Urteil des OLG Köln vom 14.01.2009
OLG Köln: grundsatz der spezialität, haftbefehl, erpressung, marke, raub, anhörung, körperverletzung, arbeitsunfähigkeit, bande, auslieferungshaft
Oberlandesgericht Köln, 6 AuslA 6/09
Datum:
14.01.2009
Gericht:
Oberlandesgericht Köln
Spruchkörper:
2. Strafsenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
6 AuslA 6/09
Tenor:
Die Auslieferung des marokkanischen Staatsangehörigen Z. C. aus
Deutschland nach Frankreich zur Strafverfolgung wegen der ihm in dem
Europäischen Haftbefehl des Staatsanwalts des Landgerichts in B. vom
30. 10. 2008 (Nr. 97/ 4222 ) zur Last gelegten Straftaten wäre zulässig.
G r ü n d e :
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I.
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Auf Ersuchen der französischen Behörden ist durch Beschlüsse des Senats vom 13.08.
und 10.09.2002 – 2 Ausl 183/02 – 19/02 – die Auslieferungshaft und deren Fortdauer
gegen den Verfolgten zur Strafverfolgung wegen der im Haftbefehl des
Untersuchungsrichters bei dem Landgericht B. vom 12.04.2001 und der Anklage vom
10.10.2001 genannten Straftaten des Diebstahls bzw. der Hehlerei , begangen im
August und Oktober 2000 in B., angeordnet worden. Nachdem der Verfolgte sich am
4.10.2002 mit der vereinfachten Auslieferung einverstanden erklärt, auf die Einhaltung
des Grundsatzes der Spezialität aber nicht verzichtet hat, ist am 18.10.2002 durch die
Generalstaatsanwaltschaft Köln die Auslieferung unter Einhaltung des
Spezialitätsgrundsatzes bewilligt worden. Der Verfolgte , gegen den Auslieferungshaft
nicht vollstreckt wurde, weil er sich in Untersuchungs- bzw. Strafhaft befunden hat, ist
am 10.05.2007 an die französischen Behörden überstellt worden.
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Die Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht in B. ersucht mit Schreiben vom
30.10..2008 um Zustimmung zur Strafverfolgung wegen folgender, in dem Europäischen
Haftbefehl des Staatsanwalts des Landgerichts in B. vom 30. 10. 2008 (97/ 4222 ) dem
Verfolgten zur Last gelegten Straftaten :
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Schwerer Raub bzw. räuberische Erpressung mit Waffen als Mitglied einer Bande
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am 28.04.1997 in B. zum Nachteil des Kaufhauses F.E. (22.700 Francs) und zum
Nachteil des G.D. ( PKW der Marke Lancia)
am 16.05.1997 in B. zum Nachteil der Cafeteria H. (28.000,- Francs) und zum
Nachteil der D.D. ( PKW Marke Renault Twingo)
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am 8.07.1997 in B. zum Nachteil des Restaurants R. ( 57.000,- Francs Schecks,
Kreditkarten, Gutschriften, 20.000,- Francs Bargeld) und zum Nachteil des S.E. (
PKW Marke Renault 5)
am 13.06.1997 in I. zum Nachteil des Kaufhauses M. ( 15.000,- Francs) und zum
Nachteil des Q.N. ( Fahrzeug)
am 24.06.1997 in B. zum Nachteil des Kaufhauses J.
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( 50.000,- Francs)
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am 30.06.1997 in M.Q. zum Nachteil des Kaufhauses L. ( 10.000,- Francs) sowie
Körperverletzung mit der Folge der Arbeitsunfähigkeit von 7 Tagen zum Nachteil
der N.K.
am 1.07.1997 in O. zum Nachteil des Kaufhauses P.
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( 28.000,- Francs Schecks und 33.000,- Francs Bargeld) und zum Nachteil
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der W.B. ( PKW der Marke Peugeot 104)
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am 18.07.1997 in B. zum Nachteil des Kaufhauses F.E.
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( 4.000,- Francs)
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Versuchter schwerer Raub bzw. räuberische Erpressung mit Waffen als Mitglied einer
Bande am 10.08.1997 in T. zum Nachteil des Kaufhauses J. sowie Körperverletzung mit
der Folge der Arbeitsunfähigkeit von 3 Wochen zum Nachteil der U.N.
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Schwerer Raub bzw. räuberische Erpressung mit Waffen als Mitglied einer Bande am
27.09.1997 in Q.T.B. zum Nachteil der Firma W. ( LKW und Ladung von Luxuskleidung
im Wert von 3 Mio Francs) sowie Körperverletzung mit der Folge der Arbeitsunfähigkeit
von 4 Wochen zum Nachteil des V.B. und des B.O. .
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Die Taten sind nach dem Europäischen Haftbefehl strafbar gemäß Artikeln 311-1, 311-
4, 311- 8, 311-9, 311-11. 311-13, 311-14, 311-15, 132-75 Code Penal .
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Dem Ersuchen ist der Europäische Haftbefehl in deutscher Übersetzung beigefügt.
Ferner liegt ebenfalls in deutscher Übersetzung das Protokoll über die Anhörung des
Verfolgten zu dem Ersuchen durch den für Freiheit- und Haftentscheidungen
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zuständigen Richter des Landgerichts B. am 31.12.2008 vor. Danach hat der Verfolgte
auf den Grundsatz der Spezialität nicht verzichtet.
Die Generalstaatsanwaltschaft beantragt festzustellen, dass die Auslieferung des
Verfolgten aus Deutschland nach Frankreich zur Strafverfolgung wegen der in dem
Europäischen Haftbefehl des Staatsanwalts bei dem Landgericht B. vom 30.10.2008 (
Nr. 97/4222) aufgeführten Straftaten zulässig wäre.
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II.
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Dem Antrag der Generalstaatsanwaltschaft ist zu entsprechen. Eine Zustimmung zu
Nachtragsersuchen nach Bewilligung der Auslieferung kann nach § 83 h Abs. 2 Nr. 5
IRG erteilt werden, wenn der ersuchte Mitgliedsstaat auf die Einhaltung des
Spezialitätsgrundsatzes verzichtet. Für ein solches im achten Teil des IRG nicht
gesondert geregeltes Nachtragsersuchen gelten die für ein Auslieferungsersuchen
vorgesehenen Regelungen ( vgl. BT-Drucksache 15/1718 Nr. 17 " Zu § 83h- Spezialität"
letzter Absatz). Sie werden ergänzt durch die Bestimmungen des § 35 IRG über die
Erweiterung der Auslieferungsbewilligung .
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Gemäß 35 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 IRG bedarf es nach erteilter Auslieferungsbewilligung bei
Ersuchen um Zustimmung zur Verfolgung oder Vollstreckung wegen einer weiteren Tat
einer Entscheidung des nach § 35 Abs. 2 Satz 2 IRG zuständigen Senats darüber , dass
wegen der weiteren Tat die Auslieferung an den ersuchenden Staat zulässig wäre. Das
Einverständnis des Verfolgten, welches nach § 35 Abs. 1 Nr. 2 eine solche
Entscheidung entbehrlich machen würde, ist von diesem bei seiner richterlichen
Anhörung nicht erklärt worden.
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Die Voraussetzungen für die beantragte Feststellung, dass die Auslieferung zur
Verfolgung wegen der weiteren , dem Verfolgten von der Staatsanwaltschaft bei dem
Landgericht B. vorgeworfen Straftaten zulässig wäre, liegen vor.
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Der Europäische Haftbefehl des Staatsanwalts bei dem Landgericht B. vom 30.10.2008
( Nr. 97/4222) entspricht den formellen Anforderungen der §§ 35 Abs. 1 Satz 2 , § 10
Abs 1 Satz 2 IRG.
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Er enthält die nach § 83 a Abs. 1 IRG notwendigen Angaben. Die dem Verfolgten zur
Last gelegten Taten sind darin nach Tatzeit und Tatort hinreichend konkretisiert. Der
Verfolgte hat bei seiner Anhörung um zusätzliche Angaben zu den ihm nach dem
Protokoll im einzelnen vorgehalten Taten auch nicht gebeten.
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Die einschlägigen Gesetzesbestimmungen sind genannt und dem Senat bekannt. Die in
dem Europäischen Haftbefehl vom 30.10.2008 aufgeführten Straftaten stellen nach dem
maßgeblichen Recht des ersuchenden Staates eine sog. Katalogtat im Sinne des Art. 2
Abs. 2 des Rahmenbeschlusses des Rates vom 13.06.2002 über den Europäischen
Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten (ABl. EG Nr. L 190
S. 1) dar. Sie fallen unter den Begriff des Diebstahls in organisierter Form oder mit
Waffen. Damit entfällt die Prüfung der gegenseitigen Strafbarkeit, die hier freilich auch
unproblematisch gegeben wäre. Nach den genannten französischen
Strafbestimmungen liegt die Höchststrafe bei 30 Jahren Freiheitsentzug. Nach
deutschem Recht ist der schwerer Raub bzw. die schwere räuberische Erpressung
gemäß §§ 249, 253, 255, 250 mit Freiheitsstrafe nicht unter 3 Jahren bedroht.
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Damit ist auch die Auslieferungsfähigkeit der Taten gemäß § 81 Nr. 1 IRG ist gegeben,
welche voraussetzt, dass die Tat nach dem Recht des ersuchenden Mitgliedsstaates mit
einer Freiheitsstrafe im Höchstmaß von mindestens 12 Monaten bedroht ist.
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Eine Prüfung des Tatverdachts findet nach § 10 Abs. 2 IRG nur bei Vorliegen
besonderer Umstände statt. Derartige Umstände sind hier nicht ersichtlich und von dem
Verfolgten bei seiner Anhörung auch nicht geltend gemacht worden.
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Gründe, die der Zulässigkeit einer Auslieferung des Verfolgten wegen der weiteren
Taten entgegenstehen könnten, sind auch ansonsten nicht ersichtlich.
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Da die Taten nicht der konkurrierenden Gerichtsbarkeit ( §§ 5-7 StGB) unterliegen,
erübrigt sich eine Prüfung der Strafverfolgungsverjährung nach deutschen Recht. Nach
französischen Recht ist gemäß den Angaben im Europäischen Haftbefehl Verjährung
nicht eingetreten. Eine weitere Prüfung findet dazu nicht statt, denn der Nichteintritt der
Verjährung im ersuchenden Staat ist keine Zulässigkeitsvoraussetzung für die
Erledigung eines Auslieferungsersuchens (vgl. Senat 10.10.2008 – 6 Ausl A 120/08 –
84-).
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Der Verfolgte ist nicht Deutscher und hatte auch keinen gewöhnlichen Aufenthalt in
Deutschland. Damit kommen die Vorschriften der §§ 80, 83 b Abs. 2 IRG nicht zur
Anwendung.
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Der nach § 35 Abs. 1 Nr. 1 IRG erforderliche Nachweis , dass der Verfolgte Gelegenheit
hatte sich zu dem Ersuchen zu äußern, ist geführt.
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