Urteil des OLG Köln vom 07.12.2010
OLG Köln (kläger, amtliches kennzeichen, mit an sicherheit grenzender wahrscheinlichkeit, gutachten, unfall, höhe, immaterieller schaden, schutzwürdiges interesse, eigenes verschulden, beweisaufnahme)
Oberlandesgericht Köln, 4 U 9/09
Datum:
07.12.2010
Gericht:
Oberlandesgericht Köln
Spruchkörper:
4. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
4 U 9/09
Vorinstanz:
Landgericht Bonn, 13 O 286/05
Tenor:
Auf die Berufung des Klägers wird das am 06.05.2009 verkündete Urteil
der 13. Zivilkammer des Landgerichts Bonn - 13 O 286/05 - abgeändert.
Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger ein
Schmerzensgeld in Höhe von 65.000,00 € abzüglich vorgerichtlich
gezahlter 5.000,00 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozent über
dem Basiszinssatz hinsichtlich der Beklagten zu 1. und 2. seit dem
29.7.2005, der Beklagten zu 3. seit dem 1.8.2005 zu zahlen.
Es wird festgestellt, dass die Beklagten verpflichtet sind, dem Kläger
gesamtschuldnerisch sämtlichen materiellen und zukünftigen
immateriellen Schaden zu ersetzen, der auf den Verkehrsunfall
zurückzuführen ist, der sich am 12.12.2002 gegen 07.30 Uhr auf der K
00 zwischen S.-X. und N. zwischen dem vom Kläger gesteuerten PKW
B., amtliches Kennzeichen YY - Y 0000, und dem vom Beklagten zu 1
gesteuerten PKW W., amtliches Kennzeichen YY - X 1111, dessen
Halterin die Beklagte zu 2. ist und der bei der Beklagten zu 3. Haftpflicht
versichert ist, ereignet hat.
Die Kosten des Rechtsstreits erster und zweiter Instanz tragen die
Beklagten als Gesamtschuldner.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagten können die
Vollstreckung des Klägers durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung
in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages
abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in
Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet oder
hinterlegt.
Gründe:
1
I.
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Der Kläger nimmt die Beklagten als Gesamtschuldner aus einem Verkehrsunfall in
Anspruch, der sich am 12.12.2002 gegen 07.30 Uhr auf der K 00 zwischen S.-X. und
Meckenheim zwischen dem vom Kläger gesteuerten PKW B., amtliches Kennzeichen
YY – Y 0000, und dem vom Beklagten zu 1 gesteuerten PKW W., amtliches
Kennzeichen YY – X 1111, dessen Halterin die Beklagte zu 2 ist und der bei der
Beklagten zu 3 Haftpflicht versichert ist, ereignet hat. Wegen der Einzelheiten wird auf
die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil Bezug genommen (§ 540 Abs.
1 Satz 1 Nr. 1 ZPO), allerdings mit der Abänderung, dass der Kläger das hier
bezeichnete Fahrzeug B. (YY – Y 0000) und der Beklagte zu 1 das Fahrzeug W. (YY –
X 1111) steuerten.
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Das Landgericht hat die auf Schmerzensgeld und Feststellung gerichtete Klage mit der
Begründung abgewiesen, den Kläger treffe ein Mitverschulden an dem
Unfallgeschehen. Zudem treffe ihn ein Mitverschulden am Eintritt seiner Verletzungen
gemäß 254 Abs. 1 BGB, weil nach dem Ergebnis der erstinstanzlichen
Beweisaufnahme feststehe, dass der Kläger im Zeitpunkt des Unfallgeschehens nicht
ordnungsgemäß angeschnallt gewesen sei. Darüber hinaus seien weder die
festgestellte Schulterluxation noch der "Morbus Sudek" dem Unfallgeschehen
zuzuordnen, so dass unter Abwägung aller Umstände bei anzunehmenden
unfallursächlichen Distorsionen der HWS und der LWS mit persistierenden
Beschwerden und folgenlos ausgeheilter dilozierter Rippenserienfraktur und weiter
erlittener contusio cordis mit nachfolgenden Herz-Rhythmus-Störungen dem Kläger über
den gezahlten Betrag hinaus unter Berücksichtigung seines Mitverschuldensanteils von
¼ zum Unfallgeschehen und einem weiteren Viertel an den unfallbedingten
Verletzungsfolgen kein Schmerzensgeld mehr zustehe. Der Feststellungsantrag sei
unbegründet, weil die Möglichkeit eines weiteren zukünftigen Schadens nicht gegeben
sei. Es bestehe kein Grund, mit dem Eintritt unfallbedingter Dauerschäden zu rechnen.
4
Gegen dieses dem Kläger am 07.05.2009 zugestellte Urteil hat dieser mit bei Gericht am
05.06.2009 eingegangenem Schriftsatz Berufung eingelegt, die er nach Verlängerung
der Berufungsbegründungsfrist bis zum 07.08.2009 mit bei Gericht am 06.08.2009
eingegangenem Schriftsatz begründet hat.
5
Der Kläger wiederholt und vertieft seinen erstinstanzlichen Vortrag. Er rügt in erster
Linie, dass ihm ein Mitverschulden an dem Unfall angelastet werde, dass das
Landgericht davon ausgegangen sei, dass er nicht angeschnallt gewesen sei und von
daher auch für die Verletzungsfolgen mit ursächlich sei, dass die bei der
Arztbehandlung im Malteserkrankenhaus im Dezember 2002 festgestellte
Schulterluxation nicht als unfallursächlich angesehen werde, dass das Landgericht es
nicht als erwiesen angesehen habe, dass als Spätfolgen des Unfalls davon auszugehen
sei, dass ein posttraumatisches Belastungssyndrom (PTBS) aufgetreten sei und dass
am linken Arm ein unfallbedingter sogenannter Morbus Sudeck (auch CRPF oder
Algodystrophie genannt), welche zu einer Funktionslosigkeit des linken Armes geführt
habe, vorhanden sei.
6
Das Landgericht habe seiner Auffassung schon nach verkannt, dass die Beklagten noch
in der Klageerwiderung vom 19.09.2005 zunächst ihre 100%-ige Haftung zugestanden
hätten (vgl. hierzu auch Blatt 24 GA), wenn es dort heiße: "Die Beklagten haften dem
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Kläger dem Grunde nach auf Schadensersatz aus dem Verkehrsunfallereignis vom
12.12.2002. Dennoch ist die Klage unbegründet, da unfallbedingte Beschwerden des
Klägers bereits seit April 2003 folgenlos ausgeheilt sind, wie sich durch eine von der
Berufungsgenossenschaft veranlasste gutachterliche Überprüfung ergeben hat. …"
Erstmals nach der Einholung der gerichtlichen Gutachten in erster Instanz, nachdem
diese den Vortrag des Klägers bestätigt hätten, hätten die Beklagten mit Schriftsatz vom
09.11.2007 (vgl. Blatt 326 ff. GA) eine Mithaftung und ein Mitverschulden des Klägers
infolge risikoreichen Überholens und Nichtangeschnalltseins gerügt.
Verfahrensfehlerhaft habe das Landgericht sodann die Privatgutachten, die die Beklagte
zu 3) eingeholt habe, - nämlich das DEKRA-Gutachten vom 23.11.2007 (Blatt 381 ff.
GA) sowie die mündlichen Erläuterungen des Sachverständigen Prof. Dr. Ing. Q. R. aus
der Sitzung vom 18.03.2009 (Blatt 488 bis 489 R GA) - verwertet.
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Tatsächlich sei das Unfallereignis für ihn unabwendbar gewesen. Ein eigenes
Verschulden treffe ihn jedenfalls nicht, da er nicht bei unklarer Verkehrslage überholt
habe. Auf jeden Fall überwiege aber die grob verkehrswidrige Vorfahrtsverletzung des
Beklagten zu 1 ein mögliches Mitverschulden des Klägers so sehr, dass dieses hinter
dem Verschulden des Beklagten zu 1 vollständig zurücktrete.
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Der Kläger beantragt,
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unter Aufhebung des Urteils des Landgerichts Bonn vom 06.05.2009
11
1. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an den Kläger ein
angemessenes Schmerzensgeld zu zahlen, dessen Höhe in das Ermessen des
Gerichts gestellt wird, das jedoch nicht unter 65.000,00 € liegen sollte, abzüglich
gezahlter 5.000,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem
Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit.
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13
2. festzustellen, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, dem
Kläger sämtlichen materiellen und immateriellen Schaden, der auf den
Verkehrsunfall vom 12.12.2002 zurückzuführen ist, zu 100 % zu erstatten.
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Die Beklagten beantragen,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Sie verteidigen das erstinstanzliche Urteil und treten dem Vortrag des Klägers entgegen.
Zu keiner Zeit sei eine Haftung von 100 % von Beklagtenseite anerkannt worden. Nach
wie vor sei davon auszugehen, dass der Kläger bei unklarer Verkehrslage überholt und
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daher den Unfall schuldhaft mit verursacht habe. Zudem seien die Verletzungsfolgen
dadurch mit verschuldet, dass der Kläger nicht angeschnallt gewesen sei. Auch seien
sie ausgeheilt. Die noch vorhandenen Beeinträchtigungen könnten, wenn sie denn nicht
simuliert seien, jedenfalls dem Unfallereignis nicht zugeordnet werden. Viel spräche
dafür, dass sich zumindest der Morbus Sudeck (CRPF = Algodystrophie) durch eine -
möglicherweise außer Kontrolle geratene - Selbstschädigung ergeben habe, wovon im
Übrigen auch im berufsgenossenschaftlichen Verfahren vor dem Sozialgericht
ausgegangen werde.
Der Senat hat Beweis erhoben gemäß Beweisbeschluss vom 22.12.2009 (Blatt 647 GA)
zu den Fragen, ob die vom Kläger behaupteten Unfallfolgen - hier insbesondere die
posttraumatische Belastungsstörung sowie der Morbus Sudeck - dem Unfallgeschehen
zuzuordnen sind oder ob konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass der Kläger die
derzeit noch behaupteten gesundheitlich Unfallfolgen simuliert oder sich selbst zugefügt
hat (Morbus Sudeck), ob das vorgefundene Krankheitsbild zum Morbus Sudeck und
zum posttraumatischen Belastungssyndrom als Unfallfolge dem Unfallgeschehen aus
psychiatrisch-psychosomatischer Sicht zuordnenbar ist oder ob konkrete Anhaltspunkte
dafür vorliegen, dass der Kläger die derzeit noch behaupteten gesundheitlichen
Unfallfolgen simuliert und ob die beim Kläger aufgetretenen Verletzungen darauf
hindeuten, dass dieser im Unfallzeitpunkt nicht angeschnallt war oder ob die erlittenen
Verletzungen auch im angeschnallten Zustand erklärbar sind., durch Einholung von
Sachverständigengutachten. Wegen Einzelheiten des Ergebnisses der
Beweisaufnahme wird auf den Inhalt des ergänzend zum fachorthopädischen Gutachten
des Sachverständigen Prof. Dr. med. D. vom 03.07.2007 (Anlagenhefter I zu Bd. II GA)
und zum fachärztlichen psychiatrisch-psychosomatischen Gutachten des
Sachverständigen Priv.-Doz. Dr. med. M. I. vom 26.02.2007 (Blatt 207 - 231 GA)
eingeholten "Interdisziplinären Gutachtens" Prof. Dr. med. D. (Dr. med. M.) / Priv.-Doz.
Dr. med. I. vom 02.06.2010 (Gutachtenheft 1) sowie das Ergebnis der mündlichen
Anhörung der Gutachter zur Erläuterung der vor genannten Gutachten vor dem Senat im
Termin am 26.10.2010 (vgl. Terminprotokoll, Blatt 848 – 853 GA) verwiesen.
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Die Beklagten zweifeln auch im Hinblick auf andere Ergebnisse im sozialgerichtlichen
Verfahren und privater Gutachter die Richtigkeit der Feststellungen der vom Senat
mündlich wie schriftlich gehörten Sachverständigen an und haben die Einholung eines
Obergutachtens beantragt.
20
Zum weiteren Sach- und Streitstand verweist der Senat auf den vorgetragenen Inhalt der
zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze sowie die in Bezug genommenen
Urkunden.
21
II.
22
Die zulässige – insbesondere frist- und formgerecht eingelegte – Berufung des Klägers
hat auch in der Sache Erfolg.
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Dem Kläger steht gegen die Beklagten als Gesamtschuldner ein
Schmerzensgeldanspruch aus §§ 7 Abs. 1 StVG (Halterhaftung); 17, 18 Abs. 1 und 3
StVG, 823 BGB, (Fahrerhaftung); 1 Abs. 1, 3 PflVG (Haftung der
Haftpflichtversicherung); 253 BGB zu.
24
Zur Überzeugung des Senats steht nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme in erster
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Instanz und den tatbestandlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil fest, dass das
Unfallgeschehen auf das alleinige Verschulden des Beklagten zu 1 zurückzuführen ist,
so dass es nicht darauf ankommt, ob aufgrund der Einlassung der Beklagten in der
Klageerwiderung von einem prozessualen Geständnis zur vollen Haftung der Beklagten
auszugehen ist. Hierfür könnte sprechen, dass die Beklagten vorprozessual die
Verschuldensfrage nie problematisiert und den materiellen Schaden jedenfalls
gegenüber dem Eigentümer/Halter des vom Kläger gesteuerten, am Unfall beteiligten
PKW voll ersetzt hatten. Dieses Verhalten der Beklagten zu 3 könnte ein Indiz dafür
sein, dass die als Verkehrshaftpflichtversicherer haftungsrechtlich nicht unerfahrene
Beklagte zu 3 die nach Aktenlage vorgefundene Unfallsituation so einschätzte, dass sie
zu 100 % für den Unfallschaden einzustehen habe.
Diese ursprüngliche mutmaßliche Einschätzung der Beklagten zu 3 ist auch zutreffend.
26
Von den Parteien nicht angegriffen hat das Landgericht zutreffend und mit
überzeugender Begründung, auf die wegen der Einzelheiten verwiesen wird,
festgestellt, dass der Beklagte zu 1 den Unfall schuldhaft durch eine Vorfahrtsverletzung
nach § 8 Abs. 1 Nr. 1 StVO verursacht hat.
27
Dagegen trifft den Kläger kein Verschulden an dem Unfallgeschehen. Der Kläger hatte
nicht bei unklarer Verkehrslage überholt und dadurch den Unfall fahrlässig mit
verursacht. Eine unklare Verkehrslage liegt vor, wenn der Überholende nach den
gegebenen Umständen nicht mit einem gefahrlosen Überholvorgang rechnen darf. Dies
ist insbesondere dann der Fall, wenn die Überholstrecke übersichtlich ist bzw. die
Entwicklung der Verkehrslage bei Einleitung des Überholvorgangs nicht verlässlich
beurteilt werden kann. Ein relevanter Zweifel an der Gefahrlosigkeit des
Überholvorgangs kann auch dann entstehen, wenn das Verhalten eines Querverkehrs
nicht übersehen werden kann (Burmann/Heß/Jahnke/Janker, Straßenverkehrsrecht, 21.
Aufl., § 5 StVO Rdnr. 26 mit weiterem Nachweis).
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Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor: Der Kläger hatte auf einer geraden,
bevorrechtigten Straße außerhalb des Ortes mit einer zulässigen Geschwindigkeit von
nicht über 100 km/h mehrere Fahrzeuge überholt. Die Straße war frei einsehbar.
Entgegenkommender Verkehr war nicht vorhanden. Zur Unfallzeit war es dunkel. Der
Unfallgegner, der Beklagte zu 1), fuhr mit dem unfallbeteiligten PKW der Beklagten zu
2), der bei der Beklagten zu 3) haftpflichtversichert ist, aus einer untergeordneten Straße
nach rechts in die bevorrechtigte Straße, auf der sich der Kläger näherte und dessen
Lichtkegel er auf der linken Fahrbahnhälfte herannahen sehen konnte und musste. Beim
Rechtsabbiegen missachtete er die Vorfahrt des Klägers, ohne dass dies für den Kläger
vorhersehbar war.
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Allein der Umstand, dass der Kläger grundsätzlich bei seinem Fahrverhalten auch ein
mögliches Fehlverhalten anderer Verkehrsteilnehmer einkalkulieren muss, reicht daher
nicht aus, dass der Kläger bei ansonsten klarer Verkehrslage im Bereich der
Straßeneinmündung generell nicht überholen durfte. Bezeichnenderweise war an dieser
Stelle auch kein Überholverbot angeordnet, was darauf schließen lässt, dass eine
allgemeine Gefahrensituation in diesem Straßenabschnitt nicht angenommen wurde.
Ohne konkrete Anhaltspunkte für ein mögliches Fehlverhalten des Beklagten zu 1
brauchte der Kläger bei Einleitung des Überholvorgangs nicht davon auszugehen, dass
der Beklagte zu 1 als die Vorfahrt zu beachten habender Verkehrsteilnehmer seiner
Wartepflicht nicht nachkommen würde. Allein die im Einmündungsbereich erkennbaren
30
Lichtkegel des vom Beklagten zu 1 gesteuerten PKW zwangen den Kläger nicht, den
Überholvorgang abzubrechen.
So hat die erstinstanzliche Beweisaufnahme nicht ergeben, dass der Kläger beim
Beginn des Überholvorgangs bei Anwendung der im Verkehr üblichen und von einem
Kraftfahrer zu erwartenden Sorgfalt bereits hätte erkennen können und müssen, dass
der Beklagte zu 1 seine, des Klägers, Vorfahrt missachten werde. Der Kläger verstieß
nicht gegen die ihm obliegenden Sorgfaltspflichten eines Verkehrsteilnehmers, wenn er
den Verkehrsverstoß des Beklagten zu 1 nicht voraussah und seinen
Überholungsvorgang fortsetzte. Vielmehr bog der Beklagte zu 1 recht überraschend
nach rechts in die Vorfahrtsstraße ab, ohne zu erkennen, dass sich der überholende
Kläger auf der für ihn linken Fahrspur, also der Fahrspur, in die der Beklagte zu 1
einbog, näherte. Mit diesem grob verkehrswidrigen Verhalten brauchte der Kläger bei
Einleitung des Überholvorgangs nicht zu rechnen. Als er den Verkehrsverstoß des
Beklagten zu 1 erkennen konnte, war es für ein Abrechen des Überholvorgangs zu spät.
Daher ist von einem alleinigen Verschulden des Beklagten zu 1 an dem
Unfallgeschehen auszugehen, zumal nach dem Ergebnis der erstinstanzlichen
Beweisaufnahme nicht festgestellt werden kann, dass der Kläger mit überhöhter
Geschwindigkeit gefahren ist, seine Annäherung an den Einmündungsbereich für den
Beklagten zu 1 damit auch nicht überraschend schnell kam. Der Beklagte zu 1 hatte
schlicht nicht aufgepasst.
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Zusammenfassen kann somit zur Überzeugung des Senats eine Verkehrssituation
festgestellt werden, die dem Kläger den Schluss erlaubte, dass er bei Einleitung seines
Überholvorgangs das vor ihm sich entwickelnde Verkehrsgeschehen, insbesondere das
Verkehrsgeschehen des abbiegenden Querverkehrs, ausreichend verlässlich beurteilen
konnte und überholen durfte.
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Da den Kläger als Fahrzeugführer nicht die Gefährdungshaftung des Fahrzeughalters
nach § 7 Abs. 1 StVG trifft, er vielmehr nur über § 18 Abs. 1 StVG der
Verschuldenshaftung unterliegt, sich aber nach § 18 Abs. 1 Satz 2 StVG entlastet hat,
kommt es nicht darauf an, ob das Unfallgeschehen für den Kläger ein unabwendbares
Ereignis nach § 17 Abs. 3 StVG war oder der Unfall gar in Folge für ihn höherer Gewalt
nach § 7 Abs. 2 StVG verursacht wurde.
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Steht aber die gesamtschuldnerische Haftung des Beklagten zu 1 aus §§ 17, 18 Abs. 1
und 3 StVG, der Beklagten zu 2 aus §§ 7 Abs. 1, 17 Abs. 2 StVG und der Beklagten zu 3
aus §§ 1 Abs. 1, 3 PflVG dem Grunde nach zu 100 % fest, so kann der Kläger das
beanspruchte Schmerzensgeld in Höhe von 65.000,00 € abzüglich der vorprozessual
gezahlten 5.000,00 € aufgrund der Schwere der erlittenen Unfallverletzungen verlangen
(§ 253 Abs. 2 BGB).
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Der Senat geht aufgrund der durchgeführten Beweisaufnahme davon aus, dass neben
den schon erstinstanzlich als bewiesen angesehenen Unfallverletzungen auch die vom
Kläger behaupteten Unfallfolgen - hier insbesondere die posttraumatische
Belastungsstörung sowie der Morbus Sudeck - dem Unfallgeschehen zuzuordnen sind.
Dafür, dass der Kläger die derzeit noch behaupteten gesundheitlich Unfallfolgen
simuliert oder sich selbst zugefügt hat (Morbus Sudeck), haben sich nach Durchführung
der Beweisaufnahme keine Anhaltspunkte ergeben. Vielmehr hat insbesondere der
Sachverständige Priv.-Doz. Dr. med. I. in seinem o.g. Gutachten festgestellt, dass das
vorgefundene Krankheitsbild zum Morbus Sudeck und zum posttraumatischen
35
Belastungssyndrom als Unfallfolge dem Unfallgeschehen aus psychiatrisch-
psychosomatischer Sicht ohne Weiteres zuordnenbar ist und nur theoretisch denkbar
sei, ohne dass aber irgend welche konkrete Anhaltspunkte dafür vorlägen, dass der
Kläger die derzeit noch behaupteten gesundheitlichen Unfallfolgen simuliert.
Dagegen konnten die Beklagten eine mögliche Mitverursachung der Unfallverletzungen
– insbesondere im Schulter/Armbereich – nicht nachweisen. So hat insbesondere der
Sachverständige Prof. Dr. med. D. in seinem o.g. Gutachten festgestellt, dass die beim
Kläger aufgetretenen Verletzungen nicht darauf hindeuten würden, dass dieser im
Unfallzeitpunkt nicht angeschnallt war, sondern dass die erlittenen Verletzungen auch
im angeschnallten Zustand durchaus erklärbar seien. Wegen der Einzelheiten des
Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf den Inhalt des ergänzend zum
fachorthopädischen Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. med. D. vom 03.07.2007
(Anlagenhefter I zu Bd. II GA) und zum fachärztlichen psychiatrisch-psychosomatischen
Gutachten des Sachverständigen Priv.-Doz. Dr. med. M. I. vom 26.02.2007 (Blatt 207 -
231 GA) eingeholten "Interdisziplinären Gutachtens" Prof. Dr. med. D. (Dr. med. M.) /
Priv.-Doz. Dr. med. I. vom 02.06.2010 (Gutachtenheft 1) sowie die mündlichen
Erläuterungen der vor genannten Gutachter anlässlich ihrer Anhörung vor dem Senat im
Termin am 26.10.2010 (vgl. Sitzungsprotokoll Blatt 848 – 853 GA) verwiesen.
36
Insbesondere die mündlichen Erläuterungen der Sachverständigen in der letzten
mündlichen Verhandlung haben für den Senat überzeugend ergeben, dass das
dargelegte Krankheitsbild als Unfallfolge gegeben ist und keine vernünftigen Zweifel
daran bestehen können, dass eine Simulation seitens des Klägers oder gar eine
Eigenschädigung ausscheidet. Gerade auch im Hinblick auf den persönlichen Eindruck,
den sich der Senat von dem Kläger in zwei Verhandlungsterminen hat machen können,
und den gut nachvollziehbaren Ausführungen der Sachverständigen in der letzten
mündlichen Verhandlung, kann der Senat aufgrund der von den Sachverständigen ihm
vermittelten Sachkunde sicher beurteilen, dass das gesamte Krankheitsbild
unfallursächlich ist.
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So wurde deutlich, dass auch die Schulterluxation des Klägers unmittelbare Unfallfolge
ist. Hier hat der Sachverständige Prof. Dr. med. D. bei seiner Anhörung vor dem Senat
anschaulich geschildert, dass die Verursachung der Schulterluxation anlässlich einer
Nachuntersuchung nicht denkbar sei. Vielmehr muss diese bei dem Unfallereignis
selbst entstanden sein. Zum Verlauf der Nachuntersuchung am 23.12.2002 (vgl. Bl. 131
d. GA) hat der Sachverständige anhand der Aktenlage weiter ausgeführt, dass hierbei
wiederum ein starker Schmerz an dieser Stelle durch den Kläger beklagt worden sei.
Aufgrund der damaligen Nachuntersuchung habe der behandelnde Arzt eine
Kernspinuntersuchung veranlasst. Nach dieser Untersuchung fand sich im Bereich des
vorder-innenseitigen Oberarmkopfes eine sogenannte Reversed Hill-Sachs-Delle.
Diese Verletzung am Gelenkkopf der Schulter war ein deutlicher Hinweis darauf, dass
eine Schulterluxation beim Unfall stattgefunden hatte, wobei es jedoch wieder zu einem
Einrenken der Schulter gekommen war. Bei der Nachuntersuchung am 23.12.2002 habe
der Arzt – so die Ausführungen des Sachverständigen – dann festgestellt, dass das
Schultergelenk leicht auszurenken war. Dies hatte ihn dann zu der
Kernspinuntersuchung veranlasst. Die in der Kernspinuntersuchung festgestellte
Verletzung wertete der Sachverständige Prof. Dr. D. dahin, dass durch den Unfall eine
Schulterluxation stattgefunden haben müsse, der Schulterkopf jedoch dann wieder in
seine Ausgangslage zurückgegangen sei, allerdings Beschwerden bei dem Kläger
hinterlassen habe. Damit steht in Übereinstimmung mit der Bewertung des
38
Sachverständigen zur Überzeugung des Senats aufgrund einerseits dieser klinischen
Untersuchungsbefunde der beiden Ärzte, andererseits aufgrund des Ergebnisses der
Kernspintomografie fest, dass eine Schulterluxation durch den Unfall stattgefunden hat.
Auch der Senat schließt danach der Beurteilung an, dass nach menschlichem
Ermessen eine Schulterluxation durch eine ärztliche Untersuchung, wie sie hier im
Verfahren angesprochen worden ist, ausgeschlossen werden kann. Hingegen ist der
andere Ablauf mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit anzunehmen.
Gleichzeitig hat der Sachverständige Prof. Dr. D. erläutert, dass sich die
Schulterluxation, die sich als hintere Luxation darstellt, ohne weiteres mit dem Zustand
des Angeschnalltseins vereinbaren lasse. Bei diesem Unfall sind folgende Faktoren
maßgeblich zu beachten: Zunächst eine Krafteinleitung bzw. zweidimensionale
Belastung, wie der Sachverständige sie auf Seite 15 ff. seines Zweitgutachten
dargestellt hat. Diese summiert sich insgesamt auf 24,8 km/h. Das ist eine extreme
Belastung für den Unfallbeteiligten. Ferner ist von Bedeutung, dass der Kläger, wie er
auf Befragen spontan und Hinweis auf die Bedeutung der Frage angegeben hatte, mit
gestreckten Armen in den Unfall hineingefahren ist. Nimmt man diese beiden Faktoren
zusammen und berücksichtigt noch das Ergebnis der Kernspinuntersuchung vom
27.12.2002, so ergibt sich auch für den Senat zwangslos, dass dieses Ereignis zu einer
Luxation der linken Schulter nach hinten führen musste und sich aufgrund der
einwirkenden Kräfte der vorgetragene angeschnallte Zustand ohne weiteres in Einklang
bringen lässt mit der erlittenen hinteren Schulterluxation.
39
Der Umstand, dass eine entsprechende Verletzung auch eingetreten sein kann, wenn
der Fahrer nicht angeschnallt gewesen wäre, reicht dagegen nicht aus, um den
positivem Nachweis hierfür zu erbringen. Da die Frage des Mitverschuldens an der
Herbeiführung der Unfallfolge eine (teilweise) anspruchsvernichtende Einwendung ist,
trifft die Beklagten die Darlegungs- und Beweislast für deren Vorliegen. Ein non-liquet
geht insoweit zu ihren Lasten.
40
Auch die Übrigen Gesundheitsbeeinträchtigungen, hier insbesondere die
posttraumatische Belastungsstörung sowie der Morbus Sudeck, sind nach den
überzeugenden Ausführungen der Sachverständigen Priv.-Doz. Dr. med. I. und Prof. Dr.
D. in ihren Gutachten und ihren Erläuterungen hierzu in der mündlichen Verhandlung
auf das Unfallgeschehen zurückzuführen. Die gegen die Verwertbarkeit bzw.
Sachkunde gerichteten Einwendungen der Beklagten greifen nicht durch. Zum einen hat
der Sachverständige Dr. Castro bei seiner erneuten Begutachtung des Klägers nicht
eigenmächtig gegen Auflagen zur Untersuchung verstoßen. Vielmehr hat er aus
fachärztlicher Sicht plausibel erläutert, warum er bei der "Nachbegutachtung" auf eine
erneute bildgebende Untersuchung verzichtet hat. Eine solche war aus orthopädischer
Sicht nicht zielführend und daher zu Recht unterlassen worden. Auch in der mündlichen
Verhandlung haben sich bei der Anhörung des Sachverständigen keine neuen
Gesichtspunkte ergeben, die eine andere Beurteilung rechtfertigen.
41
Für das Vorliegen eines unfallbedingten "Morbus Sudeck" hat insbesondere der
Sachverständige Dr. I., der Facharzt für Neurologie, Psychiatrie, Psychotherapie und
psychosomatische Medizin und ausgewiesener Fachmann für dieses wenig untersuchte
und erforschte Krankheitsbild ist, für den Senat die Voraussetzungen überzeugend
bejaht. Danach kann es nicht zweifelhaft sein, dass der Kläger im linken Armbereich
unter einem "Morbus Sudeck" leidet, der den Arm gebrauchsunfähig macht und eine
Heilungschance nicht absehbar ist. Der Sachverständige hat eine bewusste
42
Selbstschädigung des Klägers überzeugend ausgeschlossen. Erklärbar ist das
Krankheitsbild unter 3 Gesichtspunkten: in Betracht kommt einerseits eine bewusste,
vernunftmäßige Entscheidung zur Manipulation des Patienten; die nächste Möglichkeit
ist eine sogenannte Artefakt-Störung; und das Dritte ist dann CRPS (auch "Morbus
Sudeck" genannt). Der Sachverständige hat eingehend dargelegt, dass auf Seiten des
Klägers keinerlei Persönlichkeitsstrukturen erkennbar sind, die die Annahme
rechtfertigen könnten, dass sich der Kläger bewusst dieser achtjährigen
Leidensgeschichte unterziehen wollte. Auch ein "außer Kontrolle geraten" eines
solchen Versuchs konnte der Sachverständige aufgrund der Persönlichkeitsstruktur und
des Krankheitsverlaufs ausschließen.
Die 2. Möglichkeit "Artefakt-Störung" hat der Sachverständige vorliegend praktisch
ausgeschlossen. Artefakt-Störungen kommen in der Regel vor bei Personen am Rande
einer Psychose, die bereits eine schwere chronische Persönlichkeitsstörung aufweisen.
Sie verwenden Schmerzen, um sich als lebensfähig zu empfinden und halten sich im
Grunde mit den Schmerzen noch am Leben. Für eine solche Störung können aber bei
dem Kläger keinerlei Indizien festgestellt werden. So ist der Sachverständige Priv.-Doz.
Dr. med. I. nach zweimaliger eingehender Untersuchung des Klägers zu dem Befund
gekommen, dass bei diesem ein klares Bild eines CRPS gegeben sei. Hierbei hat der
Sachverständige auch deutliche Worte zu der Beachtlichkeit anderer aktenkundiger
Beurteilung gefunden. So könne dem "Gutachten Volpert" nicht gefolgt werden. Seinen
Schlussfolgerungen, der Kläger habe, um die Nachfolge im väterlichen Betrieb der
Druckerei nicht antreten zu müssen, sich in dieses Krankheitsbild geflüchtet,
entsprächen nicht dem gefundenen Persönlichkeitsbild des Klägers. Soweit der Kläger
bei der Schilderung des Unfalles sehr gefasst und vernünftig gewirkt habe, sei auch dies
kein Indiz für das Nichtvorliegen eines CRPS und einer posttraumatischen Störung. Bei
einer posttraumatischen Störung sind die Reaktionen der Patienten nach dem Trauma
durchaus unterschiedlich. So kann festgestellt werden, dass bei ca. 50 % der Patienten
eine gefasste und "coole" Reaktion vorliegt, während bei den weiteren 50 %
Emotionsausbrüche in Form von Tränen oder Weinen festzustellen waren. So hat sich
das Verhalten des Klägers beim Sachverständigen Priv.-Doz. Dr. med. I. im Übrigen
anderes dargestellt als bei dem Gutachter Volpert.
43
Weiter erläuterte der Sachverständige überzeugend, dass die Möglichkeit, sich selbst
eine kleinere Läsion zuzufügen und damit einen Morbus Sudek zu provozieren, extrem
unwahrscheinlich ist. Dem widersprächen die Selbstheilungskräfte des Körpers. Auch
wenn man sich kleine Wunden selber zufügt, wird sich in aller Regel daraus kein CRPS
entwickeln. Die Krankheit CRPS ist nicht an der Wunde oder an dem Körperteil allein zu
verorten, sondern ist im Grund eine Zentral-Nervöse Störung. Allein durch Zufügen von
Wunden, oder Abklemmen eines Armes kann man keinen Morbus Sudeck provozieren.
Schon das schließt die Manipulation weitgehend aus.
44
Soweit in diesem Verfahren gegenüber dem Kläger vorgebracht worden sei, er habe
gelegentlich an dem Arm irgendwelche Verletzungen verursacht oder Handlungen
ausgeführt, lasse sich dies – so der Gutachter Dr. I. - damit erklären, dass sich aus der
Sicht des Klägers der Arm anfühle wie ein fremdes Teil, was mit seinem Körper
verbunden sei. Dabei hat der Kläger aber zugleich – ähnlich einem Phantomscherz bei
einer Amputation - erhebliche Schmerzen an diesem Arm. Insofern ist es verständlich,
dass der Kläger gelegentlich mit der anderen Hand diesen Arm berührt, um
festzustellen, was dort los ist. Daraus kann aber kein Indiz abgeleitet werden, dass hier
Manipulationen im Sinne einer Artefakt-Störung vorgenommen worden sind oder aus
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sonstigen Gründen eine Selbstverstümmelung erfolgen sollte.
Bereits im Gutachten der behandelnden Ärzte der Universitätsklinik Köln vom
03.11.2003, das im Auftrag der Beklagten zu 3 erstellt wurde, wird ein "progredienter
Morbus Sudeck" diagnostiziert, und zwar als "fast vollständiger Funktionsverlust des
linken Armes", ausgeprägt als "Sudeck-Syndrom mit prominenter Schwellung als Folge
des Verkehrsunfalls" (Bl. 798 ff. GA).
46
Die klaren, gut nachvollziehbaren und widerspruchsfreien Feststellungen der gerichtlich
beauftragten Sachverständigen, die im Einklang stehen mit den Feststellungen der
Uniklinik L. aus dem Jahr 2003 und die für den Senat überzeugend auch die
gegenteiligen Beurteilungen anderer Mediziner entkräften konnten, lassen ein vom
Beklagten beantragtes Obergutachten nicht erforderlich erscheinen. Dies gilt
insbesondere deswegen, weil die Beklagten die "Gutachten Castro und Huber" zuletzt
nicht mehr substantiiert angreifen, insbesondere nicht aufzeigen, dass die Gutachter
gegen medizinische Grundsätze verstoßen oder neuere Untersuchungsmethoden außer
Acht gelassen hätten. Gegen Denkgesetzte haben die Gutachter nicht verstoßen,
sondern logisch konsequent ihre Schlussfolgerungen gezogen. Die gefundenen
Ergebnisse decken sich zudem mit den Erkenntnissen des Senats, die dieser aufgrund
der mündlichen Verhandlung gewonnen hat. Folgt man den Sachverständigen, ergibt
sich ein stimmiges medizinisches Bild. Dagegen wirken die Einwendungen der
Beklagten konstruiert und theoretisch, so dass Anlass, gemäß § 412 Abs. 1 ZPO ein
Obergutachten einzuholen, nicht besteht. Die Sachverständigen haben ihre
Ausführungen nach sorgfältiger Auswertung aller Befunde und unter Zugrundelegung
zutreffender Anknüpfungstatsachen nachvollziehbar, widerspruchsfrei, alle
vorgetragenen Argumente gewissenhaft abwägend und in jeder Hinsicht überzeugend
begründet. Sie haben sich mit den in anderen Verfahren eingeholten Gutachten
auseinandergesetzt und insbesondere nochmals in der mündlichen Verhandlung dem
Senat gegenüber sehr anschaulich erläutert, dass die dort getroffenen Befunde teilweise
rein nach Aktenlage erfolgt sind, ohne dass eine gründlich Untersuchung des Klägers
vorangegangen sei. Dass die Beklagten die Einschätzung durch die Sachverständigen
nicht teilen, ist kein zureichender Grund für die Erholung eines Obergutachtens.
47
Aus diesem Grund vermag der Senat auch keinen Aussetzungsgrund bis zum
Abschluss des sozialgerichtlichen Verfahrens oder einen Grund zur Wiedereröffnung
der mündlichen Verhandlung zu erkennen. Eine Vorgreiflichkeit der sozialgerichtlichen
Entscheidung ist nicht gegeben. Die gefundenen Beweisergebnisse sind überzeugend.
Die Sache ist entscheidungsreif.
48
Auch die Höhe des geltend gemachten Schmerzensgeldes ist mit insgesamt 65.000,00
€ angesichts der Schwere der Unfallfolgen und der fortdauernden Beeinträchtigungen
nicht zu beanstanden. Das Schmerzensgeld verfolgt vordringlich das Ziel, dem
Geschädigten einen angemessenen Ausgleich für diejenigen Schäden zu verschaffen,
die nicht vermögensrechtlicher Art sind (Ausgleichsfunktion). Für die Bemessung der
Schmerzensgeldhöhe sind Größe, Heftigkeit und Dauer der Schmerzen, Leiden und
Entstellungen die wesentlichen Kriterien (vgl. BGHZ 18,149,154). Als objektivierbare
Umstände besitzen vor allem die Art der Verletzungen, Art und Dauer der
Behandlungen sowie die Dauer der Arbeitsunfähigkeit ein besonderes Gewicht. Hierbei
zählen das Entstehen von Dauerschäden, psychischen Beeinträchtigungen und
seelisch bedingten Folgeschäden zu den maßgeblichen Faktoren (vgl.
Palandt/Grüneberg, BGB, 68. Aufl. 2010, § 253 Rdnr. 17; Erman/I. Ebert, BGB, 12.
49
Aufl.2008, § 253 Rdnr. 20 ff.). Darüber hinaus sind die speziellen Auswirkungen des
Schadensereignisses auf die konkrete Lebenssituation des Betroffenen zu
berücksichtigen. Die beruflichen Folgen der Verletzung und ihre Auswirkungen auf die
Freizeitgestaltung des Geschädigten sind weitere Faktoren bei der Bestimmung des
Schmerzensgeldes (Prütting/Wegen/Weinreich, BGB, 4. Aufl., § 253 Rdnr. 10). Hierbei
kommt es nicht zuletzt auch auf das Alter des Geschädigten an: Ein und dieselbe
Beeinträchtigung wird nicht in jedem Lebensalter gleich gravierend empfunden.
Darüber hinaus kann die verzögerte Schadensregulierung als Bemessungsfaktor nicht
völlig unbeachtet bleiben. Denn die leistungsfähige Beklagte zu 3 hat sich einem
erkennbar begründeten Anspruch ohne schutzwürdiges Interesse widersetzt
(Palandt/Grüneberg, aaO, § 253 Rdnr. 17; vgl. OLGR Nürnberg, 2007, 112; OLG
Naumburg, NJW-RR 2002, 672, 2008,693; VersR 2010, 73). Die Berücksichtigung ist
auch deswegen gerechtfertigt, weil die verzögerte Zahlung das gem. § 253 BGB
geschützte Interesse des Gläubigers beeinträchtigt hat. Der Kläger musste eine lange
Untersuchungsprozedur über sich ergehen lassen und wurde zudem verdächtigt, sich
Leistungen erschleichen zu wollen, obwohl nach dem Unfallereignis zunächst eine
schnelle Regulierung zu erfolgen schien. Unter der langen Dauer der
Schadensregulierung – seit dem Unfall sind 8 Jahre vergangen - musste der Kläger
gerade auch wegen der grundlosen Verdächtigungen notgedrungen leiden.
50
Auf der Grundlage dieser allgemeinen Überlegungen (vgl. hierzu im Einzelnen OLG
Saarbrücken, Urteil vom 27.07.2010 - 4 U 585/09 - in juris) kann unter Berücksichtigung
des Alters des Beklagten, er ist am 19.07.1967 geboren, den nicht absehbaren
Heilungschancen und der Tatsache, dass der Kläger sowohl in seiner Berufsausübung
wie auch in seiner Freizeitgestaltung durch die Nichtgebrauchsfähigkeit seines
geschädigten linken Arms voraussichtlich auf Dauer erheblich beeinträchtigt sein wird,
die Höhe des geforderten Schmerzensgeldes nicht beanstandet werden.
51
Für den Feststellungsantrag besteht ein Feststellungsinteresse sowohl für die
materiellen wie auch die zukünftigen immateriellen Schäden. Es ist noch nicht
abschließend geklärt, inwieweit Beeinträchtigungen und Dauerschäden des Klägers auf
Grund der erlittenen Verletzungen zurückbleiben. Es steht außerdem noch nicht
abschließend fest, ob und in welchem Grad eine Minderung der Erwerbstätigkeit
besteht. Dabei ist für den zukünftigen immateriellen Schaden darauf hinzuweisen, dass
bei der Schmerzensgeldzumessung bereits berücksichtigt ist, dass sich eine
voraussichtliche Dauerbeeinträchtigung auch mit psychischen Beeinträchtigungen nicht
ausschließen lässt. Soweit unvorhersehbare Verschlimmerungen dieses Zustandes
eintreten sollten, wäre ein weiterer immaterieller Schaden in der Zukunft zu ersetzen.
52
Die Verpflichtung zur Zinszahlung beruht auf §§ 291, 288 BGB.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO.
54
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr. 10,
711 ZPO.
55
Der
Berufungsstreitwert
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Für den Antrag zu 1 60.000,00 €,
57
für den Antrag zu 2 60.000,00 €,
58
insgesamt also
120.000,00 €.
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