Urteil des OLG Köln vom 03.03.1999
OLG Köln (cmr, gegen die guten sitten, firma, verlust, vernehmung von zeugen, frachtführer, zeuge, praxis, land, höhe)
Oberlandesgericht Köln, 11 U 105/97
Datum:
03.03.1999
Gericht:
Oberlandesgericht Köln
Spruchkörper:
11. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
11 U 105/97
Vorinstanz:
Landgericht Köln, 85 O 217/96
Schlagworte:
Haftung Frachtführer Unaufklärbarkeit Verlust
Normen:
BGB § 134; BGB § 138
Leitsätze:
1) Ist das Frachtgut nach der Übernahme durch den Frachtführer unter
bisher ungeklärten Umständen verschwunden und unauffindbar, so
reicht dies für die Haftung nach Artikel 17 Abs. 1 CMR aus, da der
Frachtführer für die Ablieferung darlegungs- und beweispflichtig ist. 2)
Ein beabsichtigter Verstoß des russischen Empfängers einer
Frachtsendung gegen die russischen Zollbestimmungen führt nicht zur
Nichtigkeit des Frachtvertrages gemäß den §§ 134, 138 BGB. 3) Ist dem
Spediteur bekannt, daß Frachtsendungen nach Rußland von dem
Absender regelmäßig unterfakturiert werden, so kann er sich im
Verlustfall gegenüber der Rückgriffsforderung des Transportversicherers
nicht mit Erfolg darauf berufen, der Absender habe die aus der
Unaufklärbarkeit des Verlusts sich ergebenden prozessualen und
materiellen Folgen zu tragen, weil eine dem Wert der Ware
entsprechende Vorsorge durch Transportsicherungsmaßnahmen und
durch Abschluß einer ausreichenden Versicherung unterblieben sei.
Dabei ist unerheblich, ob die Unterfakturierung der Minderung des
Transportrisikos oder der Umgehung russischer Zollbestimmungen
dienen sollte.
Rechtskraft:
nicht rechtskräftig
Tenor:
Die Berufung der Beklagten gegen das am 13. Mai 1997 verkündete
Urteil der 5. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Köln - 85 O
217/96 - wird zurückgewiesen. Die Widerklage wird abgewiesen. Die
Kosten des Berufungsverfahrens fallen der Beklagten zur Last. Das
Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung
durch Sicherheitsleistung in Höhe von 375.000 DM abwenden, wenn
nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in der ge-nannten
Höhe leistet. Beide Parteien dürfen die Sicherheit durch
selbstschuldnerische Bürgschaft eines als Zoll- und Steuerbürgen
zugelassenen Kreditinstituts erbringen. Die Beschwer der Beklagten
übersteigt 60.000 DM.
T a t b e s t a n d
1
##blob##nbsp;
2
Die Klägerin nimmt als Transportversicherer die Beklagte als Spediteurin aus
abgetretenem Recht ihrer Versicherungsnehmerin, der B. AG, auf Schadensersatz in
Anspruch.
3
Die Versicherungsnehmerin der Klägerin versandte 32 Paletten kosmetischer Artikel
unter Inanspruchnahme der Beklagten als Fixkostenspediteurin nach Moskau. Auf der
Strecke von H. nach Moskau geriet der LKW des polnischen Unterfrachtführers, der
Firma T.-P., mit der Sendung aus ungeklärter Ursache in Verlust. Die Klägerin ersetzte
der Versicherungsnehmerin den Verlust in Höhe der Klageforderung.
4
Sie hat geltend gemacht: Die in Verlust geratene Sendung habe einen Wert in Höhe
der Klageforderung gehabt. Der in dem Exportpapier genannte Wert von 60.483,46 DM
sei falsch. Eine solche Unterfakturierung im Warenverkehr nach Rußland zu dem
Zweck, keinen Anreiz zu Diebstahl und Unterschlagung zu geben, sei ständige Praxis.
Dies sei der Beklagten bekannt gewesen.
5
Die Klägerin hat beantragt,
6
##blob##nbsp;
7
die Beklagte zu verurteilen, an sie, die Klägerin, 301.847,60 DM nebst 5% Zinsen seit
dem 12. Juli 1996 zu zahlen.
8
Die Beklagte hat beantragt,
9
##blob##nbsp;
10
Die Klage abzuweisen.
11
Sie hat die Aktivlegitimation der Klägerin in Zweifel gezogen, den von der Klägerin
angegebenen Warenwert bestritten und geltend gemacht, für das Verhältnis zwischen
Auftraggeber und Spediteur sei der vom Auftraggeber dem Spediteur genannte
Warenwert maßgeblich. Bei zu niedriger Wertangabe hafte der Auftraggeber dem
Spediteur aus Verschulden bei Vertragsschluß. Bei zutreffender Angabe des
Warenwerts hätte der Verlust durch zusätzliche Sicherungsmaßnahmen mit Sicherheit
vermieden werden können. Der von ihr, der Beklagten, eingesetzte Frachtführer habe
nur eine Versicherungssumme von 50.000 US $ nachgewiesen. Überdies sei zu
befürchten, daß sie von ihrem Versicherer Versicherungsschutz nicht erhalte, da
hierfür die Erfüllung aller behördlichen Auflagen der zu durchfahrenden Länder
Voraussetzung sei und die Unterfakturierung einen Verstoß gegen die Zollgesetze und
Verordnungen der Russischen Förderation darstelle.
12
Das Landgericht hat zum Warenwert Beweis erhoben durch Einholung einer
schriftlichen Zeugenaussage. Hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird
auf die schriftliche Aussage des Zeugen J. vom 14. März 1997 (GA 95) Bezug
genommen.
13
Durch die angefochtene Entscheidung hat das Landgericht die Beklagte
14
antragsgemäß verurteilt. Es hat im wesentlichen ausgeführt:
Die Klägerin habe ihre Aktivlegitimation belegt. Die Beklagte hafte als
Fixkostenspediteurin nach Art. 17 Abs. 1 CMR für den unstreitigen Verlust des Gutes.
Dessen Wert sei durch Vorlage der Lieferfaktura und die schriftliche Aussage des
Zeugen J. nachgewiesen. Die geltend gemachte Entschädigung überschreite den
Höchstbetrag nach Art. 23 Abs. 3 CMR nicht. Da die Ursache des Verlustes unbekannt
sei, könne der Verlust nicht auf die falsche Wertangabe und auch nicht auf
unterlassene Sicherungsmaßnahmen zurückgeführt und ein Haftungsausschluß nach
Art. 17 Abs. 2 CMR nicht festgestellt werden. Eine Haftung der Auftraggeberin aus
Verschulden bei Vertragsschluß wegen der falschen Wertangabe scheitere am
fehlenden Schaden der Beklagten. Diese räume ein, selbst CMR-versichert zu sein. Es
liege nicht nahe, daß ihre Versicherung für den Schaden nicht aufkomme,
aufgekommen sei oder aufzukommen brauche. Dafür, daß der Verlust des Gutes auf
einem Verstoß gegen russische Zollbestimmungen beruhe; sei nichts ersichtlich. Zum
anderen sei der Eintritt einer CMR-Versicherung nicht davon abhängig, daß der
Auftraggeber des Versicherungsnehmers ohne dessen Kenntnis nicht in nach
russischen Zollbestimmungen anfechtbarer Weise den Wert des Gutes deklariere. Ein
mögliches Beschlagnahmerisiko bei unrichtiger Wertdeklaration habe sich nicht
realisiert.
15
Hinsichtlich der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes in erster Instanz und der
Ausführungen des Landgerichts wird auf die angefochtene Entscheidung Bezug
genommen.
16
Gegen das seinen erstinstanzlichen Prozeßbevollmächtigten am 10. Juni 1997
zugestellte Urteil hat die Beklagte mit einem am 10. Juli 1997 beim Berufungsgericht
eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und diese nach entsprechender
Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist mit einem am 10. September 1997
eingegangenen Schriftsatz begründet.
17
Die Beklagte wiederholt und ergänzt ihr erstinstanzliches Vorbringen. Sie macht
geltend:
18
Der Beförderungsvertrag sei nichtig, da er auf die Beförderung von
Schmuggelgut/Contraband gerichtet gewesen sei. Falls der Vertrag nicht nichtig sei,
hafte sie ebenfalls nicht. Wenn sie von der Unterfakturierung Kenntnis gehabt hätte -
was nicht der Fall sei -, hätte sie die Firma T.-P. nicht als Unterfrachtführer
eingeschaltet. Sie könne sich auf den Haftungsausschluß gemäß Artikel 17 Abs. 2
CMR (Unabwendbarkeit des Verlusts) berufen. Jedenfalls stehe ihr zumindest in Höhe
der Differenz zwischen der Versicherungssumme des Frachtführers in Höhe von
50.000,00 US $ und der Klageforderung, mit ,,hoher Wahrscheinlichkeit" aber sogar in
Höhe der gesamten Klageforderung ein Schadensersatzanspruch zu, mit dem sie
hilfsweise aufrechne. Für den Fall daß ein Schadensersatzanspruch ,,mangels eines
bereits sicher nachgewiesenen Schadens" nicht bejaht werden könne und die
Hilfsaufrechnung deshalb scheitere, erhebt die Beklagte höchst vorsorglich Eventual-
Widerklage. Sie trägt im einzelnen zu dem für sie bestehenden Versicherungsschutz
vor (GA 241 f., 247 ff., 269), ferner zu den Warenwerten der ihr von der
Versicherungsnehmerin der Klägerin erteilten Versandaufträge (GA 322 ff. mit GA 330
ff.). Die Beklagte trägt unwidersprochen vor, daß nach dem hier in Frage stehenden
Vorfall Aufträge durch die Versicherungsnehmerin der Klägerin in der Form erfolgen,
19
daß weiterhin eine Unterfakturierung stattfindet, die Beklagte aber über den
tatsächlichen Warenwert informiert wird und auf dem entsprechende Versicherungen
der Frachtführer hinwirkt (GA 324 ff. mit GA 333 ff. und GA 300 ff.).
Die Beklagte beantragt,
20
##blob##nbsp;
21
unter Abänderung des angefochtenen Urteils die Klage abzuweisen.
22
Sie hat mit der Berufungsbegründung Eventualwiderklage erhoben mit dem Antrag,
23
##blob##nbsp;
24
##blob##nbsp;
25
festzustellen, daß die Klägerin verpflichtet ist, ihr, der Beklagten, allen Schaden zu
ersetzen, der ihr daraus entsteht, daß sie infolge der falschen Wertangabe der Firma
B. AG bezüglich des Transports CMR-Frachtbrief ... keinen Regreß bei ihrem
Unterfrachtführer nehmen kann und auch keinen CMR-Versicherungsschutz
genießt.
26
Der Klägerin beantragt,
27
##blob##nbsp;
28
die Berufung zurückzuweisen und die Hilfswiderklage abzuweisen.
29
Sie wiederholt und vertieft gleichfalls ihr erstinstanzliches Vorbringen. Sie macht
geltend:
30
Der Vortrag der Beklagten ergehe sich in mehr oder weniger haltlosen Vermutungen
und Spekulationen. Sie könne nicht beweisen, daß der eingetretene Schaden auf
Umständen beruhe, für die sie nach der CMR nicht in Anspruch genommen werden
könne. Ein in Betracht zu ziehender Schadensersatzanspruch wegen Verschuldens
bei Vertragsabschluß sei nach Artikel 32 Abs. 1 CMR verjährt, die Einrede der
Verjährung werde erhoben. Auch sei der Beklagten aus den vom Landgericht
dargelegten Gründen kein Schaden entstanden. Die Behauptung der Beklagten, bei
Kenntnis von der Unterfakturierung hätte sie Sicherungsmaßnahmen ergriffen, sei eine
Schutzbehauptung. Unglaubwürdig sei auch die Behauptung, in diesem Fall wäre ein
anderer, besser versicherter Unterfrachtführer eingeschaltet worden. Es werde
bestritten, daß die Beklagte oder ihr Unterfrachtführer sich bei Kenntnis der
Unterfakturierung anders verhalten hätten. Die Beklagte habe außerdem die
Unterfakturierung bei dem hier in Frage stehenden Transportauftrag erkennen müssen,
weil der Kilowert erheblich unter den Werten für andere Sendungen gelegen habe. Mit
der Verzollung der beförderten Ware hätten die Beklagte, die Versicherungsnehmerin
der Klägerin und der Frachtführer nichts zu tun gehabt. Es werde mit Nichtwissen
bestritten, daß ein Zollvergehen des Empfängers der Ware zu Maßnahmen gegen die
Genannten geführt haben würde. Keinesfalls sei der Beförderungsvertrag auf die
Beförderung von Schmuggelgut gerichtet gewesen.
31
Hinsichtlich der Einzelheiten des Sachvortrags der Parteien in der Berufungsinstanz
wird auf die Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
32
Der Senat hat Beweis erhoben durch die Vernehmung von Zeugen. Hinsichtlich des
Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschrift vom 13. Januar
1999 (GA 363 ff.) Bezug genommen.
33
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
34
Die zulässige Berufung hat in der Sache keinen Erfolg.
35
Das Landgericht hat der Klage zu Recht stattgegeben. Die Klägerin hat gegen die
Beklagte aus abgetretenem Recht einen Anspruch auf auf Schadensersatz. gemäß
Artikel 17 Abs. 1 CMR.
36
1. Unstreitig ist das Frachtgut (samt Fahrer) nach der Übernahme durch den
Frachtführer unter bisher ungeklärten Umständen verschwunden und unauffindbar,
also im Sinne des Artikel 17 Abs. 1 CMR in Verlust geraten. Das reicht für die Haftung
nach Artikel 17 Abs. 1 CMR aus, da der Frachtführer für die Ablieferung darlegungs-
und beweispflichtig ist (vgl. Thume, Kommentar zur CMR, Artikel 18 Rn. 18 mit
weiteren Nachweisen). Den Wert des Frachtguts in Höhe von 301.847,60 DM hat das
Landgericht aufgrund der vorgelegten Lieferfaktura und der Aussage des Zeugen J.
zutreffend als bewiesen angesehen. Der Senat folgt der Beweiswürdigung des
Landgerichts, gegen die die Beklagte in der Berufungsinstanz nichts Erhebliches
vorbringt. Unstreitig ist, daß der geltend gemachte Schadensbetrag den Höchstbetrag
gemäß Artikel 23 Abs. 3 CMR nicht überschreitet. Der zuerkannte Zinsanspruch ist
gemäß Artikel 27 CMR berechtigt.
37
2. Die Haftung der Beklagten scheidet nicht deshalb aus, weil der Beförderungsvertrag
- wie die Beklagte geltend macht - nichtig wäre.
38
Die Beklagte stützt ihre Ansicht auf die Behauptung, die Verschleierung des
tatsächlichen Werts habe nicht der Minderung des Transportsrisikos gedient, sondern
den Zweck gehabt, dem russischen Abnehmer eine Zoliverkürzung zu ermöglichen.
Die Rechtsvorgängerin der Klägerin habe sich damit zur Mittäterin bzw. Gehilfin einer
nicht nur in Rußland strafbaren Handlung gemacht. Zugleich habe sie die Beklagte
sowie den von der ihr, der Beklagten, eingesetzten "ahnungslosen" Frachtführer zu
unwissentlichen Werkzeugen bei diesem Zollvergehen gemacht und beide der GE.hr
ausgesetzt, selbst von den russischen Zollbehörden in Anspruch genommen zu
werden und das Transportfahrzeug zu verlieren. Ein Vertrag, der auf die Beförderung
von ,,Schmuggelgut/Contraband" gerichtet sei, sei gemäß § 134 BGB nichtig. Der
Umstand, daß sieüber den verbotswidrigen Charakter des Transports getäuscht
worden sei, mache den Vertrags-schluß zusätzlich im Sinne des § 138 BGB nichtig.
39
Die Nichtigkeit des Beförderungsvertrags ergibt sich indes weder aus § 134 BGB noch
aus § 138 BGB. Die Nichtigkeit gemäß § 134 BGB scheidet schon deswegen aus, weil
eine Anwendung der Vorschrift bei einem Verstoß gegen ein ausländisches
Verbotsgesetz, das im Inland keine unmittelbare Verbindlichkeit besitzt, nicht in
Betracht kommt (vgl. BGH NJW 1972, 1575, 1576). Allerdings kann ein ausländisches
Gesetz mittelbar für die Frage beachtlich sein, ob ein Verstoß gegen die guten Sitten
im Sinne des § 138 BGB vorliegt (vgl. BGH a.a.O.). Selbst wenn der Vortrag der
40
Beklagten zum Zweck der Unterfakturierung zutreffen sollte, ergäbe sich daraus aber
nicht die Sittenwidrigkeit des Beförderungsvertrages. Daß die Beförderung von
Kosmetika nach Rußland als solche zu beanstanden sei, trägt die Beklagte selbst
nicht vor. Sittenwidrig wären demgemäß nicht die Beförderung, sondern die
Handlungen gewesen, die unmittelbar auf die Verwirklichung des Zollvergehens
abzielten. Nicht die Transportfahrt hatte einen verbotenen bzw. sittenwidrigen
Charakter, sondern das - unterstellt - nach Abschluß des Transportes gegenüber den
russischen Zollbehörden an den Tag gelegte Verhalten. Sofern die Beklagte und ihr
Frachtführer daran nicht mitwirkten, wurden sie nicht zu Werkzeugen eines
Zollvergehens gemacht.
3. Die Haftung der Beklagten ist nicht gemäß Artikel 17 Abs. 2 CMR (Unabwendbarkeit
des Verlusts) ausgeschlossen.
41
Die Beklagte ist für die Unabwendbarkeit des Verlustes darlegungs- und
beweispflichtig ist (vgl. Thume a.a.O. Artikel 18 Rn. 34). Sie kann dieser Darlegungs-
und Beweislast nicht genügen, weil die Umstände, die zum Verlust des
Beförderungsgutes geführt haben, ungeklärt sind. Die Beklagte verkennt dies nicht. Sie
macht aber geltend, wenn sie die Unterfakturierung gekannt hätte, so hätte sie die
Firma T.-P. von dem wahren Wert des Frachtguts unterrichtet, diese wäre dadurch
veranlaßt worden, für geeignete Sicherungsmaßnahmen (2. Fahrer, Convoibildung) zu
sorgen, und solche Sicherungsmaßnahmen hätten den - ,,mutmaßlich tatsächlichen" -
Schadenseintritt verhindert, in jedem Fall aber ausgeschlossen, daß Lastzug samt
Fahrer spurlos verschwinden konnte.
42
Die Beklagte will damit offenbar sagen, daß, wenn die Unterfrachtführerin geeignete
Sicherungsmaßnahmen ergriffen hätte, entweder das Frachtgut nicht verloren
gegangen wäre oder es jetzt zumindest bekannt wäre, auf welche Weise es verloren
gegangen ist.
43
Aus diesen Überlegungen läßt sich nichts Ausreichendes für die Unabwendbarkeit
des Verlusts des Beförderungsgutes herleiten. Daß der Verlust in dem Fall, daß die
Ünterfrachtführerin Sicherungsmaßnahmen getroffen hätte, verhindert worden wäre,
läßt sich nicht mit ausreichender Sicherheit sagen, da die Verlustursache eben nicht
feststeht. Wenn davon ausgegangen wird, daß die Verlustursache jetzt bekannt wäre,
falls die Sicherungsmaßnahmen ergriffen worden wären, stünde unter dieser
Voraussetzung nicht zugleich auch fest, daß die dann bekannte Ursache für die
Unterfrachführerin unabwendbar gewesen ist.
44
Die Beklagte meint allerdings, da die Rechtsvorgängerin der Klägerin
Sicherungsmaßnahmen verhindert habe, indem sie die Unterfakturierung nicht
offenbarte, treffe die Klägerin die Beweislast dafür, daß Sicherungsmaßnahmen den
Verlust nicht abgewendet hätten. Sie macht damit in Wahrheit also nicht
Unabwendbarkeit geltend, sondern behauptet, daß der Verlust durch ein Verschulden
des Verfügungsberechtigten verursacht worden sei (Artikel 17 Abs. 2 CMR), und will
der Klägerin die Beweislast für das fehlende Verschulden und die Ungeeignetheit von
Sicherungsmaßnahmen zuweisen.
45
Es kann dahinstehen, ob den Überlegungen der Beklagten zur Beweislast gefolgt
werden kann. Denn nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht zur Überzeugung
des Senats fest, daß den Verantwortlichen der Beklagten die Praxis der
46
Unterfakturierung im Zeitpunkt der Annahme des hier in Frage stehenden Auftrags
bekannt war.
Der Senat entnimmt dies der glaubhaften Aussage des Zeugen J.. Der Zeuge hat
bekundet, über das Problem der Unterfakturierung mit der Zeugin D., welche die
Aufträge der Firma B. in der Zweigstelle der Beklagten in K. maßgeblich bearbeitete,
bei zwei Gelegenheiten vor dem hier in Frage stehenden Schadensfall (Auftrag vom
Juni 1996) ausdrücklich gesprochen zu haben. Der Zeuge hat dezidiert und
nachvollziehbar angegeben, ein erstes Gespräch habe Ende 1995 bei einem Besuch
der Zeugin D. in seinem Büro in H. stattgefunden. Dabei sei darüber gesprochen
worden, daß die Transporte in den Ostblock gefährlich seien und wie man den
GE.hren begegnen könne. Es sei mit der Zeugin darüber diskutiert worden, ob man
wegen der GE.hren bei Transporten nach Rußland Vorkehrungen zum Schutz der
Ware treffen könne. Eine Konvoibegleitung habe nur für den Bereich Polen, nicht für
Rußland bestanden. Er habe klargestellt, daß deshalb seitens der Firma B. in den
Begleitpapieren ein niedrigerer als der tatsächliche Warenwert angegeben werde, um
"keine schlafenden Hunde zu wecken", also die GE.hr durch Täuschung möglicher an
einem Diebstahl von Waren Interessierter niedriger zu halten. Über dieses Thema sei
dann bei einem Telefonat zwischen ihm und der Zeugin D. Anfang 1996 noch einmal
gesprochen worden. Die Zeugin D. habe sich dahin geäußert, die Praxis der
Unterfakturierung sei im Geschäft mit Rußland Gang und Gäbe.
47
Der Senat glaubt dieser Aussage. Der Zeuge machte einen sicheren und
zuverlässigen Eindruck. Seine Angaben waren detailliert und nachvollziehbar. Der
Zeuge zeigte auch bei der Konfrontation mit der Zeugin D. und ihrer abweichenden
Aussage keine Verunsicherung. Der Aussage der Zeugin D. vermag der Senat keinen
Glauben zu schenken. Die Zeugin hat bekundet, ihr sei vor dem Schadensfall nicht
bekannt gewesen, daß die Auftragschreiben bzw. Begleitpapiere der Firma B. einen
geringeren als den tatsächlichen Warenwert auswiesen. Darüber sei auch nicht mit
einem Vertreter der Firma B. gesprochen worden. Die Zeugin bemühte sich um
sicheres Auftreten, konnte aber eine gewisse Unsicherheit nicht verbergen. Ihre
Aussage beschränkte sich zunächst auf den dargestellten Aussagekern und bE.ßte
sich sodann ausführlicher mit der später geübten Handhabung, die tatsächliche
Warenwerte intern mitzuteilen. Auf Nachfrage mußte die Zeugin einräumen, daß ihr die
Praxis der Unterfakturierung im Geschäft mit Rußland sehr wohl auch zu dem hier
maßgeblichen Zeitpunkt bekannt war, wobei sie allerdings angab, dies geschehe, um
den russischen Zoll zu täuschen. Gleichwohl will sie sich hinsichtlich der Aufträge der
Firma B. in dieser Richtung keine Gedanken gemacht und auch bei dem Besuch bei
dem Zeugen J. in H. über dieses Thema nicht gesprochen haben. Soweit sie die
Angaben des Zeugen J. in Abrede stellt, ist ihre Aussage nicht glaubhaft, wobei
dahinstehen kann, ob sich für die Zeugin als ausgebildete Speditionskauffrau, der die
Praxis der Unterfakturierung im Ostgeschäft in anderen Fällen bekannt war, der
Eindruck, es werde unterfakturiert, nicht schon aufgrund der relativ niedrigen
Warenwerte aufdrängen mußte.
48
Der Senat stützt seine Glaubwürdigkeitsbeurteilung wesentlich auf den bei der
Vernehmung gewonnenen persönlichen Eindruck von den Zeugen J. und D.. Bestärkt
wird er in seiner Beurteilung von der Überlegung, daß ein Interesse des Zeugen J.
falsch auszusagen, nicht erkennbar ist. Der Schaden der Firma B. ist von der Klägerin
reguliert worden. Daß diese Regulierung bei einer abweichenden Aussage des
Zeugen J. in GE.hr geraten könnte, macht die Beklagte nicht geltend. Demgegenüber
49
hängt die erfolgreiche Inanspruchnahme der Beklagten im vorliegenden Rechtsstreit
unter anderem davon ab, daß der Beweis einer Kenntnis von den Unterfakturierungen
der Firma B. nicht geführt werden kann. Zudem muß die Zeugin D. befürchten, daß ihr
fortbestehendes Arbeitsverhältnis mit der Beklagten belastet wird, wenn sich
herausstellt, daß sie als maßgebliche Sachbearbeiterin der Aufträge der Firma B. in
der Zweigstelle K. der Beklagten, dem ihr bekannten Problem der Unterfakturierung
nicht die gebotene Aufmerksamkeit geschenkt und dadurch die Verurteilung im
vorliegenden Rechtsstreit mitverursacht hat. Es muß daher angenommen werden, daß
die Aussage der Zeugin D. durch ein nicht unerhebliches Interesse am Ausgang des
Rechtsstreits geprägt ist.
Die Aussagen der übrigen Zeugen sind nach Auffassung des Senats für die Klärung
der Beweisfrage von untergeordneter Bedeutung. Der Zeuge M. hat glaubhaft
bekundet, er habe die Praxis der Unterfakturierung durch die Firma B. einmal beiläufig
gegenüber der Zeugin D. erwähnt. Diese Aussage war nicht sonderlich konkret. Der
Zeuge konnte zu Einzelheiten keine Angaben machen. Der Aussage kann aber
immerhin entnommen werden, daß das Thema der Unterfakturierung bereits vor dem
Schadensfall durchaus Gesprächsthema war. Da der Senat nicht den Eindruck hatte,
daß der Zeuge die Unwahrheit gesagt hat, bestätigt seine Aussage die vom Senat
aufgrund der Abwägung der Aussagen der Zeugen J. und D. gewonnenen
Überzeugung.
50
Die Aussage der Zeugin E. ist unergiebig. Es mag sein, daß sie mit den zuvor
genannten Zeugen nie über das Thema der Unterfakturierung gesprochen hat. Daraus
läßt sich aber schon deshalb nichts herleiten, weil die Zeugin auch nach dem
Schadensfall in dieser Richtung keine Gespräche geführt haben will, obwohl das
Thema nach dem Schadensfall im Raum stand und die Unterfakturieung aufgrund der
neuen Handhabung offensichtlich war. Das mag damit zusammenhängen, daß die
Zeugin von ihrem Tätigkeitsfeld als Bürokauffrau her keinen Anlaß hatte, sich mit
diesem Thema zu beschäftigen. Maßgebliche Ansprechpartnerin für die Aufträge der
Firma B. war die Zeugin D., die den entsprechenden Hinweisen des Zeugen J. nicht
die gebotene Aufmerksamkeit widmete und das Problem deshalb innerbetrieblich nicht
aufwarf.
51
Auch die Aussage des Zeugen Em. ist unergiebig. Auch dieser Zeuge, der erst im
Januar 1996 für die Beklagte in K. tätig wurde, hat bis zum Schadensfall mit den
Zeugen J. und M. keine Gespräche geführt. Er war von seinem Tätigkeitsfeld her auch
nicht der entscheidende Ansprechpartner der Firma B.. Für die Nichtbehandlung des
Problems der Unterfakturierung im Betrieb der Beklagten gilt das, was zur Aussage der
Zeugin E. oben ausgeführt wurde.
52
Der Senat hat in Erwägung gezogen, daß der Beklagten bei der Entgegennahme und
Durchführung des hier in Frage stehenden Auftrags nicht genau bekannt war, in
welchem Umfang hier eine Unterfakturierung vorlag. Auf Artikel 17 Abs. 2 CMR könnte
sie sich indes allenfalls dann mit Erfolg berufen, wenn sie darlegen könnte, daß sie
trotz der Kenntnis von der gängigen Praxis der Unterfakturierung alles Erforderliche
getan hat, um schädliche Folgen dieser Praxis abzuwenden, soweit dies in ihrem
Einflußbereich möglich war. Dies behauptet die Beklagte indes selbst nicht.
Maßnahmen hat sie zur damaligen Zeit nicht getroffen, sie hat die Umstände vielmehr
ohne weiteres hingenommen. Erst nach dem Verlust der hier in Frage stehenden
Sendung wurde veranlaßt, daß der wahre Warenwert ungeachtet der Unterfakturierung
53
mitgeteilt und für eine dem Warenwert entsprechende Versicherung des
Transportgutes gesorgt wurde.
4. Aus den Ausführungen oben zu 3. folgt zugleich, daß der Beklagten gegen die
Versicherungsnehmerin der Klägerin kein Schadensersatzanspruch zusteht, den sie
der Klageforderung entgegenhalten kann. Da der Beklagten - wie festgestellt - in der
Person der für die Bearbeitung der Aufträge der Firma B. maßblichen Mitarbeiterin, der
Zeugin D., der Sachverhalt regelmäßiger Unterfakturierung bekannt war, liegt ein zum
Schadensersatz verpflichtendes Verhalten der Versicherungsnehmerin der Klägerin
nicht vor. Dies läßt sich auch nicht daraus herleiten, daß die Absenderin im
vorliegenden Einzelfall nicht auf den besonders hohen Warenwert hingewiesen hat.
Es wäre angesichts der der Beklagten bekannten Umstände deren Sache gewesen,
auf eine regelmäßige Mitteilung des tatsächlichen Warenwerts hinzuwirken, wenn bei
besonders hohen Werten Vorsorgemaßnahmen getroffen werden mußten oder
zumindest sinnvoll waren. Die Beklagte hat indes, wie der Zeuge J. glaubhaft
bekundet hat, keinerlei zusätzliche Informationen verlangt. Daß die
Versicherungsnehmerin der Klägerin auf entsprechende Nachfrage entsprechende
Informationen hätte geben können und auch gegeben hätte, ohne die als sinnvoll
angesehene Unterfakturierung aufgeben zu müssen, zeigt die Abwicklung der
Speditionsaufträge nach dem Schadensvorfall, bei denen die Versicherungsnehmerin
die zutreffenden Warenwerte der Beklagten intern mitteilte.
54
Da ein Schadensersatzanspruch nicht besteht, kann dahinstehen, ob sich die Klägerin
mit Erfolg auf Verjährung gemäß Art. 32 Abs. 1 CMR berufen könnte.
55
5. Da ein Schadensersatzanspruch nicht besteht, ist die hilfsweise erhobene
Widerklage schon aus diesem Grund unbegründet.
56
6. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 91 Abs. 1, 97 Abs. 1 ZPO. Die
Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus den §§ 708 Nr. 10, 711
ZPO.
57
##blob##nbsp;
58
##blob##nbsp;
59
Berufungsstreitwert: 301.847,60 DM (durch die Hilfswiderklage erhöht sich der
Streitwert nicht, da die Beklagte damit im wirtschaftlichen Ergebnis lediglich eine
Befreiung von der Zahlung des ausgeurteilten Betrages erstrebt).
60