Urteil des OLG Köln vom 10.01.2000

OLG Köln: gesetzlicher vertreter, auflage, gerichtsbarkeit, meinung, form, abweisung, beteiligter, vertretung, verfahrensmangel, rüge

Oberlandesgericht Köln, 16 WX 193/99
Datum:
10.01.2000
Gericht:
Oberlandesgericht Köln
Spruchkörper:
16. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
16 WX 193/99
Normen:
WEG § 43; FGG § 12; TATBESTAND IN DER WEG-ENTSCHEIDUNG;
Leitsätze:
Tatbestand in der WEG-Entscheidung
WEG § 43; FGG § 12 Die Vorschriften der ZPO über den Tatbestand
gelten für die Beschwerdeentscheidung im WEG- Verfahren weder
unmittelbar noch analog. Dennoch muss aus der Entscheidung
zweifelsfrei hervorgehen, von welchem Sachverhalt das Gericht
ausgegangen ist und wie es ihn festgestellt hat. Fehlen diese Angaben
ganz oder sind sie nur undeutlich und zu Zweifeln Anlaß gebend der
Entscheidung zu entnehmen, so muß die Entscheidung auf die weitere
Beschwerde hin aufgehoben und zurückverwiesen werden.
16 Wx 193/99 29 T 77/99 - LG Köln - 202 II 430/97 - AG Köln -
OBERLANDESGERICHT KÖLN B E S C H L U S S
In der Wohnungseigentumssache
betreffend die Wohnungseigentumsanlage pp.
an der beteiligt sind
pp.
hat der 16. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Köln durch seine
Mitglieder Dr. Schuschke, Jennissen und Appel-Hamm
am 10.01.2000
-
Rechtskraft:
unanfechtbar
Tenor:
Die sofortige weitere Beschwerde der Antragsteller gegen den
Beschluss der 29. Zivilkammer des Landgerichts Köln vom 24.11.1999 -
29 T 77/99 - wird zurückgewiesen.
Die Antragsteller haben die Gerichtskosten des
Rechtsbeschwerdeverfahrens zu tragen.
Eine Erstattung außergerichtlicher Kosten wird für das
Rechtsbeschwerdeverfahren nicht angeordnet.
Der Geschäftswert für das Rechtsbeschwerdeverfahren wird auf
5.000,00 DM festgesetzt.
G r ü n d e
1
I.
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Die form- und fristgerecht eingelegte sofortige weitere Beschwerde ist zulässig;
insbesondere führen die von einigen Antragsgegnern in den Tatsacheninstanzen
geltend gemachten Zweifel an der Verfahrensfähigkeit des Beteiligten zu 2., der
zugleich gesetzlicher Vertreter der Beteiligten zu 1. ist, nicht zur Unzulässigkeit des
Rechtsmittels oder dazu, dass der Senat nunmehr zum Zwecke der Feststellung der
Zulässigkeit der weiteren Beschwerde den Bedenken gegen die Verfahrensfähigkeit
durch Sachaufklärung nachgehen müsste. Jedenfalls in den Streitverfahren der
Freiwilligen Gerichtsbarkeit gelten nämlich bezüglich der im Gesetz nicht gesondert
geregelten Verfahrensfähigkeit zivilprozessuale Grundsätze entsprechend (vgl.
Weitnauer/Hauger WEG 8. Auflage, Anh. § 43 Rd. 15;
Keidel/Kuntze/Winkler/Zimmermann, FG 14. Auflage, § 13 Rd. 53). Dies hat die Folge,
dass das Rechtsbeschwerdegericht, ähnlich wie ein Revisionsgericht (vgl. hierzu
Zöller/Vollkommer, ZPO 21. Auflage, § 56 Rd. 2) nicht gehalten ist, selbst die Frage der
Verfahrensfähigkeit durch eine Beweisaufnahme zu klären, sondern das Rechtsmittel in
der Sache bescheiden, ggfls. - wenn es darauf ankommt - dem Beschwerdegericht unter
Aufhebung der angefochtenen Entscheidung die zur Klärung der Verfahrensfähigkeit
eines Beteiligten erforderlichen Feststellungen übertragen kann (vgl. BGH NJW-NJW-
RR 1986, 157; Vollkommer a.a.O.).
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II.
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In der Sache hat das Rechtsmittel keinen Erfolg. Die Entscheidung des Landgerichts ist
aus Rechtsgründen, die allein Gegenstand des Rechtsbeschwerdeverfahrens sein
können (§§ 27, 550 ZPO), im Ergebnis nicht zu beanstanden.
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1. Die Verfahrensrüge der Antragsteller, dass die angefochtene Entscheidung keinen
"Tatbestand" enthalte, greift nicht durch.
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Die Vorschriften der Zivilprozessordnung über den Tatbestand als Teil eines Urteils (§§
313 Abs. 1 Nr. 5, 543 Abs. 2 ZPO) gelten im Verfahren der Freiwilligen Gerichtsbarkeit
nicht unmittelbar. Vielmehr schreibt das Gesetz in § 25 FGG für die
Beschwerdeentscheidung nur vor, dass diese mit Gründen zu versehen ist. Zu dieser
Begründung ist es allerdings allgemeine Meinung, dass sich aus ihr auch ergeben
muss, von welchem Sachverhalt das Beschwerdegericht ausgegangen ist und wie es
ihn festgestellt hat. Dazu bedarf es grundsätzlich einer vollständigen Darstellung der
tatsächlichen Grundlagen, wobei eine ergänzende konkrete Bezugnahme zulässig ist.
Fehlt hingegen ein Sachverhalt überhaupt, ist dieser insbesondere nicht oder nur so
undeutlich der Entscheidung zu entnehmen, dass die Richtigkeit des gefundenen
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Ergebnisses vom Rechtsbeschwerdegericht nicht überprüft werden kann, ist regelmäßig
ein sogenannter absoluter Revisionsgrund gegeben, der zur Aufhebung und
Zurückverweisung einer Sache nötigt (vgl. z. B. BayObLG NJW-RR 1998, 1014; KG
NJW-RR 1994, 599; OLG Zweibrücken NJW-RR 1999, 1174; OLG Köln - 2. ZS - NJW-
RR 1987, 223, 224 u. ZIP 1989, 572, 575; Bärmann/Pick/Merle, WEG 8. Auflage, § 45
Rd. 66).
Gemessen an diesen Maßstäben enthält der angefochtene Beschluss die wesentlichen
Elemente. Es wird nämlich eingangs der Gründe Bezug genommen auf den Beschluss
des Amtsgerichts, was dann zulässig sein kann, wenn sich der Sach- und Streitstand
bereits aus der erstinstanzlichen Entscheidung ergibt und sich im Beschwerdeverfahren
nicht geändert hat (vgl. BayObLG a.a.O., OLG Zweibrücken a.a.O.).
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Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Die Entscheidung des Amtsgerichts enthält eine
zwar knappe, aber präzise und letztlich erschöpfende Kennzeichnung des Begehrens
der Antragsteller sowie der Rechtsverteidigung der Antragsgegner zu 5. und 6.
Substantiell Neues ist auch im Beschwerdeverfahren nicht vorgetragen worden.
Geändert hat sich nur die Fassung des Antrags der Antragsteller, die in erster Instanz
dahin ging, dass die Antragsgegner die "materiellen Mehrkosten, die sich aus der
Weigerung der Übernahme bestandskräftiger Beschlüsse für die Antragsteller ergeben"
zu tragen haben und mit Schriftsatz vom 19.10.1999 dahingehend neu formuliert wurde,
dass die Antragsgegner verurteilt werden sollen, "die künftigen anteiligen Kosten der
Antragsteller aus deren Teileigentum verbunden mit den Miteigentumsanteilen für den
steckengebliebenen Bau zu tragen". Der Begründung des letztgenannten Antrags ist
wiederum zu entnehmen, dass es den Antragstellern, die nicht in der Lage waren,
aufzuzeigen, was sich eigentlich genau wollen, wohl um nichts anderes als in der ersten
Instanz geht. Wenn dem aber so ist, ist auch der neue "Antrag" beschieden. Im WEG-
Verfahren ist das Gericht - abgesehen von dem hier nicht vorliegenden Fall eines
Beschlussanfechtungsantrags nach § 23 Abs. 4 WEG - grundsätzlich nicht an die
Anträge der Beteiligten gebunden, sondern hat - sofern möglich - den wirklichen Willen
der Antragsteller zu erforschen und diesen zu bescheiden (vgl. BayObLG NZM 1999,
1148 = ZMR 1999, 847; Senat OLGR Köln 1998, 242 = NZM 1998, 970 = ZMR 1999,
727 m. Anm. Rau; Merle a.a.O. § 44 Rd. 34). Letzteres ist geschehen.
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2. Rechtsfehlerfrei haben die Vorinstanzen bereits die Zulässigkeit des Begehrens
wegen Fehlens eines Feststellungsinteresses verneint.
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Zutreffend ist die Auslegung des ursprünglichen Antrags durch das Amtsgericht
dahingehend, dass es sich um einen Feststellungsantrag handelt, woran sich auch
durch den neuen Antrag im Beschwerdeverfahren nichts geändert. Feststellungsanträge
sind im WEG-Verfahren zulässig, bedürfen aber in entsprechender Anwendung des §
256 eines Feststellungsinteresses als besonderer Form des Rechtsschutzbedüfnisses,
das regelmäßig z. B. dann fehlt, wenn ein Leistungsantrag möglich ist (vgl. Merle a.a.O.
§ 44 Rd. 31).
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Hier ist aber - wie das Amts- und Landgericht zutreffend ausgeführt haben - dem
Vorbringen der Antragsteller nicht zu entnehmen, was sie eigentlich wollen,
insbesondere welche derzeit noch nicht bezifferbaren Schäden sie erlitten haben
könnten. Damit lässt sich nicht feststellen ob ein Feststellungsinteresse besteht.
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In diesem Zusammenhang greift auch die Rüge der Antragsteller, das Landgericht habe
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in Ausübung seiner Amtsermittlungspflicht den Sachverhalt weiter aufklären müssen,
nicht durch.
Das Landgericht hat gemeint, ohne Vorliegen konkreter Anhaltspunkte im Vortrag der
Antragsteller nicht verpflichtet zu sein, der Frage eines möglichen Ersatzanspruchs
nachzugehen. Dies hat der Senat - auch soweit es um die Feststellung von
Verfahrensvoraussetzungen geht - grundsätzlich hinzunehmen, da die Entscheidung
über den Umfang der nach § 12 FGG anzustellenden Ermittlungen Sache des
Tatrichters ist (vgl. BayObLG NJW-NJW-RR 1992, 974 = WuM 1992, 324 = DWE 1992,
78; Merle a.a.O. § 44 Rd. 4) und nur auf Rechtsfehler überprüft werden kann.
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Rechtsfehler liegen aber nicht vor; vielmehr trifft der rechtliche Ansatzpunkt des
Landgerichts zu. Die Ermittlung der für die Entscheidung maßgeblichen Tatsachen von
Amts wegen gem. § 12 FGG sind im WEG-Verfahren als echtem Streitverfahren der
Freiwilligen Gerichtsbarkeit Grenzen gesetzt durch die Mitwirkungs- und
Verfahrensförderungspflichten der Beteiligten. Es obliegt ihnen, durch das substantiierte
Vorbringen des ihnen bekannten Sachverhalts dem Gericht Anhaltspunkte dafür zu
liefern, in welche Richtung es Ermittlungen anzustellen hat. Unsubstantiierter oder zu
pauschaler Vortrag der Parteien ist zwar nicht von vornherein unbeachtlich, sondern
muss ggfls. Anlass für das Gericht sein, auf eine Vervollständigung hinzuwirken, die
gegebenenfalls eine Beweiserhebung möglich macht (vgl. BayObLG NZI 1999, 27;
Senat OLGR Köln 1995, 187). Ein Beteiligter kann aber nicht erwarten, dass das Gericht
allen nur denkbaren Möglichkeiten nachgeht. Vielmehr besteht im WEG-Verfahren die
Ermittlungspflicht des Gerichts nur insoweit, als der Vortrag der Beteiligten oder der im
übrigen festgestellte Sachverhalt Anlass hierzu gibt (vgl. BayObLG WE 1991, 25; OLG
Düsseldorf WE 1997, 311 u. 426; Merle a.a.O. § 44 Rd. 8; Staudinger/Wenzel, WEG
Vorbem. zu §§ 43 ff. Rd. 7). Die Meinung des Landgerichts, dass es bereits hieran fehle,
ist plausibel und rechtsfehlerfrei.
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3. Die nachvollziehbar unter Vorlage eines Zwischenbescheids der Staatsanwaltschaft
vom 15.09.1997 vorgebrachten Bedenken gegen die Verfahrensfähigkeit des Beteiligten
zu 2. zwingen nicht zu einer Aufhebung und Zurückverweisung der Sache. Vielmehr
kann der Senat in der Sache selbst entscheiden, weil die - nach den o. a. Ausführungen
rechtsfehlerfreie - Abweisung des Antrags ebenfalls auf das Fehlen einer
Verfahrensvoraussetzung gestützt ist.
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Das Landgericht hat das Begehren der Antragsteller nicht etwa als nicht begründet
zurückgewiesen, ihnen also nicht etwa trotz Zweifeln an der Verfahrensfähigkeit des
Beteiligten zu 2. und damit einer ordnungsgemäßen Vertretung der Beteiligten zu 1.
Ansprüche aberkannt, sondern es wegen Fehlens einer besonderen
Verfahrensvoraussetzung als unzulässig angesehen. Auch die Verfahrensfähigkeit ist
als Verfahrens(handlungs)voraussetzung ein Merkmal, das "nur" die Zulässigkeit des
Antrags betrifft. Wenn aber - wie hier - eine an sich vorrangig zu prüfende
Zulässigkeitsfrage (Verfahrensfähigkeit) zweifelhaft ist und nur durch eine u. U.
aufwendige Sachaufklärung festgestellt werden kann, während das Fehlen einer
weiteren Verfahrensvoraussetzung (Feststellungsinteresse) auf der Hand liegt, ist es
zulässig, eine abweisende Prozessentscheidung auf den am leichtesten feststellbaren
Verfahrensmangel zu stützen (vgl. Zöller/Greger a.a.O. Vor § 253 Rd. 11; Thomas/Putzo,
ZPO 22. Auflage, Vor § 253 Rd. 14.). Ob hierbei das Prinzip möglichst geringer
Präjudizierung eines etwaigen Folgeprozesses zu beachten ist (so
SteinJonas/Schumann, ZPO 21. Auflage, Vor § 253 Rd. 131), bedarf keiner
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Entscheidung, da wegen der Möglichkeit, ein etwaiges negatives Gutachten zur
Verfahrensfähigkeit des Beteiligten zu 2. im Wege des Freibeweises in einem
Folgeverfahren zu berücksichtigen, die Verneinung eines Feststellungsinteresses die
Antragsteller ohnehin am wenigsten belastet.
4. Soweit die Vorinstanzen die Antragsteller nicht nur mit den Gerichtskosten belastet,
sondern auch eine Erstattung außergerichtlicher Kosten der Antragsgegner angeordnet
haben, liegen die jeweils näher begründetne Entscheidungen innerhalb des durch § 47
WEG eingeräumten Ermessens.
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Es ist auch angemessen, dass die Antragsteller die Gerichtskosten ihrer erfolglosen
Rechtsbeschwerde zu tragen haben. Von einer Anordnung der Erstattung
außergerichtlicher Kosten konnte jedoch abgesehen werden, weil der Senat die
Beteiligten zu 3. bis 17. angesichts der eindeutigen Sach- und Rechtslage am
Rechtsbeschwerdeverfahren nicht beteiligt hat.
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Die Festsetzung des Geschäftswerts folgt aus § 48 WEG und entspricht den
unbeanstandet gebliebenen Wertfestsetzungen der Vorinstanzen.
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Dr. Schuschke Appel-Hamm Jennissen
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