Urteil des OLG Köln vom 27.01.1998
OLG Köln (eintritt des versicherungsfalles, verletzung der anzeigepflicht, zeuge, firma, 1995, versicherungsschutz, klausel, vvg, zweifel, verhalten)
Oberlandesgericht Köln, 9 U 110/96
Datum:
27.01.1998
Gericht:
Oberlandesgericht Köln
Spruchkörper:
9. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
9 U 110/96
Vorinstanz:
Landgericht Köln, 83 0 7/96
Tenor:
Die Berufung der Klägerin gegen das am 11.04.1996 verkündete Urteil
der 3. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Köln - 83 0 7/96 -
wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens werden der Klä-gerin auferlegt.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Von der Darstellung des Tatbestandes wird gemäß § 543 Abs. 1 ZPO abgesehen.
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E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
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Die in formeller Hinsicht bedenkenfreie Berufung der Klägerin ist unbegründet.
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Das Landgericht hat die Klage im Ergebnis zu Recht abgewiesen. Der Klägerin steht
gegen die Beklagte aus dem zwischen den Parteien geschlossenen
Versicherungsvertrag ein Entschädigungsanspruch gemäß §§ 1, 49 VVG wegen des
Diebstahl-ereignisses, das sich zwischen dem 19. und 24.05.1995 in dem in S./G.
gelegenen Kabellager der Klägerin ereignet haben soll, nicht zu, weil sie Monate vor
diesem Ereignis von einer nach Ziffer 2.2 der Besonderen Bestimmungen für die
Güterversicherung (im folgenden: "ADS 73/84") anzeigepflichtigen Gefahränderung
Kenntnis erlangt hatte und es schuldhaft unterlassen hat, diese Gefahrerhöhung der
Beklagten anzuzeigen. Dieses Unterlassen führt im Streitfall gemäß Ziffer 2.4 ADS
73/84 zur Leistungsfreiheit der Beklagten.
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Nach den zwischen den Parteien getroffenen Vereinbarungen sollten auf der Basis der
Besonderen Bestimmungen für die Güterversicherung im Außenlager der Klägerin in
S./G. aufbewahrte Kabel etc. u.a. gegen Einbruchdiebstahl und nachgewiesenen
einfachen Diebstahl versichert sein. Deshalb ist die Klägerin grundsätzlich gegen
Schäden der von ihr behaupteten Art versichert, hier des Diebstahls von 18
Kabeltrommeln mit einadrigen Kupferkabeln im behaupteten Gesamtwert von 59.075,24
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DM. Anders wäre dies nur dann, wenn mit dem Landgericht und der von der Beklagten
geäußerten Rechtsauffassung davon ausgegangen werden könnte, bei der zwischen
den Parteien ausdrücklich getroffenen Vereinbarung, Voraussetzung für den
Versicherungsschutz sei eine Umzäunung und eine ständige Bewachung des
Lagerkomplexes, handele es sich um eine Risikobegrenzung. In diesem Fall bestünde
unabhängig von der Kenntnis und dem Verschulden der Klägerin eine
Leistungsverpflichtung der Beklagten schon deshalb nicht, weil eine Bewachung des
Kabellagers in S./G. unstreitig bereits mehrere Monate vor dem von der Klägerin
behaupteten Diebstahlereignis nicht mehr stattgefunden hat. Auf eine Kenntnis und/oder
auf ein Verschulden der Klägerin käme es dann nicht an, weil § 6 VVG auf
Risikobegrenzungen nicht anwendbar ist.
Bei der genannten Vertragsklausel handelt es sich nach Auffassung des Senats aber,
wie bereits in der mündlichen Verhandlung erörtert worden ist, nicht um einen
Risikoausschluß, sondern um eine sogenannte verhüllte Obliegenheit zum Zwecke der
Verminderung der Gefahr im Sinne des § 6 Abs. 1 und Abs. 2 VVG.
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Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und auch des Senats
kommt es bei der Unterscheidung zwischen einer Obliegenheit und einer
Risikobegrenzung nicht allein auf den Wortlaut und die Stellung einer
Versicherungsklausel an. Maßgeblich ist vielmehr der materielle Gehalt der einzelnen
Klausel. Entscheidend ist, ob die Klausel eine individualisierende Beschreibung eines
bestimmten Wagnisses enthält, für das (allein) der Versicherer Versicherungsschutz
gewähren will, oder ob sie in erster Linie ein bestimmtes Verhalten des
Versicherungsnehmers fordert, von dem es abhängt, ob er einen zugesagten
Versicherungsschutz behält oder ob er ihn verliert. Wird von vornherein nur
ausschnittsweise Deckung gewährt und nicht ein gegebener Versicherungsschutz
wegen nachlässigen Verhaltens wieder entzogen, so handelt es sich um eine
Risikobegrenzung (vgl. BGH r + s 95, 151 = VersR 95, 328; r + s 90, 230 = VersR 90,
482 m.w.N. und Senat, zuletzt Urteil vom 21.01.1997, VersR 1997, 966).
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Auf der Basis dieser Abgrenzungskriterien kann im Streitfall von einer
Risikobegrenzung nicht ausgegangen werden. Zwar erhebt die Klausel eine
Umzäunung und eine ständige Bewachung des Lagerkomplexes zur "Voraussetzung"
für den Versicherungsschutz. Auf das Wort "Voraussetzung", auf das die Beklagte ihre
Rechtsauffassung stützt, kommt es dabei aber nicht entscheidend an. Auch Klauseln,
die mit "Ausschluß", "Umfang des Versicherungsschutzes" oder "Einschränkung des
Versicherungsschutzes" umschrieben waren, sind bereits als verhüllte Obliegenheiten
gewertet worden (vgl. z.B. Senat, Urteil vom 29.10.1996 in dem Rechtsstreit 9 U 58/96
zu der Formulierung "Einschränkung des Versicherungsschutzes"). Im Streitfall ist
vielmehr entscheidend, daß ein vorbeugendes Verhalten der Klägerin als
Versicherungsnehmerin im Vordergrund steht. Ihr oblag es, den Lagerkomplex in den
Grenzen der zwischen den Parteien getroffenen Zusatzvereinbarung vom 29.11.1991
(Bewachung Montag bis Freitag von 17.00 Uhr bis 6.00 Uhr, an Samstagen/sonn- und
feiertags 24 Stunden) bewachen zu lassen. Diese Vereinbarung konkretisiert die
Vertragsklausel und verlangt von der Klägerin bei anderweitigem Verlust des
Versicherungsschutzes ein bestimmtes Verhalten. Damit umschreibt die Klausel aber
nicht eine von vornherein nur ausschnittsweise gewährte Deckung, sondern verlangt
von der Klägerin ein bestimmtes Verhalten, von dem der Fortbestand des
Versicherungsschutzes oder aber die Leistungsfreiheit der Beklagten abhängig sein
sollte.
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Letztlich kommt es aber nicht entscheidend darauf an, ob es sich bei der vorerwähnten
Klausel um eine Risikobegrenzung oder eine verhüllte Obliegenheit handelt.
Offenbleiben kann auch, ob im Falle der Annahme einer schuldhaften
Obliegenheitsverletzung Leistungsfreiheit der Beklagten gleichwohl nicht eingetreten
wäre, weil die Beklagte die für die Leistungsfreiheit erforderliche Kündigung des
Versicherungsvertrages nach § 6 Abs. 1 Satz 3 VVG oder die wirksame Abbedingung
dieser Vorschrift nicht vorgetragen hat. Schließlich ist es für die Entscheidung des
Rechtsstreits ohne Relevanz, ob von einer fahrlässigen Verursachung des
Versicherungsfalles im Sinne des § 33 Abs. 2 der dem Versicherungsvertrag ebenfalls
zugrunde liegenden Allgemeinen Deutschen Seeversicherungsbedingungen (ADS)
oder einer grob fahrlässigen Herbeiführung des Versicherungsfalles im Sinne des § 61
VVG ausgegangen werden könnte. Die aufgeworfenen Fragen können allesamt auf sich
beruhen, weil die Beklagte gemäß Ziffer 2.4 ADS 73/84 jedenfalls deshalb von ihrer
etwaigen Leistungsverpflichtung frei geworden ist, weil die Klägerin ihr eine
Gefahrerhöhung, nämlich die Tatsache der nicht mehr durchgeführten Bewachung des
Lagerkomplexes nicht angezeigt hat. Auf diesen Leistungsbefreiungsgrund hat sich die
Beklagte (Bl. 209 d.A.) ausdrücklich berufen.
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Es versteht sich von selbst, daß sich die Gefahr des Eintritts eines Versicherungsfalles
infolge der nicht mehr stattfindenden Bewachung des Lagerkomplexes erhöht hat.
Entgegen dem Vorbringen der Klägerin ist in tatsächlicher Hinsicht auch davon
auszugehen, daß sie von der Beendigung der Bewachung wußte. Bei Meidung von
Leistungsfreiheit hätte sie deshalb der Beklagten hiervon Anzeige machen müssen.
Nach dem Ergebnis der vor dem Senat durchgeführten Beweisaufnahme kann kein
vernünftiger Zweifel daran bestehen, daß der für die Bewachungsfirma D. tätige Zeuge
H. die Klägerin bereits Monate vor dem hier streitigen Diebstahlereignis von der
Beendigung der vormals von der Firma P. in Auftrag gegebenen Bewachung unterrichtet
hat. Der Senat folgt dem Zeugen H., wenn er sagt, ausweislich seiner Aufzeichnungen
habe er die Firma P. noch am 23.01.1995 davon unterrichtet, daß an diesem Tag die
letzte Streife gefahren werde, noch am selben Tag sei er bei der Klägerin gewesen und
habe diese ebenfalls unterrichtet. Er habe bei der Klägerin und weiteren Firmen
nachgefragt, ob Interesse an einer weiteren Bewachung gegen Bezahlung bestehe, bei
der Klägerin habe man ihm gesagt, das könne zur Zeit nicht entschieden werden. Am
02.03.1995 sei er nochmals bei der Klägerin in S./G. vorstellig geworden und habe dort
mit dem Niederlassungsleiter, dem Zeugen O., gesprochen, dieser habe ihm gesagt, es
sei immer noch nichts entschieden. In der Folgezeit habe er dann noch mehrfach
vergeblich bei der Klägerin nachgefragt.
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Die Bekundungen des Zeugen H. sind glaubhaft. Namentlich erscheint es dem Senat
sehr lebensnah und auch nachvollziehbar, daß sich der Zeuge H. unmittelbar nach der
Kündigungserklärung der Firma P. an die übrigen betroffenen Firmen gewandt hat, um
mit ihnen ins Geschäft zu kommen und mit ihnen den nach der Kündigungserklärung der
Firma P. auslaufenden Bewachungsvertrag auf's Neue abzuschließen. Auch der von
der Klägerin gegenbeweislich benannte Zeuge O. hat in seiner Vernehmung
ausdrücklich gesagt, er könne sich nicht mehr festlegen, ob seine Gespräche mit dem
Zeugen H. vor oder nach dem Diebstahlereignis im Mai 1995 stattgefunden hätten, es
könne aber durchaus sein, daß die diesbezüglichen Bekundungen des Zeugen H.
richtig seien. Bei dieser Sachlage sieht der Senat nicht den geringsten Anlaß, die
Richtigkeit der Bekundungen des Zeugen H., insbesondere zum Zeitpunkt seiner
Gespräche mit der Klägerin, in Zweifel zu ziehen, und zwar auch nicht unter
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Berücksichtigung des Inhalts des nicht nachgelassenen Schriftsatzes der Klägerin vom
16.01.1998. Soweit die Klägerin die Glaubhaftigkeit der Bekundungen des Zeugen H.
zum Zeitpunkt seiner Gespräche mit ihr - der Klägerin - durch den Hinweis zu
erschüttern versucht, der Zeuge H. habe bekundet, im Januar 1995 auch bei der Firma
F. vorgesprochen zu haben, ausweislich eines ihr - der Klägerin - vorliegenden
Schreibens der Firma F. habe diese der Firma D. einen Bewachungsauftrag bereits am
18.08.1994 erteilt, hilft ihr dies nicht. Denn selbst wenn sich der Zeuge H. insoweit geirrt
haben sollte, ändert dies nichts an der Tatsache, daß er seine Zeitangaben sicher
erinnern und durch seine Aufzeichnungen verifizieren konnte. Selbst wenn es also so
wäre, daß die Firma F. bereits im August 1994 einen Bewachungsauftrag erteilt hätte,
wäre dieser Umstand nicht geeignet, die Glaubhaftigkeit der Bekundungen des Zeugen
H. oder aber die Glaubwürdigkeit seiner Person in Zweifel zu ziehen.
Daß im Terminkalender des Zeugen O. Besprechungstermine mit dem Zeugen H. nicht
notiert sind, besagt nichts, weil der Zeuge H. - insoweit allerdings nicht protokolliert -
ausdrücklich und glaubhaft bekundet hat, er habe die Niederlassung der Klägerin nach
Kündigung des Bewachungsauftrags durch die Firma P. ohne vorherige
Terminabsprache aufgesucht.
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Steht demgemäß zur sicheren Überzeugung des Senats fest, daß der Zeuge H. den
Niederlassungsleiter O. der Klägerin bereits Monate vor dem angeblichen
Diebstahlereignis darüber unterrichtet hatte, daß eine Bewachung des Geländes nicht
mehr stattfand, kann dahinstehen, ob der Zeuge O. - was der Senat allerdings nicht in
Zweifel ziehen würde - als Repräsentant der Klägerin anzusehen ist. Diese Frage
bedarf keiner Entscheidung, weil der Senat den Bekundungen des Zeugen O. folgt,
wonach der Zeuge "als erstes" den Geschäftsführer der Klägerin von der Tatsache der
Einstellung der Bewachung unterrichtet hat, nachdem er seinerseits hiervon Kenntnis
erlangt hatte. Dies muß dann auf der Basis der Zeitangaben des Zeugen H. aber
spätestens Anfang März 1995 der Fall gewesen sein.
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Die weiteren, zur Leistungsfreiheit der Beklagten notwendigen Voraussetzungen der
Ziffer 2.4 ADS 73/84 liegen vor: Die Klägerin hat nicht dargetan, daß die Verletzung der
Anzeigepflicht weder auf Vorsatz noch auf grober Fahrlässigkeit beruhte. Der
Kausalitätsgegenbeweis ist nicht geführt. Es mangelt schon an jedwedem Sachvortrag
der Klägerin dazu, daß die Einstellung der Bewachung des Lagerkomplexes keinen
Einfluß auf den Eintritt des Versicherungsfalles hatte.
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Liegen damit alle zur Leistungsfreiheit der Beklagten nach Ziffer 2.4 ADS 73/84 nötigen
Voraussetzungen vor, ist es in tatsächlicher Hinsicht nicht mehr entscheidungsrelevant,
ob nach dem Ergebnis der durchgeführten Beweisaufnahme von dem Diebstahl der
Kabeltrommeln ausgegangen werden könnte.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die
vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.
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Streitwert und Wert der Beschwer
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der Klägerin: 59.075,24 DM
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