Urteil des OLG Köln vom 27.04.2010
OLG Köln (abschluss des vertrages, verbraucher, widerrufsrecht, benutzung, ware, zustand, uwg, kosmetik, rücksendung, eugh)
Oberlandesgericht Köln, 6 W 43/10
Datum:
27.04.2010
Gericht:
Oberlandesgericht Köln
Spruchkörper:
6. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
6 W 43/10
Vorinstanz:
Landgericht Aachen, 42 O 18/10
Normen:
EG-RiLi 97/7 Art 6 Abs. 3; BGB § 312 c Abs. 1 S. 1 und d Abs. 4 Nr. 1; §
357 Abs. 3 BGB InfoV § 1 Abs. 1 Nr. 10 UWG § 4 Nr. 11
Tenor:
Auf die sofortige Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des
Landgerichts Aachen - 42 O 18/10 - vom 17.03.2010 abgeändert, soweit
der Antrag zurückgewiesen worden ist, und im Wege der
einstweiligen Verfügung
über die zu Nr. I des Beschlusses getroffene Anordnung hinaus
angeordnet:
1. Der Antragsgegner hat es bei Meidung eines vom Gericht für jeden
Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu
250.000,00 €, ersatzweise Ordnungshaft, oder von Ordnungshaft bis zu
sechs Monaten
zu unterlassen,
im Zusammenhang mit geschäftlichen Handlungen bei der Tätigkeit im
Fernabsatz Verbrauchern über den Online-Marktplatz eBay unter der
Domain "ebay.de" als Unternehmerin Kosmetikartikel anzubieten, wenn
im Rahmen der Information zum fernabsatzrechtlichen Widerrufsrecht für
Verbraucher folgende oder dieser inhaltsgleiche Bestimmung mitgeteilt
wird:
"Kosmetik kann nur in einem unbenutzten Zustand zurückgenommen
werden."
wie geschehen in dem nachfolgend auszugsweise wiedergegebenen
Angebot vom 18.02.2010 zu Artikelnummer 230436081908:
(Bild/Grafik nur in Originalentscheidung vorhanden)
2. Die Kosten des Verfahrens hat die Antragsgegnerin zu tragen.
G r ü n d e :
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Die nach §§ 567 Abs. 1 Nr. 2, 569 ZPO zulässige sofortige Beschwerde der
Antragstellerin gegen die Teilzurückweisung ihres Antrags auf Erlass einer
einstweiligen Verfügung hat in der Sache Erfolg. Als Mitbewerberin der Antragsgegnerin
kann sie – wovon auch das Landgericht ausgegangen ist –gemäß §§ 8 Abs. 1, Abs. 3
Nr. 1, 3 Abs. 1 und 2, 4 Nr. 11 UWG, § 312c Abs. 1 S. 1 BGB, § 1 Abs. 1 Nr. 10 BGB-
InfoV die Unterlassung einer falschen oder unzureichenden Belehrung der Verbraucher
über ihr Widerrufsrecht bei Fernabsatzverträgen nach §§ 312d, 355 BGB beanspruchen
(vgl. Senat, GRUR-RR 2008, 88; Köhler / Bornkamm, UWG, 28. Aufl., § 4 Nr. 11.170
m.w.N.). Die beanstandete Aussage, dass Kosmetik nur in einem unbenutzten Zustand
zurückgenommen werden könne, genügt den von Unternehmen zu beachtenden
Anforderungen an eine fehlerfreie Belehrung nicht und ist geeignet, die
Entscheidungsfreiheit der Verbraucher spürbar zu beeinträchtigen.
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Die von der Antragsgegnerin in § 3 Satz 2 der "Widerrufs- oder Rückgabebelehrung"
verwendete Bestimmung knüpft an den vorigen Satz an, der den Wortlaut des § 312d
Abs. 4 Nr. 1 BGB wiederholt, wonach das Widerrufsrecht unter anderem bei Verträgen
zur Lieferung von Waren ausgeschlossen ist, die "auf Grund ihrer Beschaffenheit nicht
für eine Rücksendung geeignet sind oder schnell verderben können". Der Versuch einer
Konkretisierung des auf Art. 6 Abs. 3 der Fernabsatzrichtlinie 97/7/EG beruhenden
Ausnahmetatbestandes, dessen wenig präzise Fassung (Erman / Saenger, BGB, 12.
Aufl., § 312d Rn. 20 ff., 24) verbreitet Lobbyeinflüssen zugeschrieben wird (Palandt /
Grüneberg, BGB, 69. Aufl., § 312d Rn. 8; Prütting / Wegen / Weinrich / Medicus, BGB, 4.
Aufl., § 312d Rn. 7; Becker / Föhlisch, NJW 2008, 3751), muss indessen als misslungen
angesehen werden.
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Die Formulierung der Antragsgegnerin lässt den Verbraucher nämlich darüber im
Unklaren, ab wann bei Kosmetikprodukten – als konkrete Verletzungsform ist das
Angebot von (Anti-Falten-) Gesichtscreme in einer Tube in Bezug genommen – sein
Widerrufsrecht ausgeschlossen sein soll. Dass er den noch in der Tube befindlichen
und insofern "unbenutzten" Teil der Creme in jedem Fall soll zurückgeben dürfen, liegt
allerdings fern. Ob jedoch erst die Entnahme eines größeren oder kleineren Teils der
Creme oder das bloße Öffnen der Tube oder die Entfernung einer Versiegelung oder
bereits das Öffnen einer etwa vorhandenen Original-Umverpackung als Beginn der
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Benutzung des Produkts gelten soll, kann der Verbraucher der Klausel nicht entnehmen.
Klarer wird der Belehrungstext im Streitfall auch nicht dadurch, dass in dem (im
Beschlusstenor nicht mehr eingeblendeten) weiteren Text des eBay-Angebots der
Zustand des Artikels als "Neuware – Ohne Karton" beschrieben wird. Ob ein
Ausschluss der Rücknahme "angebrochener Kosmetika" (vgl. Becker / Föhlisch, a.a.O.
[3755]; Palandt / Grüneberg, a.a.O. Rn. 9) sprachlich transparenter wäre, hat der Senat
nicht zu entscheiden. Im Ergebnis kommt es darauf auch nicht an.
Denn ein vollständiger Ausschluss des Widerrufsrechts für Kosmetikartikel nach dem
Öffnen der Primärverpackung (Tube, Dose oder Flasche) oder anderen
Benutzungshandlungen, wie er der beanstandeten Klausel mangels näherer
Anhaltspunkte entnommen werden muss, geht über die mit § 312d Abs. 4 Nr. 1 BGB in
deutsches Recht umgesetzte Regelung der Fernabsatzrichtlinie hinaus. Diese
Ausnahmevorschrift darf nicht in ein allgemeines Kriterium der Unzumutbarkeit des
Widerrufs wegen erheblicher Verschlechterung der zurückgesandten Waren für den
Unternehmer umgedeutet werden, dem im Fernabsatz grundsätzlich das für ihn in der
Regel mit wirtschaftlichen Nachteilen verbundene Rücknahmerisiko zugewiesen ist (vgl.
BGHZ 154, 239 = NJW 2003, 1665 [1666]; OLG Dresden, NJW-RR 2001, 1710 [1711];
MünchKomm / Wendehorst, BGB, 5. Aufl., § 312d Rn. 20; Staudinger / Thüsing, BGB
2005, § 312d Rn. 44; BeckOK BGB / Schmidt-Räntsch, § 312d Rn. 33; Erman / Saenger,
a.a.O., Rn. 20). Das Widerrufsrecht soll den Nachteil ausgleichen, der sich für den
Verbraucher aus der fehlenden Möglichkeit ergibt, das Produkt vor Abschluss des
Vertrages unmittelbar zu sehen und zu prüfen (vgl. Richtlinie 97/7/EG Erwägungsgrund
14; EuGH, NJW 2009, 3015 [Tz. 20] – Messner / Krüger). Damit sind nationale
Regelungen nicht ausgeschlossen, nach denen der Verbraucher für eine Benutzung
angemessenen Wertersatz zu zahlen hat (EuGH, a.a.O. [Tz. 26]; BGH [VIII. ZS], WRP
2010, 396 = NJW 2010, 989 [Rn. 32]), so dass die richtlinienkonform ausgelegte
Vorschrift des § 357 Abs. 3 BGB (vgl. zu darauf bezogenen Klauseln BGH, a.a.O. [Rn.
30 ff.]; Senat, GRUR 2008, 88 [91] – "Sofort-Kaufen"-Option; KG, GRUR-RR 2008, 131
ff. – Eigentümergebrauch) eingreift, sofern die "Benutzung" der gelieferten
Kosmetikartikel über den in Ladengeschäften möglichen und geduldeten Gebrauch
solcher Waren hinausgeht – wobei offen bleiben kann, ob dazu bereits das Öffnen der
Primärverpackung gehört, wenn der Verbraucher sich mangels anderer Prüfmöglichkeit
(Testprodukt im Ladengeschäft) sonst keinen unmittelbaren Eindruck vom Duft oder von
der Hautverträglichkeit des Kosmetikums verschaffen kann. Eine generelle Begrenzung
des Widerrufsrechts auf "Kosmetik … in einem unbenutzten Zustand" würde seine
Effektivität jedoch in Frage stellen und das Risiko eines Gebrauchs oder (teilweisen)
Verbrauchs der Ware entgegen der gesetzlichen Wertung, die für solche Fälle gerade
den Wertersatzanspruch vorsieht und so die Möglichkeit des Widerrufs gedanklich
voraussetzt (BeckOK BGB / Schmidt-Räntsch, a.a.O., Rn. 37 m.w.N.), auf den
Verbraucher verlagern. Eine solche Auslegung findet auch in der Regelung selbst keine
hinreichende Stütze:
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Geöffnete oder benutzte Kosmetikprodukte sind nicht "auf Grund ihrer Beschaffenheit"
("by reason of their nature") zur Rücksendung ungeeignet. Aus der natürlichen
Beschaffenheit von in geeigneter Verpackung ausgelieferten Cremes oder Parfüms
ergeben sich weder ein unvertretbarer Aufwand noch besondere Schwierigkeiten einer
"rückstandslosen" Rückgabe; nur um solche in der Art der Ware angelegte, wenn auch
vielleicht erst in der Sphäre des Verbrauchers aufgetretene Schwierigkeiten kann es bei
diesem Tatbestand aber gehen; aus gesetzgeberischer Sicht sollte er insbesondere im
Wege des "Download" vertriebene Dateien und schüttbare Güter wie Heizöl umfassen
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(Begründung des Regierungsentwurfs BT-Drs. 14/2658 S. 44; Stellungnahme des
Bundesrates BT-Drs. 14/2920 S. 4; vgl. MünchKomm / Wendehorst, a.a.O., Rn. 26 ff.;
Staudinger / Thüsing, a.a.O., Rn. 49 ff.; BeckOK BGB / Schmidt-Räntsch, a.a.O., Rn. 36).
Der "rückstandsfreien" Rückgabe angebrochener Kosmetika steht insbesondere der mit
der Benutzung eingetretene Wertverlust nicht entgegen, zumal keine Rede davon sein
kann, dass nach der Rücksendung der wesentliche wirtschaftliche Nutzen des Produkts
beim Verbraucher verbleiben würde (vgl. zu diesem Kriterium aber MünchKomm /
Wendehorst, a.a.O. Rn. 28; Staudinger / Thüsing, a.a.O., Rn. 50 m.w.N.).
Es besteht auch kein Lebenserfahrungssatz, dass Kosmetikprodukte wie die
streitgegenständliche Creme generell "schnell verderblich" sind, sobald mit ihrer
Benutzung begonnen oder ihre Primärverpackung geöffnet wurde. Dieser
Ausnahmetatbestand kann zwar bei Lebensmitteln, Schnittblumen, Arzneimitteln und
auch bei Kosmetikartikeln eingreifen (Staudinger / Thüsing, a.a.O., Rn. 54; Becker /
Föhlisch, a.a.O. [3755]; Palandt / Grüneberg, a.a.O. Rn. 9); maßgeblich ist jedoch die
objektive Verderblichkeit und eine darauf beruhende Unverkäuflichkeit der
zurückgesandten Ware, die etwa bei Arzneimitteln nicht einheitlich bewertet wird (vgl.
OLG Hamburg, WRP 2007, 1498 = NJOZ 2007, 4812; Mand, NJW 2008, 190 ff.) und
auch bei Kosmetika nicht ohne weiteres anzunehmen ist; keineswegs kann es für den
Widerrufsausschluss genügen, dass der Verkäufer nach dem Öffnen der Verpackung
durch den Verbraucher Gefahr läuft, auf der zurückgegebenen Ware "sitzen zu bleiben"
(BeckOK BGB / Schmidt-Räntsch, a.a.O., Rn. 38). Zudem hat die Antragstellerin
dargelegt und durch Angebote weiterer Internethändler (Anlage ASt 4 a – c) glaubhaft
gemacht, dass durchaus ein Markt für "gebrauchte" Gesichtscreme existiert; dass dies
auch für andere Kosmetikartikel zumal des Hochpreissektors gilt, ist den in
Wettbewerbssachen erfahrenen Mitgliedern des Senats bekannt und wird für die vom
Verkehr akzeptierten Parfüm-"Tester" sogar von Autoren eingeräumt, die das
Widerrufsrecht bei angebrochenen Kosmetika weitgehend beschränken wollen (Becker
/ Föhlisch, a.a.O.). Die Feststellung, dass bei den von der konkreten Verletzungsform
erfassten Kosmetikprodukten schon ein Herausdrücken geringer Teile von Creme aus
der Tube oder das bloße Öffnen der Tube zum Verderb und zur völligen
Unverkäuflichkeit der zurückgesandten Ware führen muss, lässt sich daher jedenfalls
nach Lage der Akten nicht treffen.
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Damit erweist sich der von der Antragsgegnerin verwendete Belehrungstext in Bezug
auf die Reichweite ihres Widerrufs- und Rückgaberechts als unzutreffend oder
zumindest in hohem Grade missverständlich. Dieser Verstoß gegen gesetzliche
Informationspflichten des Unternehmers ist seiner Art nach geeignet, die Verbraucher in
ihren geschäftlichen Entscheidungen spürbar zu beeinflussen (vgl. – noch zu § 3 UWG
2004 – OLG Hamburg, WRP 2007, 1498 [1501] = NJOZ 2007, 4812 [4815]; Senat, Urt. v.
11.04.2008 – 6 U 17/08).
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO.
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Streitwert des Beschwerdeverfahrens: 3.000,00 €
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