Urteil des OLG Köln vom 30.04.2009

OLG Köln: strafzumessung, ärztliche behandlung, bewährung, strafverfahren, auflage, disposition, geldstrafe, einwirkung, widerruf, anfechtung

Oberlandesgericht Köln, 83 Ss 32/09
Datum:
30.04.2009
Gericht:
Oberlandesgericht Köln
Spruchkörper:
1. Strafsenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
83 Ss 32/09
Vorinstanz:
Landgericht Aachen, 72 Ns 207/08
Tenor:
Das angefochtene Urteil wird mit seinen Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung - auch
über die Kosten der Revision - an eine andere Strafkammer des
Landgerichts Aachen zurückverwiesen.
Gründe
1
I.
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Das Amtsgericht hat die Angeklagte "wegen Diebstahls geringwertiger Sachen" zu einer
Freiheitsstrafe von 3 Monaten verurteilt.
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Gegen dieses Urteil hat die Angeklagten Berufung eingelegt und diese auf die
Anfechtung des Rechtsfolgenausspruchs beschränkt. Das Landgericht hat die
Rechtsmittelbeschränkung für wirksam gehalten und die Berufung verworfen.
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Die Revision der Angeklagten rügt Verletzung materiellen Rechts.
5
II.
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Die Revision hat (vorläufigen) Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils
und zur Zurückverweisung der Sache an die Vorinstanz.
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Zu Recht hat die Strafkammer die Beschränkung der Berufung für wirksam gehalten und
demgemäß in eigener Verantwortung nur über die Rechtsfolgenseite entschieden. Die
Feststellungen des Amtsgerichts zum Schuldspruch lassen den Unrechts -und
Schuldgehalt der Tat hinreichend erkennen.
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Die Rechtsfolgenentscheidung des Landgerichts hält indes rechtlicher Überprüfung
aufgrund der Sachrüge nicht stand.
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Zur Strafzumessung heißt es im Berufungsurteil:
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"Bei der Strafzumessung hat sich die Kammer von folgenden Überlegungen leiten
lassen:
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Zu Gunsten der Angeklagten war zu berücksichtigen, dass sie die Tat eingeräumt
hat. Die von ihr gestohlenen Gegenstände sind an die geschädigte Firma zurück
gelangt, so dass ein bleibender Schaden nicht entstanden ist. Der Wert der
entwendeten Sachen war mit 28,95 Euro zudem gering. Zu Gunsten der
Angeklagten kann auch nicht sicher ausgeschlossen werden, dass die
Steuerungsfähigkeit der Angeklagten im Sinne von § 21 StGB vermindert war.
Hiervon geht die Kammer aufgrund des Umstandes aus, dass die Angeklagte sich
in der Vergangenheit wiederholt über einen längeren Zeitraum in ärztlicher und
psychotherapeutischer Behandlung befunden hat, was auf eine
behandlungsbedürftige Erkrankung hindeutet. Schließlich war zu ihren Gunsten in
Rechnung zu stellen, dass sie sich in der Vergangenheit in ärztliche Behandlung
begeben hat, um gegen ihre verhängnisvolle Neigung zu Diebstahlshandlungen
anzugehen. Die Angeklagte hat auf Grund ihres Alters zudem als
haftempfindlich zu gelten. Ebenfalls hat sich strafmildernd ausgewirkt, dass sie
den Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung in zwei Verfahren zu gewärtigen
hat.
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Demgegenüber musste sich zu Lasten der Angeklagten auswirken, dass sie
mehrfach und einschlägig vorbestraft ist. Sie stand bei Begehung der hier
abzuurteilenden Tat unter laufender Bewährung. .
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Den Strafrahmen des § 242 StGB hat die Kammer
sodann
den Senat) gemäß §§ 21, 49 StGB gemildert. Bei Abwägung der vorstehenden
sowie der weiteren in § 46 StGB normierten Strafzumessungserwägungen hält
auch die Kammer die Verhängung einer Freiheitsstrafe von drei Monaten für tat-
und schuldangemessen sowie als zur Einwirkung auf die Angeklagte für
erforderlich. Die Verhängung der kurzen Freiheitsstrafe war gemäß § 47 Abs. 1
StGB unerlässlich. Die Angeklagte ist vielfach und einschlägig vorbestraft. Sie ist
in den letzten 14 Jahren in neun Strafverfahren wegen Diebstahls verurteilt
worden. …"
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Danach leidet die Strafzumessung der Strafkammer an einem methodischen Fehler.
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Das Tatgericht ist - im Strafverfahren gegen Erwachsene - grundsätzlich gehalten,
zunächst die Frage zu entscheiden, von welchem Strafrahmen es im konkreten
Einzelfall ausgeht (BGH NStZ 1983, 407; Fischer, StGB, 56. Auflage, § 46 Rn. 16;
Schäfer, Praxis der Strafzumessung, 4. Auflage, Rn. 487).
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Erst danach hat es - innerhalb des so festgelegten Strafrahmens - die Strafzumessung
im engeren Sinne vorzunehmen (BGH a.a.O.), das heißt die Strafe auf der Grundlage
der individuellen Schuld des Täters unter Berücksichtigung der Strafzwecke und des
Schutzzwecks des verwirklichten Tatbestandes zu bestimmen (Fischer a.a.O. § 46 Rn.
20; Schäfer a.a.O. Rn. 490).
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Der nächste Schritt betrifft dann insbesondere die Strafartwahl (u. a.: Freiheitsstrafe oder
Geldstrafe? Strafaussetzung zur Bewährung?) und berücksichtigt vor allem präventive
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Aspekte (Schäfer a.a.O. Rn. 491).
Die schriftlichen Urteilsgründe müssen erkennen lassen, dass diese drei Schritte
gedanklich nacheinander vollzogen worden sind (Schäfer a.a.O. Rn. 493).
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Hier hat die Strafkammer - von dieser Reihenfolge abweichend - zunächst die
Strafzumessung im engeren Sinne vorgenommen und erst danach den anzuwendenden
Strafrahmen bestimmt.
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Es ist nicht auszuschließen, dass dieser Rechtsfehler die Strafzumessung zu
Ungunsten der Angeklagten beeinflusst hat, etwa in dem Sinne, dass das Tatgericht die
Strafzumessung gedanklich zunächst im Regelstrafrahmen des § 242 StGB
vorgenommen und das auf diese Weise gewonnene Ergebnis ganz oder im
Wesentlichen - unbewusst - in den gemilderten Strafrahmen übertragen hat.
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Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf folgendes hin:
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Es dürfte sich empfehlen, die Frage der etwaigen Erkrankung der Angeklagten unter
Hinzuziehung eines Sachverständigen einer näheren Klärung zuzuführen, und zwar
einerseits, um die Prüfung der - möglicherweise dann auch positiv feststellbaren -
Voraussetzungen des § 21 StGB auf einer sichereren Grundlage vornehmen zu können,
und andererseits, um eine Hilfestellung bei der Strafaussetzungsentscheidung (ggf.
günstige Prognose wegen erteilter Weisungen, vgl. § 56 c StGB) zu erlangen.
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Krankheiten oder die psychische Disposition bestimmende persönliche Umstände
können, auch wenn sie nicht den Schweregrad des § 21 StGB erreichen, die
Vorwerfbarkeit der Missachtung der Warnwirkung von Vorverurteilungen oder
Strafaussetzungen vermindern (OLG Karlsruhe NStZ-RR 1997, 248; OLG Stuttgart NStZ
2007, 37).
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