Urteil des OLG Köln vom 23.08.2005

OLG Köln: wirtschaftliches interesse, stützmauer, versicherungsschutz, wahrscheinlichkeit, ausführung, genehmigungsverfahren, kausalität, fehlerhaftigkeit, verfügung, versicherungsnehmer

Oberlandesgericht Köln, 9 U 204/04
Datum:
23.08.2005
Gericht:
Oberlandesgericht Köln
Spruchkörper:
9. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
9 U 204/04
Vorinstanz:
Landgericht Köln, 24 O 404/02
Tenor:
Die Berufung gegen das Urteil der 24. Zivilkammer des Landgerichts
Köln vom 28.10.2004 - 24 O 404/02 - wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt der Kläger.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Voll-streckung
durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % der vollstreckbaren
Forderung abwenden, wenn die Beklagte nicht zuvor Sicherheit in
gleicher Höhe leistet.
I.
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Der Kläger ist Bauingenieur. Er unterhält bei der Beklagten eine Berufs- und
Betriebshaftpflichtversicherung, die den von der Beklagten verwendeten AHB und
besonderen Bedingungen (BBR) unterliegt.
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Im Jahr 2000 plante der Kläger im Auftrag der I. GmbH in xxxxx T.-B. eine Stützmauer
auf deren Betriebsgelände. Eine Baugenehmigung für eine entsprechende Mauer war
im Jahr 1987 eingeholt worden. Dabei wurde von der Genehmigungsbehörde die
Vorlage einer statischen Berechnung und Prüfung der Statik zur Auflage gemacht. Zur
Zeit der Planung durch den Kläger und späteren Errichtung der Stützmauer war die
zeitliche Gültigkeit der Baugenehmigung abgelaufen. Eine neue Baugenehmigung
wurde nicht beantragt.
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Am 20.01.2002 stürzte die nach den Plänen des Klägers errichtete Mauer ein. Die I.
GmbH meldete Haftungsansprüche gegen den Kläger an. Der Kläger meldete dies der
Beklagten. Die Beklagte lehnte mit dem Kläger am 22.02.2002 zugegangenem
Schreiben die Deckung ab. Zur Begründung gab sie an, dass der Kläger eine
wissentliche Pflichtverletzung begangen habe, weil die Mauer nicht nach den
anerkannten Regeln der Technik erstellt worden sei und keine Baugenehmigung und
geprüfte Statik vorgelegen habe. Sie wies auf die Klagefrist des § 12 Absatz 3 VVG
sowie die Rechtsfolgen der Versäumung hin. Der Kläger beauftragte den Prüfingenieur
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G. mit der Erstellung eines Prüfberichts zu der statischen Berechnung und den
Ausführungsplänen, die der Kläger für die Mauer erstellt hatte. Der Zeuge G. teilte dem
Kläger unter dem 12.06.2002 mit, dass weitere Bewehrungen in den Bewehrungsplan
der Stützmauer aufgenommen werden sollten. Dem Schreiben des Zeugen G. an die
Beklagte vom 05.07.2002 zufolge übermittelte der Kläger daraufhin eine Austauschseite
zu seiner Planung, in die die mit Schreiben vom 12.06.2002 mitgeteilten
Prüfeintragungen eingearbeitet waren und die nunmehr einen Böschungswinkel von 20
Grad gegenüber zuvor 32 Grad angab. In seinem sodann erstellten Prüfbericht vom
18.06.2002 kam der Zeuge G. zu dem Ergebnis, dass bei Beachtung des Prüfberichts
die geprüften Unterlagen in statischer und Konstruktiver Hinsicht in Ordnung seien. Mit
an die Beklagte gerichtetem Schreiben vom 05.07.2002 teilte der Zeuge G. mit, dass die
Austauschseite eine Böschungsneigung von 20 Grad enthielt, wodurch der Erddruck
soweit reduziert worden sei, dass die Stützwand standsicher geworden sei.
Auf Wunsch des Klägers stimmte die Beklagte der Verlängerung der Klagefrist gemäß §
12 Absatz 3 VVG bis zum 22.09.2002 zu.
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Der Kläger hat behauptet, seine Planung sei ordnungsgemäß gewesen. Er habe den
tatsächlichen Verhältnissen entsprechend mit einer Böschungsneigung von 20 Grad
geplant. Die von dem Zeugen G. zusätzlich verlangte Bewehrung hätte den Einsturz der
Mauer nicht verhindert. Der Schaden wäre auch bei Einholung des Prüfberichts im
Rahmen eines Baugenehmigungsverfahrens entstanden.
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Der Kläger hat beantragt,
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festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihm wegen Forderungen Dritter aus
dem Zusammensturz der von ihm geplanten Stützwand am 20.01.2002
Versicherungsschutz zu gewähren.
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Die Beklagte hat beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Sie hat behauptet, der Kläger sei bei seiner Planung zutreffend von einem
Böschungswinkel von 32 Grad ausgegangen. Die nachträgliche Reduzierung auf 20
Grad habe nicht mit den örtlichen Gegebenheiten in Übereinstimmung gestanden. Bei
einer im Rahmen des Baugenehmigungsverfahrens erforderlichen Überprüfung der von
dem Kläger für die Mauer erstellten Statik wäre die fehlende Standsicherheit
aufgefallen. Sie ist der Ansicht, sie sei gemäß Ziffer II 1.6.5 der BBR leistungsfrei, weil
der Kläger den Schaden durch ein bewusst gesetz-, vorschrifts- oder sonst
pflichtwidriges Verhalten verursacht habe. Er habe den Schaden dadurch verursacht,
dass er trotz Kenntnis der Genehmigungsbedürftigkeit und der Notwendigkeit einer
Prüfung der von ihm erstellten Statik durch einen Prüfingenieur ohne Beantragung der
Genehmigung und Prüfung geplant habe.
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Die Beklagte hat gemeint, die Ausschlussfrist des § 12 Absatz 3 VVG sei nicht
eingehalten worden, da die Klage erst am 23.09.2002 bei Gericht eingegangen ist.
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Das Landgericht hat die Klage nach Beweiserhebung durch Einholung eines
Gutachtens des Sachverständigen Prof. Dr. Ing. F. und Vernehmung des Zeugen G.
abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, der Kläger habe den Schaden durch
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ein bewusst vorschriftswidriges Verhalten verursacht, indem er es unterließ, eine
Baugenehmigung einzuholen, die Baufreigabe abzuwarten und einen Prüfingenieur zur
Kontrolle der berechneten Statik einzuschalten.
Mit der Berufung verfolgt der Kläger das Klagebegehren unter Bezugnahme auf sein
erstinstanzliches Vorbringen weiter. Er stellt die Fehlerhaftigkeit seiner Planung nicht
mehr in Abrede, meint jedoch, das Landgericht habe zu Unrecht die Kausalität der
Pflichtwidrigkeit für den Schaden in Form des Einsturzes der Mauer angenommen. Man
dürfe hinsichtlich der Überprüfung der Statik nicht von der von dem Sachverständigen
vorgenommenen "sachgerechten" Prüfung ausgehen, sondern nur von einer
"verkehrsüblichen". Bei einer solchen stehe nicht fest, dass ein Mangel der Statik
aufgefallen wäre. Schließlich habe auch der Zeuge G. die nach dem Gutachten des
Sachverständigen Prof. Dr. F. schadenursächlichen Querkräfte übersehen bzw. als
vernachlässigenswert erachtet. Jedenfalls sei der von dem Sachverständigen
aufgestellte Erfahrungssatz, dass die sachgerechte Prüfung den Fehler mit großer
Wahrscheinlichkeit aufgedeckt hätte, juristisch wertlos, denn es sei von der Beklagten
konkret zu beweisen, dass der Zeuge G. im Falle der Prüfung vor Errichtung den Fehler
aufgedeckt hätte. Das könne nicht angenommen werden, denn die von dem Zeugen G.
geforderten zusätzlichen Bewehrungen hätten den Einsturz der Mauer mit an Sicherheit
grenzender Wahrscheinlichkeit nicht verhindert. Das Landgericht habe sich nicht auf die
anders lautende Bekundung des Zeugen G. stützen können, denn die Frage sei allein
dem Sachverständigenbeweis zugänglich und der Zeuge G. habe aufgrund seiner
Vorbefassung ein erhebliches, auch wirtschaftliches Interesse daran, seine Prüfung als
richtig zu verteidigen.
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Zudem könne der Ausschlussgrund nicht greifen, da die Böschung aufgrund einer
Verfügung des Landratsamts hätte befestigt werden müssen und zur Fristwahrung und
Gefahrabwehr die Errichtung der Mauer dringend geboten gewesen sei. Die
Nachholung des Prüfverfahrens sei später in Vergessenheit geraten.
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Der Kläger beantragt,
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das Urteil des Landgerichts Köln vom 28.10.2004 abzuändern und wie folgt zu
fassen:
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Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger wegen der aus
dem Einsturz der Stützmauer am 20.01.2002 in T.-B. resultierenden
Haftpflichtforderung aus der bei ihr genommenen Berufshaftpflichtversicherung
Versicherungsschutz zu gewähren.
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Die Beklagte beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Sie nimmt Bezug auf ihren erstinstanzlichen Vortrag und verteidigt das Urteil des
Landgerichts.
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II.
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Die in formeller Hinsicht bedenkenfreie Berufung ist unbegründet.
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Das Landgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen, denn die Beklagte ist nicht
verpflichtet, dem Kläger wegen der aus dem Einsturz der Stützmauer resultierenden
Haftpflichtforderung Versicherungsschutz zu gewähren. Es gilt der Ausschluss gemäß II
1.6.5 der dem Vertrag der Parteien zugrunde liegenden BBR. Gemäß der
Vertragsklausel sind Ansprüche wegen Schäden, die der Versicherungsnehmer durch
ein bewusst gesetz-, vorschrifts- oder sonst pflichtwidriges Verhalten verursacht hat, von
dem Versicherungsschutz ausgeschlossen. Der Versicherungsschutz bleibt jedoch
bestehen, wenn der Ausschlusstatbestand von dem Versicherungsnehmer nicht zu
vertreten ist.
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Der Kläger handelte pflichtwidrig, indem er die Ausführungsplanung für die Errichtung
der Mauer erstellte und die Ausführung selbst veranlasste, ohne dass zuvor die
Genehmigungsplanung einschließlich der Vorlage bei der Bauordnungsbehörde
durchgeführt worden war. Die Pflichtwidrigkeit erfolgte bewusst, denn dem Kläger war
bekannt, dass eine gültige Baugenehmigung notwendig war und nicht vorlag.
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Durch die Pflichtwidrigkeit ist der spätere Einsturz der Mauer verursacht worden.
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Das Landgericht hat den von dem Versicherer zu erbringenden Beweis der
Ursächlichkeit als geführt angesehen. Es bestehen keine konkreten Anhaltspunkte, die
Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der Tatsachenfeststellung begründen (§
529 Absatz 1 Ziffer 1 ZPO).
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Aus dem eingeholten Gutachten und der Vernehmung des Zeugen G. ergibt sich mit der
erforderlichen Gewissheit, dass bei dem Genehmigungsverfahren die mittlerweile
unstreitige Fehlerhaftigkeit der Planung des Klägers aufgefallen und eine Korrektur
bewirkt worden wäre. Den Ausführungen des Sachverständigen zufolge wurde das
Bemessungsmoment wesentlich zu klein angesetzt, weil die bei geböschtem Gelände
relativ große, vertikal nach unten gerichtete Komponente des Erddrucks nicht in Ansatz
gebracht wurde. Die Bewehrung der Kragplatte und der Bewehrungsanschluss in den
Plänen des Klägers waren deshalb unterdimensioniert. Der Zeuge G. hat bei seiner
Vernehmung angegeben, dass er bei einer Prüfung vor Bauausführung - ausgehend
von einem Böschungswinkel von 20 Grad - ebenfalls den Anschluss der Kragplatte an
die Wand, die Bewehrung an der Ecke der Bodenplatte und die erdseitige
Wandbewehrung bemängelt und eine verstärkte Ausführung gefordert hätte.
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Es ist danach davon auszugehen, dass bei der Durchführung des
Genehmigungsverfahrens die Mängel an der Planung des Klägers aufgefallen wären.
Die Ausführungen des Klägers, dass bei dem Genehmigungsverfahren keine
"sachgerechte", sondern nur eine "verkehrsübliche" Prüfung erfolgt wäre und der Zeuge
G. den Mangel der Planung deshalb nicht entdeckt hätte, steht der Annahme der
Kausalität der Pflichtwidrigkeit für den Schaden nicht entgegen. Es muss grundsätzlich
davon ausgegangen werden, dass eine "sachgerechte" Prüfung im Sinne einer rechtlich
und technisch ordnungsgemäßen erfolgt wäre. Soweit der Kläger mit seinem Vortrag
darlegen wollte, dass nur eine Prüfung erfolgt wäre, die den Anforderungen an eine
rechtlich und technisch ordnungsgemäße nicht entsprochen hätte, handelt sich um den
Einwand einer Reserveursache, deren Eingreifen der Kläger hätte beweisen müssen.
Die Beweislast dafür, dass der Schaden auch aufgrund einer Reserveursache
eingetreten wäre, hat der Schädiger (Palandt - Heinrichs, BGB, vor § 249, Rz. 101; BGH
VersR 1981, 131). Der Kläger kann den Beweis eines solchen hypothetischen
Kausalverlaufs nicht führen. Es ist bereits nicht gesichert, dass tatsächlich der Zeuge G.
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als Prüfingenieur beauftragt worden wäre. Der Vortrag des Klägers, dass der Zeuge G.
seit mehr als 10 Jahren von dem Kläger beauftragt bzw. der Baubehörde empfohlen
wurde, ergibt nicht zweifelsfrei, dass der Zeuge G. auch bei der Durchführung des
Genehmigungsverfahrens für die Mauer eingeschaltet worden wäre. Überdies hat der
Kläger selbst nur vorgetragen, dass die von dem Zeugen G. geforderten zusätzlichen
Bewehrungen den Schadeneintritt "mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit"
nicht verhindert hätten. Eine bloße Wahrscheinlichkeit kann nicht ausreichen, um den
Eintritt der von dem Kläger behaupteten Reserveursache als gewiss anzunehmen. Dies
gilt auch dann, wenn es sich um eine hohe Wahrscheinlichkeit handelt. Immerhin
forderte der Zeuge G. jedenfalls weitere Bewehrungen, die die Standsicherheit der
Mauer erhöht hätten. Was der Zeuge im Einzelnen geprüft und gefordert hätte, wenn er
tatsächlich vor Errichtung der Mauer mit der genehmigungsrechtlichen Prüfung befasst
gewesen wäre, steht nicht fest. Ebenso ist offen, wie die Mauer dann erstellt worden
wäre. Es ist zu berücksichtigen, dass der Sachverständige Prof. Dr. F. angegeben hat,
dass in den Berechnungen des Klägers die Böschung mit einem Winkel von 32 Grad
konzipiert war und erst nachträglich andere Angaben vorgelegt wurden. Dies steht in
Übereinstimmung mit den Angaben des Zeugen G. in dem Schreiben vom 05.07.2002
und in seiner Vernehmung, in der er bekundet hat, dass er von dem Böschungswinkel
von 20 Grad ausgegangen sei, den der Kläger zuvor in einem Gespräch mit seiner
Sekretärin als Möglichkeit angeboten habe. Nach der von dem Sachverständigen Prof.
Dr. F. vorgenommenen Überprüfung des Winkels anhand der vorgelegten Fotos, aus
denen die tatsächliche Ausführung der Böschung ersichtlich ist, wurde diese jedoch mit
einem Winkel erheblich über 20 Grad erstellt, was wiederum in Übereinstimmung mit
den ursprünglichen Plänen steht. Nach den Ausführungen des Sachverständigen ergab
sich auch nicht aus der von dem Kläger vorgelegten so genannten
Ausführungsanweisung, dass entgegen dem tatsächlich Errichteten eine Böschung mit
einem Neigungswinkel von höchstens 20 Grad zu errichten war. Bei seiner Vernehmung
hat der Zeuge G. ausgeführt, dass bei einem Böschungswinkel von 32 Grad die
Stützmauer noch ganz anders hätte dimensioniert werden müssen und die
Standsicherheit der von dem Kläger geplanten Konstruktion dann rechnerisch nicht
mehr gewährleistet gewesen wäre. Es ist deshalb nicht ausgeschlossen, dass sich in
dem Prüfungsverfahren bei korrekter Angabe des später erstellten Böschungswinkels
herausgestellt hätte, dass die von dem Zeugen G. angesprochene ganz andere
Dimensionierung der Mauer erforderlich war.
Dass der Kläger den Ausschlusstatbestand nicht zu vertreten hätte, hat er nicht
dargelegt. Insbesondere kann das nicht aufgrund des Vortrags des Klägers zur
Erstellung der Mauer ohne Baugenehmigung aus Gründen der Gefahrenabwehr
angenommen werden. Es ist schon nicht ersichtlich, auf welche Verfügung des
Landratsamtes der Kläger sich bezieht. Soweit die Anordnung der Bau-
Berufsgenossenschaft vom 15.12.1999 gemeint ist, folgt daraus nicht, dass die
Stützmauer ohne Baugenehmigung erstellt werden musste.
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Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 97 Absatz 1 ZPO. Die Entscheidung
über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
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Die Revision ist nicht zuzulassen, denn die Voraussetzungen des § 543 Absatz 2 ZPO
liegen nicht vor. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung und eine
Entscheidung des Revisionsgerichts ist zur Rechtsfortbildung oder der Sicherung einer
einheitlichen Rechtsprechung nicht erforderlich.
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Streitwert für das Berufungsverfahren:
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