Urteil des OLG Köln vom 29.05.1996

OLG Köln (kläger, amtliches kennzeichen, persönliches interesse, vorbenutzung, wagen, 1995, fahrzeug, zeitpunkt, vernehmung, umstand)

Oberlandesgericht Köln, 13 U 161/95
Datum:
29.05.1996
Gericht:
Oberlandesgericht Köln
Spruchkörper:
13. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
13 U 161/95
Vorinstanz:
Landgericht Aachen, 10 O 260/95
Schlagworte:
GEBRAUCHTWAGENKAUF VORBENUTZUNG
AUFKLÄRUNGSPFLICHT ARGLIST ANFECHTUNG
MIETWAGENNUTZUNG GETRIEBESCHADEN
Normen:
BGB § 123
Leitsätze:
Ob beim Gebrauchtwagenkauf eine atypische Vorbenutzung des
Fahrzeugs zu einer Beeinträchtigung und/oder Wertminderung geführt
hat und daher einen offenbarungspflichtigen Umstand darstellt, hängt
von dem jeweiligen Einzelfall ab. Bei einer nur kurzen Erstnutzung (hier
ca. 6 Monate) des Fahrzeugs als Mietwagen, die zudem zum
Verkaufszeitpunkt fast 2 Jahre zurückliegt, ist dies jedenfalls nicht der
Fall.
Tenor:
Auf die Berufung des Beklagten wird das am 18. August 1995
verkündete Urteil des Landgerichts Aachen - 10 O 260/95 - abgeändert
und wie folgt neu gefaßt: Die Klage wird abgewiesen. Die Kosten des
Rechtsstreits trägt der Kläger. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
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Die zulässige Berufung des Beklagten, die insbesondere form- und fristgemäß eingelegt
und begründet worden ist, hat in der Sache Erfolg.
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Die Klage ist unbegründet.
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Der mit der Klage geltend gemachte Anspruch auf Rückzahlung des Kaufpreises von
41.500,00 DM Zug um Zug gegen Herausgabe des PKW Kombi vom Typ Daimler Benz
200 TE, amtliches Kennzeichen ........., steht dem Kläger unter keinem rechtlichen
Gesichtspunkt zu.
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Da das betreffende Fahrzeug von dem Beklagten mit schriftlichem Vertrag datierend auf
den 26. April 1995 an den Kläger "wie besichtigt und Probe gefahren unter Ausschluß
jeglicher Gewährleistung" verkauft worden ist, kommen Gewährleistungsansprüche nur
bei arglistigem Verschweigen, dem das arglistige Vorspiegeln von Eigenschaften oder
der Abwesenheit von Fehlern gleichsteht, in Betracht (vgl. § 476 BGB; Palandt-Putzo,
BGB, 54. Auflage, § 476 Rdnr. 10, 11, m.w.N.).
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Ein Verhalten des Beklagten als Verkäufer im Zusammenhang mit dem Abschluß des
Kaufvertrages mit dem Kläger, das diese Haftungsvoraussetzungen erfüllt, ist indessen
nicht gegeben.
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Zwar handelt es sich bei dem in Rede stehenden Fahrzeug um ein in der Zeit vom
03.12.1992 (Zeitpunkt der Erstzulassung) bis zum 24.05.1993 (Zeitpunkt der Stillegung)
von der Firma S. AG als Mietwagen genutztes Auto, das in diesem Zeitraum von ca. 5
Monaten und 3 Wochen eine Fahrleistung von rund 17.000 km erreichte. Dennoch
brauchte der Beklagte beim Weiterverkauf des Fahrzeugs diesen - gegenüber dem
Normalfall der privaten Vorbenutzung - atypischen Gebrauch ungefragt nicht zu
offenbaren.
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Ob eine atypische Vorbenutzung des Fahrzeugs zu einer Beeinträchtigung und/oder
Wertminderung geführt hat und daher einen offenbarungspflichtigen Umstand darstellt,
hängt von dem jeweiligen Einzelfall ab.
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Entscheidend ist dabei auf Kriterien wie z.B. Alter, Fahrleistung, Art des Motors, Dauer
der atypischen Vorbenutzung abzustellen (vgl. Reinking/Eggert, Der Autokauf, 6.
Auflage, Rdnr. 1610).
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Bei einer mehrjährigen ununterbrochenen Nutzung als Taxi, einem langjährigen
ununterbrochenen Einsatz als Fahrschulwagen oder auch als Mietwagen wird beim
Verkauf regelmäßig eine Offenlegung der Vorbenutzung erfolgen müssen (vgl. BGH BB
1977, 61 ff.; OLG Nürnberg MDR 1985, 672; OLG Köln NJW-RR 1990, 1144;
Reinking/Eggert, a.a.O., Rdnr. 1610, m.w.N.). Denn eine derartige atypische
Vorbenutzung stellt einen die Wertbildung negativ beeinflussenden Faktor dar und löst
in der Regel einen merkantilen Minderwert des Fahrzeugs aus.
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Die besonderen Umstände des vorliegenden Falls führen indessen zur Verneinung
eines merkantilen Minderwertes und damit zur Verneinung einer Offenbarungspflicht
des Beklagten in Hinblick auf die frühere Mietwagennutzung des verkauften Fahrzeugs.
Von Bedeutung ist insoweit vor allem, daß die Vornutzung als Mietwagen nur während
der ersten sechs Monate nach der Erstzulassung des Wagens erfolgte, das jetzt
relevante Verkaufsgeschäft fast zwei Jahre nach der Einstellung der Mietwagennutzung
stattfand und zudem von dem Beklagten als dem zweiten Eigentümer des Fahrzeugs,
der es in seiner Besitzzeit ausschließlich privat nutzte, vorgenommen wurde. Hinzu
kommt, daß der Wagen während der ca. 21 Monate dauernden Besitzzeit des Beklagten
etwa 48.000 km gefahren worden war (Gesamtfahrleistung zur Zeit des Verkaufs an den
Kläger: ca. 65.000 km), was einer durchschnittlichen km-Leistung im Jahr von ca. 27.500
entspricht. Der Kläger mußte angesichts der Gesamtfahrleistung von ca. 65.000 km seit
dem 03.12.1992 mit einer durchschnittlichen Jahreskilometerleistung von etwa 26.900
km (= 65.000 : 29 x 12) rechnen. Durch diese erkennbar erhöhte Gesamtfahrleistung -
die durchschnittliche Laufleistung bei Personenkraftwagen pro Jahr lag 1993/94 bei ca.
13.000 km (vgl. Reinking/Eggert, a.a.O. Rdnr. 1604) - wurde die anfängliche
Mietwagennutzung als negativer Bewertungsfaktor für die Wertschätzung des
Fahrzeugs zum Zeitpunkt des Weiterverkaufs im April 1995, zumal angesichts der
bekannten Robustheit und Langlebigkeit eines Fahrzeugs vom Typ Daimler-Benz,
neutralisiert. Im übrigen konnte und mußte der Kläger aufgrund der erkennbaren
Gesamtfahrleistung sowie des ihm bekannten Erwerbs aus zweiter Hand einen
eventuell überdurchschnittlichen Verschleiß und erhöhten Abnutzungsgrad
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einkalkulieren.
Dem Kläger ist auch nicht der Beweis dafür gelungen, daß er während des
Kaufgesprächs den Beklagten nach dem Erstbesitzer des Fahrzeugs gefragt und dieser
- anstatt die Firma S. AG zu nennen - ihm darauf geantwortet hätte, er habe den Wagen
von einem Patienten erworben, der Kraftfahrzeugmeister bei Daimler-Benz sei.
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Zwar hat die Zeugin E. H. bei ihrer erneuten Vernehmung vor dem Senat wie schon bei
ihrer Aussage vor dem Landgericht die entsprechende Darlegung ihres Ehemannes,
des Klägers, bestätigt. Die Bekundungen der Zeugin H. sind jedoch in Bezug auf die
hier maßgeblichen Streitpunkte nicht hinreichend zuverlässig und abgesichert, um die
Entscheidung allein auf ihre diesbezüglichen Angaben zu stützen. Abgesehen davon,
daß die Zeugin H. als Ehefrau des Klägers ein eigenes, persönliches Interesse an
einem für diesen günstigen Prozeßausgang haben kann, ist sie auch in der Sache
selbst keine unbeteiligte Zeugin. Sie war nämlich nicht nur bei dem in Rede stehenden
Verkaufsgespräch zwischen den Parteien anwesend, sondern sie war es dann selbst,
die den gekauften Wagen wegen einer zwischenzeitlich aufgetretenen Erkrankung des
Klägers beim Beklagten am 05.05.1995 abholte; sie will dann auch schon kurz nach der
Übergabe des Wagens auf der Fahrt vom Beklagten nach Hause verdächtige
Getriebegeräusche bemerkt und das Fahrzeug am folgenden Montag der Werkstatt
vorgeführt haben. Ungeachtet des beklagtenseits geäußerten Verdachts, daß der
Getriebeschaden durch unsachgemäße Schaltung des Fahrzeugs nach der Übergabe
an die Zeugin H. durch diese verursacht worden sei, war die Zeugin in jedem Fall mit
der Angelegenheit weitergehender befaßt und in diese involviert, als durch ihre bloße
Anwesenheit bei dem Verkaufsgespräch.
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Die daraus resultierenden Bedenken, der Zeugin könne - ähnlich wie einer Partei selbst
- die kritische Distanz für eine verläßliche, objektiv wahrheitsgemäße
Geschehensschilderung fehlen, sind durch das Aussageverhalten der Zeugin H. und
den persönlichen Eindruck, den der Senat bei ihrer Vernehmung im Termin vom 8. Mai
1996 hat gewinnen können, nicht ausgeräumt worden. Die Zeugin H. wirkte in der
Darstellung der maßgeblichen Erklärungen der Vertragsbeteiligten im Rahmen des
Verkaufsgesprächs festgelegt und zu einer kritischen Infragestellung nicht bereit.
Wenngleich der Senat davon ausgeht, daß die Zeugin subjektiv wahrheitsgemäß die
maßgeblichen Erklärungen wiedergegeben hat, läßt sich nicht sicher feststellen, daß
ihre Angaben auch objektiv der Wahrheit entsprechen. Der Beklagte hat bei seiner vom
Senat gemäß § 448 ZPO angeordneten und durchgeführten Vernehmung als Partei
seine bisherige Darstellung im Prozeß vom Verlauf des Verkaufsgespräch wiederholt.
Danach will er die Frage, ob er der Estbesitzer sei, verneint und erklärt haben, daß er
den Wagen über einen Patienten, der Kraftfahrzeugmeister bei Mercedes-Benz sei,
gekauft habe. Seine Schilderung ist vom Aussagegehalt her nicht mehr und nicht
weniger glaubhaft als diejenige der Zeugin H.. Objektivierbare Anhaltspunkte, die die
Bekundung der Zeugin H. stützen, gibt es nicht. Vielmehr spricht der Inhalt des unstreitig
vom Kläger vorformulierten Vertragstextes dafür, daß der Umstand, daß der Beklagte
das Fahrzeug in zweiter Hand besessen hatte, eine Rolle gespielt hatte, nicht aber, wer
der Erstbesitzer gewesen war. Wenn dem Kläger tatsächlich - wie von der Zeugin H.
geschildert - so viel daran gelegen gewesen wäre, den Erwerb eines vormals als
Mietwagen genutzten Fahrzeugs auszuschließen, und er deswegen konkret nach dem
Erstbesitzer gefragt hätte, dann hätte es nahegelegen, die darauf vom Beklagten
gemachten Angaben auch in den Vertragstext aufzunehmen.
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Schließlich kommt hinzu, daß die im Streit befindlichen Erklärungen der
Vertragsbeteiligten beim Verkaufsgespräch in Sinn und Tragweite von der genauen
Formulierung, von dem Gebrauch einzelner Worte abhängen: ob etwa der Beklagte von
sich aus oder auch auf Nachfrage erklärt hat, daß er nicht Erstbesitzer sei, sondern den
Wagen ü b e r einen Patienten, der Kraftfahrzeugmeister bei Mercedes-Benz sei,
erworben habe, oder ob der Beklagte konkret danach gefragt wurde, w e r Erstbesitzer
sei und er darauf geantwortet habe, er habe den Wagen v o n einem Patienten, der
Kraftfahrzeugmeister bei Mercedes-Benz sei, erworben. Da bei solchen, nur
geringfügigen Unterschieden in Formulierung und Wortwahl es schon bei der
Wahrnehmung des Gesprächsinhalts zu Fehlvorstellungen und erst recht bei der
Wiedergabe aus der Erinnerung eines Zeugen zu wesentlichen - durchaus unbewußten
- Abweichungen und Verfälschungen kommen kann, ist eine hinreichend sichere
Rekonstruktion des wirklichen Inhalts des Verkaufsgesprächs zu dem entscheidenden
Streitpunkt nicht möglich.
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Die nicht gelungene Beweisführung geht zu Lasten des Klägers, dem als Käufer nicht
nur die Darlegungs-, sondern auch die volle Beweislast dafür obliegt, daß der Beklagte
als Verkäufer einen Fehler arglistig verschwiegen bzw. eine Eigenschaft oder die
Abwesenheit von Fehlern arglistig vorgespiegelt hat (vgl. zur Beweislastverteilung BGH
NJW 1990, 42/43; Palandt-Putzo, a.a.O., § 463 Rdnr. 28, m.w.N.).
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Soweit der Kläger schließlich auch behaupten will, der Beklagte habe zur Zeit es
Kaufvertragsabschlusses bereits von dem Getriebeschaden gewußt, jedenfalls mit
seinem Vorhandensein gerechnet, reicht bereits der diesbezügliche Sachvortrag für die
erforderliche substantiierte Darlegung eines arglistigen Verschweigens durch den
Beklagten nicht aus. Es genügt insoweit nämlich nicht, daß der Kläger bestreitet, daß
der Beklagte, wie dieser vorgetragen hat, keine Getriebegeräusche gehört habe.
Vielmehr hätte er dartun und unter Beweis stellen müssen, daß dem Beklagten bereits
damals Getriebegeräusche aufgefallen bzw. bekannt waren. Ebensowenig reicht die
Behauptung des Klägers unter Beweisantritt, der Getriebeschaden habe bereits bei
Fahrzeugübergabe am 05.05.1995 vorgelegen.
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Nach alldem kommt auch eine wirksame Anfechtung des Kaufvertrages durch den
Kläger nach § 123 BGB nicht in Betracht.
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Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus den §§ 91 Abs. 1, 708 Nr. 10, 713
ZPO.
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Streitwert des Berufungsverfahrens
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und Wert der Beschwer des Klägers: bis 45.000,00 DM.
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