Urteil des OLG Köln vom 30.09.1998

OLG Köln (kläger, versorgung, lege artis, alternative kausalität, behandlung, höhe, widerklage, rechnung, aufklärung, ausdrücklich)

Oberlandesgericht Köln, 5 U 122/97
Datum:
30.09.1998
Gericht:
Oberlandesgericht Köln
Spruchkörper:
5. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
5 U 122/97
Vorinstanz:
Landgericht Köln, 25 O 83/95
Normen:
BGB §§ 611, 242, 823;
Leitsätze:
Aufklärungspflicht des Zahnarztes über medizinisch gleichermaßen
indizierte Alternativen einer prothetischen Versorgung
BGB §§ 611, 242, 823 Der Zahnarzt ist verpflichtet, über medizinisch
gleichermaßen indizierte Alternativen einer prothetischen Versorgung
der Oberkieferbezahnung aufzuklären (hier: teleskopierende, bügelfreie
Brückenprothese statt Gaumenplatte).
Wird die Versorgung mittels Gaumenplatte nicht toleriert, entfällt der
Vergütungsanspruch, wenn der Patient plausibel darlegt, daß er in
Kenntnis der Behandlungsalternative der getroffenen Maßnahme nicht
zugestimmt hätte.
Rechtskraft:
rechtskräftig
Tenor:
Auf die Berufung des Beklagten wird das am 14. Mai 1997 verkündete
Urteil der 25. Zivilkammer des Landgerichts Köln -25 O 83/95-
abgeändert und wie folgt neu gefaßt:
Die Klage wird abgewiesen.
Auf die Widerklage werden die Kläger als Gesamtschuldner verurteilt, an
den Beklagten 1.894,25 DM nebst 4 % Zin- sen seit dem 23. Mai 1998
zu zahlen. Der Kläger zu 1. wird darüberhinaus verurteilt, an den
Beklagten ein Schmerzensgeld in Höhe von 2.000,00 DM zu zahlen.
Die weitergehende Widerklage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits erster Instanz werden den Klägern als
Gesamtschuldner auferlegt.
Von den Kosten des Rechtsstreits zweiter Instanz tragen die Kläger als
Gesamtschuldner 89,5 % und der Beklagte 10,5 %.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
1
1.
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Auf die zulässige Berufung des Beklagten war das angefochtene Urteil abzuändern und
die Klage abzuweisen.
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Die von den eine zahnärztliche Gemeinschaftspraxis betreibenden Klägern dem
Beklagten gegenüber mit Rechnung vom 9. Dezember 1993 geltend gemachte
Honorarforderung für dessen Zahnbehandlung im Zeitraum 2. September bis 2.
Dezember 1993, die noch in Höhe von 22.143,36 DM offen ist, steht den Klägern nicht
zu. Ein Honoraranspruch gemäß §§ 611, 612 Abs. 2 BGB in Verbindung mit der
Gebührenordnung für Zahnärzte besteht nicht. Nach dem Ergebnis der in zweiter
Instanz durchgeführten Beweisaufnahme steht nämlich fest, dass der Kläger zu 1)
gegenüber dem Beklagten die Pflicht zur Aufklärung über eine (ebenfalls) indizierte
alternative Prothetik im Oberkieferbereich verletzt und außerdem mangelhafte
zahnärztliche Leistungen im Unterkieferbereich des Beklagten erbracht hat. Dem
Beklagten steht deshalb aus dem Gesichtspunkt einer positiven Vertragsverletzung des
zahnärztlichen Behandlungsvertrags ein Anspruch auf Befreiung von der
Vergütungspflicht zu. Dieser Anspruch besteht auch gegenüber der Klägerin zu 2), da
beide Kläger eine echte Gemeinschaftspraxis gleicher Fachrichtung betreiben und
deshalb den Beklagten als Patienten aus dem Arztvertrag gesamtschuldnerisch auf
dessen Erfüllung haften (vgl. hierzu Steffen/Dressler, Arzthaftungsrecht, 7. Auflage,
Randnummer 62).
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Aufgrund der durch die vom Senat beauftragte Sachverständige Dr. R. getroffenen
Feststellungen steht zur Überzeugung des Senats fest, dass bei dem Beklagten als
Alternative zu der vom Kläger zu 1) vorgenommenen zahnprothetischen
Oberkieferversorgung mittels einer Gaumenplatte auch eine teleskopierende, bügelfreie
Brückenprothese medizinisch indiziert war. Die Sachverständige hat in ihrem
schriftlichen Gutachten ausdrücklich ausgeführt, dass als wissenschaftlich anerkannte
Behandlungsmethode auch beim Zahnbefund des Beklagten ein ausschließlich auf
Doppelkronen abgestützter Zahnersatz unter Einbeziehung aller Restzähne bei Verzicht
auf ein transversales Design (gaumenfreie Gestaltung ohne Transversalplatte) gelte,
wobei keine Brückenkonstruktion, sondern eine Ausdehnung mit Prothesensätteln
(breitflächige Auflagerung der Prothesenbasis auf dem Kieferkamm) indiziert sei. Beim
Beklagten wäre ihren Feststellungen zufolge als Alternative zur zahnprothetischen
Oberkieferversorgung mittels Gaumenplatte auch eine teleskopierende (sekundäre
Verblockung aller Restzähne), bügelfreie "Sattelprothese" mit einer nur auf dem
Kieferkamm ausgedehnten Gerüstauslegung in Betracht gekommen. Diese Versorgung
wäre bei dem vorhandenen Restzahnbestand des Beklagten auch indiziert gewesen.
Die Voraussetzungen für gute parodontale Verankerung der Restzähne und ein
ausreichend ausgeprägter Alveolarfortsatz seien gegeben gewesen.
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Die Sachverständige ist bei ihrer mündlichen Anhörung vor dem Senat auch
überzeugend dem Vorhalt der Kläger begegnet, wonach eine derartige Versorgung
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allenfalls zwei bis drei Jahre gehalten haben würde, weil sich die Restzähne wegen
übermäßiger Belastung gelockert hätten. Hierzu hat Dr. R. nachvollziehbar und
überzeugend ausgeführt, dass gleichwohl eine gaumenfreie Gestaltung durch
"Anhängen" der Prothese an die im Oberkiefer noch vorhandenen Zähne ohne weiteres
möglich gewesen sei, wobei eine Versorgung aller Restzähne mit Teleskopkronen
erforderlich gewesen wäre. Nachteile in Bezug auf einen denkbaren Zahnverlust in der
Folgezeit hat sie ausdrücklich als nicht nachgewiesen angesehen. Diese Annahme hat
sie durch Vorlage eines Aufsatzes von Prof. H., abgedruckt in Zahnärztliche
Mitteilungen 1990, Seite 2340 ff. belegt, ausweislich dessen ausdrücklich die Annahme
bestätigt wird, dass Lockerung oder Verlust von Pfeilerzähnen auch ohne transversale
Verbindung vermieden werden könnten.
Die Sachverständige ist auch dem Einwand der Kläger, wonach eine gaumenbügelfreie
Versorgung nur dann möglich gewesen wäre, wenn die Zähne 13 und 14 noch
vorhanden gewesen wären, überzeugend mit der Begründung entgegengetreten, dass
die übrigen noch vorhandenen Zähne ohne weiteres zur Verankerung einer
sachgerechten Konstruktion ausgereicht hätten. Vor allem hätten diese Zähne keine
Schäden, insbesondere keinen parodonthologischen Befund aufgewiesen, der einer
Heranziehung für die danach ohne weiteres mögliche Konstruktion einer bügelfreien
Sattelprothese entgegengestanden hätte.
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Die vom Kläger zu 1) vorgenommene Transversalbügelgestaltung war den Angaben der
Sachverständigen zufolge auch nicht zur Druckverteilung notwendig; vielmehr war ihren
Angaben zu- folge die auftretende Hebelwirkung im hinteren Teil am stärksten; die
vorderen Zähne würden deshalb bei Teleskopierung der Restzähne nicht zu stark
belastet, entsprechende Kräfte vielmehr ohne weiteres aufgefangen; bei einer korrekt
gestalteten Sattelprothese mit teleskopierender Restzahnversorgung könne im Übrigen
von einer 10 - 12 Jahre andauernden Haltbarkeit ohne weiteres ausgegangen werden.
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Es besteht kein Anlass, diese Feststellungen der Sachverständigen Dr. R., die dem
Senat aus einer Vielzahl von Verfahren als fachlich besonders qualifizierte, kompetente
und gründliche Gutachterin bekannt ist, in Zweifel zu ziehen. Aufgrund ihrer
überzeugenden Feststellungen steht deshalb fest, dass die ebenfalls indizierte
teleskopierende bügelfreie "Sattelprothese" ersichtlich ausgereicht hätte, um ein
zufriedenstellendes Ergebnis zu erzielen. Entsprechend hätte der Beklagte über diese
alternativ indizierte Behandlungsmöglichkeit aufgeklärt werden müssen, zumal er in
nachvollziehbarer Weise dargetan hat, dass ihm eine Oberkieferversorgung ohne
transversalen Prothesenverbinder in jedem Fall angenehmer gewesen wäre und er auf
jeden Fall eine derartige Prothetik gewählt hätte, wenn sie ihm angeboten worden wäre.
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Diese -notwendige- Aufklärung des Beklagten ist indes unstreitig nicht erfolgt, nachdem
der Kläger zu 1) persönlich in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat ausdrücklich
eingeräumt hat, er habe den Beklagten über die Möglichkeit einer bügelfreien
Sattelprothese trotz dessen möglicherweise sogar geäußerten Wunsches, "gaumenfrei
zu arbeiten", bewusst nicht aufgeklärt und eine solche bewusst nicht angeboten, weil
eine derartige Versorgung, wie sie von der Sachverständigen favorisiert werde, für ihn
als denkbare Alternative ausscheide und er persönlich die Transversalbügelgestaltung
für die bessere und auch sicherere Art der Versorgung halte.
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Wegen fehlender Aufklärung über eine denkbare Behandlungsalternative haften die
Kläger als Gesamtschuldner deshalb dem Beklagten für den durch die Behandlung
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verursachten Schaden, nachdem dieser plausibel dargetan hat, dass er eine wirksame
Zustimmung zu der konkret erfolgten Behandlung bei ordnungsgemäßer Aufklärung
nicht erteilt hätte, es mithin zu den geklagten Beschwerden nicht gekommen und sich
die durchgeführte prothetische Versorgung mit Gaumenplatte nicht als überflüssig im
Hinblick auf die Neuversorgung mit einer bügelfreien Sattelprothese erwiesen hätte, die
der Beklagte bei sachgerechter Aufklärung unmittelbar gewählt hätte. Der hieraus
resultierende Schadensersatzanspruch des Beklagten richtet sich auf die Befreiung von
der eingegangenen Honorarverpflichtung mit der Folge, dass die Kläger die für die
Oberkieferversorgung geltend gemachten Behandlungskosten nicht mehr verlangen
können.
Auf die daneben zwischen den Parteien streitige Frage, ob die für den Beklagten
angefertigte Oberkieferprothese zudem mangelhaft ausgeführt wurde, kommt es -da
jedenfalls eine Behandlungsalternative gegeben war, hinsichtlich derer schuldhaft nicht
aufgeklärt wurde- nicht an.
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Der Beklagte braucht auch die von den Klägern in Ansatz gebrachten Kosten für die
durchgeführte Unterkieferprothetik nicht zu bezahlen. Ausweislich der hierzu von der
Sachverständigen Dr. R. getroffenen Feststellungen war die vom Kläger zu 1)
durchgeführte Unterkieferversorgung des Beklagten mangelhaft. Sie entsprach nicht der
ursprünglichen prothetischen Planung. Die Sachverständige hat ausgeführt, die Kläger
hätten zur Verankerung dieses Zahnersatzes 3 einseitige Teleskopkronen (43, 44, 47)
als starre Halte- und Stützelemente verwendet, während die Teilprothese auf der linken
Seite rein schleimhautgelagert gewesen sei. An den verblockten Kronen 31, 41, 42
habe ein Geschiebe zur parodontalen Abstützung des Freiend-Prothesensattels gefehlt;
hierdurch sei es zum stärkeren Einsenken des linken Prothesenteiles gekommen, was
zu einer Kauverlagerung auf die Frontzähne führen mußte. Auch der frühzeitige Verlust
der Funktionstüchtigkeit des Oberkiefer-Zahnersatzes nach einem Jahr ist den
Feststellungen der Gutachterin zufolge auf die Prothesenkonstruktion im Unterkiefer und
ein dadurch verändertes Auftreten im Kauverhalten (frontale Überbelastung) bei
gleichzeitig unzureichender technischer Ausführung der Kronenverbindung 11, 12
zurückzuführen.
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Diesen gutachterlichen Feststellungen sind die Kläger anschließend nicht mehr mit
dezidierten Einwänden entgegengetreten mit der Folge, dass auch die hierauf
entfallenden mit der Honorarrechnung geltend gemachten Kosten vom Beklagten nicht
erstattet verlangt werden können.
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2.
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Auf die Widerklage war dem Beklagten gemäß § 847 BGB ein Schmerzensgeld in Höhe
von 2.000,00 DM zuzusprechen.
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Dieser deliktische Anspruch besteht indes nur gegenüber dem Kläger zu 1.. Deliktisch
ist nämlich auch in einer gemeinschaftlich betriebenen Praxis jeder Arzt nur für die
eigenen Fehler passivlegitimiert (vgl. Steffen/Dressler aaO, Rdnr. 87 m.w.N.); ein
Anspruch gegen die Klägerin zu 2. besteht insoweit nicht.
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Dieser Betrag ist nach Auffassung des Senats angemessen, aber auch ausreichend, um
die körperliche Beeinträchtigung des Beklagten durch die überflüssige Behandlung als
solche sowie die sich an die nicht von der Einwilligung des Beklagten gedeckte
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prothetische Versorgung anschließenden vom Beklagten zu erduldenden Beschwerden
auszugleichen. Bei der Bemessung dieser Summe ist insbesondere zu berücksichtigen,
dass ausweislich der Feststellungen der Sachverständigen Dr. R. nach
zahnmedizinischer Erfahrung bei der Versorgung mit einer Teilprothese mit
Transversalbügel gewöhnlich nicht mit Geschmacksstörungen, Übelkeit, Schwindel und
einer Beeinträchtigung der Magenfunktion zu rechnen sei, im Allgemeinen vielmehr ein
solcher Zahnersatz schnell adaptiert werde.
Darüber hinaus steht dem Beklagten gegen beide Kläger die mit der Widerklage
zurückverlangte Anzahlung in Höhe von 1.450,00 DM zu. Da den Klägern aufgrund des
geschlossenen Behandlungsvertrags nämlich wegen der festgestellten
Vertragsverletzungen kein begründeter Honoraranspruch gegen den Beklagten zusteht,
umfaßt der begründete Schadensersatzanspruch des Beklagten auch die
Zurückzahlung der bereits geleisteten Anzahlung.
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Außerdem kann der Beklagte grundsätzlich die Kosten erstattet verlangen, die die
Zahnärztin Dr. F. mit Rechnung vom 9. Dezember 1994 für die Behandlung des
Frontzahns 12 in Rechnung gestellt hat.
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Hierzu hat die Sachverständige Dr. R. festgestellt, dass die Fraktur der
Verbindungsstelle 12 und 11 auf mangelnder zahntechnischer Arbeit im
Zusammenhang mit der unzureichenden Unterkiefer-Prothesenkonstruktion beruht
habe; die demnach von den Klägern zu verantwortende Fraktur bedingte sodann die
spätere Behandlung des Zahnes 12 durch Dr. F.. Soweit die Sachverständige
ausgeführt hat, dass auch bei Vornahme eines teleskopierenden Zahnersatzes
grundsätzlich eine derartige Fraktur hätte erfolgen können, hindert dies die Annahme
einer Haftung der Kläger für den tatsächlich eingetretenen Schaden im Hinblick auf eine
alternative Kausalität nicht, weil insofern die Kläger nicht den ihnen obliegenden
Nachweis dafür geführt haben, dass ein Schaden gleicher Ausprägung auf jeden Fall
auch bei Durchführung der alternativ in Betracht kommenden Behandlung entstanden
wäre. Von der demnach auf Seiten der Kläger grundsätzlich zu erstattenden Rechnung
Dr. F. über insgesamt 494,85 DM ist indes die Position 244 (Wurzelkanalfüllung) in
Höhe von 50,60 DM in Abzug zu bringen, nachdem die Sachverständige Dr. R.
festgestellt hat, dass die Vornahme der Wurzelkanalfüllung nicht lege artis durchgeführt
worden ist, und demnach insofern kein Zusammenhang zwischen dieser
Rechnungsposition und der schadensursächlichen Behandlung des Klägers zu 1)
gesehen werden kann. Dagegen hat die Sachverständige das einmalige Ansetzen des
3,5 fachen Satzes für Position 241 (Aufbereitung eines Wurzelkanals) für angemessen
erachtet. Dem Beklagten steht deshalb aufgrund dieser Rechnung ein Schadensersatz
in Höhe von 444,25 DM gegen die Kläger zu.
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Der zuerkannte Zinsanspruch folgt aus §§ 284 Abs. 1 Satz 2, 288 Abs. 1 Satz 1 BGB.
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Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 91 Abs. 1 Satz 1, 92 Abs. 1 Satz 1 ZPO.
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Die Entscheidung über die vorläufig Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 713
ZPO.
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Gegenstandswert für das Berufungsverfahren: 29.088,21 DM (Klage: 22.143,36 DM;
Widerklage: 6.944,85 DM).
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Wert der Beschwer für die Kläger: 26.037,61 DM bzw. 24.037,61 DM;
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Wert der Beschwer für den Beklagten: 3.050,60 DM.
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