Urteil des OLG Köln vom 07.05.2004

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Oberlandesgericht Köln, 9 U 139/03
Datum:
07.05.2004
Gericht:
Oberlandesgericht Köln
Spruchkörper:
9. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
9 U 139/03
Vorinstanz:
Amtsgericht Köln, 24 O 386/02
Tenor:
Auf die Berufung der Klägerin wird das am 15.07.2003 verkündete Urteil
der 24. Zivilkammer des Landgerichts Köln - 24 O 386/02 - abgeändert
und wie folgt neu gefasst:
Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin aus
dem Schadenfall vom 16.03.2002 in O. auf B. uneingeschränkten
Kraftfahrzeug - Haftpflichtversicherungsschutz zu gewähren.
Die Kosten des Rechtstreits werden der Beklagten auferlegt.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
G r ü n d e :
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I. Die Klägerin hatte bei der Beklagten für ihren PKW Mazda 323 (amtliches
Kennzeichen xx – xx 797) eine Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung abgeschlossen.
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Am 16.03.2002 kam es um 23.15 Uhr auf der Gemeindestraße N. in O. auf B. zu einem
Verkehrsunfall. Die Klägerin stieß mit ihrem Fahrzeug gegen die Anhängerkupplung
eines parkenden Wagens. Das Fahrzeug der Klägerin rutschte über einen Seitenstreifen
und kam an einem Blumenkübel zum stehen, nachdem durch den Aufprall das
Vorderrad aus der Achse gerissen war. Zum Zeitpunkt des Unfalls stand die Klägerin
unter Alkoholeinfluss. Um 0.15 Uhr des 17.03.2002 wurde bei ihr eine BAK von 1,7
Promille festgestellt. Mit Schadenanzeige vom 09.04.2002 (Eingang bei der Beklagten
19.04.2002) teilte die Klägerin der Beklagten den Schadenhergang mit,
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wobei auch erwähnt wurde, dass die Klägerin als Fahrerin zum Unfallzeitpunkt Alkohol
getrunken habe, dass eine Blutuntersuchung angeordnet worden und dass das
Ergebnis 1,7 Promille gewesen sei (Bl. 36 GA).
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Mit Schreiben vom 13.06.2002 (Bl. 23 GA) verweigerte die Beklagte ihre
Leistungspflicht, da der Unfall auf den Genuss alkoholischer Getränke zurückzuführen
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sei. Eine Kündigung erübrige sich, da der "Vertrag bereits aufgehoben" sei.
Die Klägerin hat mit der Klage begehrt, die Beklagte zu verurteilen, für den Schadenfall
uneingeschränkten Versicherungsschutz zu gewähren. Sie hat vorgetragen, der Unfall
sei dadurch verursacht worden, dass sie durch ein entgegenkommendes Fahrzeug
geblendet worden sei.
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Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Es hat ausgeführt, die Beklagte sei
leistungsfrei nach § 2 a Abs. 1 e) und Abs. 2 AKB, weil die Klägerin den Unfall in Folge
des Genusses alkoholischer Getränke verursacht habe.
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Auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil und auf die
Entscheidungsgründe wird ergänzend Bezug genommen.
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Hiergegen wendet sich die Berufung der Klägerin. Sie macht geltend, sie habe die
ernsthafte reale Möglichkeit eines Geschehensablaufs dargestellt, der dahingehe, dass
sie tatsächlich durch Fernlicht geblendet worden und der Alkoholkonsum nicht
unfallursächlich gewesen sei.
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Die Klägerin beantragt,
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unter Abänderung des angefochtenen Urteils festzustellen, dass die
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Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin aus dem Schadensfall vom
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16.03.2002 in O. auf B. uneingeschränkten
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Haftpflichtversicherungsschutz zu gewähren.
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Die Beklagte beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Sie verteidigt das erstinstanzliche Urteil und hält die Berufung der Klägerin für
unzulässig, weil die Rechtsverletzung in der Berufungsbegründung nicht
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ordnungsgemäß angegeben sei. Im Hinblick auf weiteren Inhalt des Vortrages der
Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze verwiesen.
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Die Akten 113 Js 7205/02 StA Flensburg sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung
gewesen.
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II. Die in formeller Hinsicht bedenkenfreie Berufung der Klägerin ist begründet.
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1. Ein Verstoß gegen § 520 Abs. 3 Nr. 2 ZPO in der Berufungsbegründung ist nicht
anzunehmen. Die Klägerin hat die unrichtige Anwendung des materiellen Rechts durch
das Landgericht im Hinblick auf die Frage der Ursächlichkeit des Alkoholgenusses
gerügt. Dass diese Frage für die Entscheidung von Bedeutung ist, liegt auf der Hand.
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2. Die Beklagte ist nach § 10 Abs. 1 AKB verpflichtet, der Klägerin für das Unfallereignis
vom 16.03.2002 in der Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung uneingeschränkt
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Versicherungsschutz zu gewähren.
Leistungsfreiheit gemäß § 2 a Abs. 1 S. 1 e), 2 AKB (vgl. Bl. 120 GA) ist nicht
eingetreten. Nach dieser Bedingung ist der Versicherer von der Verpflichtung zur
Leistung frei, wenn der Fahrer (hier der Versicherungsnehmer selbst) infolge des
Genusses alkoholischer Getränke oder anderer berauschender Mittel nicht in der Lage
ist, das Fahrzeug sicher zu führen (Verstoß gegen die Trunkenheitsklausel). Die
Leistungsfreiheit ist allerdings nach Abs. 2 S. 1 u.a. gegenüber dem
Versicherungsnehmer auf höchstens 5.100,00 € beschränkt.
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Der Versicherer ist bei einer Obliegenheitsverletzung vor dem Versicherungsfall indes
nur dann leistungsfrei, wenn die Voraussetzungen des § 6 Abs. 1 VVG erfüllt sind.
Vorliegend fehlt es an einer fristgerechten Kündigung.
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Nach § 6 Abs. 1 S. 2 VVG kann der Versicherer den Vertrag innerhalb eines Monats,
nachdem er von der Obliegenheitsverletzung Kenntnis erlangt hat, ohne Einhaltung
einer Kündigungsfrist kündigen. Kündigt er innerhalb eines Monats nicht, so kann er
sich auf Leistungsfreiheit nicht berufen, § 6 Abs.1 S. 3 VVG. So liegt es hier.
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Die Frist beginnt, wenn der Versicherer den objektiven Tatbestand der
Obliegenheitsverletzung kennt. Die Kenntnis ist durch die Schadenanzeige eingetreten,
die am 19.04.2002 bei der Beklagten eingegangen ist. Hierin ist ausdrücklich mitgeteilt,
dass die Klägerin unter Alkoholeinfluss gefahren ist und die Blutuntersuchung 1, 7
Promille ergeben hat. Innerhalb eines Monats nach Kenntniserlangung ist eine
Kündigung nicht festzustellen.
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Allerdings entfällt das Erfordernis der Kündigung, wenn der Vertrag bereits
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vorher aus anderen Gründen gekündigt (vgl. BGH, VersR 1963, 426), durch Zeitablauf
beendet (vgl. BGH, VersR 1992, 1089), binnen der Monatsfrist nach der
Schadenanzeige einverständlich aufgehoben worden (vgl. OLG Hamm, VersR 1997,
568) oder das versicherte Interesse dauernd und vollständig weggefallen ist (vgl. BGH,
VersR 1985, 775). Diese Voraussetzungen sind nicht nachgewiesen.
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Im Schreiben der Beklagten vom 13.06.2002, das nach Ablauf der Monatsfrist erfolgt ist,
wird zwar eine Vertragsaufhebung erwähnt, diese ist aber nicht belegt. Die von der
Beklagten in der mündlichen Verhandlung überreichten Fotokopien über die
Vertragsabwicklung weisen die Vertragsaufhebung nicht nach. Dies gilt auch für einen
etwaigen Interessewegfall. Ein technischer Totalschaden ist nicht dargelegt. Eine
vorübergehende Stilllegung nach § 5 AKB bedeutet keinen Wegfall des versicherten
Interesses.
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Demnach kann sich die Beklagte nicht mit Erfolg auf Leistungsfreiheit wegen einer
Obliegenheitsverletzung berufen.
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Auf die Frage der groben Fahrlässigkeit, die die Beklagte anspricht, kommt es bei der
Haftpflichtversicherung im Hinblick auf § 152 VVG nicht an.
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3. Die prozessualen Nebenentscheidungen über die Kosten und die vorläufige
Vollstreckbarkeit beruhen auf den §§ 91 Abs. 1, 708 Nr.10, 713 ZPO. Die
Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO liegen nicht vor.
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Streitwert für das Berufungsverfahren: 4.080,00 € (80 % von 5.100,00 €).
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