Urteil des OLG Köln vom 14.08.2009

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Oberlandesgericht Köln, 6 AuslA 90/09
Datum:
14.08.2009
Gericht:
Oberlandesgericht Köln
Spruchkörper:
2. Strafsenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
6 AuslA 90/09
Tenor:
Gegen den serbisch-montenegrinischen Staatsangehörigen
Q T wird die Auslieferungshaft angeordnet.
Gründe:
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I.
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Das Eidgenössische Justiz-und Polizeidepartement der Schweiz – Bundesamt für Justiz
– ersucht mit Schreiben vom 26.06.2009 um die Auslieferung des Verfolgten zum
Zwecke der Strafvollstreckung. Der Verfolgte wurde durch rechtskräftiges und
vollstreckbares Urteil des Bezirksgerichts Zürich vom 18.10.1994 – Prozess Nr.
U/DG940895 und Nr. DG940896 – wegen Betäubungsmittelstraftaten und wegen
falscher Anschuldigung zu einer Gefängnisstrafe von drei Jahren verurteilt.
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Dem Urteil liegt der Vorwurf zugrunde, der Verfolgte habe im Zeitraum von August bis
Oktober 1993 in Zürich und andernorts in fünf Fällen mit Heroin in Mengen zwischen 80
g und 300 g gehandelt. Des weiteren liegt ihm zur Last, bei polizeilichen und
staatsanwaltlichen Vernehmungen im Dezember 1993 sowie im Januar und Februar
1994 einen gewissen C S der Wahrheit zuwider des Handelns mit großen Mengen von
Betäubungsmitteln beschuldigt zu haben, woraufhin gegen S ein Ermittlungsverfahren
eingeleitet wurde. Wegen der Einzelheiten zu den abgeurteilten Straftaten wird auf die
Anklageschrift der Bezirksanwaltschaft Zürich vom 28.07.1994 Bezug genommen, die
Bestandteil des Urteils ist.
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Der Verfolgte trat die Strafe am 18.10.1994 an, konnte am 5.03.1995 aber flüchten.
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Mit dem Ersuchen sind eine Urteilsausfertigung nebst der erwähnten Anklageschrift
sowie die anwendbaren Bestimmungen des schweizerischen Rechts vorgelegt worden.
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Der am 28.07.2009 vorläufig festgenommene Verfolgte hat bei seiner richterlichen
Anhörung am gleichen Tage vor dem Amtsgericht Gummersbach gegen seine
Auslieferung eingewandt, er besitze die deutsche Staatsangehörigkeit; außerdem liege
keine rechtskräftige Verurteilung vor, diese sei zumindest nach deutschem Recht
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unwirksam. Der Senat hat mit Beschluss vom 31.07.2009 den Erlaß eines
Auslieferungshaftbefehls zunächst abgelehnt mit der Begründung, die Auslieferung sei
wegen nach dem als maßgeblich anzusehenden deutschen Recht eingetretener
Vollstreckungsverjährung von vorneherein unzulässig, § 15 Abs. 2 IRG.
Die Generalstaatsanwaltschaft hat dieser Auffassung unter Hinweis auf die Änderung
des bilateralen Vertrages zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der
schweizerischen Eidgenossenschaft über die Ergänzung des EuAlÜbK und die
Erleichterung seiner Anwendung vom 13.11.1969 ( ErgV-EuAlÜbK) durch Vertrag vom
08.07.1999 widersprochen und dem Senat die Akten erneut mit dem Antrag vorgelegt,
gegen den Verfolgten nach § 15 IRG die Auslieferungshaft anzuordnen.
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II.
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Dem Antrag der Generalstaatsanwaltschaft ist zu entsprechen werden, da die
Auslieferung nach erneuter Prüfung nicht von vorneherein unzulässig erscheint, § 15
Abs. 2 IRG. An seine zuvor ablehnende Entscheidung ist der Senat nicht gebunden.
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Die von dem Verfolgten bei der richterlichen Anhörung am 28.07.2009 erhobenen
Einwendungen, wonach es an einer rechtskräftigen bzw. nach deutschem Recht
unwirksamen Verurteilung fehle, sind nicht näher ausgeführt worden und nach den von
den Schweizerischen Behörden vorgelegten Auslieferungsunterlagen offensichtlich
unbegründet.
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1. Der Auslieferungsverkehr zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der
Schweizerischen Eidgenossenschaft richtet sich nach dem Europäischen
Auslieferungs-Übereinkommen vom 13.12.1957 – EuAlÜbK – in Verb. mit dem ErgV-
EuAlÜbK, zuletzt geändert mit Vertrag vom 08.07.1999.
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Die formellen Voraussetzungen des Art. 12 EuAlÜbK für den Erlaß eines
Auslieferungshaftbefehls sind erfüllt. Das Auslieferungsersuchen ist nach dem den Art.
12 Abs. 12 Abs. 1 EuAlÜbK modifizierenden Art. V Abs. 1 lit a des bilateralen Vertrages
vom 13.11.1969 in zulässiger Weise an das Justizministerium des Landes Nordrhein-
Westfalen gerichtet worden. Dem Ersuchen ist eine beglaubigte Abschrift des Urteils
des Bezirksgerichts Zürich vom 18.10.1994 nebst der Anklageschrift der
Bezirksanwaltschaft Zürich vom 28.07.1994 beigefügt.
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2. Der Verfolgte unterliegt der Auslieferung gemäß § 2 IRG. Er ist nicht Deutscher im
Sinne der Art.16 Abs.2, 116 Abs.1 GG, sondern serbisch-montenegrinischer
Staatsbürger. Von den deutschen Behörden hat er bislang lediglich eine
Einbürgerungszusicherung erhalten. Der Einbürgerung steht entgegen, dass der
Verfolgte den Verlust seiner bisherigen Staatsangehörigkeit noch nicht nachgewiesen
hat. Im übrigen hat die Ausländerbehörde des Oberbergischen Kreises mit Schreiben
vom 30.07.2009 mitgeteilt, dass das der Behörde erst jetzt bekannt gewordene
Strafverfahren in der Schweiz zum Anlaß für eine erneute Prüfung genommen wird, die
ggfs mit dem Widerruf der Einbürgerungszusicherung enden kann.
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3. Die Auslieferungsfähigkeit der Tat, wegen der die Auslieferung begehrt wird, ergibt
sich aus Artikel 2 Absatz 1 EuAlÜbK.
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Die dem Verfolgten zur Last gelegten, in dem Urteil des Bezirksgerichts Zürich vom
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18.10.1994 näher beschriebenen Straftaten sind sowohl nach dem Recht des
ersuchenden Staates (Artikel 19 Ziff.1 Abs. 3-6 iVm Ziff.2 lit a und Art. 19 a Ziff.1 des
Schweizerischen Betäubungsmittelgesetzes sowie Art. 303 Ziff.1 des schweizerischen
StGB ) als auch nach deutschem Recht strafbar. Sie erfüllen die Strafvorschriften des §
29 a Abs. 1 Ziff. 2 BtMG sowie des § 164 StGB. Die angewendeten Strafbestimmungen
des schweizerischen Strafgesetzes sind im Wortlaut vorgelegt worden.
4. Das Strafmaß entspricht den Anforderungen des den Art. 2 Abs. 1 Satz 1 EuAlÜbk
abändernden Art. 2 Abs. 1 ErgV-EuAlÜbK, wonach das Maß einer noch zu
vollstreckenden Strafe mindestens drei Monate betragen muß. Eine weitere höhere
Reststrafe in dieser Höhe hat der Verfolgte auch bei Anrechnung von 357
Untersuchungshaft und unter Berücksichtigung von Strafhaft vom 18.10.1994 bis zum
05.03.1995 noch zu verbüßen.
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5. Gründe, die der Zulässigkeit einer Auslieferung nach den Artikeln 3 bis 10 EuAlÜbK
entgegenstehen könnten, sind nicht ersichtlich.
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6. Die nach deutschem Recht gem. § 79 Abs. 2 Nr. 3, Abs. 6 StGB zum 18.10.2004
eingetretene Vollstreckungsverjährung hindert die Auslieferung nicht. Der ErgV-
EuAlÜbK vom 13.11.1969 ist nach der dem Senat mit der erneuten Vorlage durch die
Generalstaatsanwaltschaft bekanntgewordenen Änderung mit Vertrag vom 08.07.1999
in Art. 4 Abs. 1 dahin geändert worden, dass gemäß der Neufassung des Abs. 1 die
Auslieferung nicht (mehr) mit der Begründung abgelehnt werden darf, dass (die
Strafverfolgung oder) die Strafvollstreckung nach den Rechtsvorschriften des ersuchten
Staates verjährt ist. Diese "auslieferungsfreundliche Lösung" (vgl
Hackner/Lagodny/Schomburg/Wolf, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 2003,
Randnr. 127) führt dazu, dass es auf das Recht der Bundesrepublik Deutschland nicht
mehr ankommt. Die vom Senat im Beschluss vom 31.07.2009 zitierte Entscheidung des
BGH (BGHSt 35,67) betrifft den früheren Rechtszustand, nach dem es für die Frage der
Verjährung der Vollstreckung sowohl auf das Recht des ersuchenden Staates als auch
des ersuchten Staates ankam. Diese in Art. 10 EuAlÜbK getroffene Regelung war durch
Art. 4 Abs. 1 aF ErgV-EuAlÜbK nicht berührt worden. Erst die Vertragsänderung vom
08.07.1999 hat dazu geführt, dass nunmehr für die Frage der Verjährung ausschließlich
das Recht des ersuchenden Staates maßgeblich ist.
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Hierzu haben die Schweizerischen Behörden ausgeführt, dass nach den maßgeblichen
– dem Ersuchen beigefügten – Bestimmungen der Art. 99, 100 des schweizerischen
StGB die Vollstreckung erst in 20 Jahren beginnend ab der Vollstreckbarkeit des Urteils
verjährt, mithin – unter Berücksichtigung der verbrachten Haftzeiten, um die sich die
Verjährung nach Arrt. 99 Abs. 2 lit a StGB verlängert - erst zum 04.03.2010.
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7. Die Anordnung der Haft ist geboten.
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Bei dem Verfolgten besteht Fluchtgefahr. Er hat sich bereits einmal der weiteren
Strafvollstreckung durch Flucht entzogen. Da auch nach schweizerischem Recht zum
04.03.2010 Vollstreckungsverjährung eintritt, ist zu befürchten, dass der Verfolgte sich in
der Zwischenzeit dem polizeilichen Zugriff entziehen wird, um die Reststrafe nicht mehr
verbüßen zu müssen.
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