Urteil des OLG Köln vom 08.08.2002
OLG Köln: wirtschaftliches interesse, beurkundung, abtretung, darlehensvertrag, erwerb, verfügung, geschäftsbeziehung, rückzahlung, auszahlung, kredit
Oberlandesgericht Köln, 7 U 105/01
Datum:
08.08.2002
Gericht:
Oberlandesgericht Köln
Spruchkörper:
7. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
7 U 105/01
Vorinstanz:
Landgericht Aachen, 4 O 415/00
Tenor:
Auf die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Landgerichts
Aachen vom 25.07.2001 - 4 O 415/00 - wird das angefochtene Urteil
teilweise abgeändert und insgesamt wie folgt neugefasst:
Der Beklagte wird unter Klageabweisung im übrigen verurteilt, an die
Klägerin 511.291,88 Euro nebst 5 % Zinsen seit dem 01.01.2000 zu
zahlen Zug um Zug gegen Abtretung
a) der Ansprüche des Herrn R. J. gegen Herrn A. M. aus dem
Darlehensvertrag vom 12.10.1999, Urk.-Nr. xxxxx/1999 des Beklagten,
angemeldet im Insolvenzverfahren 1503 IN 1776/99 AG München,
b) der angeblichen Ansprüche des Herrn R. J. gegen die H. Volksbank,
P.straße xx, xxxxx M., aus dem Erhalt der Darlehnssumme von 1 Million
DM des unter a) genannten Darlehensvertrages.
Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits beider Instanzen trägt der Beklagte.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Beklagte kann die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in
Höhe von 570.000 Euro abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der
Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Den Parteien wird gestattet, Sicherheit auch durch selbstschuldnerische
Bürgschaft einer deutschen Großbank oder öffentlich-rechtlichen
Sparkasse zu leisten.
Tatbestand
1
Die Klägerin begehrt aus abgetretenem Recht von dem Beklagten - einem früheren
Notar - Schadensersatz wegen einer Amtspflichtverletzung anlässlich der Beurkundung
eines Darlehensvertrages am 12.10.1999 über 1 Mio. DM zwischen dem Zeugen J. als
Darlehensgeber und dem Zeugen M. als Darlehnsnehmer, Urk.-Nr. xxxx/1999 des
Beklagten. Dieser Darlehensvertrag wurde vor folgendem Hintergrund geschlossen:
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Zwischen der Klägerin, deren Gesellschafter der Zeuge J. ist, und dem Zeugen M. hatte
bereits vor Oktober 1999 eine längerfristige Geschäftsbeziehung bestanden, in deren
Rahmen sie gemeinsam mit der Errichtung eines Gewerbeparks beschäftigt waren. Im
Herbst 1999 beabsichtigte der Zeuge M. nunmehr, von der Bundesrepublik
Deutschland, vertreten durch das Bundesvermögensamt, das Gelände der ehemaligen
S.-Kaserne in Geilenkirchen zum Kaufpreis von ca. 4 Mio. DM zu erwerben, um dort
ebenfalls einen Gewerbepark zu errichten. Die H. Volksbank in Mainburg, mit der der
Zeuge M. in Geschäftsbeziehung stand, wollte diesen Erwerb jedoch nur finanzieren,
sofern der Zeuge M. 1 Mio. DM an Eigenkapital aufbringen konnte. Da der Zeuge M.
über entsprechendes Kapital nicht verfügte, wandte er sich mit seinen
Liquiditätsproblemen an den Zeugen J. mit dem Vorschlag, ihm die erforderliche 1 Mio.
DM darlehensweise zu gewähren; im Gegenzug sollte die Klägerin später als
Generalunternehmerin mit der Errichtung des beabsichtigten Gewerbeparks mit einem
Auftragsvolumen von ca. 10 Mio. DM beauftragt werden.
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Am 08.10.1999 wandte sich der Zeuge J. auf Anraten seiner Bank an den Beklagten, um
sich beraten zu lassen, den Entwurf des Darlehensvertrages zu beauftragen und die
notwendigen Beurkundungen vorbereiten zu lassen. Über die Besprechung an diesem
Tag erstellte der Beklagte einen Aktenvermerk, auf dessen Inhalt (Bl. 22 GA) Bezug
genommen wird. Der Beklagte fertigte sodann den Entwurf eines Darlehensvertrages
zwischen den Zeugen J. und M., den er dem Zeugen J. per Telefax übermittelte. Am
12.10.1999 erfolgte die Beurkundung des Darlehensvertrages, auf dessen Inhalt (Bl. 13
ff GA) Bezug genommen wird. Der Beklagte klärte die Urkundsbeteiligten dabei darüber
auf, dass bis zur Eintragung der für den Darlehensbetrag beabsichtigten
Sicherungsgrundschuld auf dem noch zu erwerbenden Kasernengelände die
vereinbarte Sicherheit wertlos sein könne. Es erfolgte keine Aufklärung und Belehrung
des Beklagten dazu, ob und ggf. welche Sicherungsmöglichkeiten für den
Darlehensbetrag bis zur Eintragung dieser Grundschuld gegeben sein könnten.
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Der Darlehensbetrag von 1 Mio. DM wurde nach der Beurkundung am 12./13.10.1999
auf ein Konto des Zeugen M. bei der H. Volksbank überwiesen, welches jedoch auch
danach noch ein Debetsaldo aufwies. Den Darlehensbetrag hatte der Zeuge J.
seinerseits darlehensweise von seiner Hausbank, der Kreissparkasse H., erhalten,
wobei zur dinglichen Absicherung eine Grundschuld auf einem Grundstück seiner
Ehefrau bewilligt und eingetragen worden war; zudem hatte der Geschäftsführer der
Klägerin für einen Betrag von 500.000 DM eine selbstschuldnerische Bürgschaft
übernommen.
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In der Folgezeit leistete der Zeuge M. von seinem Konto bei der H. Volksbank im
Rahmen der ihm zur Verfügung stehenden Kreditlinie an das Bundesvermögensamt
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eine Anzahlung von 350.000 DM. Im Dezember 1999 kündigte die Deutsche Bank, mit
der der Zeuge M. ebenfalls in Geschäftsbeziehung stand, dem Zeugen sämtliche
Kredite, was zum wirtschaftlichen Zusammenbruch des Zeugen M. und auch zum
Scheitern des Ankaufs des S.-Kasernengeländes führte. Der Betrag von 350.000 DM
wurde vom Bundesvermögensamt auf das Konto des Zeugen M. bei der H. Volksbank
zurückgezahlt; die H. Volksbank gab den Darlehensbetrag von 1 Mio. DM jedoch nicht
zur Rückzahlung an den Zeugen J. frei, sondern verwendete ihn zur teilweisen Tilgung
der bei ihr bestehenden Verbindlichkeiten des Zeugen M..
Durch Schreiben vom 01.02.2000 kündigte der Zeuge J. das Darlehen und versuchte in
der Folgezeit, eine vollstreckbare Ausfertigung der Darlehensurkunde, die auch eine
persönliche Zwangsvollstreckungsunterwerfung des Zeugen M. enthält, zu erlangen,
was jedoch an der Formulierung der Unterwerfungserklärung scheiterte. Am 08.05.2000
wurde über das Vermögen des Zeugen M. schließlich das Insolvenzverfahren eröffnet.
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Mit ihrer Klage begehrt die Klägerin, der die Ansprüche des Zeugen J. aus dem
Darlehensvertrag vom 12.10.1999 und auch etwaige Schadensersatzansprüche
gegenüber dem Beklagten abgetreten wurden, Ersatz des Darlehensbetrags von 1 Mio.
DM nebst der Zinsen, die der Zeuge J. wegen des von ihm aufgenommenen Darlehens
seinerseits an die Kreisparkasse H. zu zahlen hat. Sie hat die Auffassung vertreten, der
Beklagte habe sich im Rahmen der übernommenen Beratung und aufgrund der
gegebenen Belehrungspflichten einer Pflichtverletzung schuldig gemacht, da er den
Zeugen J. im Rahmen des von ihm entworfenen und beurkundeten Darlehensvertrages
nicht über mögliche weitere Sicherungsmöglichkeiten aufgeklärt habe. Bei der
Darlehenshingabe habe es sich bis zum Zeitpunkt der beabsichtigten
Grundschuldeintragung auf dem zu erwerbenden Kasernengelände um eine
ungesicherte Vorleistung gehandelt, für die der Beklagte Sicherungsmöglichkeiten hätte
aufzeigen müssen; solche wären in Form eines Treuhandauftrages gegenüber der H.
Volksbank, einer Abwicklung über Notaranderkonto oder der Vereinbarung einer
Bankbürgschaft auch in Betracht gekommen. Zudem habe der Beklagte eine weitere
Pflichtverletzung dadurch begangen, dass die persönliche Unterwerfungserklärung des
Zeugen M. in der notariellen Urkunde so unvollkommen formuliert sei, dass eine
vollstreckbare Ausfertigung nicht zu erlangen gewesen sei.
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Das Landgericht hat die Klage abgewiesen; wegen der Begründung wird auf die
Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils Bezug genommen. Mit ihrer Berufung
verfolgt die Klägerin unter Wiederholung und Vertiefung ihres Vorbringens das
Klageziel weiter und behauptet, im Termin zur Beurkundung des Darlehensvertrages
habe der Zeuge J. nach der Belehrung des Beklagten darüber, dass die beabsichtigte
Sicherungsgrundschuld auf dem noch zu erwerbenden Kasernengelände bis zum
Erwerb des Grundstücks durch den Zeugen M. wertlos sein könne, ausdrücklich danach
gefragt, ob bis zu diesem Zeitpunkt andere Sicherheiten in Betracht kämen, was der
Beklagte verneint habe. Auf anderweitigen Sicherheiten wie etwa einer
treuhänderischen Überweisung des Darlehenbetrages an die H. Volksbank hätte der
Zeuge J., wären sie ihm bekannt gewesen, bestanden; der Zeuge M. hätte eine solche
treuhänderische Bindung akzeptiert.
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Die Klägerin beantragt,
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unter Abänderung des angefochtenen Urteils den Beklagten zu verurteilen, an sie
600.901,40 EUR nebst 7,5 % Zinsen ab dem 01.04.2002 Zug um Zug gegen
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Abtretung der Ansprüche aus dem Insolvenzverfahren 1503 IN 1776/99 bei dem
Amtsgericht München aus der Anmeldung der Darlehenssumme von 1.000.000,00
DM gemäß Notarvertrag des Beklagten UR-Nr. xxxx/1999 vom 12.10.1999,
hilfsweise den Beklagten zu verurteilen, an sie 511.291,88 EUR nebst 6 % Zinsen
für die Zeit vom 13.10.1999 - 04.01.2000 und weiterer Zinsen von 6,25 % für die
Zeit vom 05.01.2000 - 20.03.2000 und weiterer Zinsen von 6,75 % für die Zeit vom
21.03.2000 - 17.09.2000 und weiterer 7,25 % Zinsen für die Zeit vom 18.09.2000 -
30.09.2000 und weiterer 7,5 % Zinsen seit dem 01.10.2000 zu zahlen Zug um Zug
gegen Abtretung der Ansprüche aus dem Insolvenzverfahren 1503 IN 1776/99 bei
dem Amtsgericht München aus der Anmeldung der Darlehenssumme von
1.000.000,00 DM gemäß Notarvertrag des Beklagten UR-Nr. xxxx/1999 vom
12.10.1999,
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äußerst hilfsweise den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin 534.555,72 EUR
nebst 6 % Zinsen seit dem 01.07.2000 zu zahlen Zug um Zug gegen Abtretung der
Ansprüche aus dem Insolvenzverfahren 1503 IN 1776/99 bei dem Amtsgericht
München aus der Anmeldung der Darlehenssumme von 1.000.000,00 DM gemäß
Notarvertrag des Beklagten UR-Nr. xxxx/1999 vom 12.10.1999.
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Der Beklagte beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen,
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verteidigt das angefochtene Urteil, macht ergänzende Ausführungen und tritt den
Rechtsausführungen der Klägerin entgegen. Er bestreitet, dass die Klägerin oder der
Zeuge J. keinerlei Rückzahlungen auf die Darlehnssumme erhalten hätten. Der
Beklagte vertritt die Auffassung, es habe sich bei der Darlehenshingabe nicht um eine
ungesicherte Vorleistung gehandelt; über das mit der Auszahlung des Darlehens
verbundene Verwendungsrisiko habe er nicht aufklären müssen.
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Der Senat hat gemäß Beschluss vom 28.02.2002 Beweis erhoben durch die
Vernehmung der Zeugen J. und M.. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird
auf die Sitzungsniederschrift vom 20.06.2002 Bezug genommen. Wegen aller weiteren
Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien
gewechselten erst- und zweitinstanzlichen Schriftsätze und die dazu überreichten
Anlagen sowie auf das angefochtene Urteil Bezug genommen.
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Entscheidungsgründe
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Die zulässige Berufung ist bis auf einen Teil des Zinsanspruchs begründet, denn dem
Zeugen J. steht gemäß § 19 Abs. 1 BNotO ein Schadensersatzanspruch gegen den
Beklagten zu, da dieser fahrlässig eine ihm gegenüber dem Zeugen J. obliegende
Amtspflicht verletzt hat. Die daraus resultierenden Ersatzansprüche hat der Zeuge J. an
die Klägerin abgetreten, weshalb die Klage überwiegend begründet ist.
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Angesichts der hier gegebenen Gesamtumstände des beurkundeten
Darlehensvertrages traf den Beklagten gemäß § 17 Abs. 1 BeurkG die Pflicht, den
Zeugen J. über die Tragweite und Bedeutung seiner Darlehenshingabe, den dabei über
geraume Zeit hinweg nicht dinglich gesicherten Status und gegebenenfalls
weitergehende Gestaltungsmöglichkeiten aufzuklären. Denn im Rahmen seiner hier
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entfalteten Tätigkeit war der Beklagte nicht nur beauftragt, die Rechtsgeschäfte zu
beurkunden, die eine notarielle Einschaltung zwingend erforderlich machten, also
insbesondere die in § 7 der Urkunde vom 12.10.1999 auch enthaltene
Grundschuldbestellung zur Absicherung des gewährten Darlehens. Vielmehr hatte es
der Beklagte übernommen, nach den Angaben des Zeugen M. vom 08.10.1999, wie sie
sich im Wesentlichen aus dem Aktenvermerk des Beklagten vom gleichen Tag ergeben,
den gesamten Vertragstext und die einzelnen Regelungen des beabsichtigten
Darlehensvertrages zu entwerfen und zu formulieren, wobei er über sämtliche
Hintergründe und die mit dem Darlehensvertrag verfolgten Zwecke informiert war,
insbesondere auch über die Liquiditätsprobleme des Zeugen M.. Schon ein einfacher
Vergleich des Vertragsentwurfes (Bl. 87 GA), den der Zeuge J. am 08.10.1999 mit zum
Beklagten brachte, mit dem Vertragsentwurf, den der Beklagte sodann entwarf und dem
Zeugen J. per Telefax zur Verfügung stellte (Bl. 95 GA) und wie er mit Änderungen
sodann am 12.10.1999 beurkundet wurde (Bl. 13 GA), zeigt, dass die einzelnen
Regelungen vom Beklagten erarbeitet und formuliert wurden.
Es ist zwischen den Parteien unstreitig und aus § 10 Nr. 4 und 6 des
Darlehensvertrages auch ersichtlich, dass der Beklagte anlässlich der Beurkundung
über den nicht dinglich gesicherten Status des Zeugen J. als Darlehensgeber bis zur
Eintragung der Grundschuld auf dem zu erwerbenden Kasernengelände aufgeklärt und
belehrt hat. Ebenso unstreitig ist zwischen den Parteien aber auch, dass der Beklagte
auf etwaige weitere Sicherungsmöglichkeiten bis zur Eintragung dieser Grundschuld
nicht hingewiesen und belehrt hat. Angesichts der übernommenen Pflichten zur
Vertragsgestaltung und des Charakters der Darlehenshingabe als ungesicherter
Vorleistung hätten von dem Beklagten solche Hinweise und Belehrungen aber erteilt
werden müssen.
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Bei der Darlehenshingabe des Zeugen J. handelte es sich um eine ungesicherte
Vorleistung mit einer bestimmten Zweckbindung; beides war dem Beklagten
ausweislich § 2 des Vertrages aufgrund der Besprechung mit dem Zeugen J. am
08.10.1999 bekannt. Die Zweckbindung bestand darin, dass der Zeuge M. den
Darlehensbetrag als Eigenkapitalanteil zum Erwerb des Kasernengeländes verwenden
sollte, wie es die finanzierende H. Volksbank zur Bedingung gemacht hatte. Um eine
ungesicherte Vorleistung handelte es sich insoweit, als der
Darlehensrückzahlungsanspruch des Zeugen J. bis zur Eintragung der beabsichtigten
Grundschuld nicht dinglich gesichert war, angesichts des nur künftige
Grundschuldgläubiger begünstigenden Schuldanerkenntnisses mit
Unterwerfungserklärung in § 7 Nr. 4 des Vertrages nicht einmal in sonstiger Weise. Zur
Auszahlung gelangen sollten hier die Darlehensmittel nicht etwa wie üblich Zug um Zug
gegen Gestellung der vereinbarten Sicherheiten, sondern schon im Vorfeld des Erwerbs
gerade zum Zwecke des Erwerbs, wodurch dann erst tatsächlich die Eintragung der
Grundschuld als Sicherheit möglich gewesen wäre. Gerade in Verbindung mit der
Zweckbindung können keine Zweifel daran bestehen, dass es sich hier bei der
Darlehenshingabe zumindest um eine solche Fallgestaltung handelte, die der einer
ungesicherten Vorleistung gleichsteht und in der der Leistende jedenfalls des gleichen
Schutzes durch Belehrung und Aufklärung seitens des beurkundenden Notars bedarf.
Vorliegend gilt dies in besonderem Maße, da der Beklagte eben derjenige war, der die
entsprechenden vertraglichen Regelungen konzipiert hatte.
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Für solche Vorleistungsfälle besteht nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs
eine doppelte Belehrungspflicht, wobei der Notar einerseits über die Folgen zu belehren
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hat, die im Falle der Leistungsunfähigkeit des durch die Vorleistung Begünstigten
eintreten, und andererseits Wege aufzuzeigen hat, wie diese Risiken vermieden werden
können (BGH NJW 1999, 2188). Nach dem unstreitigen Parteivorbringen und dem Inhalt
der Hinweise in § 10 des Vertrages ist davon auszugehen, dass der Beklagte über den
Charakter und die Gefahr der Vorleistung als solche belehrt hat; dem Zeugen J. musste
danach klar sein, dass er im Begriff war, bis zur Eintragung der Grundschuld eine
ungesicherte Vorleistung zu erbringen. Solange aber nicht auszuschließen war, dass er
das damit verbundene Risiko als unvermeidlich ansah, musste ihn der Beklagte über
Sicherungsmöglichkeiten belehren, die sich aus dem Inhalt des Geschäfts ergaben, für
den Notar erkennbar sowie für den anderen Vertragsbeteiligten zumutbar waren (BGH
a.a.O.).
Solche Sicherungsmöglichkeiten bestanden hier auch insoweit, als - auch ohne
zeitliche Verzögerung durch entsprechendes Telefax zeitgleich mit der Überweisung
des Darlehensbetrages - der Zeuge J. die Darlehensmittel mit einer treuhänderischen
Bindung (gesonderte Verwahrung getrennt von sonstigen Konten des Zeugen M.,
Zweckbindung betreffend die Kaufpreiszahlung, Rückzahlung bei
Nichtzustandekommen des Kaufvertrages) versehen an die H. Volksbank hätte
überweisen können. Damit wäre weitgehend sichergestellt gewesen, dass der Betrag
nur als Eigenkapital des Zeugen M. für den Kaufpreis verwendet worden und bei
Nichtzustandekommen des Kaufvertrages und damit der vereinbarten Sicherheit wieder
zurückgeflossen wäre. Verblieben wäre zwar das Insolvenzrisiko des Zeugen M.;
ausgeschlossen war damit aber jedenfalls das Risiko, das sich hier verwirklicht hat,
nämlich die zweckfremde Verwendung des Darlehensbetrages durch den Zeugen M.
selbst oder dessen Bank. Inwieweit noch weitere Möglichkeiten in Betracht gekommen
wären (Abwicklung über Notaranderkonto, treuhänderische Auszahlung unmittelbar an
die Bundesvermögensverwaltung), mag hier dahinstehen, da sich unter den gegebenen
Umständen und insbesondere wegen des bestehenden Zeitdrucks der Weg einer
treuhänderischen Zahlung an die H. Volksbank als der schnellste und einfachste
darstellte.
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Hätte der Beklagte den Weg einer treuhänderischen Bindung aufgezeigt, spricht für den
Zeugen J. und damit für die Klägerin schon der Grundsatz beratungsentsprechenden
Verhaltens, den der Beklagte nicht widerlegt hat. Zudem steht aufgrund der Aussagen
der Zeugen J. und M., denen der Senat folgt, fest, dass der Zeuge J. einem solchen Rat
gefolgt wäre und der Zeuge M. eine solche Bindung als dem Vertragszweck
entsprechend akzeptiert hätte. Der Hinweis auf die mögliche Treuhandbindung hätte
auch nicht gegen die dem Beklagten obliegende Neutralitätspflicht verstoßen, da zum
einen die Belehrungspflicht ohnehin vorgeht, vor allem aber auch deshalb nicht, da eine
solche treuhänderische Bindung dem Zeugen M. in keiner Weise zum Nachteil gereicht
hätte, sondern vielmehr damit eben nur der einverständlich vertraglich festgelegte
Zweck der Darlehenshingabe sichergestellt worden wäre.
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Ist eine Sicherungsmöglichkeit wie hier ohne weiteres erkennbar gegeben, muss der
Notar den Urkundsbeteiligten in dieser Richtung sachdienliche Vorschläge unterbreiten
(BGH a.a.O.). Dies gilt vorliegend in einem besonderen Maße, da dem Beklagten die
Liquiditätsprobleme des Zeugen M. bekannt waren; die Gefahr eines Untergangs oder
einer nicht zweckentsprechenden Verwendung der Darlehensmittel lag somit auf der
Hand. Eine dahingehende Hinweispflicht schied nur aus, wenn die Beteiligten nach
Belehrung über die Gefahr auf jegliche weitere Sicherungen verzichtet und das
bestehende Risiko bewusst in Kauf genommen hätten. Soweit der Beklagte sich dafür
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auf die Hinweise in § 10 der Urkunde beruft, kann dem nicht gefolgt werden, da ein
Hinweis auf die hier relevante Sicherungsmöglichkeit darin nicht enthalten ist.
Von Bedeutung sind in diesem Zusammenhang § 10 Nr. 4 bis 6, deren Formulierungen
allerdings teilweise unklar sind. § 10 Nr. 4 bezieht sich mit Ausnahme des Satz 2 dem
Wortlaut nach auf § 7 Abs. 2 betreffend den Rang der Grundschuld; Nr. 4 Satz 2 betrifft
das Insolvenzrisiko, wobei der in Klammern geschriebene Zusatz (insbesondere ...)
insofern unzutreffend bzw. zumindest irreführend ist, als vor Umschreibung des
Pfandgrundbesitzes im Falle der Insolvenz die vereinbarte Sicherheit - die Grundschuld
- nicht wertlos sein "kann", sondern auf jeden Fall wertlos war, da sie nicht einmal zur
Entstehung gelangte. Soweit gemäß § 10 Nr. 5 die Beteiligten weitere Sicherheiten
ablehnen, spricht die beispielhafte Aufzählung dafür, dass sich dies in erster Linie auf
den ins Auge gefassten Werkvertrag bezieht. Jedenfalls kommt dabei aber nicht zum
Ausdruck, dass der Zeuge J. damit auch auf jegliche weitere Sicherungsmöglichkeiten
betreffend das Darlehen verzichten wollte, insbesondere nicht auf eine Sicherheit wie
die mögliche Treuhandbindung, die ihm gar nicht bekannt war, da der Beklagte diese
Möglichkeit nicht angesprochen hat. Es kann auch nicht davon ausgegangen werden,
dass ihm die Möglichkeit einer Treuhandvereinbarung oder überhaupt anderweitige
Sicherungsmöglichkeiten bekannt waren, auch wenn er Geschäftsführer einer GmbH
und Gesellschafter der Klägerin ist, denn auch einem am Wirtschaftsleben teilhabenden
Geschäftsmann sind solche Institute eher fremd. Ohne dahingehende konkrete
Aufklärung, die in § 10 des Vertrages nicht zu erkennen ist, konnte der Beklagte
jedenfalls nicht ohne weiteres ausschließen, dass der Zeuge J. das Risiko betreffend
das Darlehen bis zur Grundschuldeintragung als unvermeidlich ansah, weshalb er ihn
über weitere Sicherungsmöglichkeiten hätte belehren müssen.
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Am Verschulden des Beklagten, der jedenfalls fahrlässig gehandelt hat, bestehen keine
Zweifel, denn bei gehöriger Sorgfalt hätte er ohne weiteres erkennen können, dass
jedenfalls eine weitergehende Sicherung durch Treuhandbindung möglich war und der
Zeuge J. darüber aufzuklären war; solche treuhänderischen Bindungen im Verhältnis zu
Banken sind das tägliche Geschäft eines Notars.
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Soweit sich der Beklagte auf andere Ersatzmöglichkeiten gemäß § 19 Abs. 1 Satz 2
BNotO beruft, ist darauf hinzuweisen, dass es sich bei der hier von dem Beklagten
wahrgenommenen Tätigkeit um eine jedenfalls ganz überwiegend dem Gebiet der
vorsorgenden Rechtspflege unterfallende Beauftragung i.S.v. § 24 Abs. 1 BNotO
handelte, weshalb die Subsidiaritätsklausel des § 19 Abs. 1 Satz 2 BNotO ohnehin nicht
einschlägig ist. Unabhängig davon ist eine anderweitige Ersatzmöglichkeit aber auch
nicht erkennbar, insbesondere nicht die von dem Beklagten mit der Berufung geltend
gemachte, wonach Ersatzansprüche gegen die Bank (H. Volksbank) des Zeugen M.
bestehen sollen, da sie gegen eine Zweckbindung verstoßen habe. Denn eine solche
Zweckbindung der Bank gab es gerade eben nicht; die Angabe auf dem
Überweisungsträger (Bl. 143 GA) bezeichnet lediglich den Überweisungszweck und
richtet sich nicht an die Bank, sondern den Zeugen M..
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Unabhängig von den vorstehenden Ausführungen, wonach der Beklagte auch ohne
konkrete Nachfrage des Zeugen J. schon wegen der nicht erfolgten Hinweise auf
weitergehende Sicherungen betreffend die ungesicherte Vorleistung haftet, hat sich der
Beklagte aber vor allem auch deshalb einer Amtspflichtverletzung schuldig gemacht, da
er die tatsächlich erfolgte Nachfrage des Zeugen J., ob es für den Zeitraum bis zur
Eintragung der Grundschuld keine weiteren Sicherungsmöglichkeiten gebe, verneint
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hat. Gerade wenn der Zeuge nach Aufklärung über den bis zur Grundschuldeintragung
nicht gesicherten Zustand insoweit über weitere Sicherungsmöglichkeiten Aufklärung,
Information und Beratung wünschte, hätte der Notar solche Möglichkeiten aufzeigen
müssen, um den Zeugen J. in die Lage zu versetzen, über solche andere
Gestaltungsmöglichkeiten zu entscheiden und die Risiken abzuwägen.
Nach dem Ergebnis der berufungsinstanzlich durchgeführten Beweisaufnahme steht zur
Überzeugung des Senats fest, dass der Zeuge J. anlässlich des Beurkundungstermins
eine entsprechende Frage gestellt und der Beklagte sie verneint hat. Der Zeuge J. hat
anschaulich und glaubhaft geschildert, dass er nach dem Hinweis des Beklagten, bis
zur Eintragung der Grundschuld auf dem noch zu erwerbenden Kasernengelände sei
keine Sicherheit für das Darlehen gegeben, überrascht gewesen sei und nachgefragt
habe, ob es nicht doch auch eine Möglichkeit gebe, das Darlehen bis zu diesem
Zeitpunkt zu sichern, was der Beklagte verneint habe. Noch detailreicher und
anschaulicher, da offenkundig mit einem besseren Erinnerungsvermögen ausgestattet,
hat der Zeuge M. die Vorgänge im Rahmen der Beurkundung geschildert und die
Angaben des Zeugen J. bestätigt. Es war deutlich zu merken, wie der Zeuge M. im
Rahmen seiner Angaben glaubhaft auf eine gesicherte Erinnerung zurückgreifen konnte
und insbesondere auf persönliche Nachfrage des Beklagten zahlreiche Details
benennen konnte, die der Beklagte als zutreffend einräumte. Die Angaben beider
Zeugen waren in sich schlüssig und fügten sich vor allem auch zwanglos in die vom
Beklagten persönlich gegebene Darstellung des Beurkundungstermins, der den Ablauf
mit Ausnahme der Nachfrage nach weiteren Sicherungsmöglichkeiten im Wesentlichen
so wiedergab wie die beiden Zeugen. Es ist nicht zu verkennen, dass beide Zeugen am
Ausgang des Rechtstreits durchaus ein wirtschaftliches Interesse haben; angesichts des
persönlichen Eindrucks des Senats von der Glaubwürdigkeit der Zeugen und aufgrund
der vorgenannten Umstände hat der Senat aber keine vernünftigen Zweifel, dass die
Angaben der Zeugen zutreffend sind. Der Senat folgt deshalb den Angaben der Zeugen,
bestätigt durch die Bekundungen des Geschäftsführers der Klägerin im Rahmen seiner
persönlichen Anhörung, auch insoweit, als die Klägerin oder der Zeuge J. keine
Rückzahlungen auf die Darlehensforderung erhalten haben.
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Aufgrund der Pflichtverletzung ist dem Zeugen J. ein Schaden von 1 Mio. DM
entstanden, den der Beklagte zu ersetzen hat. Bei zutreffender Aufklärung über die
gegebene Möglichkeit einer treuhänderischen Überweisung an die H. Volksbank hätte
der Zeuge J. von dieser Möglichkeit, mit der der Zeuge M. gemäß seinen glaubhaften
Bekundungen als dem Vertragszweck entsprechend einverstanden gewesen wäre,
Gebrauch gemacht. Nach Scheitern des Kaufvertrages und Rückzahlung der von dem
Zeugen M. geleisteten Anzahlung wären entsprechend der dann gegebenen
treuhänderischen Zweckbindung die Darlehensmittel an den Zeugen J.
zurückgeflossen, wodurch der Verlust des Darlehensbetrags nicht eingetreten wäre.
Diesen Schaden ist der Beklagte verpflichtet zu ersetzen.
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Soweit die Klägerin allerdings als weiteren Schaden die Zinsen geltend macht, die der
Zeuge J. gegenüber seiner Bank für den dort seinerseits aufgenommenen Kredit zu
tragen hat, kann eine Ersatzpflicht nicht angenommen werden. Denn die Klägerin hat
nicht vorgetragen und es ist mangels Vorlage des Kreditvertrages mit der
Kreissparkasse H. auch sonst nicht ersichtlich, dass der Zeuge J. den Kredit jederzeit
zurückführen konnte. Entsprechend den üblichen Bedingungen dinglich gesicherter
Kredite und aufgrund der Angaben in den vorgelegten Zinsbescheinigungen der
Kreissparkasse H., in denen jeweils von einem Festkredit die Rede ist, ist vielmehr
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davon auszugehen, dass der Kredit nicht jederzeit rückführbar war, die Zinsen von dem
Zeugen J. mithin auch zu tragen gewesen wären, wenn bei Scheitern des Erwerbs des
Kasernengeländes entsprechend der bei ordnungsgemäßem Verhalten des Beklagten
dann gegebenen Treuhandbindung die Darlehensmittel von der H. Volksbank an den
Zeugen J. zurückgelangt wären. Ein Zinsschaden kommt somit nur insoweit in Betracht,
als der Zeuge J. nicht in der Lage war, den zurückerhaltenen Darlehensbetrag zu
kapitalmarktüblichen Bedingungen anzulegen. Der Senat schätzt diesen Zinsverlust
gemäß § 287 ZPO auf jedenfalls 5 %, weshalb ein Zinsanspruch nur in dieser Höhe
gerechtfertigt ist.
Als Beginn der Verzinsung setzt der Senat in Anwendung des § 287 ZPO den
01.01.2000 an. Im Dezember 1999 begann der wirtschaftliche Zusammenbruch des
Zeugen M. und scheiterte auch der beabsichtigte Erwerb des Kasernengeländes. Es
kann davon ausgegangen werden, dass bei entsprechender Treuhandbindung der
Zeuge J. die Darlehensmittel im Lauf des Dezember 1999 zurückerlangt hätte, wonach
sie ihm ab 01.01.2000 zwecks Anlage zur Verfügung gestanden hätten. Wegen des
weitergehenden Zinsanspruchs war die Klage somit abzuweisen.
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Soweit der Beklagte einwendet, ihm seien jedenfalls die Ansprüche des Zeugen J.
gegen den Zeugen M. und die seiner Ansicht nach gegebenen
Schadensersatzansprüche gegen die H. Volksbank abzutreten, wird dem durch die
ausgesprochene Zug um Zug Verurteilung Rechnung getragen.
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Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf § 92 Abs. 2, § 708 Nr. 10, § 711
ZPO. Soweit der Beklagte die Ansicht vertritt, hinsichtlich der Kosten müsse wegen
neuen Vorbringens in der Berufungsinstanz § 97 Abs. 2 ZPO Anwendung finden,
besteht dafür kein Anlass. Zum einen rechtfertigt sich der Schadensersatzanspruch aus
§ 19 Abs. 1 BNotO wie dargelegt auch ohne entsprechende Nachfrage des Zeugen J.,
da der Beklagte von sich aus auf die weiteren Sicherungsmöglichkeiten hätte hinweisen
müssen. Zum anderen handelt es sich bei dem Vortrag der Klägerin zur Nachfrage des
Zeugen J. im Beurkundungstermin lediglich um eine Ergänzung des erstinstanzlichen
Klagevorbringens, welches auch schon darauf gestützt war, dass es an entsprechenden
Hinweisen des Beklagten gefehlt habe, nunmehr eben lediglich ergänzt um die
Behauptung, dass es dazu sogar eine Nachfrage des Zeugen J. gegeben habe.
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Streitwert für das Berufungsverfahren und Wert der Beschwer für den Beklagten:
511.291,88 Euro (= 1 Mio. DM; für den Gebührenstreitwert gilt über § 12 Abs. 1 GKG die
Vorschrift des § 4 Abs. 1 Halbsatz 2 ZPO, wonach Zinsen als Nebenforderungen bei der
Wertberechnung unberücksichtigt bleiben. Dies ist auch dann der Fall, wenn wie hier
Zinsen für bestimmte Zeiträume ausgerechnet und im Klageantrag als einheitlicher
Betrag mit der Hauptforderung geltend gemacht werden.)
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