Urteil des OLG Köln vom 30.09.1994

OLG Köln (kläger, ampel, geschwindigkeit, zwingender grund, grund, unfall, dauer, umfang, behauptung, ehefrau)

Oberlandesgericht Köln, 19 U 34/94
Datum:
30.09.1994
Gericht:
Oberlandesgericht Köln
Spruchkörper:
19. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
19 U 34/94
Vorinstanz:
Landgericht Köln, 17 O 355/93
Tenor:
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil der 17. Zivilkammer des
Landgerichts Köln vom 7. Dezember 1993 - 17 O 355/93 - wird auf seine
Kosten zurückgewiesen. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
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Die zulässige Berufung des Klägers hat keinen Erfolg.
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Der Kläger kann den Ersatz der restlichen Mietwagenkosten (528,25 DM) und ein über
3.000,-- DM hinausgehendes Schmerzensgeld nicht beanspruchen. Der Unfall vom
9.11.1991 war für ihn nicht unabwendbar, vielmehr trifft ihn ein - wenn auch
geringfügiges - Mitverschulden an seinem Zustandekommen.
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Ausgangspunkt ist die Vorschrift des § 4 Abs. 1 S. 1 StVO, wonach der Abstand zu
einem Vorausfahrenden in der Regel so groß sein muß, daß auch dann hinter ihm
gehalten werden kann, wenn plötzlich gebremst wird. Wer auf den Vorausfahrenden
auffährt, wie hier der Beklagte zu 1), war in der Regel unaufmerksam oder zu dicht hinter
ihm; hierfür spricht der Anschein (vgl. Jagusch/Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 31.
Aufl., § 4 Rn 17 m.z.N.). Widerlegt wird er durch den Gegenbeweis, erschüttert durch die
vom Auffahrenden bewiesene Darlegung eines atypischen Verlaufs (vgl. Jagusch a.a.O.
Rn 18; OLG Köln VersR 1991,1195). Dabei erschüttert starkes Bremsen des
Vordermannes allein den Anscheinsbeweis noch nicht, es sei denn es geschieht unter
Verstoß gegen § 4 Abs. 1 Satz 2 StVO (Jagusch a.a.O.); nach dieser Vorschrift darf der
Vorausfahrende nicht ohne zwingenden Grund stark bremsen.
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Diese Grundsätze zur Beweislast hat das Landgericht allerdings verkannt; denn es hat
ausgeführt, es stehe weder fest, daß der Beklagte zu 1) zu schnell gefahren noch der
Kläger sein Auto nicht abgebremst habe. Tatsächlich hätten die Beklagten den gegen
sie sprechenden Anscheinsbeweis aber nur dann erschüttern können, wenn sie
bewiesen hätten, daß der Kläger nach dem Überholen ohne zwingenden Grund stark
abgebremst hat. Ist dagegen offen, ob der Kläger gebremst hat, so bleibt es beim gegen
die Beklagten sprechenden Anscheinsbeweis. Denn ein bloßes Reduzieren der
Geschwindigkeit durch Zurücknehmen des Gases, das der Kläger eingeräumt hat, ist
einem starken Bremsen auch dann nicht gleichzusetzen, wenn hierzu kein zwingender
Grund bestanden hätte. Die vom Kläger behauptete Reduzierung seiner
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Geschwindigkeit auf 50 km/h im innerörtlichen Verkehr wäre ihm auch im Hinblick auf §
7 Abs. 2 StVG nicht anzulasten. Ob der Überholende darüber hinaus bei der
anschließenden Verringerung seiner Geschwindigkeit darauf achten muß, daß auch
nachfolgende, ebenfalls überholende Fahrzeuge sich noch hinter ihm einordnen können
(verneinend wohl Jagusch a.a.O. Rn. 5), kann dahingestellt bleiben, da es dem
Beklagten zu 1) unstreitig gelungen ist, sich hinter dem Kläger einzuordnen. Wäre es
mithin offen geblieben, ob der Kläger ohne zwingenden Grund gebremst hat, hafteten
die Beklagten bei der nach § 17 Abs. 1 StVG vorzunehmenden Abwägung in voller
Höhe für den dem Kläger verursachten Schaden. So liegt es hier jedoch nicht.
Der Senat sieht die Behauptung der Beklagten, der Kläger habe ohne zwingenden
Grund gebremst, als erwiesen an. Der Kläger selbst hat in der Klageschrift ausgeführt, er
habe sich nach dem Überholen des Traktors mit Anhänger einer Fußgängerampel
genähert, wegen der von hinten kommenden Sonneneinstrahlung aber nicht zweifelsfrei
erkennen können, ob die Ampel in Betrieb gewesen sei; er habe deshalb seine
Geschwindigkeit durch bloßes Wegnehmen des Gases reduziert. Seine Ehefrau, die als
Beifahrerin im klägerischen Fahrzeug saß, hat in ihrer schriftlichen Zeugenanhörung
und auch vor dem Landgericht bekundet, als man sich der Ampel näherte, sei "aufgrund
der starken Sonneneinstrahlung von hinten auf die Ampel nicht zu erkennen (gewesen),
ob diese Rotlicht oder Grün anzeigte". Rechnete der Kläger aber sogar damit, daß die
Ampel möglicherweise "Rot" anzeigte, so ist es wenig glaubhaft, daß er seine
Geschwindigkeit nach dem Überholen lediglich durch Zurücknehmen des Gases
reduziert hat. Das gilt umsomehr, als er sich der Ampel nach dem Überholen mit
zunächst noch überhöhter Geschwindigkeit (über 50 km/h) näherte und sein mit einem
Automatikgetriebe ausgerüstetes Fahrzeug die Geschwindigkeit beim Zurücknehmen
des Gases nicht so stark verringerte, wie ein mit einem Schaltgetriebe ausgerüstetes,
wie der Kläger stets betont hat. Nach der Bekundung seiner Ehefrau befand der Traktor
mit Anhänger sich etwa 70 m vor der Ampel, als man überholte. Bei 70 km/h
Überholgeschwindigkeit legte der Kläger aber ca. 20 m/sec zurück und benötigte,
vorsichtig geschätzt, zumindest eine Sekunde, um die Spitze des ebenfalls fahrenden
Gespanns zu erreichen und sicher noch eine halbe, um sich wieder gänzlich
einzuordnen. In dieser Zeit hatte der Traktor sich seinerseits bei einer unterstellten
Geschwindigkeit von 20/km/h knapp 9 m vorwärts, befand sich also noch ca. 60 m vor
der Ampel. Berücksichtigt man nun weiter, daß der Kläger nach dem Überholen einen
Abstand zum Traktor eingenommen hatte, der so groß war, daß der Beklagte zu 1) noch
hinter ihm einscheren konnte, so erschließt sich unmittelbar, daß er sich zu diesem
Zeitpunkt der Ampel auf eine Entfernung genähert haben muß, die weit unter 50 m lag.
Das legt es ebenfalls nahe, daß er, weil er auch mit einer Rot zeigenden Ampel
rechnete, seine Geschwindigkeit durch Bremsen und nicht durch allmähliches
Auslaufenlassen verringert hat, wie dies die Ehefrau des Klägers wahrgenommen
haben will.
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Hierzu paßt, was der den Unfall aufnehmende Polizeibeamte, der Zeuge D. als
Aussage des Klägers nach dem Unfall in die Verkehrsunfallanzeige aufgenommen hat:
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"Die Sonne schien auf die Ampel. Ich dachte, es wäre rot gewesen. Daher hatte ich
gebremst".
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Der Senat hat deshalb keinen Zweifel, daß der Kläger diese Äußerung tatsächlich
gemacht hat und daß sie dem tatsächlichen Geschensablauf entspricht, auch wenn er
dies bestreitet. Der hierzu vernommene Zeuge D. konnte sich zwar nicht mehr konkret
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an des Unfallgeschehen erinnern; er hat aber bekundet, daß er sich von der
Äußerungen der Beteiligten jeweils schriftliche Notizen zu machen pflegt, um bei der
später erfolgenden maschinenschriftlichen Abfassung des Berichtes keinen
Verwechslungen zu unterliegen. Gerade wegen der Übereinstimmung dieser Notiz mit
dem Unfallgeschehen ist davon auszugehen, daß sie diesem Unfall zuzuordnen und die
Äußerung auch tatsächlich gefallen ist.
Da die Fußgängerampel außer Betrieb war und auch sonst objektiv kein Grund bestand,
plötzlich zu bremsen, hat der Kläger gegen § 4 Abs. 1 S. 2 StVO verstoßen und
hierdurch den Unfall schuldhaft mit verursacht. Zwar überwiegt auch bei unverhofft
starkem Bremsen des Vorausfahrenden ohne zwingenden Grund in der Regel der
Haftungsanteil des Auffahrenden (Jagusch a.a.O. Rn. 17 m.N.); eine bessere Quote als
30 : 70, wie sie das Landgericht zugunsten des Klägers unterstellt hat, kann dem Kläger
aber im Rahmen der nach § 17 Abs. 1 StVG zu erfolgenden Abwägung des Maßes der
wechselseitigen Schadensverursachung auf keinen Fall zugebilligt werden.
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Als Schmerzensgeld, das die Klägerin nach §§ 823 Abs. 1, 847 Abs. 1 BGB
beanspruchen kann, hält der Senat mit dem Landgericht einen Betrag von 3.000,-- DM
für angemessen.
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Das Schmerzensgeld soll dem Geschädigten einen angemessenen Ausgleich für
diejenigen Schäden, die nicht vermögensrechtlicher Art sind, gewähren und zugleich
dem Genugtuungsbedürfnis des Geschädigten Rechnung tragen. In Fällen einer bloß
fahrlässigen Verletzung tritt allerdings die Genugtuungsfunktion des Schmerzensgeldes
hinter die Ausgleichsfunktion zurück (vgl. Palandt-Thomas, BGB, 52. Aufl., § 847 Rn 4
m.w.N.).
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Bei der Schätzung des angemessenen Ausgleichs sind die Schwere und Dauer der
erlittenen Schmerzen, Umfang und Dauer der erlittenen Beeinträchtigung und die aus
dem Unfall herrührenden gesundheitlichen Zukunftsrisiken zu berücksichtigen (vgl. OLG
Köln OLGR 1992, 244). Umfang und Dauer der Verletzungen sind hier nur gering,
unfallbedingte Zukunftsrisiken nicht zu erwarten.
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Der Umfang der vom Kläger bei dem Unfall erlittenen Verletzungen ergibt sich aus den
von ihm schon erstinstanzlich beigebrachten ärztlichen Befunden. Hiernach kann
unfallbedingt nur von einem HWS-Schleudertrauma Grad I, also der geringsten Stufe,
ausgegangen werden. Seine Erwerbsfähigkeit war zu 100 % vom 11.11.1991-2.1.1992,
zu 40 % vom 3.1.92-17.1.92, zu 20 % vom 18.1.92-14.2.92 und zu 10 % vom 15.2.-
28.3.1992. Was der Kläger nunmehr an weiteren anhaltenden Unfallfolgen behauptet
(Bandscheibenvorfall, Überdehnung der Muskulatur des linken Armes) findet in diesen
Berichten ebensowenig eine Stütze wie seine Behauptung, nicht nur die bereits zum
Untersuchungszeitraum angegebenen 17 Monate, sondern nunmehr auch weiter an den
Folgen zu leiden. Seine diesbezügliche Behauptung ist auch deshalb wenig glaubhaft,
weil keine einleuchtende Erklärung gebracht wird, warum er den untersuchenden
Nervenfachärzten im Jahr 1993 mitgeteilt hat, seit April 1993 hätten die Schmerzen
schlagartig aufgehört und die untersuchenden Ärzte auch keine weiteren
unfallbedingten Beeinträchtigungen haben feststellen können. Im übrigen ist der Vortrag
auch verspätet; alles dies hätte erstinstanzlich vorgetragen und unter Beweis gestellt
werden können.
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Die Kosten der hiernach erfolglosen Berufung hat gem. § 97 Abs. 1 ZPO der Kläger zu
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tragen. Vorläufig vollstreckbar ist das Urteil nach §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.
Beschwer für den Kläger: 7.528,25 DM
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