Urteil des OLG Köln vom 20.05.1994

OLG Köln (afg, firma, arbeitnehmer, geschäftsführer, verurteilung, arbeitserlaubnis, kausalität, unterlassen, einlassung, betriebsleiter)

Oberlandesgericht Köln, Ss 193/94 (B) - 106 B -
Datum:
20.05.1994
Gericht:
Oberlandesgericht Köln
Spruchkörper:
1. Strafsenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
Ss 193/94 (B) - 106 B -
Tenor:
Das angefochtene Urteil wird aufgehoben. Der Betroffene wird
freigesprochen. Die Kosten des Verfahrens einschließlich der dem
Betroffenen erwachsenen not-wendigen Auslagen werden der
Staatskasse auferlegt.
G r ü n d e
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Das Amtsgericht hat den Betroffenen "wegen fahr-lässiger Ordnungswidrigkeit
gemäß den §§ 19 Abs. 1 Satz 6, 229 Abs. 1 Nr. 2 AFG" zu einer Geldbuße von 800,--
DM verurteilt.
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Das Amtsgericht hat folgendes festgestellt:
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"Der Betroffene ist als Geschäftsführer der Firma L. Großbaureinigung GmbH tätig. Er
ist gleichzeitig Prokurist der Firma L. Großbaureinigung KG. In seiner Eigenschaft als
Geschäftsführer der GmbH und Personalchef obliegt ihm ausschließlich die Tätig-keit
betreffend den Personalbereich.
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Die Firma L. befaßt sich mit Reinigung von Groß-bauten. Die zur Ausführung der
Reinigungsarbeiten benötigten Arbeitskräfte werden im wesentlichen vor Ort durch
die dort für die Firma L. tätigen Bezirksleiter eingestellt, denen u.a. auch kraft
Arbeitsvertrag die Kontrolle obliegt, ob die einzu-stellenden Arbeitnehmer über die
vorgeschriebenen amtlichen Arbeitserlaubnisse verfügen. Die Ein-stellung der
Arbeitnehmer wird mit den jeweiligen Arbeitsverträgen von den Bezirksleitern an das
dem Betroffenen unterstehende Personalbüro weitergelei-tet. Die dort tätige
Sekretärin ist ebenfalls un-terwiesen, darauf zu achten, daß die Arbeitserlaub-nisse
vorliegen. Ihr obliegen in eigener Verantwor-tung ebenfalls die jeweils erforderlichen
Meldungen an das Arbeitsamt.
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Im Zeitraum vom 25. Mai 1992 bis 9. Oktober 1992 und ab dem 2. November 1992
wurde die afghanische Staatsangehörige N. P. bei der Firma L. GmbH als
Reinigungskraft beschäftigt, obwohl ihr Antrag auf Erteilung einer Arbeitserlaubnis
vom 21. Mai 1992 mit Versagungsbescheid vom 15. Dezember 1992 zu-
rückgewiesen worden war und eine zwischenstaatliche Vereinbarung, die den
Verzicht auf die Erteilung einer Arbeitserlaubnis begründet, nicht vorgelegen hatte.
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Bei Anwendung der erforderlichen und ihm zumutbaren Sorgfalt hätte der Betroffene
die Beschäftigung der Arbeitnehmerin erkennen und unterbinden können."
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Zur Einlassung des Betroffenen heißt es im amtsge-richtlichen Urteil:
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"Der Betroffene hat den ihm zur Last gelegten Ver-stoß in tatsächlicher Hinsicht
eingeräumt, hierge-gen jedoch vorgebracht, daß es ihm bei der Vielzahl der
Einstellungsvorgänge - ca. 6.000 p.a. - nicht zuzumuten sei, jeden Einzelfall zu
überwachen. Der Überwachungspflicht sei durch entsprechende organi-satorische
Maßnahmen, nämlich die strikte, arbeits-vertraglich vorgesehene Anweisung an die
Bezirks-leiter, keine Arbeitnehmer einzustellen, die nicht über die erforderliche
Arbeitserlaubnis verfügen, sowie die Anweisung an seine Sekretärin, ebenfalls auf
das Vorhandensein einer Arbeitserlaubnis zu achten, Genüge getan. Im übrigen sei
er selbst nur mit dem "groben Rahmen" der Personalangelegenheiten befaßt; seine
Tätigkeit beschränke sich auf die Er-teilung von Vorgaben."
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Im Rahmen der rechtlichen Würdigung hat das Amtsge-richt im wesentlichen
folgendes ausgeführt:
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"Der Betroffene kann sich von dem gegen ihn erhobe-nen Vorwurf nicht dadurch
entlasten, daß die hier maßgeblichen Überwachungspflichten - unwiderlegt - auf
Mitarbeiter, vornehmlich die jeweils vor Ort tätigen Betriebsleiter, arbeitsvertraglich
abge-wälzt worden sind und er selbst - unwiderlegt - nur für den groben Rahmen der
Direktiven verantwortlich zeichnet... Der Betroffene hätte ... zumindest die
organisatorischen Grundvoraussetzungen schaffen müssen, um die in § 19 Abs. 1
AFG enthaltene Pflicht erfüllen zu können. Nach der eigenen Ein-lassung des
Betroffenen übernimmt dieser keine Kon-trolle, ob die bei der Firma L. GmbH
beschäftigten Arbeitnehmer im Besitz der nach § 19 Abs. 1 AFG er-forderlichen
Erlaubnis sind. Er verläßt sich viel-mehr allein auf die Zuverlässigkeit seiner Mitar-
beiter (Sekretärin und Betriebsleiter), ohne diese - zumindest stichprobenweise -
ausreichend zu über-wachen. Dieses Verhalten wird den an ihn gestellten
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Anforderungen nicht gerecht und begründet dessen ordnungswidrigkeitenrechtliche
Verantwortlichkeit im Sinne des § 9 Abs. 1 OWiG."
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Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen mit der Sach-rüge führt zur Aufhebung der
angefochtenen Ent-scheidung und zum Freispruch des Betroffenen.
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Das angefochtene Urteil ist materiell-rechtlich un-vollständig. Die Feststellungen
ergeben nicht, daß der Betroffene - in Form einer (hier allein in Betracht kommenden)
fahrlässigen Nebentäterschaft durch Unterlassen (vgl. KG JR 1972, 121, 122 und
VRS 70, 29, 30; Cramer in KK-OWiG § 130 Rn. 100) - gegen §§ 19 Abs. 1 Satz 6, 229
Abs. 1 Nr. 2 AFG verstoßen hat.
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Allerdings belegen die Feststellungen im angefoch-tenen Urteil ein pflichtwidriges
Verhalten des Betroffenen. Welche Maßnahmen ein Betriebsinhaber (hier: der
Betroffene als GmbH-Geschäftsführer nach § 9 Abs. 1 Nr. 1 OWiG) ergreifen muß, um
etwai-gen Verstößen gegen für seinen Betrieb geltenden Gebote und Verbote
vorzubeugen, hängt von den Umständen des Einzelfalles ab. Kann er betriebli-che
Aufgaben und Pflichten nicht selbst erfüllen, so muß er dafür geeignete Personen
bestellen und diese gelegentlich entweder selbst überprüfen oder durch andere -
etwa eine Revisionsabteilung - kontrollieren lassen (BGH NStE Nr. 1 zu § 130 OWiG;
vgl. zu § 9 OWiG: OLG Köln, 3. Strafsenat, VRS 66, 157, 158). Dabei sind
stichprobenartige, überraschende Prüfungen erforderlichen (BGH a.a.0. und BGHSt
25, 158, 163; OLG Köln a.a.0.; SenE vom 8. September 1987 - Ss 434/87 B - und vom
20. Okto-ber 1987 - Ss 514/87 B -, vgl. Göhler, OWiG, 10. Aufl., § 9 Rn. 37, 39 und §
130 Rn. 12, 15). Sie halten den Betriebsangehörigen nämlich vor Augen, daß
Verstöße entdeckt und gegebenenfalls geahndet werden können (BGH NStE a.a.0.;
vgl. BGH wistra 1982, 34). Ist allerdings abzusehen, daß stichpro-benartige
Kontrollen nicht ausreichen, um die ganze Wirkung zu erzielen, weil z.B. die
Überprüfung von nur einzelnen Vorgängen etwaige Verstöße nicht auf-decken
könnte, so ist der Betriebsinhaber zu ande-ren geeigneten Aufsichtsmaßnahmen
verpflichtet. In solchen Fällen kann es geboten sein, überraschend umfassendere
Geschäftsprüfungen durchzuführen. Wel-chen Umfang solche Prüfungen haben
müssen, ist eine Frage des Einzelfalls (BGH NStE a.a.0.).
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Im vorliegenden Fall hat der Betroffene die ihn als GmbH-Geschäftsführer treffende
Verpflichtung (Ga-rantenpflicht), die organisatorischen Grundvoraus-setzungen dafür
zu schaffen, daß die in Rede ste-hende Bestimmung des Arbeitsförderungsgesetzes
be-achtet wird, nicht erfüllt. Zu Recht hat das Amts-gericht angenommen, der
Betroffene habe sich nicht auf die Zuverlässigkeit seiner Mitarbeiter (Be-triebsleiter
und Sekretärin) verlassen dürfen, ohne diese "zumindest stichprobenweise"
ausreichend zu überwachen. Das Unterlassen jeglicher Aufsichtsmaß-nahmen war
unter keinem Gesichtspunkt gerechtfer-tigt (vgl. BGHSt 25, 158, 163).
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Durchgreifenden rechtlichen Bedenken begegnet das angefochtene Urteil
hinsichtlich der Frage der Kau-salität zwischen der - oben erörterten - Pflicht-
widrigkeit des Betroffenen und der Nichtbeachtung des § 19 Abs. 1 Satz 6 AFG.
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Eine Verurteilung des Betriebsinhabers (hier: des Betroffenen als GmbH-
Geschäftsführers) wegen einer in fahrlässiger Nebentäterschaft durch Unterlassen
begangenen Ordnungswidrigkeit nach § 19 Abs. 1 Satz 6, 229 Abs. 1 Nr. 2 AFG setzt
- wie die Verurteilung wegen einer Verletzung der Aufsichts-pflicht gemäß § 130
OWiG - die Feststellung eines hypothetischen Kausalverlaufs zwischen der pflicht-
widrig unterlassenen Überprüfungsmaßnahme und der im Betrieb von Mitarbeitern
begangenen Zuwi-derhandlung voraus (vgl. SenE vom 8. September 1987 - Ss
434/87 B - und vom 20. Oktober 1987 - Ss 514/87 B -; vgl. zur Kausalität
unterlassener Aufsichtsmaßnahmen auch BGH wistra 1982, 34; KG wistra 1985, 205;
Cramer in KK-OWiG, § 130 Rn. 97, § 10 Rn. 9-10, 32-34). Kann diese Frage der
Kausalität nicht mit an Sicherheit grenzender Wahr-scheinlichkeit bejaht werden,
kommt eine Verurtei-lung nicht in Betracht (vgl. BGH wistra 1982, 34; Cramer in KK-
OWiG, § 130 Rn. 97 m.w.N.).
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Hier hat das Amtsgericht zwar festgestellt, der Betroffene hätte bei Anwendung der
erforderlichen und ihm zumutbaren Sorgfalt die Beschäftigung der Arbeitnehmerin
erkennen und unterbinden können. Der Feststellung liegt aber keine der Überprüfung
durch das Rechtsbeschwerdegericht zugängliche Beweiswür-digung zugrunde.
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Aufgabe des Tatrichters ist es, im Rahmen der Beweiswürdigung eine Begründung
dafür zu geben, auf welchem Weg er zu den Feststellungen gelangt ist, die
Grundlage der Verurteilung geworden sind. Der Tatrichter muß für das Revisions-
/Rechtsbeschwerde-gericht nachprüfbar darlegen, daß seine Überzeugung auf
tragfähigen tatrichterlichen Erwägungen beruht. Der Beweis muß mit lückenlosen,
nachvollziehbaren logischen Argumenten geführt sein (so insgesamt: SenE vom 28.
August 1990 - Ss 381/90 = VRS 80, 34 m.N.).
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Im vorliegenden Fall sind zur oben bezeichneten Frage der Kausalität solche
Argumente indes nicht dargetan. Sie ergeben sich auch nicht etwa aus dem
Zusammenhang der Urteilsgründe.
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Wegen des aufgezeigten Mangels in der Darstellung der tatrichterlichen
Überzeugungsbildung ist das angefochtene Urteil aufzuheben.
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Der Senat kann den Betroffenen sogleich freispre-chen, da auszuschließen ist, daß
eine neue Haupt-verhandlung vor dem Tatgericht bei fehlerfreier
Überzeugungsbildung zu einer Verurteilung des Be-troffenen führen würde. Nach der
unwiderlegt ge-bliebenen - im angefochtenen Urteil mitgeteilten - Einlassung des
Betroffenen werden in dem Unterneh-men L. jährlich ca. 6.000
Beschäftigungsverhältnis-se abgeschlossen. Bei dieser großen Anzahl von Neu-
einstellungen erscheint die Nichtbeachtung des § 19 Abs. 1 Satz 6 AFG in einem
einzigen Fall als "Aus-reißer". Daß dieser Einzelfall durch vom Betroffe-nen
pflichtwidrig unterlassene Aufsichtsmaßnahmen vermieden worden wäre, ist mit der
erforderlichen Sicherheit nicht festzustellen.
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Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 46 Abs. 1 OWiG, 467 Abs. 1 StPO.
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