Urteil des OLG Köln vom 27.04.1998

OLG Köln (treu und glauben, zpo, schutzwürdiges interesse, wirtschaftliche leistungsfähigkeit, besonderer umstand, gläubiger, umstände, sittenwidrigkeit, vollstreckung, bürgschaft)

Oberlandesgericht Köln, 13 U 16/98
Datum:
27.04.1998
Gericht:
Oberlandesgericht Köln
Spruchkörper:
13. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
13 U 16/98
Vorinstanz:
Landgericht Aachen, 10 O 288/97
Normen:
BGB §§ 138, 242, 826; ZPO § 767 II; BVERFGG § 79 II 3
Leitsätze:
Die neuere Rechtsprechung des BGH zur Inanspruchnahme nicht
leistungsfähiger Ehegatten als Bürgen oder Mitschuldner begründet
weder unter dem Gesichtspunkt der Nichtigkeit der Mitverpflichtung
wegen Sittenwidrigkeit (§ 138 BGB) noch unter dem Gesichtspunkt
eines Wegfalls der Geschäftsgrundlage (§ 242 BGB) nach dem Tode
des anderen Ehegatten einen neuen Umstand i.S.d. § 767 Abs. 2 ZPO
für die Erhebung einer Abwehrklage gegen einen rechtskräftigen
Vollstreckungsbescheid.
Rechtskraft:
unanfechtbar
Tenor:
Der Antrag der Klägerin auf Bewilligung von Prozeßkostenhilfe für das
Berufungsverfahren wird zurückgewiesen.
G r ü n d e :
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Der Antrag der Klägerin auf Gewährung von Prozeßkostenhilfe für das
Berufungsverfahren war zurückzuweisen, weil ihre Berufung keine hinreichende
Erfolgsaussicht bietet, § 114 ZPO.
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Zutreffend hat das Landgericht die Klage mit dem Hinweis darauf, daß die Klägerin mit
ihren Einwendungen gemäß § 767 Abs. 2 ZPO ausgeschlossen ist, abgewiesen. Auch
das Berufungsvorbringen führt zu keiner anderen Beurteilung der Sach- und
Rechtslage.
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1.
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Zutreffend führt die Klägerin in der Berufungsbegründung allerdings an, daß nach der
neueren Rechtsprechung des IX. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs (seit BGHZ 128,
230 ff = NJW 1995, 592) die Inanspruchnahme des finanziell überforderten Ehegatten,
der sich für ein den Umfang üblicher Konsumentenkredite übersteigendes Darlehn
verbürgt hat, unter bestimmten Voraussetzungen gegen Treu und Glauben verstößt.
Dies ist unter anderem dann der Fall, wenn der bürgende Partner kein eigenes
Einkommen oder Vermögen hat und die seine wirtschaftliche Leistungsfähigkeit weit
übersteigende Bürgschaftsverpflichtung lediglich verhindern soll, daß der Gläubiger
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durch Vermögensverlagerungen Nachteile erleidet, und wenn feststeht, daß diese
Gefahr sich nicht mehr realisiert (BGH a.a.O.). Ein solcher Wegfall der Gefahr von
Vermögensverschiebungen wird bei endgültiger Auflösung der Lebensgemeinschaft
bejaht (BGH a.a.O.; BGH NJW 1996, 2088), wie sie etwa bei Scheidung oder Tod eines
Ehepartners eintreten kann.
Es erscheint bereits fraglich, ob der hier in Rede stehende Bürgschaftsbetrag von
50.000 DM nebst Zinsen den Rahmen eines Konsumentenkredits übersteigt (vgl. dazu
Ganter, Anmerkung zu OLG Köln, WM 1997, 1095 = WuB IV A § 826 BGB 1.97). Eine
Entscheidung darüber kann vorliegend indes offenbleiben, weil die Beklagte die
Klägerin nicht aus der Bürgschaft in Anspruch nimmt. Die Forderung der Beklagten ist
nämlich bereits durch Vollstreckungsbescheid vom 10. September 1993 tituliert, so daß
im Rahmen der von der Klägerin im vorliegenden Verfahren erhobenen
Vollstreckungsgegenklage § 767 Abs. 2 ZPO zu beachten ist. Die Gefahr einer
Vermögensverlagerung vom Ehemann der Klägerin auf diese ist durch den Tod des
Ehemannes im Jahre 1995, d.h. nach dem Erlaß des Vollstreckungsbescheides
tatsächlich entfallen, so daß grundsätzlich an eine Geltendmachung dieses Einwands
im Rahmen einer Vollstreckungsgegenklage zu denken ist. Gleichwohl ist die Klägerin
mit diesem Vorbringen gemäß § 767 Abs. 2 ZPO präkludiert:
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Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs gewinnt der von dem Schutz vor
Vermögensverlagerungen zwischen Hauptschuldner und Bürge bestimmte Zweck des
Bürgschaftsvertrages nämlich nicht erst dann Bedeutung, wenn die Geschäftsgrundlage
entfallen ist, sondern der besondere Vertragszweck der Bürgschaft ist gleichermaßen zu
beachten, solange die Lebensgemeinschaft zwischen Hauptschuldner und Bürge
besteht (BGHZ 128, 230, 235 = NJW 1995, 592; BGH NJW 1997, 1003, 1004). Wird zum
Beispiel die Haftung nur übernommen, um dem Gläubiger die Möglichkeit einzuräumen,
auf Vermögen zuzugreifen, das möglicherweise später einmal in der Person des
Partners entsteht, spricht dies für einen übereinstimmenden Willen beider
Vertragspartner, daß der Gläubiger aus der Verpflichtung des Bürgen keine Ansprüche
herleiten darf, solange dieser finanziell nicht leistungsfähig ist (BGH a.a.O.). Dieser
Einwand aus § 242 BGB ist dem Bürgen bei seiner Inanspruchnahme aus der
Bürgschaft jederzeit möglich.
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Selbst dort, wo im Einzelfall die Erklärungen der Parteien eine derartige Auslegung
nicht zulassen, ist der Gläubiger nach Treu und Glauben gemäß § 242 BGB gehindert,
den von Anfang an erkennbar wirtschaftlich nicht leistungsfähigen Bürgen in Anspruch
zu nehmen, solange in dessen Person kein Vermögen entstanden ist. Denn die
Ausübung gesetzlicher oder vertraglicher Rechte ist ausnahmsweise nicht gestattet,
wenn sie dem Zweck der Norm oder der getroffenen Vereinbarung eindeutig nicht
entspricht sowie beachtliche Belange des anderen verletzt und der Berechtigte kein
schutzwürdiges Interesse an der Durchsetzung des erhobenen Anspruchs hat (BGH
a.a.O. mit zahlreichen weiteren Nachweisen). Die Bürgschaft des einkommens- und
vermögenslosen Ehegatten gewinnt grundsätzlich erst durch das anzuerkennende
Bedürfnis der Bank, sich vor Vermögensverlagerung zu schützen, eine rechtlich
tragfähige Basis. Daher darf das Kreditinstitut nicht den Bürgen in Anspruch nehmen,
der weiterhin vermögenslos ist, in dessen Person also die Tatsachen (noch) nicht
eingetreten sind, die der Bank den Zugriff wegen ihrer Forderung gegen den
Hauptschuldner ermöglichen sollen. Nur diese Einschränkung der Rechtsverfolgung
vermeidet eine nicht hinzunehmende Unausgewogenheit des Vertragsverhältnisses zu
Lasten des Bürgen. Eine Klage des Gläubigers gegen den Bürgen ist damit als zur Zeit
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unbegründet abzuweisen, wenn der von Anfang an erkennbar finanziell nicht
leistungsfähige Bürge kein Vermögen erworben hat (BGH a.a.O.). Der Wegfall der
Geschäftsgrundlage durch Beendigung der Lebensgemeinschaft zwischen
Hauptschuldner und Bürge führt lediglich dazu, daß aus einem schon vorher
begründeten vorübergehenden Einwand ein endgültiger Einwand wird.
Auf den konkreten Fall angewandt haben diese Grundsätze zur Folge, daß die Klägerin
bei der Inanspruchnahme durch das Kreditinstitut bereits die zu dieser Zeit möglichen
Einwendungen geltend machen mußte, um mit dem Einwand aus § 242 BGB nicht
durch § 767 Abs. 2 ZPO präkludiert zu sein. Dies hat die Klägerin - unstreitig - nicht
getan. Vielmehr hat sie, ohne sich gegen die Inanspruchnahme zur Wehr zu setzen,
Vollstreckungsbescheid gegen sich ergehen lassen, obwohl nach ihrem Vorbringen die
tatsächliche Voraussetzung für einen Einwand aus § 242 BGB, nämlich ihre anhaltende
Vermögenslosigkeit, schon zum damaligen Zeitpunkt vorgelegen hat. Die veränderte
Situation aufgrund des Todes ihres Ehemanns im Jahr 1995 stellt für sich genommen
keinen neuen, selbständigen Einwand i.S.d. § 767 Abs. 2 ZPO dar. Denn - wie oben
dargestellt - führt der Wegfall der Geschäftsgrundlage nur dazu, daß der aus § 242 BGB
herzuleitende Einwand der fehlenden Leistungsfähigkeit vom vorübergehenden zum
endgültigen Einwand wird. Damit aber hätte er bereits vor bei Erlaß des
Vollstreckungsbescheids geltend gemacht werden können und müssen. Zum jetzigen
Zeitpunkt ist die Klägerin damit gem. § 767 Abs. 2 ZPO ausgeschlossen.
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2.
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Die Vollstreckungsgegenklage hat auch insofern keine Aussicht auf Erfolg, als sich die
Klägerin - hilfsweise - auf die Unwirksamkeit ihrer Schuldmitübernahmeverpflichtung
gemäß § 138 BGB beruft. Eine Entscheidung der Frage, ob die Mitverpflichtung der
Klägerin sittenwidrig im Sinne des § 138 BGB ist, kann im Rahmen dieser Prüfung
dahinstehen. Jedenfalls ist die Klägerin mit dem Einwand der Sittenwidrigkeit ebenfalls
gem. § 767 Abs. 2 ZPO präkludiert. Die Änderung der Rechtsprechung führt nämlich
nicht zu einer Änderung der tatsächlichen Verhältnisse im Rahmen des § 767 Abs. 2
ZPO ( Karsten Schmidt in Münchner Kommentar, ZPO, Band 2 1992, § 767 Rdnr. 70 mit
zahlreichen weiteren Nachweisen; Zöller - Herget, ZPO, 20. Auflage 1997, § 767 Rdnr.
13 m.w.N.; vgl. auch Eckardt, Vollstreckungsgegenklage aufgrund der neuen
Rechtsprechung zu Bürgschaften Familienangehöriger? MDR 1997, 621, 622).
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Ein anderes Ergebnis läßt sich auch nicht aus § 79 Abs. 2 Satz 3 BVerfGG herleiten.
Die Voraussetzungen des § 79 Abs. 2 Satz 3 BVerfGG sind nämlich für Fälle
vergleichbarer Art auch nach der Grundsatzentscheidung des
Bundesverfassungsgerichts vom 19. Oktober 1993 (BVerfGE 89, 214 = NJW 1994, 36)
zur Frage der Inhaltskontrolle von Bürgschaften einkommens- und vermögensloser
Familienangehöriger nicht gegeben. Voraussetzung für die Anwendung des § 79 Abs. 2
Satz 3 BVerfGG ist nämlich, daß eine ansonsten nicht mehr anfechtbare Entscheidung
auf einer verfassungswidrigen Norm beruht. Das Bundesverfassungsgericht hat aber in
seinem Grundsatzurteil weder eine Norm des Zivilrechts (etwa § 138 BGB oder eine
Vorschrift aus dem Bürgschaftsrecht der §§ 765 ff. BGB) für nichtig erklärt, noch deren
Unvereinbarkeit mit der Verfassung festgestellt ( BVerfG a.a.O.; OLG Stuttgart NJW
1996, 1683,1684; vgl. auch Eckardt a.a.O.,623 m.w.N.). Es hat vielmehr lediglich den
Bundesgerichtshof aus konkretem Anlaß eines zu entscheidenden Sachverhalts zu
einer sachgerechten, alle Interessen der streitenden Parteien berücksichtigenden
Rechtsanwendung der nach wie vor gültigen und verfassungsgemäßen Vorschrift des §
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138 BGB angehalten (OLG Stuttgart a.a.O.).
Auch eine analoge Anwendung des § 79 Abs. 2 Satz 3 BVerfGG kommt nicht in
Betracht. Angesichts der auch vom Bundesverfassungsgericht mit Verfassungsrang
versehenen Aspekte des Rechtsfriedens und der Rechtssicherheit muß es bei den
anerkannten, gesetzlich geregelten und auf extreme Ausnahmen zu beschränkenden
Möglichkeiten der Rechtskraftdurchbrechung bleiben, die einer weitergehenden
Auslegung und Ausweitung deshalb nicht zugänglich sein dürfen (OLG Stuttgart a.a.O.,
Eckardt a.aO. m.w.N.).
13
3.
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Schließlich geht die Berufung der Klägerin auf § 826 BGB, mit Hilfe dessen sie eine
Durchbrechung der Rechtskraft des Vollstreckungsbescheides erreichen will, ins Leere.
Die Zwangsvollstreckung aus einem bestehenden Titel verstößt nämlich nur dann
gegen § 826 BGB, wenn der Vollstreckungstitel objektiv unrichtig ist, der Gläubiger dies
weiß und weitere Umstände hinzutreten, die eine Ausnutzung des Titels in hohem Maße
unbillig und geradezu unerträglich erscheinen lassen. Dabei genügen die Umstände,
auf denen die materielle Unrichtigkeit des Titels beruht, allein in aller Regel nicht, um
zugleich auch die Sittenwidrigkeit der Vollstreckung zu begründen (OLG Köln WM 1997,
1095). Die Mitverpflichtung eines Ehegatten ist nicht schon deshalb sittenwidrig, weil die
Rückzahlungsverpflichtungen und Zinsbelastungen die eigene Leistungsfähigkeit des
Verpflichteten übersteigen. Vielmehr muß der Ehegatte durch zusätzliche, dem
Gläubiger zurechenbare Umstände in seiner Entscheidungsfreiheit beeinträchtigt sein,
so daß ein unerträgliches Ungleichgewicht zwischen den Vertragspartnern entstanden
ist (OLG Köln a.a.O. Seite 1096). Auch bei einem Vollstreckungsbescheid - wie hier -
bedarf es zusätzlicher besonderer Umstände, um die Vollstreckung als sittenwidrig
erscheinen zu lassen, wobei nicht allein der Umstand genügt, daß der
Vollstreckungsbescheid ohne gesetzliche Prüfung der materiellen Rechtslage erlassen
worden ist (OLG Köln a.a.O. unter Bezugnahme auf BGH NJW 1987, 3256, 3257).
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Eine Sittenwidrigkeit der Vollstreckung käme dann in Betracht, wenn die
Schuldmitübernahme durch die Klägerin gemäß § 138 BGB sittenwidrig wäre. Diese
Voraussetzungen sind jedoch nicht gegeben. Es fehlen nämlich gewichtige Umstände,
die eine Begründung der Verbindlichkeit als sittlich unerträglich erscheinen lassen. Die
Mitverpflichtung für einen Kredit von 50.000,00 DM mit monatlichen Raten von 991,40
DM bedeutete zwar eine ungewöhnliche Belastung der einkommens- und
vermögenslosen Klägerin. Ausweislich ihres eigenen Vortrags hatte ihr Ehemann
diesen Betrag aber aufgenommen, um sich als Techniker selbständig zu machen. Der
Kredit war also dazu gedacht, für den Ehemann der Klägerin eine selbständige Existenz
aufzubauen und damit auch die Lebensgrundlage der Familie zu sichern. Eine
Mitverpflichtung für diesen Kredit erscheint unter diesen Umständen nicht als sittlich
verwerflich, insbesondere erscheint auch die Kredithöhe für den vorgenannten Zweck
nicht ungewöhnlich hoch.
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Schließlich läßt sich ein besonderer Umstand, der die Vollstreckung als sittenwidrig
erscheinen ließe, auch nicht daraus entnehmen, daß die Beklagte einen Mahnbescheid
und einen Vollstreckungsbescheid gegen die Klägerin erwirkt hat. Dies könnte nämlich
allenfalls dann zur Sittenwidrigkeit führen, wenn die Beklagte erkennen mußte, daß eine
gerichtliche Schlüssigkeitsprüfung zu einer Ablehnung des Klagebegehrens geführt
hätte (OLG Köln a.a.O. m.w.N.). Dies war vorliegend bereits deshalb nicht der Fall, weil
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die Grundsatzentscheidung des Bundesverfassungsgerichts, der die Änderung der
Rechtsprechung folgte, erst nach Erlaß des Vollstreckungsbescheides ergangen ist (vgl.
dazu OLG Düsseldorf, OLGR 1997, 32).
Der Senat stellt eine Terminierung der Sache noch für 3 Wochen ab Zugang dieses
Beschlusses zurück, um der Klägerin Gelegenheit zu geben, zu entscheiden, ob sie die
Berufung auf eigene Kosten durchführen will.
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