch gegen die herrschende Praxis geregt hat (z.B. LG Koblenz, JurBüro
2003, 444; Benner, Rpfleger 2004, 89). Während ein an sich dem Urkundsbeamten
vorbehaltenes Geschäft wirksam bleibt, wenn der Rechtspfleger es wahrnimmt (§ 8
Abs.5 RpflG), wird für den umgekehrten Fall der Erteilung einer dem Rechtspfleger
vorbehaltenen Vollstreckungsklausel durch den Urkundsbeamten überwiegend deren
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Unwirksamkeit oder zumindest Anfechtbarkeit angenommen. So verweist das BAG
(unter II.2.b) der Beschlussgründe) denn auch gerade auf die dadurch begründeten
Unsicherheiten, dass Vollstreckungsorgane in der fehlenden Klauselerteilung durch den
Rechtspfleger ein Hindernis sahen, die Vollstreckung zu betreiben, oder sich die
Uneinheitlichkeit über die Auffassungen der Bindungswirkung zu einer völligen
Blockade der Vollstreckbarkeit entwickeln konnte. Diese Unsicherheiten haben sich
inzwischen erheblich verstärkt, weil unter dem Eindruck der vorgenannten
Entscheidungen des BAG und des OLG Saarbrücken die Vollstreckungsorgane - wie
auch im vorliegenden Fall - vermehrt dazu übergehen, bei Widerrufsvergleichen eine
qualifizierte Vollstreckungsklausel nach § 726 ZPO zu verlangen (siehe auch Giers,
DGVZ 2004, 177). In der dadurch geschaffenen Situation widerspricht es eher der
Verfahrensökonomie, jedenfalls aber dem schutzwürdigen Interesse des Gläubigers, mit
dem OLG Stuttgart (a.a.O.) an der früher vorherrschenden Auslegungspraxis
festzuhalten. Der Senat hält es vielmehr für sinnvoller, mit dieser Entscheidung
Urkundsbeamte und Rechtspfleger des Bezirks dazu anzuhalten, Anträge auf Erteilung
von Vollstreckungsklauseln bei nicht widerrufenen Widerrufsvergleichen nach § 726
ZPO zu behandeln und daher vom Rechtspfleger bescheiden zu lassen.
3. Hier kommt noch folgende Besonderheit hinzu: Eine Ausnahmefallgruppe für "nicht
widerrufene Widerrufsvergleiche" müsste sich jedenfalls auf solche Widerrufsvergleiche
beschränken, in denen das Prozessgericht zum Adressaten der Widerrufserklärung
bestimmt ist. Bei einem anderen Widerrufsadressaten weist auch Nierwetberg (Rpfleger
2005, 292, 295), der diese sonst kaum diskutierte Fallgestaltung anspricht, die
Klauselerteilung dem Rechtspfleger zu. Hier stellt sich indessen die Frage, wie es sich
verhält, wenn der Vergleich - wie im vorliegenden Fall - keine Aussage darüber enthält,
wem gegenüber der Widerruf zu erklären ist. Auch diese Frage wird in der
Rechtsprechung uneinheitlich beantwortet, wie die Übersicht von Junker in jurisPK-
BGB, Aktualisierungsstand 01.03.2005, Rn. 14.5 zu § 127a BGB verdeutlicht: Während
das BVerwG (NJW 1993, 2193) in Abweichung von älterer Rechtsprechung des BGH
und des BAG den Widerruf gegenüber dem Gericht genügen lässt, muss nach
Auffassung des OLG Koblenz (OLGR 1997, 131) und des LG Berlin (Grundeigentum
2003, 255 und 2004, 963) der Widerruf (jedenfalls auch) dem Vergleichsgegner
gegenüber abgegeben werden, wenn die Parteien keine anderweitige Vereinbarung
getroffen haben. Demgegenüber schließt das OLG Brandenburg (NJW-RR 1996, 123)
aus der Hinnahme eines kurz nach dem Widerrufstermin angesetzten
Verkündungstermins, dass der Widerruf gegenüber dem Gericht erfolgen soll, und das
OLG Düsseldorf (BRAK-Mitteilungen 2002, 24 mit zust. Anm. Jungk) nimmt bei einem
durch Vermittlung des Gerichts geschlossenen Vergleich an, dass sich die Parteien
stillschweigend darauf geeinigt haben, den Vergleichswiderruf gegenüber dem Gericht
zu erklären. Dies verdeutlicht, dass jedenfalls bei fehlender Angabe des
Widerrufsadressaten - wie hier - die Voraussetzungen für die Erteilung der
Vollstreckungsklausel nicht typischerweise so einfach gelagert sind, dass sie bei
teleologischer Auslegung noch dem Urkundsbeamten der Geschäftsstelle zugewiesen
werden könnte.
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4. Aus den vorstehenden Ausführungen (zu 3.) folgt zugleich, dass kein Grund besteht,
die Rechtsbeschwerde zuzulassen. Denn auch die Vertreter der Gegenmeinung, die
eine einschränkende Auslegung des § 726 ZPO für die Fallgruppe nicht widerrufener
Widerrufsvergleiche befürworten, würden wegen der mit der fehlenden Angabe des
Widerrufsadressaten verbundenen Schwierigkeit folgerichtig zur Notwendigkeit einer
qualifizierten Klauselerteilung durch den Rechtspfleger kommen müssen.
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Beschwerdewert: 3.750 EUR.
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