Urteil des OLG Köln vom 08.01.2010

OLG Köln (besondere härte, vollstreckung der strafe, zulässigkeit der auslieferung, vollstreckung, auslieferung, freiheitsstrafe, verurteilung, adresse, deutschland, strafbefehl)

Oberlandesgericht Köln, AuslA 106/09
Datum:
08.01.2010
Gericht:
Oberlandesgericht Köln
Spruchkörper:
2. Strafsenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
AuslA 106/09
Tenor:
Die Auslieferung des Verfolgten zur Vollstreckung der Freiheitsstrafe
von zwei Jahren aus dem Urteil des Amtsgerichts L. vom 28.01.2002
geändert durch Urteil des Bezirksgerichts J. G. vom 17.05.2002 wird für
zulässig erklärt.
Die Auslieferung des Verfolgten zur Vollstreckung der Freiheitsstrafe
von fünf Monaten aus dem Strafbefehl des Amtsgerichts L. vom
29.01.2004, geändert durch Beschluss des Amtsgerichts L. vom
03.06.2005 wird für unzulässig erklärt.
G r ü n d e:
1
I.
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Gegen den am 06.11.2009 festgenommenen Verfolgten bestehen zwei Europäische
Haftbefehle des Bezirksgerichts J. G. vom 03.03.2005 sowie vom 19.06.2009 zur
Vollstreckung: Der Verfolgte ist durch Urteil des Amtsgerichts L. vom 28.01.2002,
geändert durch Urteil des Bezirksgerichts J. G. vom 17.05.2002 zu einer Freiheitsstrafe
von zwei Jahren verurteilt worden. Er hatte am 16.01.2001 gemeinsam mit einem
Mittäter unter Gewaltanwendung dem S. eine Armbanduhr, ein Handy und 400,-- $
Bargeld weggenommen.
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Der Verfolgte ist darüber hinaus durch Strafbefehl des Amtsgerichts L. vom 29.01.2004
wegen Bedrohung in zwei Fällen zu einer 10monatigen Freiheitsstrafe verurteilt worden,
die durch Beschluss des Amtsgerichts L. vom 03.06.2005 auf fünf Monate reduziert
worden ist. Der Verfolgte hatte im Juni 2000 zum einen die Zeugin S. mit dem Tode
sowie damit bedroht, sie zur Prostitution im Ausland zu zwingen, was sie zur Änderung
ihrer Zeugenaussage veranlasste. Zum anderen hatte er den J. mit dem Tode bedroht.
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Bei seinen Anhörungen vor dem Amtsgericht B. am 06.11.2009 und vor dem
Amtsgericht K. am 25.11.2009 hat der Verfolgte sich mit der vereinfachten Auslieferung
nicht einverstanden erklärt und nicht auf die Einhaltung des Grundsatzes der Spezialität
verzichtet. Er hat geltend gemacht, die Verurteilung wegen der zwei Taten der
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Bedrohung müsse in seiner Abwesenheit erfolgt sein. Von der verhängten zweijährigen
Freiheitsstrafe habe er bereits einen Teil verbüßt.
Der Senat hat gegen den Verfolgten am 16.11.2009 einen Auslieferungshaftbefehl
erlassen und in der Folgezeit die polnischen Behörden um Auskunft hinsichtlich der
Verurteilung vom 20.01.2004 unter dem Gesichtspunkt der Abwesenheitsverurteilung
gebeten.
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Der Beistand des Verfolgten hat mit Schriftsatz vom 23.12.2009 Stellung genommen. Er
vertritt die Auffassung, der Verfolgte sei einem Deutschen gleichzustellen. Er beantragt,
den Auslieferungshaftbefehl des Senats aufzuheben, hilfsweise außer Vollzug zu
setzen.
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Die Generalstaatsanwaltschaft hat dem Senat die Akten mit den Anträgen vorgelegt, die
Auslieferung für zulässig zu erklären und den Antrag auf Aufhebung des Haftbefehls
abzulehnen.
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II.
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Den Anträgen der Generalstaatsanwaltschaft ist im Hinblick auf die Verurteilung durch
das Amtsgerichts L. vom 28.01.2002 , geändert durch Urteil des Bezirksgerichts J. G.
vom 17.05.2002 sowie hinsichtlich der Haftfrage zu entsprechen. Hinsichtlich der
Verurteilung durch das Amtsgerichts L. vom 29.01.2004, geändert durch Beschluss des
Amtsgerichts L. vom 093.06.2005 besteht hingegen das Auslieferungshindernis des §
83 Ziff. 3 IRG (Abwesenheitsverurteilung).
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1.
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Der Europäische Haftbefehl des Bezirksgerichts J. G. vom 03.03.2005 ist nach §§ 79
Abs. 1, 83 a Abs. 1 IRG als Auslieferungsersuchen anzusehen. Er enthält die nach § 83
a Abs. 1 IRG notwendigen Angaben, insbesondere ist die Tat, derentwegen der
Verfolgte verurteilt worden ist, unter Angabe der einschlägigen Gesetzesbestimmungen
hinreichend konkretisiert.
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Die dem Europäischen Haftbefehl zugrunde liegende Tat ist keine Katalogtat im Sinne
des Artikel 2 Abs. 2 des Rahmenbeschlusses des Rates vom 13.06.2002 über den
Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten
(ABl. EG Nr. L 190 S. 1), so dass gemäß § 81 Ziff. 4 IRG von der Prüfung der
beiderseitigen Strafbarkeit nicht abgesehen werden kann. Diese ist jedoch gegeben.
Die Tat ist nach polnischem Recht gemäß Art. 280, 157 des polnischen StGB strafbar.
Nach deutschem Recht ergibt sich die Strafbarkeit aus § 249 StGB.
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Die Voraussetzung des § 81 Nr. 2 IRG ist ebenfalls erfüllt, denn der Verfolgte ist zu einer
Freiheitsstrafe von mehr als vier Monaten verurteilt worden. Diese ist auch noch voll zu
vollstrecken; nach Auskunft der polnischen Behörden vom 09.12.2009 hat sich der
Verfolgte nämlich nicht in dieser, sondern in anderer Sache in hier nicht anrechenbarer
Untersuchungshaft befunden.
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Die im Verfahren über die Zulässigkeit der Auslieferung gem. § 79 Abs. 2 IRG gebotene
Überprüfung der Ermessensentscheidung der Generalstaatsanwaltschaft,
Bewilligungshindernisse nicht geltend zu machen, führt zu deren Bestätigung. Gründe,
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den Verfolgten, der seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat, einem Deutschen
gleichzustellen (§ 83b Abs. 2 lit. b) IRG) bestehen nicht.
Dabei hat die Bewilligungsbehörde zu prüfen, ob das schutzwürdige Interesse des
Verfolgten an einer Strafvollstreckung im Inland das Interesse des ersuchenden
Mitgliedstaates an einer Vollstreckung in seinem Staatsgebiet überwiegt. Das kann nur
angenommen werden, wenn die Vollstreckung im Ausland für den Verfolgten eine
besondere Härte darstellen würde. Es müssen Umstände vorliegen, aufgrund derer die
Vollstreckung im Ausland für den ausländischen Verfolgten die gleiche Härte darstellt
wie für einen Deutschen, der eine Strafe im Ausland zu verbüßen hat.
Berücksichtigungsfähig sind neben besonderen persönlichen Bindungen in
Deutschland auch Schwierigkeiten, die sich aus der Konfrontation mit einer fremden
Rechtsordnung oder einem Vollzug in einem ausländischen Gefängnis ergeben können
(Senat, Beschluss vom 05.09.2006 –6 AuslA. 35/06-, NStZ-RR 2007, 19; s. a. OLG
Karlsruhe, NStZ-RR 2009, 107, 108; OLG Hamm, B. v. 01.12.2009 – (2) Ausl. A 108/09
(432/09)). Solche Umstände liegen im Falle des Verfolgten aber auch dann nicht vor,
wenn zu seinen Gunsten davon ausgegangen wird, dass er sich – anders als noch im
Auslieferungshaftbefehl angenommen – seit Ende 2002 in Deutschland aufhält. Der
Verfolgte hat in Deutschland aktuell keine Arbeit, sondern hat nach seinen Angaben die
letzten drei Jahre in Belgien gearbeitet. Er hatte in Deutschland auch noch nie Arbeit.
Die Anhörung musste unter Zuziehung einer Dolmetscherin erfolgen. Die
Lebensgefährtin und künftige Ehefrau des Verfolgten, die nach seinen Angaben ein
gemeinsames Kind erwartet, und die nach ihrem Geburtsnamen und ihrem Geburtsort
gleichfalls aus Polen stammt, hat noch im September 2009 gegenüber der Polizei
angegeben, die deutsche Staatsangehörigkeit beantragen zu wollen. Die Angabe des
Verfolgten im Anhörungstermin vom 25.11.2009, sie habe "einen deutschen Pass" ist
durch nichts untermauert. Unter diesen Umständen kann von einer Verwurzelung des
Verfolgten in Deutschland mit einer Festigkeit, die eine Vollstreckung der Strafe in Polen
als besondere Härte erscheinen lassen könnte, nicht gesprochen werden. Hieran
vermag auch die durch die Vollstreckung bewirkte Trennung von der Familie nichts zu
ändern, da auch die nach nationalem Recht zulässige Durchführung der Strafverfolgung
Ehe- und Familienleben beeinträchtigt.
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2.
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Hinsichtlich der dem Europäischen Haftbefehl vom 19.06.2009 zugrundeliegenden
Verurteilung durch das Amtsgericht L. vom 29.01.2004 geändert durch Beschluss des
Amtsgerichts L. vom 03.06.2005 besteht hingegen das Auslieferungshindernis des § 83
Ziff. 3 IRG (Abwesenheitsverurteilung). Nach dieser Vorschrift ist die Auslieferung nicht
zulässig, wenn der Verfolgte nicht persönlich zum Termin geladen oder auf andere
Weise vom Termin unterrichtet worden war, es sei denn, der Verfolgte hat entweder die
Ladung in sicherer Kenntnis vom Verfahren durch Flucht verhindert und am Verfahren
war ein Verteidiger beteiligt oder der Verfolgte hat nach der Überstellung das Recht auf
ein neues Verfahren, in dem der erhobene Vorwurf umfassend und unter Wahrung
seines Anwesenheitsrechts geprüft wird. Die Vorschrift ist demnach dahingehend zu
verstehen, dass die mit den Worten "es sei denn" eingeleiteten Ausnahmen von der
Unzulässigkeit erst greifen, wenn der Verfolgte nicht persönlich geladen oder sonst
(sicher) unterrichtet war. Zwar sind im Strafbefehlsverfahren ergangene Erkenntnisse
grundsätzlich keine Abwesenheitsverurteilungen im Sinne des § 83 Ziff. 3 IRG (Senat,
B. v. 10.06.2005 – Ausl 22/05 – 14 – http://www.justiz-nrw.de/nrwe), indessen ist die
Verfahrensgestaltung hinsichtlich der Verurteilung vom 29.01.2004 – unter
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Berücksichtigung des Zustandekommens des Beschlusses vom 03.06.2005 - insgesamt
so, dass nach Auffassung des Senats die genannte Vorschrift zur Anwendung kommen
muss. Zur Ladung des Verfolgten haben die polnischen Behörden unter dem
09.12.2009 folgendes mitgeteilt:
"Der Strafbefehl vom 29.01.2004 wurde in der Sache X in der Sitzung gefällt, zu der
S. nicht geladen wurde. Die Entscheidung wurde auf die letzte Adresse des
Verurteilten geschickt, die trotz der zweifachen Benachrichtigung von ihm nicht
entgegengenommen wurde. Aufgrund Art. 139 § 1 StPO / Wortlaut: Wenn die Partei
ohne Angabe der neuen Adresse den Wohnort wechselt oder unter der von ihr
genannten Adresse nicht wohnt, wird das an diese Adresse geschickte Schreiben
als zugestellt betrachtet / , wurde die Zustellung der Abschrift der Entscheidung für
wirksam anerkannt. Ein rechtskräftiger Beschluss des Amtsgerichts L. vom
03.06.2002 (richtig: 2005) in der Sache wurde nach der Sitzung erlassen, zu der S.
trotz einer richtigen Ladung nicht erschienen ist. Die besagte Entscheidung ist an
die letzte Adresse des Verurteilten geschickt worden, die trotz der zweifachen
Benachrichtigung von ihm ebenfalls nicht entgegengenommen wurde. Aufgrund
der oben genannten Vorschrift wurde die Zustellung der Abschrift der Entscheidung
für wirksam anerkannt"
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Die Ausführungen der polnischen Behörden, der Verfolgte sei zu der Verhandlung vor
dem Amtsgericht L. "richtig" geladen worden, kann der Senat aus dem Zusammenhang
der Mitteilung heraus (die von fehlender Entgegennahme von Schriftstücken in zwei
Fällen spricht und eine prozessuale Vorschrift im Wortlaut zitiert, die auf eine
Zustellungsfiktion hinausläuft), nur so verstehen, dass der Verfolgte auch zu der
Verhandlung auf eben diese Weise – also Art. 139 § 1 poln. StPO entsprechend und
damit nach der polnischen Rechtsordnung wirksam – geladen worden ist. Er war dann
aber zu dieser Verhandlung nicht "persönlich" im Sinne des § 83 Ziff. 3 IRG geladen,
ebenso, wie ihm auch bereits der Strafbefehl vom 29.01.2004 nicht persönlich bekannt
gemacht worden ist. Dass der Verfolgte auf andere (nicht notwendig von Amts wegen
vermittelter, vgl. OLG Karlsruhe, NStZ-RR 2008, 112) Weise Kenntnis von Strafbefehl
und Verhandlung hatte, kann der Senat angesichts des diesbezüglichen Bestreitens des
Verfolgten nicht feststellen.
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Mangels persönlicher Ladung oder anderweitiger sicherer Kenntnis vom Termin ist
nunmehr das Prüfprogramm der Ausnahmetatbestände des § 83 Ziff. 3 IRG eröffnet.
Dabei kann letztlich offen bleiben, ob – wofür vieles spricht - von einem "Fluchtfall"
auszugehen ist. Denn nach der Mitteilung der polnischen Behörden vom 23.12.2009
war an der Verfahren vor dem Amtsgericht L. weder ein Verteidiger beteiligt, noch hat
der Verfolgte insoweit Anspruch auf ein neues Verfahren. In der Folge war die
Auslieferung zur Vollstreckung dieses Erkenntnisses wegen des Bestehens eines
Auslieferungshindernisses für unzulässig zu erklären.
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