Urteil des OLG Köln vom 13.07.1995
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Oberlandesgericht Köln, 7 U 37/95
Datum:
13.07.1995
Gericht:
Oberlandesgericht Köln
Spruchkörper:
7. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
7 U 37/95
Vorinstanz:
Landgericht Aachen, 4 O 405/94
Schlagworte:
GEFÄHRLICHE STELLE; STREUPFLICHT DER GEMEINDE;
Leitsätze:
1. Zur Frage, wann eine "gefährliche Stelle" vorliegt und deshalb eine
Streupflicht der Gemeinde besteht. 2. Die innerhalb geschlossener
Ortslagen für verkehrswichtige und gefährliche Stellen bestehende
Streupflicht setzt an Werktagen im allgemeinen nicht vor 6 Uhr 30, an
Sonn- und Feiertagen im allgemeinen nicht vor 9 Uhr ein.
Tenor:
Die Berufung des Klägers gegen das am 11.01.1995 verkündete Urteil
der 4. Zivilkammer des Landgerichts Aachen - 4 O 405/94 - wird
zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens werden dem Kläger auferlegt.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
1
Die Berufung ist zulässig, hat aber in der Sache keinen Erfolg.
2
Das Landgericht ist mit Recht zu dem Ergebnis gelangt, daß der Beklagten eine
schuldhafte Verletzung der ihr obliegenden Streupflicht, für die sie nach § 839 BGB
i.V.m. Art. 34 GG auf Schadensersatz in Anspruch genommen werden könnte, nicht zur
Last fällt.
3
Die vom Landgericht offengelassene Frage, ob die Unfallstelle in der ...straße nach den
von der Rechtsprechung entwickelten Kriterien als verkehrswichtig einzustufen ist, kann
auch in der Berufungsinstanz offenbleiben, allerdings dürfte es entgegen der Auffassung
des Landgerichts genügen, daß die Straße den Durchgangsverkehr zu den Ortschaften
A. , S. und L. aufnimmt, die nach den eigenen Angaben der Beklagten zusammen knapp
2000 Einwohner zählen; damit handelt es sich offensichtlich nicht mehr um eine Straße,
die hauptsächlich oder auch nur überwiegend dem Anliegerverkehr dient). Eine
Streupflicht bestand an der Unfallstelle jedenfalls deshalb nicht, weil es sich nicht um
eine gefährliche Stelle handelte. Dies hat das Landgericht zutreffend festgestellt. Was
der Kläger dagegen mit der Berufung vorbringt, rechtfertigt keine andere Beurteilung.
4
Daß die Straße im Unfallbereich, wie der Kläger selbst vorträgt, eine "leichte
Linkskurve" beschreibt, reicht nicht aus. Nicht jede Kurve ist eine gefährliche Stelle. Auf
die Gefahren, die mit dem Durchfahren einer gewöhnlichen, weder besonders scharfen
noch durch sonstige Besonderheiten gekennzeichneten Kurve verbunden sind, können
und müssen sich die Straßenbenutzer einstellen, indem sie bei winterlicher Witterung
mit angepaßter Geschwindigkeit fahren.
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Ebensowenig reicht es aus, daß an der Unfallstelle, wie der Kläger behauptet, der
Straßenbelag wechselt. Es liegt auf der Hand, daß je nach Art der aufeinanderfolgenden
Beläge ein Wechsel nicht zwangsläufig von Nachteil ist, sondern für die Sicherheit auch
vorteilhaft oder bedeutungslos sein kann. Ohne nähere Angaben zur Art der Beläge und
ihrer Aufeinanderfolge läßt sich daher nicht beurteilen, ob der angebliche Wechsel der
Beläge ein die Fahrsicherheit bei Glätte negativ beeinflussender Umstand ist, der es
rechtfertigen könnte, eine gefährliche Stelle zu bejahen. Im übrigen ist aufgrund der von
der Beklagten in der Berufungsverhandlung vorgelegten Lichtbilder davon auszugehen,
daß es sich tatsächlich um nicht mehr als eine bloße Nahtstelle handelt, von der keine
Gefahren für den Verkehr ausgehen.
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Ob es eine Streupflicht begründen kann, daß sich zwischen den Häusern Nr. 167 und
Nr. 179 eine größere Baulücke befindet, bedarf im Ergebnis keiner Entscheidung. Wie
die Erörterung anhand des von der Beklagten vorgelegten Lageplans in der
Berufungsverhandlung ergeben hat, liegt die Unfallstelle nicht im Bereich der Baulücke,
sondern ein erhebliches Stück davon entfernt. Zwischen der unbebauten Parzelle Nr. 45
und dem Straßenbaum, an dem er mit seinem Pkw zum Stehen kam, legte der Kläger
eine Entfernung von rund 40 Metern zurück. Im Hinblick darauf ist wenig wahrscheinlich,
daß Glätte im Bereich der Baulücke für den Unfall ursächlich geworden ist. Insoweit ist
der erforderliche Kausalzusammenhang zwischen dem Unfall und der in Betracht zu
ziehenden Verletzung der Streupflicht im Bereich der Baulücke jedenfalls nicht positiv
feststellbar.
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Abgesehen davon muß die Klage auch deshalb erfolglos bleiben, weil sich der Unfall
an einem Sonntagmorgen um 8.56 Uhr und damit außerhalb der zeitlichen Grenzen der
Streupflicht ereignet hat.
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Die innerhalb geschlossener Ortslagen für verkehrswichtige und gefährliche Stellen
bestehende Streupflicht geht nicht soweit, daß die Fahrbahnen zu jeder Tages- und
Nachtzeit von Glätte freigehalten werden müssen. Vielmehr ist seit langem anerkannt,
daß die Streupflicht in den Morgenstunden erst mit dem Beginn des Haupt- oder
Berufsverkehrs einsetzt (BGH VersR 1958, 289, 290; BGHZ40, 379, 384; LM § 823-Eb-
BGB Nr. 20). Das bedeutet, daß an Werktagen im allgemeinen jedenfalls nicht vor 6.30
Uhr gestreut sein muß. An Sonn- und Feiertagen ist der Beginn der Hauptverkehrszeit in
Ermangelung eines für das Verkehrsaufkommen relevanten Berufsverkehrs erheblich
später anzusetzen. Der für Sonn- und Feiertage typische Ausflugsverkehr setzt, wenn er
nicht durch besondere örtliche Ereignisse beeinflußt wird, regelmäßig erst deutlich nach
8.00 Uhr ein. Fahrten zu Gottesdiensten und sonstigen sonn- oder feiertagsbedingten
Anlässen werden üblicherweise jedenfalls nicht vor 9.00 Uhr angetreten. Der Senat hält
es deshalb für sachgerecht, die zeitliche Grenze für den Beginn der Streupflicht an
Sonn- und Feiertagen für den Regelfall um 9.00 Uhr anzusetzen. Er folgt damit der
Rechtsprechung des Oberlandesgerichts Hamm (VersR 1988, 693).
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Daß sich der Unfall des Klägers nur 4 Minuten vorher ereignet hat, kann nicht dazu
führen, eine Pflichtverletzung auch außerhalb des für die Streupflicht geltenden
zeitlichen Rahmens zu bejahen. Ist der Eintritt von Rechtsfolgen an bestimmte Termine
oder Fristen geknüpft, so gebietet es die Rechtssicherheit, die hierdurch gezogenen
Grenzen auch dann zu beachten, wenn sie im Einzelfall nur geringfügig überschritten
werden. Das versteht sich für gesetzliche Fristen und Termine von selbst, gilt aber
entsprechend für zeitliche Grenzen, die im Interesse der Rechtssicherheit von der
Rechtsprechung gezogen werden.
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Entgegen der Auffassung des Klägers war die Beklagte auch nicht verpflichtet, die
Fahrbahn prophylaktisch schon am Vortag zu streuen, um der Glättebildung am
Sonntagmorgen entgegenzuwirken. Eine Pflicht zu vorbeugendem Streuen besteht
grundsätzlich nicht (BGHZ 40, 379, 381). Für eine Ausnahme ist hier schon deshalb
kein Raum, weil bei der unstreitig trockenen Witterung am Vortag noch nicht mit
Glättebildung gerechnet werden mußte.
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Eine Amtspflichtverletzung fällt der Beklagten schließlich auch nicht deshalb zur Last,
weil sie es unterlassen hat, in der ...straße ein auf Glatteis hinweisendes Warnschild
aufzustellen. Nach § 40 Abs. 1 Satz 2 StVO sind Gefahrzeichen nur dort angebracht, wo
eine Warnung unbedingt erforderlich ist, weil auch ein aufmerksamer
Verkehrsteilnehmer die Gefahr nicht oder nicht rechtzeitig erkennen kann und auch nicht
mit ihr rechnen muß. Davon kann hier nicht die Rede sein, weil die durch Baulücken
bedingte Neigung zu verstärkter Glättebildung eine allgemein bekannte
Naturerscheinung ist, auf die der sorgfältige Fahrzeugführer seine Fahrweise einrichten
kann. Sie ist allenfalls dann gefährlich, wenn die Baulücke nicht oder nicht rechtzeitig
erkennbar ist. Dafür ist hier nichts vorgetragen.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 708 Nr. 10 ZPO.
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Berufungsstreitwert und Wert der Beschwer: 24.185,25 DM.
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