Urteil des OLG Köln vom 16.04.1997

OLG Köln (kläger, behandlung, dokumentation, medizinische indikation, befund, untersuchung, ultraschall, behandlungsfehler, einsatz, entfernung)

Oberlandesgericht Köln, 5 U 126/96
Datum:
16.04.1997
Gericht:
Oberlandesgericht Köln
Spruchkörper:
5. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
5 U 126/96
Vorinstanz:
Landgericht Bonn, 15 O 250/93
Tenor:
Die Berufung des Klägers gegen das am 5. März 1996 verkündete Urteil
der 15. Zivilkammer des Landgerichts Bonn - 15 O 250/93 - wird
zurückgewiesen. Die Kosten der Berufung trägt der Kläger. Das Urteil ist
vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Zwangsvollstreckung durch
Sicherheitsleistung oder Hinterlegung von 22.OOO,OO DM abwenden,
wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher
Höhe leistet. Den Parteien wird gestattet, die Sicherheitsleistung auch
durch selbstschuldnerische Bürgschaft einer deutschen Großbank,
öffentlichen Sparkasse oder Genossenschaftsbank zu erbringen.
T a t b e s t a n d
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Der Kläger ist Erbe seiner am 1. Dezember 1995 verstorbenen Ehefrau. Diese befand
sich von September 1989 bis Dezember 199O in der Behandlung der Beklagten, die in
St. A. eine frauenärztliche Praxis betreibt. Anläßlich einer Untersuchung am 11.
Dezember 199O erhob die Beklagte den Befund eines Ovarialkarzinoms. Bei der
operativen Entfernung des Tumors am 18. Dezember 199O ergab sich eine
überfaustgroße Geschwulst rechts (46O gr.) und eine kleinere Geschwulst links (7O gr.).
Außerdem wurden Metastasen quer über das Rektum festgestellt. Trotz sich
anschließender intensiver Behandlung verstarb die Patientin schließlich nach langer
Leidenszeit an den Folgen des sich ausbreitenden Karzinoms. Sie hat der Beklagten
vorgeworfen, das Karzinom zu spät entdeckt zu haben. Bereits bei der Erstuntersuchung
am 28. September 1989, jedenfalls am 4. Dezember 1989, spätestens aber bei einer
Untersuchung am 26. April 199O hätte sie zur Früherkennung eines Ovarialtumors
Ultraschall einsetzen und/oder eine Computertomographie oder Laparotomie
veranlassen müssen. Es hätte sich ein Karzinom im Frühstadium ergeben, das
vollständig hätte entfernt werden können. Nach den von ihr, der Patientin, geklagten
Symptomen habe sich der Karzinomverdacht aufdrängen müssen, zumal sie nach der
Entfernung ihrer Gebärmutter wegen Krebsverdachts im Jahre 1983 ohnehin insoweit
erhöht risikobelastet gewesen sei. Sie habe der Beklagten am 4. Dezember 1989 über
Stiche und Druckgefühl im Bauch, Unwohlsein, Darmstörungen, Rücken- und
Brustschmerzen berichtet. Am 11. Dezember 1989 habe sie telefonisch erneut darüber
geklagt. Am 26. April 199O habe sie sich erneut bei der Beklagten vorgestellt und über
Stiche und Druckgefühl im Bauch, Leistenschmerzen bis ins Bein, braunen Ausfluß,
Völlegefühl und Brust- sowie Rückenschmerzen geklagt. Die Beklagte habe lediglich
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manuelle Untersuchungen durchgeführt, die Krebsvorsorgeuntersuchung und eine
Mammographie veranlaßt. Ihre Beschwerden habe sie auf Wechseljahrsprobleme
zurückgeführt und ein Hormonpflaster angeregt. Bei einer weiteren Vorstellung am 31.
Juli 199O habe sie wiederum über wiederaufgetretene Schmerzen im Brust- und
Bauchbereich berichtet, die sich auf Dauer immer noch nicht gebessert hätten. Diese
Klagen habe sie am 2O. und 22. August 199O telefonisch erneut vorgetragen. Die
Beklagte habe Ödeme vermutet und Obst- sowie Reistage empfohlen, ferner
Hormonpflaster verordnet. Nach Rückehr aus dem Urlaub habe sie am 1O. Oktober
199O erneut ihre Schmerzen im Bauch-, Brust- und Rückenbereich vorgetragen und
erklärt, daß sie etwa 3 Kilo Gewicht verloren habe, obwohl ihr Bauchumfang
zugenommen und sie ständig unter Völlegefühl gelitten habe. Die Beklagte habe sie
lediglich darauf verwiesen, weiterhin das Hormonpflaster zu verwenden. Schließlich
habe die Beklagte auf ihre, der Patientin, Bitten am 11. Dezember 199O die längst
überfällige Ultraschalluntersuchung vorgenommen. Die Verordnung eines
Hormonpflasters sei im übrigen kontraindiziert gewesen, weil es bösartige Geschwulste
fördern könne.
Die Dokumentation der Beklagten, in der die ständig geklagten Beschwerden nicht
aufgezeichnet seien, sei unrichtig. Diese sei ohnehin lückenhaft und deshalb ohne
Beweiswert. Nach dem Schriftbild sei anzunehmen, daß sie nachträglich gefertigt
worden sei. Es sei auch völlig lebensfremd anzunehmen, sie würde ihre vielfältigen
Beschwerden ausgerechnet der Beklagten gegenüber verschwiegen haben, während
sie diese gleichzeitig einer Vielzahl von Freunden und Bekannten geklagt habe.
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Nach dem Tod seiner Frau hat der Kläger den Rechtsstreit aufgenommen, den
ursprünglich gestellten Antrag auf Feststellung der Ersatzpflicht aller künftigen Schäden
in Übereinstimmung mit der Beklagten für erledigt erklärt und im übrigen beantragt,
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die Beklagte zu verurteilen, an ihn ein angemessenes Schmerzensgeld nebst 4 %
Zinsen seit Rechtshängigkeit wegen der aus der Fehlbehandlung durch die Beklagte
für die Zeit ab 26. April 199O entstandenen Schmerzen zu zahlen.
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Die Beklagte hat beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Unter Hinweis auf ihre fortlaufend gefertigte Dokumentation hat sie bestritten, daß die
verstorbene Patientin über die behaupteten Schmerzen geklagt habe.
Rückenschmerzen habe sie auf die orthopädischen Probleme zurückgeführt,
deretwegen schon früher eine Behandlung stattgefunden habe und die nicht behoben
gewesen seien. Die weiteren Beschwerden, insbesondere Hitzewallungen, habe sie
zumindest vertretbar auf beginnende Wechseljahrsbeschwerden zurückführen dürfen.
Da die Austastungen von Vagina und Rektum sowie die Palpationen keine Resistenzen
ergeben hätten, habe auch kein Anlaß für eine Ultraschall- oder sonstige weiterführende
Untersuchung bestanden, die überdies auch nicht zu einem positiven Befund geführt
hätten. Ihre Dokumentation sei zutreffend. Die Patientin habe sich im Nachhinein kundig
gemacht und sodann die Angaben von Schmerzen behauptet, wie sie bei
Ovarialkarzinom zu beobachten seien.
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Das Landgericht hat, sachverständig beraten, die Klage abgewiesen, weil ein
schadensursächlicher Behandlungsfehler nicht feststellbar sei.
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Dagegen wendet sich der Kläger mit der Berufung, mit der er Verurteilung der Beklagten
zur Zahlung eines angemessenen Schmerzensgeldes erstrebt, das er mit mindestens
175.OOO,OO DM angibt. Er meint, die Beklagte sei verpflichtet gewesen, seine Ehefrau
darauf hinzuweisen, daß ein Ovarialtumor nicht durch gewöhnliche
Krebsvorsorgeuntersuchungen feststellbar sei, sondern durch Utraschall,
Computertomographie oder Kernspintomographie. Bei entsprechender Aufklärung hätte
sie sich zur Durchführung solcher Maßnahmen auf eigene Kosten entschlossen. Die
Beklagte sei ferner verpflichtet gewesen, am 4. Dezember 1989, jedenfalls aber am 26.
April 199O eine Sonographie durchzuführen bzw. eine Computer- oder
Kernspintomographie zu veranlassen, weil seine Frau am 4. Dezember 1989 und
weiterhin über Stiche und Druckgefühl im Bauch, Unwohlsein, Darmstörungen, Rücken-
und Bauchschmerzen geklagt habe. Soweit dies nicht in der Dokumentation verzeichnet
sei, beruhe dies auf deren Unrichtigkeit bzw. Unvollständigkeit. Aufgrund der gebotenen
Untersuchungsmaßnahmen hätte sich der Befund eines Ovarialkarzinoms im
Anfangsstadium ergeben, dessen vollständige Entfernung hätte erreicht werden können.
Der Beklagten sei ferner anzulasten, daß sie die Ursachen für die geklagten
Beschwerden nie aufgeklärt habe. Die der Beklagten anzulastenden Behandlungsfehler
seien als grob zu qualifizieren, so daß jene beweisen müsse, daß sich auch bei einem
frühzeitigen Erkennen des Karzinoms kein anderer, der Verstorbenen günstigerer
Verlauf ergeben hätte.
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Er beantragt,
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das angefochtene Urteil abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, an ihn ein
Schmerzensgeld zu zahlen, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt sei,
nebst 4 % Zinsen sei Rechtshängigkeit der Klage.
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Die Beklagte beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Sie tritt der Berufung entgegen und verteidigt das angefochtene Urteil.
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Im übrigen wiederholen und vertiefen die Parteien ihr erstinstanzliches Vorbringen.
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Wegen aller Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf Tatbestand und
Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils sowie die im Berufungsrechtszug
gewechselten Schriftsätze verwiesen.
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Der Senat hat Beweis erhoben durch Anhörung des Sachverständigen Prof. Dr. Sch..
Wegen der Beweisanordnung wird auf den Senatsbeschluß vom 9. Oktober 1996,
wegen des Ergebnisses auf die Sitzungsniederschrift vom 19. Februar 1997 verwiesen.
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E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
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Die form- und fristgerecht eingelegte und prozeßordnungsgemäß begründete Berufung
ist in der Sache nicht gerechtfertigt.
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Der Kläger kann von der Beklagten kein Schmerzensgeld gemäß §§ 847, 1922 BGB
beanspruchen. Der Senat kann auch nach ergänzender Beweiserhebung nicht
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feststellen, daß der Beklagten ein schadensursächlicher Behandlungsfehler unterlaufen
ist. Das geht zu Lasten des Klägers, der als Anspruchsteller die
anspruchsbegründenden Tatbestandsmerkmale darzulegen und zu beweisen hat.
1.
22
Der Kläger meint zu Unrecht, die Beklagte habe bereits bei der Erstuntersuchung am 28.
September 1989 eine Ultraschalluntersuchung zum Ausschluß eines Ovarialkarzinoms
veranlassen müssen.
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a)
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Eine solche Untersuchung war nicht etwa deshalb veranlaßt, weil bei der Patientin im
Vergleich zu anderen ein besonders erhöhtes Risiko bestand, an Ovarialkrebs zu
erkranken. Zwar ist der Patientin im Jahre 1983 die Gebärmutter wegen Krebsverdachts
entfernt worden, wobei die histologische Untersuchung später einen präcancerösen
Befund ergeben hat (Krebsvorstufe); damit war sie indessen nicht einer Risikogruppe
von Frauen zuzuordnen, bei der die erhöhte Gefahr bestand, an Ovarialkrebs (oder
sonstigen bösartigen Tumoren) zu erkranken. Das haben die Sachverständigen Prof.
Sch. und der von der Gutachterkommission für ärztliche Behandlungsfehler bei der
Ärztekammer Nordrhein hinzugezogene Prof. St. übereinstimmend dargelegt. Zum
einen war die Gebärmutter (lediglich) teilweise präcancerös verändert und überdies
vollkommen entfernt worden; zum anderen handelt es sich bei den betroffenen Organen
um jeweils unterschiedliche Strukturen.
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Hinzukommt, daß sie nach der Gebärmutterentfernung in der ständigen frauenärztlichen
Behandlung von Dr. M., früher Chefarzt der gynäkologischen Abteilung des St. J.-
Krankenhauses in T., stand, der in der Zeit bis zur Übernahme der Behandlung durch
die Beklagte bei regelmäßigen Untersuchungen auch zum Teil unter Einsatz von
Ultraschall keinen krankhaften oder zumindest fraglich krankhaften Befund erhoben
hatte.
26
b)
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Ferner bestand auch nach den von der Beklagten bei der Erstuntersuchung geklagten
Beschwerden und dem Ergebnis der Tastuntersuchung kein Anlaß für eine vertiefende
Diagnostik. Der Kläger behauptet nicht, seine Ehefrau habe bereits damals über
Schmerzen im Ober- oder Unterbauch geklagt. Die Rückenschmerzen durfte die
Beklagte als Ausdruck von Wirbelsäulenproblemen werten, derentwegen die Patientin
seit 1983 in orthopädischer Behandlung des Dr. Z. gestanden hatte. Der vaginal
durchgeführte Tastbefund hatte ein unauffällige Restgenitale ergeben, auch rektal war
die Untersuchung unauffällig geblieben. Die Brustschmerzen waren der bekannten
Mastopathie zuzuordnen.
28
c)
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Da nach allem weder die Symptomatik noch die erhobenen Befunde darauf hindeuteten,
es könne sich ein Ovarialtumor entwickeln oder gar entwickelt haben, war die Beklagte
auch nicht gehalten, die Patientin gleichsam abstrakt auf die Möglichkeit des Einsatzes
von Ultraschall hinzuweisen, um ihr die Entscheidung zu überlassen, eine medizinisch
nicht indizierte diagnostische Maßnahme auf eigene Kosten durchführen zu lassen, wie
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der Kläger meint. Der Arzt schuldete bei der Diagnostik, Therapie und der
therapeutischen Beratung die situationsangemessene Sorgfalt, wobei er den
Qualitätsstandard guter ärztlicher Behandlung zu gewährleisten hat. Belehrungen über
die Erfolgssicherheit einer angewandten Methode sind nur erforderlich, wenn diese im
konkreten Fall zweifelhaft oder andere überlegenere Methoden zur Verfügung stehen
und deren Einsatz aus medizinischer Sicht angezeigt ist. Der Arzt braucht nicht auf
diagnostische Möglichkeiten zur Erkennung von Erkrankungen hinweisen, wenn aus
medizinischer Sicht kein Grund für die Annahme vorliegt, der Patient könne an einer
solchen Erkrankung leiden. Auch Vorsorgeuntersuchungen haben sich am Standard
guter ärztlicher Behandlung zu orientieren, nicht daran, was theoretisch zum Einsatz
kommen könnte, um jedwedes Risiko auszuschließen. Eine daran zu messende
Sorgfaltspflichtverletzung haben weder Prof. Sch. noch Prof. St. festzustellen vermocht.
2.
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Nach den Feststellungen der Gutachter sind der Beklagten auch im Zuge der
Behandlung vom 4. Dezember 1989 keine diagnostischen Versäumnisse vorzuwerfen.
Das überzeugt, weil nach dem Beschwerdebild in bezug auf eine Ovarialerkrankung
keine Veränderung eingetreten war. Den starken Schmerzen in der linken Brust ("auch
mal Schmerzen wie Herzinfarkt"), ist die Beklagte nachgegangen und hat geraten,
wegen eines HWS-Syndroms einen Orthopäden aufzusuchen.
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Der Senat kann nicht davon ausgehen, die Patientin habe anläßlich dieser Konsultation
der Beklagten auch über Stiche und Druckgefühl im Bauch, Unwohlsein und
Darmstörungen berichtet, wie der Kläger behauptet. Der Dokumentation läßt sich
Derartiges nicht entnehmen; sonstige Beweismittel, etwa Zeugen (Praxishelferin), die
bei der Behandlung zugegen gewesen sein könnten, stehen offenbar nicht zur
Verfügung, Parteivernehmung der Beklagten ist nicht beantragt, eine Vernehmung von
Amts wegen nicht veranlaßt. Daß die Patientin über derartige Bechwerden gegenüber
Dritten geklagt hat, kann unterstellt werden. Hieraus folgt nicht, daß sie dies auch
gegenüber der Beklagten getan hat. Es mag vorkommen, daß versehentlich die
Dokumentation von Beschwerden unterbleibt. Daraus kann aber nicht umgekehrt der
Schluß gezogen werden, eben dies sei im Streitfall geschehen. Für eine nachträgliche
(zudem vollständige) Fälschung der Dokumentation spricht nichts. Es kann durchaus
sein, daß die Patientin an diesem Tag nicht unter den behaupteten Beschwerden
gelitten und diese deshalb nicht angegeben hat. Es mag auch sein, daß sie dem damals
nicht die nötige Bedeutung beigemessen hat und deshalb deren Angabe unterblieben
ist. Immerhin hatte sie gegenüber dem Vorbehandler Dr. M. seit 1984 bis 1989 immer
wieder über Unterleibsschmerzen, Ziehen in der Leiste und Leibschmerzen geklagt,
ohne daß jener - auch unter Einsatz von Ultraschall - eine konkrete Ursache dafür hat
feststellen können. Schließlich spricht dafür, daß sie von etwa Mitte Dezember 1989 bis
zum 26. April 199O eine Behandlung seitens der Beklagten überhaupt nicht in Anspruch
genommen hat. Wenn sie tatsächlich ständig über starke Beschwerden der behaupteten
Art gelitten haben sollte (wie in der Klageschrift Blatt 9 - 13 d.A. im einzelnen aufgeführt),
erscheint dies nicht recht nachvollziehbar.
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Andererseits ist nicht zu verkennen, daß es angesichts des am 18. Dezember 199O
vorgefundenen massiven Eierstocktumors aus Sicht des medizinischen Laien schwer
verständlich erscheint, die Patientin könne der Beklagten gegenüber außer am 26. April
199O ("Ziepen und Drücken im gesamten Bauch") bis Anfang Dezember 199O nicht
über die behaupteten Beschwerden geklagt haben. Der Senat hat deshalb die
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Dokumentation der Beklagten einer Sachverständigenprüfung unterzogen, ob sie aus
medizinischer Sicht plausibel ist. Der Sachverständige Prof. Sch. hat das bejaht. Die
Früherkennung von Eierstocktumoren sei besonders problematisch, weil deren
Entwicklung nicht von charakteristischen Symptomen begleitet sei. Der Tumor
verursache erst Beschwerden, wenn er andere Organe oder Nerven beeinträchtige, was
nicht selten erst zu einem sehr späten Stadium, d. h. wenn der Tumor bereits eine
erhebliche Größe erreicht habe, der Fall sei. Dies gelte besonders, wenn er - wie im
Streitfall - zystische Anteile habe, die sich sehr schnell entwickeln könnten. Es könne
deshalb durchaus sein, daß die Patientin erstmals am 11. Dezember 199O der
Beklagten gegenüber "seit Wochen ziehende Schmerzen im Unterleib rechts bis ins
Bein, bei GV wie Messerstich, Durchfall" geklagt habe. Das entspricht im Ergebnis der
Beurteilung von Prof. St..
Nach allem kann nicht davon ausgegangen werden, daß die Patientin gegenüber der
Beklagten andere Beschwerde angegeben hat, als diese am 4. Dezember 1989 und
später dokumentiert hat.
35
3.
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Es ist ferner nicht bewiesen, daß der Beklagten am 26. April 199O das Unterlassen
einer Ultraschalluntersuchung als Behandlungsfehler vorzuwerfen ist. Der
Sachverständige Prof. Sch. hat es nach dem dokumentierten Beschwerdebild für
ausreichend erachtet, durch manuelle vaginale, abdominale und rektale Untersuchung
den Bereich der Ovarien und des kleinen Beckens nach Resistenzen abzusuchen.
Nachdem sich ein unauffälliger Tast- bzw. Palpationsbefund ergeben habe, habe
mangels Verdachts auf das Vorliegen eines Ovarialtumors keine medizinische
Indikation bestanden, den Befund sonographisch oder gar mittels Computer- oder
Kernspintomographie zu überprüfen. Im Rahmen der Anhörung vor dem Senat hat er
dies dahin präzisiert, daß eine Ultraschalluntersuchung erst veranlaßt sei, wenn man
bei der bimanuellen Untersuchung einen (positiven) Befund erhebe oder sich des
Tastbefundes nicht sicher sei und bei dem Befund Beschwerden angegeben würden.
Derartiges sei der Dokumentation aber nicht zu entnehmen. Es seien auch keine auf
Eierstockkrebs hinweisende ins Bein ausstrahlende Schmerzen im Unterbauch
angegeben. Die dokumentierten Beschwerden seien für ein Ovarialkarzinom nicht
typisch. Übelkeit, Brustschmerzen und Hitzewallungen hätten im übrigen vertretbar als
frühzeitige Wechseljahrsbeschwerden in Verbindung mit Streß bei beruflicher
Belastung, über den die Patient tatsächlich geklagt habe, gewertet werden können. Der
Senat sieht keinen Grund, an der Richtigkeit dieser Feststellungen zu zweifeln, zumal
sie im Einklang mit denjenigen von Prof. St. stehen. Substantiierte Einwendungen
werden von dem Kläger denn auch nicht erhoben.
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Ob der zugrundeliegende Tastbefund unrichtig war, ist nicht feststellbar. Prof. Sch. ist
zwar der Auffassung, daß am 26. April 199O wahrscheinlich bereits eine Tumorbildung
im Stadium I vorhanden gewesen sei, diese aber durchaus unterhalb der tastbaren
Größe von 1 - 2 cm gelegen haben könne. Auch das stimmt mit den Feststellungen von
Prof. St. überein und erscheint auch wegen der schnell wachsenden zystischen Anteile
des später entfernten Tumors plausibel.
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4.
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Schließlich bleibt festzuhalten, daß auf der Grundlage der Dokumentation nach
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Sachverständigen-Feststellung auch für die restliche Behandlungszeit bis Dezember
199O keine schadensursächlichen diagnostischen Versäumnisse bewiesen sind. Da
die Berufung anderes auch nicht geltend macht, kann sich der Senat eine weitere
Begründung ersparen.
Die Verordnung östrogenhaltiger Medikamente (Hormonpflaster) wegen der als
Wechseljahrsbeschwerden gedeuteten Symptome ist jedenfalls bezogen auf die
damalige Behandlungszeit nicht zu beanstanden. Der Sachverständige Prof. Sch. hat
dargelegt, er würde das bei dem Beschwerdebild damals ohne Bedenken auch so
gemacht haben. Auch heute sei noch ungeklärt, ob sich eine Östrogengabe im positiven
oder negativen Sinn auf Tumore auswirke. Prof. St. hat (sogar) die Ansicht vertreten, die
Östrogengabe sei ohne Bedeutung für die Entwicklung eines Ovarialkarzinoms.
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Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 97 Abs. 1, 7O8 Nr. 1O, 711
ZPO.
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Wert der Beschwer für den Kläger: über 6O.OOO,OO DM.
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Streitwert des Berufungsverfahrens: 175.OOO,OO DM.
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