Urteil des OLG Köln vom 22.08.1994

OLG Köln (behandlung, medikamentöse behandlung, operation, professor, risiko, aufklärung, gutachten, wahl, höhe, gefahr)

Oberlandesgericht Köln, 5 U 14/94
Datum:
22.08.1994
Gericht:
Oberlandesgericht Köln
Spruchkörper:
5. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
5 U 14/94
Vorinstanz:
Landgericht Köln, 25 O 486/90
Tenor:
Die Berufung der Klägerin gegen das am 04.02.1992 verkündete Urteil
der 25. Zivilkammer des Landgerichts Köln - 25 O 486/90 - wird
zurückgewiesen. Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung
durch Sicherheitsleistung in Höhe von 13.000,-- DM abwenden, wenn
nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe
leistet. Der Klägerin wird gestattet, die Sicherheitsleistung auch durch
selbstschuldnerische Bürgschaft einer deutschen Großbank, öffentlichen
Sparkasse oder Volksbank zu erbringen.
T a t b e s t a n d
1
Die am 02.01.1963 geborene Klägerin ist Türkin. Sie litt im Jahre 1988 während
mehrerer Monate unter Husten ohne Auswurf und klagte über Rücken- und
Knieschmerzen. Am 11.10.1988 wurde sie von ihrem Hausarzt in die Medi-zinische
Klinik des Krankenhauses M. der Krankenanstal-ten der Stadt K. eingewiesen. Dort
wurde nach eingehen-den Untersuchungen ein etwa faustgroßer, raumfordernder
Prozeß festgestellt, der sich vor der Brustwirbelsäule in Höhe Th 3 - 5 im Thorakalraum
ausdehnte und die knöcherne Substanz der betroffenen Wirbel bis auf deren
Hinterkanten zerstört hatte. Am 27.10.1988 wurde der Beklagte als leitender Oberarzt
der Neurochirurgischen Klinik des Krankenhauses M. konsiliarisch hinzugezogen, um
die weiteren Behandlungsnotwendigkeiten abzuklären.
2
Am 02.11.1988 wurde die Klägerin operiert. Die Diagnose lautete: Spondylitis
tuberculosa bei Th 3 - 5. Die Thorakotomie erfolgte durch Professor Z.. Der Beklagte
räumte den tuberkulösen Abszeß aus, entfernte die zer-störten Wirbelanteile und
stabilisierte die Wirbelsäule mit einem Knochenspan aus dem Beckenkamm der
Klägerin. Postoperativ wurde bei der Klägerin eine komplette Querschnittslähmung mit
einer oberen sensiblen Begren-zung bei Th 6 festgestellt. Die daraufhin eingeleiteten
rheologischen sowie antiödematösen Maßnahmen führten nicht zu einer Rückbildung
der Querschnittslähmung. Ebensowenig hat die spätere Rehabilitation in der Uni-
versitätsklinik K. zu einer Besserung des Zustands der Klägerin geführt.
3
Die Klägerin hat vorgetragen:
4
Zu der Operation habe keine Veranlassung bestanden. Sie sei nicht auf die
Möglichkeit konservativer Behandlung hingewiesen worden, die weitaus risikoärmer
sei. Sie sei auch nicht über eine Querschnitslähmung als mögli-che Operationsfolge
aufgeklärt worden. In Kenntnis die-ses Risikos hätte sie niemals die Einwilligung zu
einer solchen Operation erteilt.
5
Sie spreche kein Deutsch und könne medizinische Fach-ausdrücke nicht verstehen.
Einen Tag vor der Operation habe der Beklagte im Beisein des Zeugen C. erklärt, mit
der Operation sei keinerlei Gefahr verbunden.
6
Es sei ein ärztlicher Kunstfehler des Beklagten, daß er nach Feststellung der
Querschnittslähmung keine Entla-stungsoperation durchgeführt habe.
7
Die Klägerin hat beantragt,
8
9
10
den Beklagten zu verurteilen, an sie ein Schmerzensgeld in Höhe von mindestens
100.000,-- DM zu zahlen, wobei die genaue Höhe des Schmerzensgeldes in das
Ermessen des Gerichts gestellt werde.
11
Der Beklagte hat beantragt,
12
13
14
die Klage abzuweisen.
15
Er hat vorgetragen:
16
Nach seiner konsiliarischen Hinzuziehung am 27.10.1988 seien der Klägerin im
Beisein von Herrn Dr. V. von der Medizinischen Klinik zunächst der Befund mitgeteilt
und ihr die beiden Behandlungsmöglichkeiten, nämlich nicht operativ und operativ,
vorgestellt worden. Ebenso seien die Vor- und Nachteile bzw. Risiken beider
Behandlungs-methoden erklärt worden. Vor allem sei der Klägerin in diesem Gespräch
bereits unmißverständlich mitgeteilt worden, daß auch bei einer operativen
Behandlung in seltenen Fällen eine Querschnittslähmung eintreten könne. Die
Klägerin sei problemlos in der Lage gewesen, sich auf Deutsch zu verständigen.
17
Bei konservativer Behandlung habe die akute Gefahr einer Querschnittslähmung
bestanden. Nach dem Ergebnis der postoperativ vorgenommenen Diagnostik sei eine
Ent-lastungsoperation nicht indiziert gewesen.
18
Vor Klageerhebung hatte die Klägerin die Gutachterkom-mission für ärztliche
Behandlungsfehler bei der Ärzte-kammer Nordrhein eingeschaltet. Auf deren
Veranlassung hat der neurochirurgische Sachverständige Professor Dr. G. vom
Universitätsklinikum E. am 10.08.1990 ein Gutachten erstattet, auf dessen Inhalt Bezug
genommen wird.
19
Das Landgericht hat die Klägerin angehört und sodann durch Urteil vom 04.02.1992,
auf das ebenfalls Bezug genommen wird, die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat
das Landgericht im wesentlichen ausgeführt, ein Be-handlungsfehler sei dem
Beklagten nicht anzulasten. Die Klägerin habe auch nicht plausibel machen können,
daß sie bei gehöriger Aufklärung vor einem echten Entschei-dungskonflikt gestanden
habe.
20
Gegen dieses am 13.02.1992 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 10.03.1992
Berufung eingelegt, die sie nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum
10.05.1992 am 04.05.1992 begründet hat.
21
Die Klägerin wiederholt ihr erstinstanzliches Vorbrin-gen und trägt ergänzend vor:
22
Es habe eine echte Behandlungsalternative in der kon-servativen Behandlung
bestanden. Durch Ruhigstellung in einem Gipsbett und mit medikamentöser
Behandlung hätte ein operativer Eingriff vermieden werden können. Diese
Behandlungsmethode sei weitaus risikoärmer gewesen. Das Landgericht hätte die
angebotenen Beweise erheben und sich nicht auf das Gutachten des
Sachverständigen Pro-fessor Dr. G. stützen dürfen, weil es sich nur um Par-teivortrag
handele. Das Gutachten des Sachverständigen Professor Dr. G. sei zur Frage einer
konservativen Be-handlung nicht aussagekräftig.
23
Dem Beklagten sei ferner vorzuwerfen, daß es als Folge der Operation zu einer
Schwellung des Rückenmarks ge-kommen sei. Die Operationsstelle am Rückenmark,
an der die Operation durchgeführt worden sei, hätte zunächst offengelassen werden
müssen, um eine Druckbildung zu verhindern. Das sei offensichtlich nicht geschehen.
Nach dem Auftreten der Komplikationen hätte eine Entla-stungsoperation
vorgenommen werden müssen. Schließlich sei dem Beklagten vorzuwerfen, daß er
sich nicht von der konkreten Möglichkeit des Eintritts einer solchen schweren
Komplikation vergewissert habe. Wenn eine Gefäßanomalie das Risiko einer
postoperativen Quer-schnittslähmung erhöht habe, hätte der Beklagte dies durch eine
entsprechende Untersuchung der Gefäße aus-schließen müssen.
24
Weiter behauptet die Klägerin, sie sei über das Risiko einer Querschnittslähmung nicht
aufgeklärt worden. Bei ihrem ersten Gespräch mit Dr. V., bei dem ihr Vater und der
Zeuge C. zugegen gewesen seien, habe jener erklärt, man wisse noch nicht genau, an
welcher Krankheit sie leide. Falls eine Operation erforderlich sei, brauche sie sich
keine Sorgen zu machen. Eine Aufklärung habe dabei nicht stattgefunden.
25
Am 27.10.1988 habe der Beklagte sie in Begleitung des Dr. V. und eines dritten Arztes
aufgesucht. Soweit Ge-spräche mit Ärzten stattgefunden hätten, habe sie wegen ihrer
mangelhaften Deutschkenntnisse nicht verstehen können, was man ihr gesagt habe.
Sie sei erst rund ein Jahr in Deutschland gewesen.
26
Die Klägerin bestreitet, daß die ihr vorgelegte Ein-verständniserklärung vom
01.11.1988 im unteren Bereich bei ihrer Unterschriftsleistung handschriftliche Zusät-ze
enthalten habe. Die Einwilligungserklärung sei, so meint sie, nicht geeignet, Beweis
für eine ordnungsge-mäße Aufklärung zu erbringen. Darin sei nur die Rede von
Lähmungserscheinungen, Taubheitsgefühl und Blasen-störungen. Für einen Laien sei
daraus der Hinweis auf eine Querschnittslähmung nicht erkennbar. Die Urkunde sei
27
vielmehr ein Beleg für eine unzureichende Aufklä-rung und erst recht sei sie nicht über
die Alternative konservativer Behandlung aufgeklärt worden.
Zu Unrecht habe das Landgericht ihr den Entscheidungs-konflikt nicht abgenommen.
Sie habe damals gewußt, daß in ihrer Heimat auch derartige Fälle der Tbc mit
Medikamenten behandelt würden. Bei ordnungsgemäßer Auf-klärung hätte sie daher
andere Ärzte konsultiert, bevor sie sich einem so riskanten Eingriff unterzogen hätte.
Das Landgericht habe zu Unrecht angenommen, die konser-vative Behandlung sei
risikoreicher gewesen. Nur unter dieser falschen Prämisse habe es ihrer Erklärung, sie
sei lieber tot als in diesem Zustand, gegen sie ausle-gen können.
28
Die Klägerin beantragt,
29
30
31
unter Abänderung des angefochtenen Urteils nach ihrem erstinstanzlichen
Schlußantrag zu erkennen;
32
33
34
festzustellen, daß der Beklagte verpflich-tet ist, ihr allen aus der Operation vom
02.11.1988 folgenden materiellen Schaden zu ersetzen, sofern die Ansprüche nicht
auf einen Sozialversicherungsträger übergegangen sind oder übergehen werden;
35
36
37
ihr zu gestatten, Sicherheitsleistung auch durch selbstschuldnerische
Bankbürgschaft zu erbringen.
38
Der Beklagte beantragt,
39
40
41
die Berufung zurückzuweisen.
42
Er tritt der Berufung entgegen und wiederholt und vertieft sein erstinstanzliches
Vorbringen. Er wider-spricht der Klageänderung, die mit dem Feststellungsan-trag
verbunden sei, und erhebt die Einrede der Verjäh-rung, soweit die Klägerin materiellen
Schadensersatz begehrt.
43
Im übrigen trägt er ergänzend vor:
44
Ein operatives Vorgehen sei im Falle der Klägerin drin-gend geboten gewesen. Die
45
postoperative Diagnose habe keinerlei Anlaß für eine Entlastungsoperation gegeben.
Der Klägerin seien ausführlich die konservative und die operative Methode erläutert
worden. Sie sei auch über das Risiko einer Querschnittslähmung, das bei Anwendung
der konservativen Methode höher sei als bei operativer Methode, belehrt worden. Die
Klägerin habe schließlich einen echten Entscheidungskonflikt nicht dargelegt.
Der Senat hat den Sachverständigen Professor Dr. G. und die Klägerin angehört sowie
ein Sachverständigengutach-ten eingeholt. Wegen des Ergebnisses der Anhörungen
wird auf die Sitzungsniederschrift vom 16.09.1992, im übrigen auf das Gutachten des
Sachverständigen Dr. B. vom 21.02.1994 und wegen der weiteren Einzelheiten des
Parteivorbringens auf den gesamten vorgetragenen Akten-inhalt Bezug genommen.
46
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
47
Die in formeller Hinsicht bedenkenfreie Berufung ist nicht begründet.
48
Das Landgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Zur Vermeidung von
Wiederholungen nimmt der Senat auf die im Ergebnis zutreffenden
Entscheidungsgründe des ange-fochtenen Urteils Bezug, § 543 Abs. 1 ZPO.
49
Der Klägerin steht aus der Operation vom 02.11.1988 gegen den Beklagten weder ein
Schmerzensgeldanspruch zu noch ist die im Berufungsrechtszug begehrte Fest-
stellung auf Ersatz des materiellen Schadens gerecht-fertigt.
50
1. Der Vorwurf der Klägerin, der Beklagte habe anstelle
51
52
der operativen Behandlung die risikoärmere konservative Behandlung vorziehen
müssen, die operative Behandlung sei daher fehlerhaft gewesen, ist nicht begründet.
53
Nach dem überzeugenden Gutachten des gerichtlichen Sachverständigen Dr. B. vom
21.02.1994 war das chirur-gische Vorgehen bei der Klägerin die Methode der Wahl
und wäre eine konservative Behandlung nicht angezeigt gewesen. Der
Sachverständige, der als Orthopäde und nicht als Neurochirurg tätig ist, hat damit die
Auffas-sung des für die Gutachterkommission tätig gewesenen Sachverständigen Prof.
Dr. G. - Neurochirurg - in des-sen Gutachten vom 10.08.1990 und insbesondere
anläßlich der Anhörung vor dem Senat am 16.09.1992 bestätigt.
54
1. Unter Heranziehung und Auswertung einschlägiger Litera-
55
56
tur und seiner persönlichen Erfahrungen wird die rein medikamentöse Behandlung der
57
tuberkulösen Spondylitis unter gleichzeitiger Belastung der betroffenen Wirbel-
säulenabschnitte nach den Ausführungen des Sachverstän-digen Dr. B. heute nur
noch unter den Bedingungen von Entwicklungsländern durchgeführt. Dort bestehen
meist keine langdauernden stationären Behandlungsmöglichkei-ten, so daß nur der
Beginn einer konservativen Behand-lung stationär durchgeführt werden kann. Diese
Behand-lungsform muß aufgrund der herrschenden äußeren Zustän-de weitgehende
Kompromisse bezüglich ihrer Sicherheit eingehen. Eine medikamentöse Behandlung
mit gleichzei-tiger Ruhigstellung in Gipsbett und Korsettimmobilisa-tion kommt nur
dann in Betracht, wenn die Tuberkulose nicht älter als 8 Monate ist, nicht aggressiv
verläuft und weder Abszesse noch Wirbelkörperdeformierungen vor-handen sind.
Dagegen ist eine medikamentöse Therapie mit Ausräumung des Entzündungsherdes
dann indiziert, wenn durch die Entzündung abgestorbene Knochenstücke und größere
Ab-szesse vorliegen, fortschreitende Wirbelkörperdeformie-rungen vorhanden oder zu
erwarten sind und wenn eine neurologische Querschnittssymptomatik bereits besteht.
Die Maßnahmen können mit knöchernen Stabilisierungen der betroffenen
Wirbelsäulenabschnitte, etwa durch Ein-bringung von Knochenspänen aus Rippen
oder Beckenkamm, kombiniert werden.
58
1. Aufgrund dieser Erkenntnisse der Literatur und seiner
59
60
eigenen Erfahrungen aus knapp 100 behandelten spezifi-schen und unspezifischen
(tuberkulösen und nichttuberu-lösen) Entzündungen der Wirbelsäule war die operative
Behandlung bei der Klägerin nach Auffassung des Sachverständigen Dr. B. in jedem
Fall indiziert. Diese Indikation ergibt sich daraus, daß ein ausgedehnter tu-berkulöser
Abszeß bestand, der sich ausweislich der Un-tersuchungsergebnisse bis in den
Spinalkanal ausdehnte, die Rückenmarkshäute erreicht und teilweise komprimiert
hatte.
61
Unter diesen Umständen wäre es medizinisch nicht vertretbar gewesen, den
vorhandenen Abszeß (jedenfalls zunächst) medikamentös anzugehen. Der
Sachverständige Dr. B. hält es für unwahrscheinlich, daß man den bei der Klägerin
vorhandenen ausgedehnten Abszeß mit konservativen, rein medikamentösen
Behandlungsmaßnahmen hätte zur Ausheilung bringen können.
62
Ein weiteres kommt hinzu: Bei einer konservativen Behandlung wäre das Risiko einer
entzündungsbedingten Querschnittslähmung wesentlich höher als bei einer Ope-ration
und deshalb nicht vertretbar gewesen. Nach den Ausführungen des Sachverständigen
Dr. B. liegt das Ri-siko eines spontanen Querschnittsyndroms ohne operative
Behandlung in Europa zwischen 5 und 10 %, bei einer hochaktiven Tuberkulose wie
bei der Klägerin im Durch-schnitt bei 10 %, während das Risiko einer postoperati-ven
Querschnittslähmung zwischen 0,5 % und 5,5 % liegt. Daß sich dieses (statistisch
geringere) Risiko im Falle der Klägerin verwirklicht hat, spricht nicht gegen die
Richtigkeit der vom Sachverständigen Dr. B. mitgeteil-ten Zahlen. Diese Zahlen liegen
im übrigen im Bereich derjenigen, die auch der Sachverständige Professor Dr. G.
63
anläßlich seiner Anhörung vor dem Senat angege-ben hat. Danach beträgt das Risiko
einer postoperativen Querschnittslähmung zwischen 1 % und 4 %, während der
Sachverständige Dr. G. das Risiko einer Querschnitts-lähmung bei konservativer
Behandlung auf mehr als das Doppelte geschätzt hat.
Schließlich ist die operative Behandlung mit gleichzei-tiger Herdausräumung und
Stabilisierung der Wirbelsäule der rein konservativen Behandlung auch darin
überlegen, was die zu erwartende Ausheilung der Krankheit und die Endergebnisse
der Behandlung ergibt. Insbesondere bei chemotherapeutischer Behandlung sind
Spätkomplikationen zu erwarten, während solche bei der operativen Behand-lung
nahezu ausgeschlossen sind.
64
Mit seiner Auffassung, operatives Vorgehen sei im Falle der Klägerin die Methode der
Wahl gewesen, befindet sich der Sachverständige Dr. B. im Übereinstimmung mit der
Auffassung des Sachverständigen Professor Dr. G., die dieser in seinem Gutachten
und anläßlich seiner An-hörung vor dem Senat wiedergegeben hat.
65
Da die Brustwirbelkörper 3 - 5 von der Erkrankung bereits befallen und schon
weitgehend zerstört waren, hätte man mit einer medikamentösen Behandlung diese
Zerstörung nicht wieder rückgängig machen können. Auch bestand keine Möglichkeit,
in den Abszeß selbst Medika-mente einzubringen, so daß der Krankheitsherd
bestehen geblieben wäre, der auch weiter hätte streuen können. Durch das operative
Vorgehen bestand dagegen die Möglichkeit, die Wirbelsäule zu stabilisieren und eine
weitere Zerstörung von Wirbelkörpern zu verhindern.
66
Außerdem wäre die konservative Behandlung bei der Klä-gerin außerordentlich
schwierig gewesen. Die Klägerin hätte nicht nur in ein Gipsbett gelegt werden müssen,
sondern man hätte auch ihren Kopf für den Zeitraum von etwa einem Jahr absolut
ruhigstellen müssen. Dies wäre nicht nur mit außerordentlichen Unannehmlichkeiten,
sondern auch mit vielen erheblichen Risiken für die Klägerin, wie zum Beispiel Gefahr
einer Thrombose oder Lungenentzündung und der Zurückbildung von Muskeln,
verbunden gewesen. Trotz dieser konservativen Maßnahmen hätte die Gefahr der
Zerstörung der Wirbelsäule oder der weiteren Zerstörung von Wirbelkörpern
bestanden.
67
1. Soweit die Klägerin rügt, der Beklagte habe die Opera-
68
69
tionsstelle am Rückenmark "offenlassen" müssen, um eine Druckbildung zu
verhindern, ist dies unbegründet.
70
Der Sachverständige Professor Dr. G. hat als wahr-scheinliche Ursache der
Querschnittslähmung die unbe-wußte und ungewollte, jedenfalls nicht vorwerfbare,
Unterbindung eines für die Versorgung eines bestimmten Teils des Rückenmarks
wichtigen Blutgefäßes angenommen, so daß eine Versorgungsstörung mit der
anschließenden Querschnittslähmung eingetreten ist.
71
Im Operationsbereich ist eine Redondrainage gelegt wor-den, um
Flüssigkeitsansammlungen nach außen zu beför-dern. Im übrigen konnte der
Wirbelkanal nach den Aus-führungen des Sachverständigen Professor Dr. G. nicht
geöffnet bleiben. Schließlich zeigte die postoperative Myelografie einen freien
Kontrastmitteldurchfluß in allen dargestellten Schichten. Auch bei weiteren Unter-
suchungen stellte sich der Subduralraum mit Kontrast-mittel angefüllt und in allen
Schichthöhen ohne wesent-liches Passagehindernis dar. Die koronaren Schichten
zeigten eine korrekte Lage der Knochenspäne ohne Einen-gung des Spinalkanals.
72
Unter diesen Umständen hätte ein Offenlassen der Wunde oder das Freilassen eines
Ausdehnungsraums die Querschnittslähmung nicht verhindert, weil die Ursache hierfür
der Funktionsausfall der Nervenbahnen infolge einer Versorgungsstörung war und
nicht eine Schwellung.
73
Soweit die Klägerin das Unterlassen einer vorherigen Gefäßdarstellung rügt, hätten
sich daraus nach den Aus-führungen des Sachverständigen Professor Dr. G. keine
besseren Informationen für den Operateur ergeben. Aus einer Gefäßdarstellung kann
man nicht ersehen, welche Gefäße im einzelnen die Versorgung übernehmen, da man
nur die Gefäße als solche, nicht aber deren Funktion zur Versorgung bestimmter
Abschnitte erkennen kann. Es ist individuell verschieden, wie die Versorgung im ein-
zelnen stattfindet. Aus diesem Grund ist eine vorherige Abklärung der Funktionen des
Gefäßsystems durch eine Gefäßdarstellung nicht möglich.
74
Auch der weitere Vorwurf der Klägerin, der Beklagte ha-be keine Entlastungsoperation
vorgenommen, erweist sich als nicht gerechtfertigt.
75
Da sich nach der Operation nur eine relativ geringfü-gige Schwellung zeigte und die
Passage des Kontrastmit-tels nicht behindert war, wäre es nach den Ausführungen des
Sachverständigen Professor Dr. G. falsch gewesen, mit einer Entlastungsoperation zu
reagieren. Eine solche Entlastungsoperation hätte nichts Entscheidendes gebracht, im
Gegenteil den erreichten Erfolg mit der Stabilisierung des Rückgrats in Frage gestellt.
Bei den vorhandenen Befunden hätte eine Entlastungsoperation keine Änderung des
Zustandes der Klägerin bewirken und die eingetretene Querschnittslähmung nicht
rückgängig machen können. Dies wäre nach den Angaben von Professor Dr. G.
möglicherweise anders gewesen, wenn die Schwel-lung sehr umfangreich gewesen
wäre, was hier jedoch nicht der Fall war.
76
Diese Ausführungen des Sachverständigen Professor Dr. G. waren in sich
nachvollziehbar und überzeugend, so daß der Senat keine Bedenken trägt, ihnen zu
folgen.
77
1. Die Klägerin rügt zu Unrecht die Verwertung des
78
79
schriftlichen Gutachtens des Sachverständigen Professor Dr. G. durch das
Landgericht.
80
Das im Verfahren vor der Gutachterkommission für ärztliche Behandlungsfehler
eingeholte Gutachten durfte im Wege des Urkundenbeweises verwertet werden (vgl.
BGH- NJW 87, 2300; Steffen, Neue Entwicklungslinien der BGH Rechtsprechung zum
Arzthaftungsrecht, 5. Aufl., Seite 176). Von der Einholung eines gerichtlichen Sach-
verständigengutachtens konnte das Landgericht absehen, da die Sachkunde des
Sachverständigen Professor Dr. G. keinem Zweifel unterliegt.
81
1. Der Klägerin steht ein Schmerzensgeldanspruch auch
82
83
nicht aus dem Gesichtspunkt mangelnder Aufklärung zu.
84
1. Ohne Erfolg beruft sich die Klägerin darauf, sie sei
85
86
über die Alternative einer konservativen Behandlung nicht aufgeklärt worden. Über
Behandlungsalternativen ist aufzuklären, wenn die Methode des Arztes nicht die der
Wahl ist oder wenn konkret eine echte Alternative mit gleichwertigen Chancen, aber
andersartigen Risiken besteht (vgl. Steffen a.a.O. Seite 111 m.w.N. aus der
Rechtsprechung). Nach dem Gutachten des Sachverständi-gen Dr. B. war aber die
operative Vorgehensweise die Methode der Wahl. Die konservative Behandlung bot
aus den unter 1. b) angeführten Gründen keine echte Alter-native mit gleichwertigen
Chancen. Einer Aufklärung über die konservative Behandlungsmethode bedurfte es
daher nicht.
87
1. Gegenüber dem Vorbringen der Klägerin, sie sei über
88
89
das Risiko einer Querschnittslähmung bei operativem Vorgehen nicht aufgeklärt
worden, beruft sich der Be-klagte zudem mit Recht darauf, die Klägerin hätte auch bei
ordnungsgemäßer Aufklärung über das Risiko in den Eingriff eingewilligt. Dieser
Einwand ist grundsätzlich beachtlich (vgl. BGH NJW 84, 1399). Allerdings hat der
Beklagte diesen Nachweis zu führen, und es sind an ihn grundsätzlich strenge
Anforderungen zu stellen, damit auf diesem Wege das Aufklärungsrecht des Patienten
nicht unterlaufen wird. Insbesondere reicht dazu nicht schon die Feststellung aus, ein
vernünftiger Patient würde sich von diesem Risiko nicht abschrecken lassen. Das
Selbstbestimmungsrecht des Patienten, das die Auf-klärung sichern soll, schützt auch
eine Entschließung, die aus medizinischen Gründen unvertretbar erscheint.
90
Andererseits können auch den Patienten Substantiie-rungspflichten treffen, wenn er
Ersatzansprüche aus einem Aufklärungsversäumnis herleiten will. Das gilt jedenfalls
dann, wenn die Gründe für eine Ablehnung der Behandlung angesichts der Schwere
der Erkankung und der angewendeten, als Methode der Wahl anerkannten Therapie
mit einer günstigen Erfolgsprognose und im Regelfall verhältnismäßig geringen
Belastungen für den Patienten nicht ohne weiteres zutage liegen. In solchen Fällen ist
es geboten, daß der Patient plausibel darlegt, wes-halb er bei Kenntnis der
aufklärungsbedürftigen Umstän-de die Behandlung gleichwohl abgelehnt hätte. Zwar
sind seine persönlichen Gründe für eine solche Ablehnung zu respektieren. Insoweit
kann an sie kein generalisieren-der Maßstab, etwa der eines verständigen Patienten
oder gar die Sicht des Arztes, angelegt werden. Aber sie müssen erkennen lassen,
daß der Patient bei ordnungs-mäßiger Aufklärung aus seiner Sicht vor einem echten
Entscheidungskonflikt gestanden hätte, aus dem heraus die behauptete Ablehnung
der Behandlung im damaligen Zeitpunkt verständlich wird, und er nicht das Aufklä-
rungsversäumnis nachträglich ausschließlich zur Begrün-dung einer
Schadensersatzklage benutzt. Nur auf diese Weise kann einem Mißbrauch des
Aufklärungsrechts allein für Haftungszwecke vorgebeugt werden (vgl. BGH NJW 84,
1399).
91
Die Klägerin hat nicht plausibel machen können, daß sie bei gehöriger Aufklärung vor
einem echten Entschei-dungskonflikt gestanden hätte. Die Äußerung der Kläge-rin,
lieber tot als in diesem Zustand zu sein, hat das Landgericht zutreffend dahin
verstanden, daß sie das kleinere Risiko, also die Operation, gewählt hätte.
92
Auch in ihrer Anhörung vor dem Senat hat die Klägerin den Entscheidungskonflikt
nicht einleuchtend dargelegt. Als Begründung trägt sie vor, sie hätte sich nicht
operieren lassen, wenn man ihr gesagt hätte, daß sie wegen einer Tbc operiert werden
sollte. Vielmehr wäre sie in die Türkei zurückgegangen, weil sie glaube, daß man dort
diese Erkrankung besser behandeln könne. Diese Begründung stützt sich jedoch auf
erst nach der Operation gewonnene Erkenntnisse. Die Voruntersuchungen hatten
ergeben, daß es sich um einen entzündlichen Prozeß, am ehesten um einen
tuberkulösen Abszeß handeln mußte. Aber erst im Frühjahr 1989 wurden
Tuberkelbakte-rien nachgewiesen. Man hätte der Klägerin also nur die
Verdachtsdiagnose mitteilen, ihr aber nicht definitiv sagen können, sie leide an
Tuberkulose. Daß sie auch dann vor einem Entscheidungskonflikt gestanden hätte, ist
nicht nachvollziehbar. Nach ihren Angaben hat man ihr nämlich gesagt, man habe
eine Entzündung zwischen Lunge und Wirbelsäule festgestellt, die durch eine
Operation ausgeräumt werden solle. Obwohl die Klägerin also darüber informiert war,
hat sie indes nicht in Er-wägung gezogen, sich in der Türkei behandeln zu lassen. Das
Wissen, daß die Tuberkuloseerkrankung in der Türkei besser behandelt werden kann,
hat sie zudem erst nach der Operation durch Gespräche mit türkischen Ärzten
erworben, so daß dieses Wissen nicht Grundlage für den Entscheidungskonflikt
gewesen sein kann. Können aber die von der Klägerin angeführten Gründe den
Entschei-dungskonflikt nicht einsichtig machen, leuchtet nicht ein, daß sie bei
gehöriger Aufklärung allein wegen des Risikos der Querschnittslähmung bei einer
Operation sich diesem Konflikt ausgesetzt sah, zumal das Risiko bei medikamentöser
Behandlung etwa doppelt so hoch war und andere schwerwiegende Krankheitsrisiken
und Beein-trächtigungen hinzukamen.
93
1. Aus den vorstehenden Gründen ist auch der Feststel-
94
95
lungsantrag der Klägerin unbegründet.
96
Soweit sie den Antrag auf mangelnde Aufklärung stützt, ist der Anspruch aus
unerlaubter Handlung verjährt, § 852 BGB. Das behauptete Aufklärungsversäumnis
und die Querschnittslähmung sind der Klägerin ebenso wie die Person des Beklagten
als Schädiger bereits vor dem 06.05.1989 bekannt geworden. Die
Berufungsbegründung der Klägerin, die erstmals den Feststellungsantrag ent-hält, ist
dem Beklagten am 06.05.1992, also nach Ablauf der Verjährungsfrist, zugestellt
worden.
97
Aus positiver Vertragsverletzung des Behandlungsvertra-ges haftet der Beklagte nicht,
weil der Behandlungsver-trag nicht mit ihm, sondern mit dem Krankenhausträger
zustandegekommen ist, als dessen Erfüllungsgehilfe der Beklagte tätig geworden ist.
98
1. Die Kostenentscheidung für das Berufungsverfahren
99
100
beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf
§§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
101
Wert der Beschwer der Klägerin: 100.000,-- DM
102