Urteil des OLG Köln vom 08.11.2000

OLG Köln: pflege, widerklage, alter, haushalt, vertragsabschluss, form, beruf, kinderbetreuung, druckmittel, einkünfte

Oberlandesgericht Köln, 11 W 73/00
Datum:
08.11.2000
Gericht:
Oberlandesgericht Köln
Spruchkörper:
11. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
11 W 73/00
Vorinstanz:
Landgericht Bonn, 1 O 103/99
Tenor:
Die Beschwerde der Beklagten gegen den ihren Antrag auf Bewilligung
von Prozesskostenhilfe für die Widerklage zurückweisenden Beschluss
der 1. Zivilkammer des Landgerichts Bonn vom 06.07.2000 - 1 O 103/99
- wird zurückgewiesen.
Gründe:
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Die zulässige Beschwerde ist unbegründet.
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Das Landgericht die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für die Widerklage zu Recht
verweigert. Der mit der Widerklage verfolgte Antrag auf Rückübertragung des 1988 den
Klägern gegen Übernahme der Pflegeverpflichtung übertragenen Grundstücks Zug um
Zug gegen Zahlung eines Betrages von 198.000,00 DM für die Investitionen der Kläger
in das Objekt hat keine hinreichende Aussicht auf Erfolg. Der Senat folgt in vollem
Umfang den Ausführungen des Landgerichts in der angefochtenen Entscheidung,
denen die Beschwerde nichts Erhebliches entgegensetzt. Ergänzend sei nur Folgendes
ausgeführt.
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Die Kläger haben in dem notariellen Übertragungsvertrag die Verpflichtung
übernommen, die Beklagte "auf deren Lebenszeit im übertragenen Wohnhaus auf deren
Verlangen hin in gesunden und kranken Tagen unentgeltlich zu pflegen, zu versorgen
und ihr die häuslichen Arbeiten zu verrichten", sowie den Grundbesitz gegen Erstattung
der wertsteigernden Aufwendungen zurück zu übertragen, wenn sie dieser Verpflichtung
ganz oder teilweise zuwider handeln. Darauf stützt die bei Vertragsabschluss 46 und
jetzt 59 Jahre alte Beklagte den Widerklageantrag, wobei sie die Ansicht vertritt, die
Kläger hätten ihrer Pflegeverpflichtung zuwider gehandelt, weil sie auf die in dem
angegriffenen Beschluss und in der Beschwerdebegründung im einzelnen aufgeführten
Schreiben nicht durch Pflegemaßnahmen reagiert hätten. Zutreffend nimmt das
Landgericht an, dass es bisher an einem ausreichend konkretisierten Pflegeverlangen
fehlt. Dem hält die Beklagte mit der Beschwerde ohne Erfolg entgegen, ihre
Forderungen seien ausreichend konkretisiert, weil die Kläger sich verpflichtet hätten, sie
auch in gesunden Tagen zu pflegen und zu versorgen.
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Klauseln, in denen sich der Übernehmer eines Grundstücks verpflichtet, den Übergeber
in "gesunden und kranken Tagen" zu pflegen und zu versorgen, waren in der früheren
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notariellen Praxis durchaus nicht unüblich (vgl. Weyland, MittRhNotK 1997, 55, 62). Die
Kläger tragen unter Beweisantritt vor, der Notar habe vor Beurkundung des Vertrages
darauf hingewiesen, dass mit der Klausel nicht gemeint sei, die Kläger müssten der
Beklagten bereits jetzt (46 Jahre alt) den Haushalt führen, vielmehr bestehe diese Pflicht
nur, wenn die Beklagte zwar nicht krank, aber auf grund ihres Alters gebrechlich sei. Ob
dieser Vortrag zutrifft, kann dahinstehen. Denn es versteht sich von selbst, dass der
Verpflichtete aus einer solchen Klausel erst dann in Anspruch genommen werden kann,
wenn ein Anlass zur Pflege und Versorgung besteht. Formulierungen wie die hier
gewählte bringen das Bestreben zum Ausdruck, zum Schutz des Übergebers möglichst
alle denkbaren Lebenslagen zu erfassen, in denen der Übergeber möglicherweise der
Hilfe bedarf (Weyland a.a.O.; Wahl, Vertragliche Versorgungsrechte in
Übergabeverträgen und sozialrechtliche Ansprüche, S. 157). Diesem von den
Vertragspartnern offensichtlich erstrebten Schutzzweck ist bei der Auslegung (§§ 133,
157 BGB) derartiger Klauseln Rechnung zu tragen. Verlangt der Übergeber Pflege oder
sonstige Hilfe in einem Alter, in dem solche Leistungen den Angehörigen oder
sonstigen Verpflichteten ohne konkreten Anlass - wie etwa einer Erkrankung oder
sonstigen körperlichen oder geistigen Beeinträchtigung - üblicherweise nicht abverlangt
werden, so hat er den Grund für die Inanspruchnahme und die Art der notwendigen
Leistungen im Einzelnen darzulegen. Eine Verpflichtung des Übernehmers besteht
dann, wenn die verlangte Hilfeleistung unter Berücksichtigung der Beeinträchtigung des
Übergebers und seiner Möglichkeiten, für sich selbst zu sorgen, als notwendig oder
zumindest angemessen und dem Übernehmer zumutbar erscheint.
Selbstverständlich können die Parteien abweichend davon Vereinbarungen treffen, die
die Erbringung von Leistungen des Übernehmers ohne konkreten Pflege- oder
Versorgungsanlass vorsehen. Dass dies hier geschehen sei, behauptet die Beklagte
indes nicht. Sie behauptet, die fragliche Klausel sei im Notartermin überhaupt nicht
erörtert worden. Sie hat sich auch auf die Pflegeverpflichtung erst mehr als zehn Jahre
nach Vertragsabschluss besonnen, als die Beziehungen der Parteien bereits durch
starke Spannungen getrübt waren, ist also selbst nicht von einer sogleich einsetzenden
Verpflichtung ausgegangen. Es drängt sich der Eindruck auf, dass die Beklagte die
Pflegeverpflichtung nunmehr als Druckmittel im Rahmen der Auseinandersetzungen der
Parteien einsetzen will; dazu ist sie aber offensichtlich nicht gedacht.
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Für einen Pflege- oder Versorgungsanlass hat die Beklagte nicht ausreichend
vorgetragen. Sie ist in einem Alter, in dem man heutzutage üblicherweise noch einem
Beruf nachgeht. Sie erzielt Einkünfte aus Renten und Arbeitsleistungen
(Kinderbetreuung und leichte Arbeiten in fremdem Haushalt) und hat ein unentgeltliches
Wohnungsrecht in dem übertragenen Haus. Dass die Beklagte unter einer
degenerativen Gelenkserkrankung leidet und deshalb Einschränkungen in ihrer
Beweglichkeit hinnehmen muss, löst noch keine allgemeine Pflegeverpflichtung der
Kläger aus. Die Beklagte ist immerhin in der Lage, außer Haus zumindest leichte
Arbeitsleistungen zu erbringen, und fährt auch ein Kraftfahrzeug. Aus dem bisherigen
Vortrag ergeben sich keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür, dass die Beklagte
ständiger Hilfe bei allgemeinen Hausarbeiten bedarf. Soweit sich aus der Erkrankung im
Einzelfall ganz konkreter Pflegebedarf ergibt, der eine Hilfeleistung der Kläger nach
dem oben aufgezeigten Maßstab als angemessen erscheinen lässt, mögen die Kläger
zu konkret umschriebenen, zeitlich eingegrenzten Leistungen aufgefordert werden. Der
Frage, ob, in welchem Umfang und in welcher Form Pflegeleistungen überhaupt noch
verlangt werden können, nachdem die Kläger auf Grund des Zerwürfnisses der Parteien
aus dem Haus ausgezogen sind und nachdem sich beide Seiten grundsätzlich bereit
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gefunden haben, den Übertragungsvertrag gegen angemessenen Ersatz der
Investitionen einverständlich rückgängig zu machen, muss hier nicht nachgegangen
werden; zu Leistungen im konkret nachgewiesenen Bedarfsfall sind die Kläger offenbar
bereit.
Die Beschwerde kann danach keinen Erfolg haben. Eine Kostenentscheidung ist nicht
veranlasst (§ 127 Abs.4 ZPO).
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