Urteil des OLG Köln vom 21.01.1994

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Oberlandesgericht Köln, 19 U 52/93
Datum:
21.01.1994
Gericht:
Oberlandesgericht Köln
Spruchkörper:
19. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
19 U 52/93
Vorinstanz:
Landgericht Köln, 21 O 167/92
Schlagworte:
Kündigung fristlos Angestellter
Normen:
BGB § 626
Leitsätze:
1. An den wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung des
Anstellungsvertrages sind bei leitenden Angestellten nur
verhältnismäßig geringe Anforderungen zu stellen. 2. Ein einmaliger
Verstoß gegen eine innerbetriebliche Ordnungsbestimmung (hier:
Nichteintragung einer zur Ansicht mitgenommenen Armbanduhr im Wert
von 149 DM in ein dafür vorgesehenes Auswahlbuch) ist jedenfalls ohne
(wiederholte) Abmahnung kein ausreichender Grund zur
außerordentlichen Kündigung des Anstellungsvertrages des
Geschäftsführers eines Kaufhauses.
Tenor:
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil der 21. Zivilkammer des
Landgerichts Köln vom 04.02.1993 - 21 O 167/92 - abgeändert und wie
folgt neu gefaßt: Es wird festgestellt, daß das Arbeitsverhältnis zwischen
den Parteien nicht durch die fristlose Kündigung der Firma N. GmbH
vom 24.01.1992 aufgelöst worden ist, sondern ungekündigt fortbesteht.
Die Kosten des Rechtsstreits tragen die Beklagten als Gesamtschuldner.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Den Beklagten wird nachgelassen,
die Vollstreckung wegen der Kosten durch Sicherheitsleistung in Höhe
von 16.000,00 DM abzuwenden, wenn nicht der Klä-ger vor der
Vollstreckung Sicherheit in dieser Höhe leistet.
T a t b e s t a n d :
1
Der Kläger war über zwanzig Jahren Geschäftsführer des Kaufhauses N. in W., das dem
"K." angeschlos-sen ist und in der Form einer GmbH ##blob##amp; Co KG betrie-ben
wird, und an dem er bis zur Übertragung der Firmenanteile auf den jetzigen Inhaber,
Herrn R. N., zum 01.01.1990 neben seiner Tante mit 43 % be-teiligt war.
2
Im Zuge der Anteilsübertragung und Firmenveräuße-rung wurde zwischen dem
Erwerber und Übernehmer N. und dem Kläger und seiner Tante als Veräußerer eine
Grundsatzvereinbarung getroffen, in der unter Ziff. 6 festgehalten wurde, daß der
bisherige Geschäftsführervertrag mit dem Kläger bis zum 31.12.1994 fortgesetzt werden
sollte.
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Am 23.01.1992 wurde der Kläger bei der Entnahme einer Damenarmbanduhr aus einer
Schublade in der Schmuckabteilung des Kaufhauses beobachtet, die er in sein Büro
brachte, ohne sie zu bezahlen oder als Ansichtsexemplar registrieren zu lassen, wie es
den hausinternen Vorschriften entsprach. Die Uhr hatte einen Verkaufswert von 149,00
DM.
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Daraufhin wurde der Kläger zu dem Firmeninhaber N. zitiert, der ihn des Diebstahls
bezichtigte und ihm als alleinvertretungsberechtigter Geschäfts-führer mündlich fristlos
kündigte. Die schriftli-che Kündigung folgte am nächsten Tag.
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Mit der Klage wendet der Kläger sich gegen die Wirksamkeit der Kündigung.
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Er hat behauptet, die Uhr lediglich zur Ansicht mitgenommen zu haben, um sie seiner
Lebensgefähr-tin zu zeigen. Er habe vorgehabt, sie registrieren zu lassen, sei dazu aber
nicht mehr gekommen, weil er zunächst von einer Kundin angesprochen worden, später
vom Zeugen Sch. um Mithilfe beim Umrücken von Theken gebeten und schließlich mit
der Zeugin Z. zusammengetroffen sei, der er die Uhr noch ge-zeigt habe, bis er
schließlich über die Lautspre-cheranlage zur Firmenleitung gerufen worden sei. Die Uhr
habe er auf dem Wege dorthin auf seinem Schreibtisch abgelegt. Den Diebstahlsvorwurf
habe er sofort energisch bestritten.
7
Der Kläger hat beantragt,
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festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien nicht durch die fristlose
Kündigung der Firma N. GmbH vom 24.01.1992 aufgelöst worden ist, sondern un-
gekündigt fortbesteht.
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Die Beklagten haben beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Sie haben behauptet, der Kläger habe die Uhr heim-lich an sich genommen und in
seiner Manteltasche versteckt. Den Diebstahl habe er auf Vorhalt ein-geräumt.
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Das Landgericht hat Beweis erhoben durch Verneh-mung der Zeuginnen K. und St..
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Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Sitzungsprotokoll vom
10.12.1992 verwiesen.
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Durch das am 16.02.1993 zugestellte Urteil vom 04.02.1993 hat das Landgericht die
Klage abgewie-sen mit der Begründung, die ausgesprochene Kündi-gung sei wirksam,
weil der Kläger eines Diebstahls überführt sei. Seine Zueignungsabsicht ergebe sich
aus der heimlichen Ansichtnahme und der fehlenden Registrierung. Dabei sei ohne
Belang, ob der Klä-ger tatsächlich aufgehalten worden sei, da er ohne weiteres die
Registrierung noch nach dem Ausruf über Lautsprecher hätte vornehmen lassen
können. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Urteilsgründe der angefochtenen
Entscheidung ver-wiesen.
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Hiergegen richtet sich die am 09.03.1993 eingegan-gene Berufung des Klägers, die mit
am 06.05.1993 beim Oberlandesgericht eigegangenem Schriftsatz nach
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Fristverlängerung zum 10.05.1993 begründet worden ist.
Mit der Berufung verfolgt der Kläger sein erstin-
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stanzliches Begehren weiter und trägt vor, das Landgericht habe seine
Tatsachenfeststellungen auf zu schmaler Beweisgrundlage getroffen. Ein harm-loser
Vorgang sei vom Personal fehlinterpretiert worden. Der neue Firmeninhaber N. habe
mehrfach versucht, ihm - dem Kläger - Unredlichkeiten anzu-lasten, um aus dem Vertrag
mit ihm herauszukommen; dies sei beim Personal bekannt gewesen.
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Der Kläger beantragt,
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das Urteil des Landgerichts Köln aufzuheben und festzustellen, daß das Arbeitsverhält-
nis zwischen den Parteien nicht durch die fristlose Kündigung der Fa. N. GmbH vom
24.01.1992 aufgelöst worden ist, sondern un-gekündigt fortbesteht.
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Die Beklagten beantragen,
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Zurückweisung der Berufung.
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Sie bestreiten, eine Atmosphäre des Mißtrauens gegenüber dem Kläger geschaffen zu
haben. Er sei lediglich bei unüblichen Vorgängen um Aufklärung gebeten worden. Die
Aussagen der beiden Zeuginnen beruhten auf unvoreingenommener Wahrnehmung
und nicht etwa auf einer Verdachtshaltung.
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Wegen des Sach- und Streitstandes im einzelnen wird auf den vorgetragenen Inhalt der
beidersei-tigen Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen. Der Senat hat Beweis
erhoben durch Vernehmung der Zeugen K., St., Sch., J. und Z. sowie durch Par-
teivernehmung des Klägers auf Antrag der Beklag-ten. Wegen des Ergebnisses der
Beweisaufnahme wird auf das Sitzungsprotokoll vom 20.12.1993 Bezug ge-nommen.
Die Ermittlungsakte 26 Js 230/92 Staatsan-waltschaft Köln war Gegenstand der
mündlichen Ver-handlung.
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E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
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Die zulässige Berufung hat in der Sache Erfolg.
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Nach dem Ergebnis der vor dem Senat durchgeführten Beweisaufnahme ist ein zur
Kündigung berechtigen-der "wichtiger Grund" i.S. des § 626 BGB nicht er-wiesen.
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Allerdings sind bei leitenden Angestellten an den wichtigen Grund zur
außerordentlichen Kündigung nur verhältnismäßig geringe Anforderungen zu stel-len
(vgl. BAG AP Nr. 42, 49 zu § 626 BGB; Senats-urteil vom 26.11.1993, 19 U 93/93 = 21 O
243/92 LG Köln; Schaub, Arbeitsrechtshandbuch 7. Aufl., § 14 III 3). Auch unter
Berücksichtigung dessen ist je-doch die fristlose Kündigung im vorliegenden Fall nicht
gerechtfertigt. Sie könnte nur begründet sein, wenn ohne vernünftigen Zweifel als
erwiesen angesehen werden könnte, daß der Kläger sich die Armbanduhr rechtswidrig
zueignen, sie also stehlen wollte. Ein bloßer Verstoß gegen eine innerbe-triebliche
Ordnungsbestimmung, wie sie die Rege-lung über die Eintragung einer zur Ansicht ent-
nommenen Ware ins Auswahlbuch darstellt, kann die fristlose Kündigung nicht
begründen. Nur wenn sich ein Angestellter, sei er auch Geschäftsführer, trotz
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Abmahnung hartnäckig an solche Regeln nicht hält, mag auch in deren Verletzung ein
Grund zur fristlosen Kündigung liegen können. So liegen die Dinge hier aber nicht.
Durch die teilweise wiederholte, teilweise gegen-über der ersten Instanz erweiterte
Beweisaufnahme hat der Senat sich nicht davon überzeugen können, daß der Kläger
die Armbanduhr stehlen wollte oder daß er auch nur einen begründeten Verdacht hierzu
veranlaßt hätte.
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Die Zeugin K., auf deren Beobachtungen der Ver-dacht gegen den Kläger letztlich
zurückgeht, sah ihn von ihrem Platz in der Parfümerieabteilung aus, in der sie tätig war,
in die gegenüber liegende Schmuckabteilung gehen, die damals ge-rade unbesetzt war,
weil die dort aushilfsweise arbeitende Zeugin St. eine Kaffepause machte. Der Kläger
zog eine der Schubladen auf, benahm sich dabei aber, wie die Zeugin K. auf
Nachfragen ausdrücklich betont hat, nicht auffällig. Konnte man nach dem
Beweisprotokoll des Landgerichts noch annehmen, der Kläger habe sich in auffälliger,
so-zusagen "sichernder" Weise verhalten, so scheidet diese Möglichkeit jetzt aus. Die
Zeugin K. hat es für möglich gehalten, daß der Kläger sich nur nach einer Verkäuferin
umsehen wollte. Ihre Bekundung vor dem Landgericht, ihr sei die Sache verdächtig
vorgekommen, hat sie jetzt mit einem konkreten Verhalten des Klägers nicht begründen
können. Offenbar hatte sich aufgrund vorangegangener Dieb-stahlsfälle im Kaufhaus N.
eine allgemeine Ver-dachtsatmosphäre unter den Angestellten ausgebrei-tet, aus der
heraus die Zeugin K. überhaupt erst auf den Kläger aufmerksam wurde. Ihre
Bemerkung, sie habe es nicht als ganz normal empfunden, daß der Kläger allein an die
Schublade gegangen sei, hat die Zeugin gleich darauf relativiert, indem sie sie auf den
Fall der Anwesenheit einer Verkäu-ferin bezog; die Zeugin St. war aber gerade abwe-
send. Die übrigen Beobachtungen der Zeugin K., die die Zeugin St. über die
Anwesenheit des Klägers in ihrer Abteilung benachrichtigte und dabei auch den im
Kaufhaus N. als Detektiv tätigen Zeugen J. traf, der mit der Zeugin St. Kaffee trank, sind
unergiebig. Daß der Kläger beim Weggehen aus der Schmuckabteilung "etwas",
nämlich die Armbanduhr, in der Hand hielt, versteht sich von selbst und ist unstreitig.
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Die tatsächlichen Beobachtungen der Zeugin St. beschränken sich darauf, daß sie ihn
noch in der Nähe des Ausgangs der Schmuckabteilung antraf, als sie nach der
Benachrichtigung durch die Zeugin K. hinzu kam. Die von ihr geschilderte Frage des
Klägers, ob sie ein Bonbon haben wolle, ist irre-levant. Ihren Eindruck, der Kläger sei
nervös ge-wesen, konnte sie trotz eindringlicher Bemühungen des Senats nicht näher
erläutern. Er ist deshalb zum Nachteil des Klägers nicht verwendbar.
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Der Detektiv J. hat den Kläger nur aus einiger Entfernung von der Tür des Büros aus
beobachtet, wo er Kaffee getrunken hatte. Er konnte nichts be-kunden, was in seinem
Erkenntniswert in Bezug auf das Verhalten des Klägers in der Schmuckabteilung über
die Aussagen der Zeuginnen K. und St. hin-ausging.
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Ein auch nur halbwegs sicherer Schluß, daß sich so wie der Kläger nur ein Dieb verhält,
ist danach aufgrund der Zeugenaussagen über seinen Aufenthalt in der
Schmuckabteilung nicht möglich. Daß er - unstreitig - die Uhr mit einem Verkaufswert
von 149,00 DM nicht in ein Auswahlbuch eingetragen hat, reicht wie dargelegt als
Kündigungsgrund nicht aus. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme spricht aber
sogar einiges dafür, daß der Kläger jedenfalls die Absicht hatte, sie noch einzutra-gen.
Seine Darstellung, er sei gewohnt gewesen, zur Ansicht mitgenommene Sachen in das
an der Hauptkasse geführte Auswahlbuch einzutragen, sei dazu aber nicht mehr
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gekommen, ist nicht wider-legt. Die Zeuginnen K. und St. konnten zu dem Weg des
Klägers nach dem Verlassen der Schmuckabtei-lung nichts Wesentliches sagen. Auch
der Zeuge J. hat nur bekunden können, der Kläger sei aus der Schmuckabteilung
"zielstrebig" in Richtung Perso-nalausgang, also seines Büros, gegangen, und er habe
ihn dort hinausgehen sehen, besagt letztlich nichts; denn das Weitere hat der Zeuge
nicht mehr beobachtet. Eindeutig für den Kläger spricht je-denfalls die Aussage der
Zeugin Z., der der Kläger die Armbanduhr gezeigt hat mit dem Bemerken, er müsse sie
noch ins Auswahlbuch eintragen. Da die Zeugin ihn vorher beim Räumen größerer
Gegenstände gesehen hatte, spricht einiges dafür, daß es sich dabei um die
Hilfeleistung für den Zeugen Sch. ge-handelt hat, die nach dessen Bekundung
allerdings früher am Nachmittag stattgefunden haben soll. Die Zeugin hat einen
zuverlässigen Eindruck hinterlas-sen und ist auch auf eindringlichen Appell des Se-
nats, den Kläger nicht etwa wahrheitswidrig zu be-günstigen, bei ihrer Darstellung
geblieben.
Unter diesen Umständen kann der Senat nicht davon ausgehen, der Kläger habe die
Uhr nicht ins Aus-wahlbuch eintragen wollen. Es bleibt die nahelie-gende Möglichkeit,
daß er dazu nur wegen des Rufs ins Büro des Geschäftsführers N. nicht mehr gekom-
men ist.
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Daß er dort den Diebstahl der Uhr eingeräumt habe, hat der Kläger bei seiner
Vernehmung als Partei auf Antrag der Beklagten abgestritten. Weiteren Beweis hat die
Beklagte hierzu nicht angetreten. Die vorprozessual aufgestellte Behauptung, der
Kläger habe im Beisein der Personalleiterin Raf-felsieper gestanden, hat sie nicht
aufrechterhal-ten können.
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Die weiteren Streitigkeiten zwischen den Parteien, die im Laufe des Rechtsstreits
erwähnt worden sind, können auf sich beruhen, weil sie nicht Ge-genstand der
Kündigung sind.
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Auf die Berufung des Klägers hin war nach allem seiner Klage stattzugeben.
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Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91, 708 Nr. 10, 711 ZPO.
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Berufungsstreitwert und Beschwer der Beklagten 96.000,00 DM.
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