Urteil des OLG Köln vom 18.05.1994

OLG Köln (zpo, verhandlung, treu und glauben, firma, preis, grobe fahrlässigkeit, verhältnis zwischen, auftrag, telefax, höhe)

Oberlandesgericht Köln, 11 U 223/93
Datum:
18.05.1994
Gericht:
Oberlandesgericht Köln
Spruchkörper:
11. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
11 U 223/93
Schlagworte:
VERFAHRENSRECHT; RICHTERLICHER HINWEIS; RECHTLICHES
GEHÖR
Leitsätze:
Ein Hinweis in der mündlichen Verhandlung auf einen rechtlichen
Gesichtspunkt wird für sich allein den Anforderungen des § 278 ZPO,
der Ausdruck der Gewährung rechtlichen Gehörs ist, nicht gerecht. Den
Parteien muß Gelegenheit gegeben werden, ihr Vorbringen in
tatsächlicher Hinsicht zu ergänzen. Ist die Grundlage für eine
abschließende Beurteilung ersichtlich unzulänglich und kann sie durch
die Parteien ergänzt werden, dann muß das Gericht hierauf hinwirken.
T a t b e s t a n d
1
Die Firma H. AG, mit der die Klägerin seit längerem in Geschäftsverbindungen stand,
trat Anfang 1988 an sie wegen der Errichtung von freistehenden Aufzugstürmen
("Panoramaaufzügen") bei den Kaufhäusern B. und He. heran. Im vorliegenden
Rechtsstreit geht es um He..
2
Die Klägerin arbeitete seit vielen Jahren auch schon mit dem Beklagten zusammen, der
Inhaber eines Stahlbauunternehmens ist. Sie leitete die Unterlagen, die sie von der
Firma H. erhalten hatte, an ihn weiter. Das waren zumindest Fotografien (Bl. 52 GA),
eine Beschreibung nebst technischen Vorbemerkungen (Bl. 53 ff.) und ein Plan eines
Architekten. Bei einer Besprechung von Anfang Februar 1988 erklärte der Beklagte, die
auf ihn entfallenen Arbeiten könne er für rund 170.000,00 DM anbieten.
3
Die Klägerin leitete der Firma H. Angebote vom 18. Februar 1988 und vom 10. März
1988 zu, die nicht vorliegen. Mit dem im zweiten Rechtszug eingereichten
Auftragsschreiben vom 28. März 1988 (Anl. BB 1) bot die Firma H. der Klägerin den
Abschluß eines Vertrages an. Zur Beschreibung der Leistung wurde auf ein Modell und
auf Architektenzeichnungen verwiesen. Einige Einzelpunkte zur Beschaffenheit sind
gesondert aufgezählt. Im übrigen heißt es, es liege keine detaillierte, in Einzelpositionen
ausgeschriebene Leistungsbeschreibung vor. Die Vergütung sollte sich auf den
Pauschalfestpreis von netto 667.894,00 DM = brutto 771.659,16 DM belaufen.
4
Die Klägerin nahm das Angebot mit Schreiben vom 9. Mai 1988 (Anl. BB 2) an. Mit
Telefax vom 11. Mai 1988 bestätigte ihre Kölner Niederlassung dem Beklagten den
Eingang seines Angebots mit einer Aufzählung von Leistungen und Preisangaben. Sie
fügte hinzu, eine Bestellung erhalte der Beklagte ggf. von ihrem Stammhaus.
5
Am 26. Mai 1988 fand eine Besprechung statt, an der der Beklagte und Mitarbeiter der
Klägerin teilnahmen (Bl. 97 ff.). Es wurden technische Einzelheiten festgelegt;
Montagebeginn durch den Beklagten sollte in der 35. Kalenderwoche sein.
6
Am 13. Juni 1988 richtete die Klägerin an den Beklagten ein Schreiben wegen eines
"Aufsetzrahmens" (Anl. K 44).
7
Am 29. Juni 1988 schrieb sie an ihn, der Auftrag sei bereits mündlich erteilt (Anl. K 2).
Grundlage seien das Angebot vom 11. Mai 1988 sowie diverse Gespräche mit ihrem
Hause und dem Architekten. Das Schreiben enthält außerdem Angaben zu einer
Vertragsstrafe und zu einer Gewährleistungsfrist von 5 Jahren. Ferner heißt es:
8
Gesamtfestpreis DM 171.000,00
9
Wie telefonisch mit Ihnen vereinbart, wurde der Auftrag aus terminlichen Gründen vorab
erteilt, jedoch mit dem Vorbehalt, daß nach Vorlage entsprechender
Wettbewerbsangebote der Gesamtpreis endgültig festgelegt wird.
10
Am 12. Juli 1988 bestätigte die Klägerin dem Beklagten einen Angebotspreis von netto
17.500,00 DM für eine Pylonspitze (Bl. 163). Die Entscheidung des Bauherrn falle
kurzfristig.
11
Am 9. August 1988 fand eine weitere Besprechung statt (Anl. K 17). Es heißt, der
Beklagte beginne in der 37. Kalenderwoche mit der Montage. Ferner ist vermerkt, er
habe den Montagegerüstpreis (Pos. 6 der Bestellung) ohne Kenntnis der Örtlichkeiten
bilden müssen. So sei jetzt z.B. wegen Publikumsverkehrs eine zusätzliche
Abschottung der Treppe erforderlich. Wegen Mehrpreis sei mit H. zu verhandeln.
12
Am 7. September 1988 schrieb die Klägerin an den Beklagten, zwischenzeitlich lägen
ihr Wettbewerbsangebote vor (letztes Blatt im AH); sie bitte ihn, sich bezüglich der
endgültigen Preisfestlegung kurzfristig mit ihr in Verbindung zu setzen, um einen
Besuchstermin zu vereinbaren.
13
Am 14. Oktober 1988 beauftragte die Klägerin den Beklagten, für netto 26.970,00 DM
eine Beleuchtungsvorrichtung anzubringen (Anl. K 4).
14
In einem nicht vorliegenden Schreiben vom 6. Dezember 1988 äußerte der Beklagte
sich zur Abrechnung. Die Klägerin antwortete am 3. Januar 1989 (Anl. K 29), sie
schlage vor, sich zu gegebener Zeit in ihrem Hause zu treffen und dann nochmals
gemeinsam dieses Thema aufzugreifen. Basis sei der Liefer- und Leistungsumfang ihrer
Bestellung vom 29. Juni 1988.
15
Nachdem es aus Gründen, die streitig sind, zu technischen Schwierigkeiten und zu
Verzögerungen gekommen war, erklärte die Klägerin mit Telefax vom 17. Februar 1989
(Anl. K 5), sie entziehe dem Beklagten den Auftrag. Die Arbeiten ließ sie durch andere
Unternehmen zu Ende führen.
16
Die Klägerin hat vorgetragen, dem Beklagten sei der Auftrag schon vor dem 29. Juni
1988 mündlich nach Maßgabe des im Schreiben vom 11. Mai 1988 wiedergegebenen
Angebots und unter Einbeziehung der im Schreiben vom 29. Juni 1988 zusätzlich
17
festgehaltenen Bedingungen erteilt worden. Der Vorbehalt bezüglich einer endgültigen
Festlegung des Gesamtpreises nach Eingang von Wettbewerbsangeboten sei mündlich
vereinbart worden und habe ihr die Möglichkeit geben sollen, die Vergütung
herabzusetzen, wenn sich herausstellen sollte, daß der Preis von 171.000,00 DM zu
hoch war. Durch die schriftliche Bestätigung habe der Preis verbindlich werden sollen.
Gegenstand des Vertrages seien die komplette Lieferung und Montage der
Stahlkonstruktion, der Verkleidung der Lichterketten, des Standgerüstes und der
Strahler sowie die hierzu erforderliche Statik einschließlich der Vornahme des
Aufmaßes gewesen. Demgemäß sei der Statiker N., der Nebenintervenient, von dem
Beklagten beauftragt worden.
18
Die Klägerin hat umfangreiche Ausführungen zum Verlauf der Arbeiten, zu den nach
ihrer Auffassung maßgeblichen Fristen und Terminen und zu den dem Beklagten
angelasteten Mängeln und Verzögerungen gemacht. Hierzu wird insbesondere auf
Seite 4 - 15 der Klageschrift nebst Anlagen K 3 bis 4 32 sowie auf Seite 11 - 14 des
Schriftsatzes vom 3. Juli 1992 (Bl. 71 - 74) verwiesen. Ihr habe deswegen eine
Fortsetzung des Vertragsverhältnisses nicht mehr zugemutet werden können.
19
Der Beklagte sei für Mehrkosten und sonstige Schäden in Höhe von 821.630,19 DM
verantwortlich, woraus sich nach Abzug seines restlichen Werklohns von 147.970,00
DM eine Forderung von 673.660,19 DM ergebe. Wegen der Einzelbeträge nebst
Erläuterungen wird auf Seite 16 - 30 der Klageschrift und die Anlagen K 33 bis K 43
verwiesen. Im Berufungsverfahren hat die Klägerin die Forderungen um 31.376,00 DM
aus der Rechnung der Firma S. (Anl. K 37) ermäßigt.
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Im ersten Rechtszug hat sie beantragt, den Beklagten zu verurteilen, an sie 673.660,19
DM zuzüglich 7,5 % Zinsen seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
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Der Beklagte und laut Protokoll vom 16. Juli 1993 auch der Nebenintervenient haben
Klageabweisung beantragt.
22
Der Beklagte hat vorgetragen, die Klage sei unzulässig, da die Klägerin mit dem geltend
gemachten Ersatzansprüchen schon in dem Rechtsstreit des Statikers N. (18 O 227/90)
gegenüber dessen Honorarforderung aufgerechnet habe.
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Ferner sei ihr Vorbringen zum Zustandekommen eines Vertrages unzutreffend. Die
erforderliche Bestätigung durch das Stammhaus habe er nicht erhalten. Das Schreiben
vom 26. Juni 1988 weiche bezüglich der Gewährleistung und einer Vertragsstrafe sowie
durch die Erwähnung der Statik von den vorherigen Absprachen ab. Den zusätzlichen
Bedingungen habe er nicht zugestimmt. Die Statik sei Sache der Klägerin, die schon
vorher den Nebenintervinienten damit beauftragt habe. Der Preis habe nach Vorlage der
erwarteten Wettbewerbsangebote endgültig festgelegt werden sollen.
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Ihm selbst sei aufgrund der unzulänglichen Unterlagen, die er von der Klägerin erhalten
habe, nur eine überschlägige Kalkulation möglich gewesen, was die Klägerin durch die
Unterlagen veranlaßt habe und was ihre Mitarbeiter als Fachleute auch schon vor dem
behaupteten Vertragsabschluß erkannt hätten. Er habe zunächst in einen ruinösen
Wettbewerb getrieben werden sollen, um hinterher der Klägerin auch noch die volle
Leistung der anderen Firma zu bezahlen.
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Mündlich habe er darauf aufmerksam gemacht, daß sich der genannte Preis unter
keinen Umständen halten lasse, da er sich bei der Kalkulation geirrt habe. Die Klägerin
verhalte sich treuwidrig, wenn sie aufgrund der ihr vorliegenden Vergleichsangebote
erkenne, daß er sich verkalkuliert habe, und sie ihn trotzdem an einem niedrigen Preis
festhalten wolle. Er werde erst nach Vorlage der Konkurrenzangebote abrechnen und
könne die übliche Vergütung beanspruchen.
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Für etwaige Fehler des Statikers und dadurch bedingte Verzögerungen sei er nicht
verantwortlich. Auch darüber hinaus ist der Beklagte den Behauptungen der Klägerin zu
Vertragsverletzungen entgegengetreten, ebenso ihren Ausführungen zur Höhe der
Mehrkosten und Schäden.
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Der Nebenintervenient hat vorgetragen, die Schwierigkeiten, zu denen es gekommen
sei, seien darauf zurückzuführen, daß die Klägerin sich nicht ausreichend um das
Bauvorhaben gekümmert und wiederholt die Planung geändert habe.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens im ersten Rechtszug wird auf den
Tatbestand des landgerichtlichen Urteils verwiesen, der seinerseits auf die
gewechselten Schriftsätze und Anlagen Bezug nimmt.
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Nachdem das Landgericht in der mündlichen Verhandlung vom 16. Juli 1993 darauf
hingewiesen hatte, daß es den von der Klägerin behaupteten Vertrag als wucherähnlich
und sittenwidrig und demgemäß als nichtig ansehe, hat es durch Urteil vom 3.
September 1993 die Klage mit dieser Begründung abgewiesen. Es hat hinzugefügt, der
Hinweis in der mündlichen Verhandlung genüge den Anforderungen des § 278 Abs. 3
ZPO. Sonstige Maßnahmen seien nicht angebracht gewesen, zumal die Klägerin selbst
nicht einen Schriftsatznachlaß beantragt habe. Auf den weiteren Inhalt der
Entscheidungsgründe wird verwiesen.
30
Die Klägerin hat gegen das ihr am 15. September 1993 zugestellte Urteil am 15.
Oktober 1993 Berufung eingelegt und hat das Rechtsmittel nach Verlängerung der
Begründungsfrist bis zum 15. Dezember 1993 an diesem Tage begründet.
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Sie trägt vor, das Urteil des Landgerichts sei ein Überraschungsurteil. Ihr sei nicht das
rechtliche Gehör gewährt worden. Der rechtliche Gesichtspunkt des § 138 BGB sei vor
der mündlichen Verhandlung durch niemanden beachtet worden. Auch der Beklagte sei
ständig und noch nach der mündlichen Verhandlung von der Wirksamkeit des Vertrages
ausgegangen. Auffällig sei die ausführliche Begründung des Landgerichts zur
Rechtfertigung seines Vorgehens.
32
Für sie habe keine Veranlassung bestanden, die Konkurrenzangebote vorzulegen, die
ihrem Prozeßbevollmächtigten im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung auch gar nicht
bekannt gewesen seien.
33
Der Vertrag verstoße im übrigen nicht gegen § 138 BGB. Zu einem objektiven
Mißverhältnis zwischen den beiderseitigen Leistungen müsse eine verwerfliche
Gesinnung hinzutreten, an der es fehle. Der Beklagte habe das Angebot selbst verfaßt
und lege nicht dar, worin der Kalkulationsirrtum bestehe. Einen derartigen Irrtum habe
sie auch nicht erkannt. Daß der Preis des Beklagten sehr günstig gewesen sei, habe sie
erst aus den nach der Kündigung eingeholten Angeboten ersehen. Sonst hätte sie nicht
mit der Firma H. einen Preis von 677.000,00 DM vereinbart. Ihr eigener Leistungsanteil
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habe einen Wert von etwa 500.000,00 DM. Nach der Rechtsprechung des BGH führe
auch ein erkannter Kalkulationsirrtum nicht zur Sittenwidrigkeit, sondern nur zu einer
Hinweispflicht. Es komme ein Anfechtungsrecht in Betracht, das aber nicht ausgeübt
worden sei.
Die Klägerin macht ferner noch Ausführungen zu einigen Schadenspositionen.
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Die Parteien haben am 27. Januar 1994 zunächst einen außergerichltichen Vergleich
abgeschlossen (Bl. 260 f.), wobei sie sich vorbehalten haben, von dieser Vereinbarung
bis zum 7. Februar 1994 per Telefax, das dem jeweiligen Bevollmächtigten zugehen
müsse, zurückzutreten.
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Der Beklagte hat mit Anwaltsschreiben vom 1. Februar 1994 (Bl. 264) einen Widerruf
erklärt.
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Die Klägerin meint hierzu, der Widerruf sei unwirksam, da er entgegen der Vereinbarung
im Vergleich nicht mittels Telefax erklärt worden sei. Für den Fall, daß das
Berufungsbericht diese Ansicht teile, werde sie ihre Klageforderung auf die
Vergleichssumme ermäßigen und den Rechtsstreit im übrigen in der Hauptsache für
erledigt erklären.
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Sie beantragt jedoch,
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unter teilweiser Abänderung des erstinstanzlichen Urteils den Beklagten zu verurteilen,
an sie 642.284,19 DM nebst 7,5 % Zinsen seit dem 25. März 1992 zu zahlen, hilfsweise,
das Urteil des Landgerichts aufzuheben und den Rechtsstreit zur Entscheidung an das
Landgericht zurückzuverweisen,
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ihr nachzulassen, eventuell erforderliche Sicherheiten auch im Wege der
selbstschuldnerischen Bürgschaft einer deutschen Bank oder öffentlich-rechtlichen
Sparkasse zu erbringen.
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Der Beklagte hat beantragt,
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die Berufung der Gegenseite zurückzuweisen, hilfsweise, jedoch nur, soweit gesetzlich
zulässig, Vollstreckungsnachlaß gegen Sicherheitsleistung zu gewähren, wobei
Bankbürgschaft zugelassen wird.
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Er trägt vor, seine Kostenermittlung stelle angesichts der unzulänglichen Unterlagen nur
eine Überschlagsschätzung dar. Das sei der Klägerin bekannt gewesen.
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Von den Leistungen, für die mit der Firma H. ein Preis von 676.894,00 DM vereinbart
worden sei, entfalle der Hauptteil auf seine Arbeiten. Demgemäß habe die Klägerin
schon bei seiner Beauftragung von der Übervorteilung gewußt.
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Weiter liege es nahe, daß auch die Klägerin sich verkalkuliert habe, als sie schon am
28. März 1988 den Auftrag der Firma H. angenommen habe.
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Er habe sich auch nicht mit einer Preisanpassung nur nach unten einverstanden erklärt.
Es seien Meinungsverschiedenheiten entstanden, ob sein Angebotspreis von ca.
80.000,00 DM sich auf einen Pylon oder auf zwei Pylone bezogen habe. Deshalb habe
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sichergestellt werden sollen, daß der Preis neu festgelegt werden könne.
Das Urteil des Landgerichts sei kein Überraschungsurteil. Er habe ständig die
Übervorteilung durch die Klägerin geltend gemacht und sie zur Vorlage der
Vergleichsangebote aufgefordert, was sie jedoch ignoriert habe. Ihr
Prozeßbevollmächtigter habe im übrigen in der mündlichen Verhandlung ausgiebig
Gelegenheit gehabt, Erklärungen abzugeben bzw. einen Schriftsatznachlaß oder
Vertagung zu beantragen.
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Er, der Beklagte, mache jetzt mit einem Mahnbescheid vom 23. Dezember 1993 die
übliche Vergütung geltend. Er habe gearbeitet aufgrund der Zusage der Klägerin, daß
die Konkurrenzangebote vorgelegt würden und daß dann ein Werklohn vereinbart
werde. Die Klägerin verstoße gegen Treu und Glauben, weil sie sich daran nicht halte.
Ihre Auslegung, es sei nur eine Preisanpassung nach unten vereinbart, dürfte für das
Landgericht ausschlaggebend gewesen sein, den Vertrag als sittenwidrig zu beurteilen.
Darauf hätte es vor der mündlichen Verhandlung hinweisen können, aber nicht müssen.
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Die Auslegung der Klausel durch die Klägerin und die Verweigerung der Vorlage der
Konkurrenzangebote sei ein eindeutiger Hinweis auf ihre verwerfliche Gesinnung. Er,
der Beklagte, habe sich mit Schreiben vom 1. Dezember 1988 auf einen
Kalkulatitonsirrtum berufen; die Kalkulation, die eine einfache Trägerkonstruktions zum
Gegenstand gehabt habe, habe er beigefügt.
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Die Statik habe nicht zu seinem Auftrag gehört, und für die Verzögerungen seien weder
er noch der Statiker verantwortlich.
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Auch der Beklagte äußert sich zu der Höhe der geltend gemachten Ansprüche.
Insbesondere sei die Rechnung der Firma S. nicht prüffähig; die Klägerin habe auch
gegen die Schadensminderungspflicht verstoßen.
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Auffällig sei, daß sie die volle, nach ihrer Ansicht vereinbarte Vergütung in Abzug
bringe. Daraus müsse man schließen, daß er alle Arbeiten erbracht habe.
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Der Widerruf des Vergleichs sei wirksam erklärt worden.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien im zweiten Rechtszug
wird auf die vorbereitenden Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen. In der
mündlichen Verhandlung hat der Beklagte persönlich erklärt, er habe sich nicht
verkalkuliert. Seine ungefähre Preisermittlung habe sich auf den damaligen Umfang des
vorgesehenen Auftrags bezogen und habe überprüft werden sollen.
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Der Nebenintervenient ist im zweiten Rechtszug nicht vertreten.
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E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
57
Die zulässige Berufung der Klägerin führt im Umfang der Anfechtung des
landgerichtlichen Urteils zu dessen Aufhebung und zur Zurückverweisung der Sache an
das Landgericht, denn es ist zu seinem Urteil aufgrund eines nicht ordnungsgemäßen
Verfahrens bei der Anwendung von § 278 ZPO gelangt (vgl. § 539 ZPO).
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§ 278 Abs. 3 ZPO, wonach das Gericht auf einen rechtlichen Gesichtspunkt, den die
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Partei erkennbar übersehen oder für unerheblich gehalten hat, seine Entscheidung nur
stützen darf, wenn es Gelegenheit zur Äußerung gegeben hat, hat das Landgericht
allerdings insofern beachtet, als es in der mündlichen Verhandlung vom 16. Juli 1993
auf die Möglichkeit einer Nichtigkeit nach § 138 BGB hingewiesen hat, wie es zweifellos
geboten war. Beide Parteien hatten bei den Vertragsverhandlungen und bei der
anschließenden monatelangen Zusammenarbeit eine Sittenwidrigkeit und Nichtigkeit
ihrer Rechtsbeziehungen nicht in Erwägung gezogen und gingen auch im Rechtsstreit
trotz zahlreicher wechselseitiger Vorwürfe von der Wirksamkeit des Vertrages aus. Die
Klägerin berief sich auf Vertragsverletzungen und machte vertragliche Ersatzansprüche
geltend, der Beklagte trug vor, ihm stehe ein vertraglicher Werklohnanspruch zu. Daß er
sich bereits darauf berufen hatte, der von der Klägerin zugrunde gelegte Preis und
mehrere sonstige Vertragsbedingungen führten dazu, daß er übervorteilt werde, ändert
nichts daran, daß die Möglichkeit einer Sittenwidrigkeit noch nicht angesprochen
worden war.
Der Hinweis in der mündlichen Verhandlung wurde jedoch für sich allein nicht den
Anforderung des § 278 ZPO gerecht, der Ausdruck der Gewährung rechtlichen Gehörs
ist. Den Parteien hätte Gelegenheit gegeben werden müssen, ihr Vorbringen in
tatsächlicher Hinsicht schriftsätzlich zu ergänzen.
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Es kann offenbleiben, wie zu verfahren ist, wenn ausschließlich eine zuvor nicht
beachtete Rechtsnorm zu erörtern ist, denn der vorliegende Fall zeichnet sich darüber
aus, daß bei einer Prüfung der Schlüssigkeit unter dem Gesichtspunkt des § 138 BGB
nicht nur schon vorgetragenen Tatsachen eine neue Bedeutung zukam, sondern die
Grundlagen für eine abschließende Beurteilung ersichtlich unzulänglich waren und
durch die Parteien ergänzt werden konnten. Jedenfalls in derartigen Fällen muß das
Gericht auch hierauf hinwirken (vgl. BGH NJW 1981/1378; OLG München OLGZ
1979/355; OLG Schleswig SHAnz 1982/29; NJW 1983/347; 1986/3146; OLG Düsseldorf
NJW 1989/1489; NJW-RR 1992/1404; Zöller/Greger, ZPO, 18. Aufl., § 278 Rn. 8;
Baumbach-Lauterbach-Hartmann, ZPO, 52. Aufl., § 278 Rn. 20).
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Aufgrund des rechtlichen Hinweises wurden andere Tatsachenkomplexe bedeutsam.
Das Landgericht hat auch selbst gesehen, daß die Grundlagen seiner Entscheidung
lückenhaft waren und daß Ergänzungen möglich gewesen wären. So hat es bei der
Annahme eines groben Mißverhältnisses zwischen den beiderseitigen Leistungen
Folgerungen aus der Gegenüberstellung des Preises für die Pylone im Angebot des
Beklagten in Höhe von 88.000,00 DM und in der Rechnung der Firma S. in Höhe von
532.175,13 DM gezogen. Es hat dabei zugrunde gelegt, daß eine Ersatzvornahme
üblicherweise teurer wird als der ursprüngliche Vertragspreis, hat jedoch mangels
näherer Anhaltspunkte eine Eingrenzung nicht vornehmen können.
62
Vor allem aber hat es aus dem krassen Mißverhältnis auf eine grobe Fahrlässigkeit der
Klägerin und eine verwerfliche Gesinnung bei der Ausnutzung eines Kalkulationsirrtums
geschlossen, wofür eine Vermutung spreche. Die Klägerin habe nichts vortragen
können, um diese Vermutung zu entkräften. Alles, was das Landgericht dann weiter
hierzu ausgeführt hat, beruht auf der Folgerung, die Klägerin habe sich einen von ihr
erkannten oder wegen grober Fahrlässigkeit nicht erkannten Irrtum des Beklagten
zunutze gemacht. Zu dem Kalkulationsirrtum hatte die Klägerin, wie das Landgericht
hervorhebt, bis dahin die Ansicht vertreten, dieser gehe sie nichts an. Auch daß sie zu
der Vermutung bezüglich einer verwerflichen Gesinnung und insbesondere zu ihrem
Kenntnisstand im maßgeblichen Zeitpunkt des Vertragsabschlusses sowie ferner zum
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Zustandekommen der Angebotssumme des Beklagten nichts Näheres vorgetragen
hatte, beruhte offensichtlich darauf, daß sie diesen Umständen zuvor eine rechtliche
Bedeutung für ihren Klageanspruch nicht beigemessen hatte, während es andererseits
nicht zweifelhaft sein konnte, daß sie, jedoch nicht ihr Prozeßbevollmächtigter in der
mündlichen Verhandlung imstande war, das Vorbringen im Hinblick auf den neuen
rechtlichen Gesichtspunkt zu vervollständigen.
Auch § 278 Abs. 4 geht davon aus, daß ein neuer Termin erforderlich werden kann. Das
gilt insbesondere bei Rechtsfragen, die eine umfangreiche neue Sachprüfung
voraussetzen.
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Es kommt hinzu, daß nach § 273 Abs. 1 Satz 1 ZPO das Gericht die erforderlichen
vorbereitenden Maßnahmen rechtzeitig zu veranlassen hat. Dazu gehören auch
diejenigen Hinweise nach § 278 Abs. 3 bzw. § 139 ZPO, zu denen sich ein
Prozeßbevollmächtigter voraussichtlich ohne Vorbereitung nicht äußern kann. Der
Termin zur mündlichen Verhandlung vom 16. Juli 1993 war immerhin schon Ende
Oktober 1992 bestimmt worden.
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Wenn den Parteien nicht im ausreichenden Maße Gelegenheit gegeben wird, einem
Hinweis gem. § 278 Abs. 3 ZPO Rechnung zu tragen, so wird der Streit hierüber
zwangsläufig in die zweite Instanz verlagert.
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Es handelt sich auch nicht um die Frage einer entsprechenden Anwendung des § 283
ZPO. Diese mag in Betracht kommen, wenn es lediglich darum geht, daß sich
verschiedene Rechtsauffassungen gegenüberstehen. Rechtliche Argumente können
ohnehin noch nach der mündlichen Verhandlung vorgebracht werden, und durch die
Festlegung einer Frist wird für die Beratungen des Gerichts und die Abfassung der
Entscheidung klargestellt, bis wann mit zusätzlichen Ausführungen zu rechnen ist.
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Die Zurückweisung ist geboten, denn der Rechtsstreit ist nicht unabhängig von dem
Verfahrensmangel zur Endentscheidung reif.
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Der Vergleich der Parteien ist wirksam widerrufen worden. Es spricht nichts dafür, daß
die Erklärung nicht durch einen Brief übermittelt werden konnte und daß ein Telefax
Gültigkeitsvoraussetzung war.
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Ferner kann nach dem gegenwärtigen Stand des Verfahrens eine Sittenwidrigkeit und
Nichtigkeit des Vertrages der Parteien nicht ohne weiteres bejaht werden.
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Dabei kann es dahingestellt bleiben, ob die Klägerin es ausgeräumt hat, daß zwischen
den beiderseitigen Leistungen ein krasses Mißverhältnis bestanden hat. Offen sind
jedenfalls die subjektiven Voraussetzungen für die Annahme eines wucherähnlichen
Geschäfts für den maßgeblichen Zeitpunkt des Vertragsabschlusses. Es ist streitig,
welche Kenntnisse die Klägerin gehabt hat, aus denen auf eine verwerfliche Gesinnung
geschlossen werden könnte. Darüber hinaus wird der vom Landgericht zugrundegelegte
Kalkulationsirrtum von ihm selbst in Frage gestellt.
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Erst recht sind sämtliche sonstigen Streitpunkte ungeklärt.
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Ein Vorgehen nach § 540 ZPO ist unter diesen Umständen nicht sachdienlich.
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Die Kostenentscheidung ist vom Landgericht zu treffen. Die Entscheidung über die
vorläufige Vollstreckbarkeit - angebracht wegen § 775 Nr. 1 ZPO - beruht auf § 708 Nr.
10 ZPO.
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Streitwert des Berufungsverfahrens und Beschwer beider Parteien: 642.254,19 DM
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