Urteil des OLG Köln vom 22.03.2000

OLG Köln: örtliche zuständigkeit, eintragung im handelsregister, rechtliches gehör, auflage, bezirk, geschäftsführung, bindungswirkung, geschäftsführer, rechtsirrtum, rechtsgrundlage

Oberlandesgericht Köln, 2 W 49/00
Datum:
22.03.2000
Gericht:
Oberlandesgericht Köln
Spruchkörper:
2. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
2 W 49/00
Vorinstanz:
Amtsgericht Köln, 72 IN 274/99
Tenor:
Für die Bearbeitung des Antrages auf Eröffnung des
Insolvenzverfahrens ist das Amtsgericht Aachen zuständig.
G r ü n d e
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1.
2
Mit einem beim Amtsgericht Köln am 22. November 1999 eingegangenen Schreiben hat
die Schuldnerin beantragt, das Insolvenzverfahren über ihr Vermögen einzuleiten. In der
Antragsschrift heißt es unter anderem, durch notarielle Urkunde vom 8. November 1999
sei der frühere Geschäftsführer abberufen und Herr M.M. zum neuen Geschäftsführer
bestellt worden. Gleichzeitig sei mit der Neubestellung des Geschäftsführers der
Verwaltungssitz der Gesellschaft nach W. verlagert worden, die Geschäftsführung werde
von dort aus durchgeführt, alle Geschäftsunterlagen befänden sich inzwischen am
Verwaltungssitz. Mit Verfügung vom 24. November 1999 hat das Amtsgericht auf
Bedenken hinsichtlich der örtlichen Zuständigkeit hingewiesen, da der Mittelpunkt der
selbständigen wirtschaftlichen Tätigkeit der Schuldnerin sich nunmehr in W. (=
Amtsgerichtsbezirk Aachen) befinde.
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Durch Beschluß vom 2. Dezember 1999 hat das Amtsgericht Köln sich für örtlich
unzuständig erklärt und das Verfahren an das Amtsgericht Aachen verwiesen. Auf
Anfrage des Amtsgerichts Aachen hat die Schuldnerin mit Schreiben vom 4. Januar
2000 mitgeteilt, die Verlegung des Verwaltungssitzes nach W. sei lediglich zur Prüfung
und Durchführung eines möglichen Insolvenzverfahrens erfolgt. Mit Beschluß vom 23.
Februar 2000 hat sich das Amtsgericht Aachen ebenfalls für örtlich unzuständig erklärt
und die Sache dem Oberlandesgericht Köln zur Bestimmung des zuständigen Gerichts
vorgelegt.
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2.
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a)
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Nachdem sich sowohl das Amtsgericht Köln als auch das Amtsgericht Aachen für
unzuständig erklärt haben, ist gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO, der nach § 4 InsO im
Insolvenzverfahren entsprechend anzuwenden ist (Senat, Beschluß vom 19. Januar
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2000, 2 W 277/99; Becker in: Nerlich/Römermann, InsO, 1999, § 3 Rdnr. 51
HK-Kirchhof, InsO, 1999, § 3 Rdnr. 21), von dem Oberlandesgericht Köln als das
zunächst höhere gemeinschaftliche Gericht der beteiligten Insolvenzgerichte von Köln
und Aachen das zuständige Gericht zu bestimmen.
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b)
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Zuständig ist das Amtsgericht Aachen. Dies folgt aus dem Verweisungsbeschluß des
Amtsgerichts Köln vom 9. Dezember 1999, durch den nach der im Insolvenzverfahren
gemäß § 4 InsO entsprechend anwendbaren Vorschrift des § 281 Abs. 2 Satz 5 ZPO
(vgl. Senat, Beschluß vom 19. Januar 2000, 2 W 277/99; Becker in: Nerlich/Römermann,
a.a.O., § 3 Rdnr. 49; Prütting in: Kübler/Prütting, InsO, 1999, § 3 Rdnr. 15) die örtliche
Zuständigkeit des Insolvenzgerichts Aachen bindend festgelegt worden ist. Zwar kann
aus rechtsstaatlichen Gründen ein Verweisungsbeschluß dann nicht als verbindlich
hingenommen werden, wenn er auf Willkür beruht, weil ihm jede rechtliche Grundlage
fehlt (vgl. z.B.: BGH, NJW 1984, 740; BGH, NJW 1993, 1273; Zöller/Greger, ZPO, 21.
Auflage 1999, § 281 Rdnr. 17 f.; Baumbach/Lauterbach/Hartmann, ZPO, 58. Auflage
2000, § 281 Rdnr. 39 ff.; Thomas/Putzo, ZPO, 22. Auflage 1999, § 281 Rdnr. 14 jeweils
mit weiteren Nachweisen). Ein Fall, in dem ein solcher Verweisungsbeschluß
ausnahmsweise keine Bindungswirkung zukommt, liegt hier nicht vor.
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Das Amtsgericht Köln hat über die Frage der Verweisung erst entschieden, nachdem es
der Schuldnerin als der bislang einzigen Verfahrensbeteiligten zu der Frage der
örtlichen Zuständigkeit rechtliches Gehör gewährt hatte. Die in dem
Verweisungsbeschluß des Amtsgerichts Köln vertretene Auffassung, das Amtsgericht
Aachen sei zuständig, weil der Mittelpunkt der selbständigen wirtschaftlichen Tätigkeit
in W. liege, ist unter Berücksichtigung der Angaben der Schuldnerin in der
Antragsschrift, sie habe mit der Neubestellung des Geschäftsführers den
Verwaltungssitz dorthin verlegt, die Geschäftsführung werde von dort durchgeführt und
alle Geschäftsunterlagen befänden sich am Verwaltungssitz, jedenfalls nicht objektiv
willkürlich.
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Soweit das Amtsgericht mit seiner Entscheidung inzidenter die Anwendbarkeit des § 3
Abs. 1 Satz 2 InsO auch für den Fall bejaht hat, daß der Verwaltungssitz einer
Gesellschaft zur Vorbereitung und Durchführung des Insolvenzverfahrens verlegt wird
(vgl. hierzu allgemein der redaktionelle Hinweis in ZInsO 2000, 534; Hey/Regel,
GmbHR 2000, 115 ff.) ist diese Auffassung nicht schlechterdings unvertretbar. So ist
Kilger/Karsten Schmidt (Konkursordnung, 17. Auflage 1997, § 71 Anm. 3) für den
Anwendungsbereich der Konkursordnung der Auffassung, daß bei einer Gesellschaft,
die ihren Betrieb am eingetragenen Sitz eingestellt und ihre Geschäftsräume
aufgegeben hat, der Wohnsitz des Geschäftsführers der Ort der gewerblichen
Niederlassung der Gesellschaft ist, wenn dieser die Geschäftsbücher und Unterlagen
dorthin mitgenommen hat (so nunmehr für die Insolvenzordnung:
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Landgericht Hamburg, Beschluß vom 20.12.1999, 326 T 194/99, Leitsatz abgedruckt in
ZInsO 2000, 118; wohl auch: OLG Schleswig, NZI 1999, 416). Nach der
Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes zu § 71 KO (ZIP 1996, 847) setzt die
Begründung der Zuständigkeit des Konkursgerichts am neuen Sitz eine werbende
Tätigkeit des Schuldners nicht voraus.
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Die Übertragung dieser Grundsätze auf die Insolvenzordnung stößt allerdings auf
Bedenken. Die örtliche Zuständigkeit des Insolvenzgerichts im Insolvenzverfahren ist in
§ 3 InsO geregelt. Danach ist gemäß § 3 Abs. 1 Satz 2 InsO primär das Insolvenzgericht
zuständig, in dessen Bezirk der Mittelpunkt der vom Schuldner ausgeübten
selbständigen Tätigkeit liegt. Die Zuständigkeit nach dieser Vorschrift geht nach dem
Wortlaut des Gesetzes derjenigen nach § 3 Abs. 1 Satz 1 InsO vor (Senat, Beschluß
vom 19. Januar 2000, 2 W 277/99; Becker in: Nerlich/Römermann, a.a.O., § 3 Rdnr. 22;
HK-Kirchhof, a.a.O., § 3 Rdnr. 6). Wenn eine selbständige Tätigkeit nicht oder nicht
mehr ausgeübt wird, ist gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1 InsO maßgeblich der allgemeine
Gerichtsstand der Schuldnerin. Dieser richtet sich bei einer GmbH gemäß § 4 InsO
i.V.m. §§ 12, 17 Abs. 1 ZPO, § 3 Abs. 1 Nr. 1, 7 Abs. 1, 10 GmbHG nach dem in dem
Gesellschaftsvertrag festgelegten und in das Handelsregister eingetragenen Sitz der
Gesellschaft. Eine Sitzverlegung wird gemäß § 54 Abs. 3 GmbHG erst mit Eintragung im
Handelsregister wirksam (Senat, ZIP 2000, 155 [156] = NZI 2000, 75; BayObLG, ZIP
1999, 1714 = NZI 1999, 457; OLG Hamm, ZInsO 1999, 533 [534]; FK-Schmerbach, InsO,
2. Auflage 1999, § 3 Rdnr. 10; Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 15. Auflage 2000, § 54 Rdnr.
1, 12) und begründet erst ab diesem Zeitpunkt die Zuständigkeit des Insolvenzgerichts
des neuen Firmensitzes.
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Eine fehlerhafte Anwendung der Zuständigkeitsvorschriften der Insolvenzordnung durch
das Amtsgericht Köln führt jedoch nicht dazu, daß die Verweisung als jeder
Rechtsgrundlage entbehrend und deshalb willkürlich angesehen werden kann. Es ist
gerade der Sinn der in § 281 Abs. 2 Satz 5 ZPO angeordneten Bindungswirkung, zur
Vermeidung unnötiger Zuständigkeitsstreitigkeiten selbst sachlich unrichtige
Verweisungsbeschlüsse zu decken, selbst wenn sie auf einen Rechtsirrtum des
Gerichts beruhen (vgl. BGH, NJW-RR 1992, 902 [903] m.w.N.; BGH, NJW 1993, 1273).
Das Amtsgericht Aachen ist mithin an den Verweisungsbeschluß des Amtsgerichts Köln
gebunden und somit für die Entscheidung des Rechtsstreits zuständig.
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Soweit zu dem vorliegenden Problemkreis - Bestimmung des Gerichtsstands bei
Bestellung eines Geschäftsführers mit gleichzeitiger Verlegung des Verwaltungssitzes
der GmbH in den Bezirk des Amtsgerichts Aachen - bereits mehrere Oberlandesgerichte
teilweise unterschiedlich entschieden haben (vgl. z.B.: BayObLG, ZIP 1999, 1714 = NZI
1999, 457 = NJW-RR 2000, 349; BayObLG, Beschluß vom 9. Dezember 1999, 4Z AR
58/99; OLG Celle, Beschluß vom 21. Juni 1999, 4 AR 51/99; OLG Dresden, Beschluß
vom 4. Oktober 1999, 1 AR 0121/99; OLG Düsseldorf, Beschluß vom 5. Mai 1999, 19 Sa
32/99; OLG Hamm, ZInsO 1999, 533; OLG Schleswig, NZI 1999, 416 = NJW-RR 2000,
349; Thüringer Oberlandesgericht; Beschluß vom 2. November 1999, 4 SA 33/99; vgl.
auch der redaktionelle Hinweis in ZInsO 2000, 534), ist eine Vorlage nach § 36 Abs. 3
ZPO an den Bundesgerichtshof nicht veranlaßt. Der Senat weicht nicht in einer
Rechtsfrage von einer Entscheidung eines anderen Oberlandesgerichts oder des
Bundesgerichtshofes ab, sondern lediglich in der Beurteilung der Frage, ob ein
Verweisungsbeschluß willkürlich ist.
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