Urteil des OLG Köln vom 06.06.2008

OLG Köln: treu und glauben, erdgas, dispositives recht, heizöl, vollstreckung, form, index, angemessenheit, verbraucher, preisentwicklung

Oberlandesgericht Köln, 6 U 203/07
Datum:
06.06.2008
Gericht:
Oberlandesgericht Köln
Spruchkörper:
6. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
6 U 203/07
Vorinstanz:
Landgericht Köln, 26 O 91/06
Normen:
Normenkette: § BGB §§ 305 c Abs. 2, 307; PrKG § 1 Abs. 1 und Abs. 2
Nr. 2 u. 3; UKlaG §§ 1, 3 Abs. 1, 7
Tenor:
Auf die Berufung der Beklagten wird das am 24.10.2007 verkündete
Urteil der 26. Zivilkammer des Landgerichts Köln - 26 O 91/06 - teilweise
abgeändert,
soweit die Beklagte verurteilt worden ist, es bei Vermeidung von
Ordnungsmitteln zu unterlassen, als Erdgaslieferant im Zusammenhang
mit Erdgaslieferverträgen mit Verbrau-chern in den Allgemeinen
Geschäftsbedingungen die in der Urteilsformel zu Nr. I 1 lit. a und b
aufgeführten Klauseln zu verwenden und sich bei der Abwicklung
bestehender Vertragsverhältnisse auf diese Klauseln zu berufen,
und die Klage insoweit abgewiesen.
Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.
Von den Kosten des Rechtsstreits erster Instanz haben der Kläger ¼
und die Beklagte ¾ zu tragen; die Kosten des Berufungsverfahrens
werden gegeneinander aufgehoben.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die
Vollstreckung des Unterlassungs- und Veröffentlichungsanspruchs zu
Nr. I 2 und II des landgerichtlichen Urteils durch Sicherheitsleistung in
Höhe von 10.000,00 € abwenden, wenn nicht der Kläger vor der
Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet. Die Parteien können
die Vollstreckung ihres jeweiligen Gegners wegen der Kosten durch
Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des auf Grund des Urteils
vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der betreffende
Gläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des
jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird zugelassen, soweit die Berufung Erfolg hat; im
Übrigen wird sie nicht zugelassen.
G r ü n d e
1
I.
2
Der Kläger ist eine qualifizierte Einrichtung nach §§ 3 Abs. 1 Nr. 1, 4 UKlaG: die
Beklagte – ein Energieversorgungsunternehmen – beliefert ihre Kunden u.a. mit Erdgas.
Die Parteien streiten – soweit im Berufungsrechtszug noch von Interesse – um die
Wirksamkeit von Klauseln in Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Beklagten, die
den Arbeitspreis für Erdgas an die Preisentwicklung für Heizöl binden (nachfolgend:
HEL-Klausel) sowie eine weitergehende Preisanpassungsbefugnis der Beklagten in
Verbindung mit einem Sonderkündigungsrecht des Kunden vorsehen (nachfolgend:
Preisänderungsklausel).
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Die von der Beklagten bisher in Nr. 2 ihrer Anlage 41 – Bedingungen für die
Erdgaslieferung zum Sonderpreis V (Vollversorgung Erdgas) – verwendete HEL-
Klausel bestimmt, dass sich der Arbeitspreis (AP) für Erdgas nach der Formel "AP =
2,43 + (0,092 * (HEL – 19,92)) + 0,2024 in ct/kWh" errechnet; die Variable HEL ist
definiert als ein bestimmter, den Veröffentlichungen des Statistischen Bundesamtes zu
entnehmender Preis für extra leichtes Heizöl ohne Umsatzsteuer in €/hl. Eine Klausel
gleicher Struktur (mit je nach Verbrauchsmenge abweichenden bezifferten Elementen)
ist in Nr. 1.1 der Anlage 47 – Preisanpassungsbestimmungen – zum Vertragstyp G
Erdgas der Beklagten enthalten.
4
Der vom Kläger beanstandete Satz der Preisänderungsklausel in Nr. 2 der Anlage 46 –
Regelungen zum Erdgasvertrag Privatkunden – zum Vertragstyp G Erdgas der
Beklagten lautet: "S. ist auch außerhalb der in Anlage 47 beschriebenen
Preisanpassungsbestimmungen berechtigt, die Preise zu ändern." Im weiteren Text
heißt es, dass der Kunde über eine beabsichtigte Preiserhöhung mindestens 6 Wochen
vor In-Kraft-Treten benachrichtigt werde und in diesem Fall das Recht habe, den Vertrag
bis spätestens 2 Wochen vor In-Kraft-Treten der Preiserhöhung zum Monatsende zu
kündigen. Auf dieses Recht werde die Beklagte den Kunden bei der Benachrichtigung
hinweisen.
5
Auf die in Kopie vorgelegten Vertragsmuster (Bl. 34-45 d.A.) wird ergänzend Bezug
genommen.
6
Das Landgericht, auf dessen Urteil wegen aller weiteren Einzelheiten der
erstinstanzlichen Anträge, des Vorbringens der Parteien und der Beurteilung durch die
Kammer verwiesen wird, hat die Beklagte antragsgemäß verurteilt, es (bei
Veröffentlichungsbefugnis des Klägers) zu unterlassen, als Erdgaslieferant im
Zusammenhang mit Erdgaslieferverträgen mit Verbrauchern die vorbezeichneten
Klauseln sowie zwei weitere – von der Beklagten im Berufungsrechtszug nicht mehr
verteidigte – Preisanpassungsklauseln zu verwenden und sich bei der Abwicklung
bestehender Vertragsverhältnisse auf diese Klauseln zu berufen. Hiergegen wendet
7
sich die Berufung der Beklagten, die insoweit Klageabweisung erstrebt. Der Kläger
verteidigt das angefochtene Urteil.
II.
8
Die zulässige Berufung hat in der Sache teilweise Erfolg.
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Das Landgericht hat den im Wege der Verbandsklage geltend gemachten
Unterlassungsanspruch des Klägers (§§ 1, 3 Abs. 1 Nr. 1, 4 UKlaG) einschließlich ihrer
Veröffentlichungsbefugnis (§ 7 UKlaG) bejaht, weil die in Rede stehenden Klauseln –
jedenfalls in ihrer im Verbandsprozess zu Grunde zu legenden kundenfeindlichsten
Auslegung (st. Rspr.: BGH, NJW 2007, 1054 [Tz. 23] m.w.N.; vgl. Hefermehl / Köhler /
Bornkamm, Wettbewerbsrecht, 26. Aufl., § 1 UKlaG Rn. 4; Ulmer / Brandner / Hensen,
AGB-Recht, 10. Aufl., § 305c BGB Rn. 65 f., 93, Hensen, a.a.O., § 1 UKlaG Rn. 12) –
den jeweiligen Vertragspartner der Beklagten entgegen den Geboten von Treu und
Glauben unangemessen benachteiligten (§ 307 BGB).
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1. In Bezug auf die angegriffene HEL-Klausel vermag der Senat dieser Bewertung nicht
beizutreten.
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a) Entgegen dem Berufungsvorbringen handelt es sich hierbei allerdings um keine
unmittelbare Preisabrede, die gemäß § 307 Abs. 3 S. 1 BGB der Inhaltskontrolle nach
§§ 307 ff. BGB entzogen ist (BGHZ 141, 380 [382f.] = NJW 1999, 2276; BGH, NJW
2002, 2386; Ulmer / Brandner / Hensen / Fuchs, a.a.O., § 307 BGB Rn. 71 m.w.N.),
sondern um eine kontrollfähige Preisnebenabrede; dazu gehören alle auf Preise
bezogenen Abreden, die zwar mittelbare Auswirkungen auf Preis und Leistung haben,
an deren Stelle aber, wenn eine wirksame vertragliche Regelung fehlt, dispositives
Recht treten kann (BGHZ 106, 42 [46] = NJW 1989, 222; BGH, NJW-RR 2004, 1206;
Fuchs, a.a.O., Rn. 75 ff. m.w.N.). Einer Überprüfung entzogen ist damit im Ergebnis nur
der enge Bereich der Leistungsbezeichnungen, ohne deren Vorliegen mangels
Bestimmtheit oder Bestimmbarkeit des wesentlichen Vertragsinhalts ein wirksamer
Vertrag nicht mehr angenommen werden kann (BGH. NJW 2001, 2014 [2016] m.w.N.),
nicht dagegen der weite Bereich der Preisänderungsklauseln (arg. § 309 Nr. 1 BGB;
Palandt / Grüneberg, BGB, 67. Aufl., § 307 Rn. 60).
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Abgesehen davon, dass die Beklagte die Klausel bei ihrem G-Vertrag selbst unter den
Preisanpassungsbestimmungen (Anlage 47) einordnet, handelt es sich im Streitfall
(über die Fallgestaltung der Entscheidung des LG München I, Urt. v. 09.08.2007 – 12 O
18199/06, war nicht zu befinden) bei der angegriffenen mathematischen
Berechnungsformel nicht etwa deshalb um einen Teil der vertraglichen
Leistungsbeschreibung, weil der sogenannte Arbeitspreis bei den
streitgegenständlichen Vertragstypen von vornherein nur in dieser Form vereinbart
worden war. Vielmehr war in den jeweiligen Verträgen – beim Vertragstyp G erdgas in
der Vertragsurkunde selbst (Bl. 35 d.A.), beim Vertragstyp Vollversorgung Erdgas (zum
Sonderpreis) in dem beigefügten Preisblatt Anlage 40 (Bl. 41-43 d.A.) – der jeweils
aktuelle Arbeitspreis (in Form eines festen ct/kWh-Betrages, nicht in Abhängigkeit von
der HEL-Variablen) angegeben. Wie dieser Arbeitspreis ermittelt wurde und wie er bei
künftigen Preisanpassungen zu berechnen sein soll, ergibt sich erst aus den weiteren
Vertragsbedingungen. Dass die Klausel in dieser Form keine vertragswesentliche
Leistungsbestimmung, sondern eine an die Stelle des dispositiven allgemeinen
Vertragsrechts tretende Preisnebenabrede darstellt, liegt auf der Hand.
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b) Ist danach eine Inhaltskontrolle der angegriffenen Klausel möglich, so kann doch im
Ergebnis nicht festgestellt werden, dass die Kunden durch die darin geregelte Bindung
der Arbeitspreis-Anpassungen an den Heizölpreis-Index HEL unangemessen
benachteiligt werden.
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Eine vorformulierte Vertragsklausel benachteiligt den Vertragspartner des Verwenders
im Sinne von § 307 Abs. 1 und 2 BGB unangemessen, wenn eine umfassende
Abwägung der beiderseitigen Interessen und der objektiven Wertentscheidungen des
Grundgesetzes sowie des Rechts der Europäischen Union (vgl. BGH, NJW-RR 2005,
1161 [1162] m.w.N.) ergibt, dass der Verwender durch die einseitige Vertragsgestaltung
missbräuchlich eigene Interessen auf Kosten seines Vertragspartners durchzusetzen
versucht, ohne von vornherein auch dessen Belange hinreichend zu berücksichtigen
und ihm einen angemessenen Ausgleich zuzugestehen (st. Rspr., vgl. nur BGHZ 143,
104 [113] = NJW 2000, 1110; NJW 2005, 1774 [1775]). Dies vermag der Senat im Fall
der HEL-Klausel nicht anzunehmen.
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aa) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs haben
Gasversorgungsunternehmen ein berechtigtes Interesse daran, Kostensteigerungen
während der Vertragslaufzeit an ihre Kunden weiterzugeben (BGH, NJW 2007, 2540
[Tz. 22]). Bei langfristigen Lieferverträgen sind daher einseitig vorgegebene
Bestimmungen, die eine Preisanpassung wegen sich verändernder Kosten vorsehen,
grundsätzlich ein geeignetes und zulässiges Instrument zur Bewahrung des
Gleichgewichts von Preis und Leistung; sie dienen dazu, einerseits dem Verwender das
Risiko langfristiger Kalkulation abzunehmen und ihm seine Gewinnspanne trotz
nachträglicher, ihn belastender Kostensteigerungen zu sichern, und andererseits den
Vertragspartner davor zu bewahren, dass der Verwender mögliche künftige
Kostensteigerungen bereits bei Vertragsschluss durch Risikozuschläge aufzufangen
versucht. Unangemessen und unwirksam ist allerdings eine Klausel, die es dem
Verwender ermöglicht, über die Abwälzung konkreter Kostensteigerungen hinaus den
zunächst vereinbarten Preis ohne Begrenzung anzuheben und so nicht nur eine
Gewinnschmälerung zu vermeiden, sondern einen zusätzlichen Gewinn zu erzielen
(BGH, NJW-RR 2005, 1717, sub II 2; vgl. zu den vorbezeichneten "Flüssiggas-Urteilen"
auch das der zweiten Entscheidung vorangehende Senatsurteil v. 13.01.2006 – 6 U
148/05 [Bl. 24 ff. d.A.] sowie Graf von Westphalen, MDR 2008, 424 ff.).
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Hiervon ausgehend werden Preisanpassungsklauseln regelmäßig als zulässig
angesehen, wenn die Befugnis des Verwenders zu Preisanhebungen von
Kostenerhöhungen abhängig gemacht wird und die einzelnen Kostenelemente sowie
deren Gewichtung bei der Kalkulation des Gesamtpreises offengelegt werden, so dass
der andere Vertragsteil bei Vertragsschluss die auf ihn zukommenden
Preissteigerungen einschätzen kann (BGH, NJW-RR 2005, 1717, sub II 3b; NJW 2007,
1054 [Tz. 23ff.]; NJW-RR 2008, 134 [Tz. 19]; NJW 2008, 360 [Tz. 10]).
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bb) Nach Maßgabe dieser auch vom Landgericht – im Ansatz zutreffend –
herangezogenen Grundsätze fehlt es im Streitfall an hinreichenden Anhaltspunkten für
eine mit den Mitteln der richterlichen Inhaltskontrolle zu korrigierende unangemessene
Benachteiligung der Erdgas-Kunden der Beklagten.
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(1) Ein Verstoß der Klausel gegen das aus § 307 Abs. 1 S. 2 BGB folgende
Transparenzgebot (vgl. dazu ausdrücklich BGH, NJW 2008, 360 [Tz. 11]) ist nicht
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erkennbar und vom Landgericht zu Recht nicht einmal erwogen worden. Soweit die
Berufungserwiderung eine Intransparenz der angegriffenen mathematischen Formel
nunmehr daraus ableiten will, dass sie geeignet sei, die Kunden über die
wirtschaftlichen Konsequenzen ihrer Anwendung (nämlich eine regelmäßig eintretende
Gewinnmaximierung auf Seiten der Beklagten) im Unklaren zu lassen, geht dies fehl.
Zwar kann es zur notwendigen Transparenz einer Klausel gehören, dass sie die
wirtschaftlichen Nachteile und Belastungen so weit erkennen lässt, wie dies nach den
Umständen gefordert werden kann (BGHZ 141, 137 [143] = NJW 1999, 2279; BGHZ
147, 354 = NJW 2001, 2014 [2016]). Haben klar formulierte Klauseln sachlich
unangemessene wirtschaftliche Folgen, ist dies jedoch keine Frage der Transparenz,
sondern der Angemessenheit dieser inhaltlich eindeutigen Regelung (vgl. Ulmer /
Brandner / Hensen / Fuchs, § 307 BGB Rn. 336 m.w.N.).
Die angegriffene Klausel ist in diesem Sinne weder unklar noch unverständlich. Ein
aufmerksamer und sorgfältiger Verbraucher, auf den abzustellen ist (Palandt /
Grüneberg, a.a.O., § 307 Rn. 19), wird – auch ohne dafür über besondere (wirtschafts-)
mathematische Kenntnisse verfügen zu müssen – die Formel zur Berechnung des
Arbeitspreises unschwer nachvollziehen und daraus entnehmen können, dass dieser
Arbeitspreis und seine künftigen Anpassungen von der Entwicklung der Variable HEL
abhängen, also – wie sich aus den textlichen Erläuterungen ergibt – von einem
bestimmten, in den Monatsberichten des Statistischen Bundesamtes jeweils mitgeteilten
Heizölpreis. Wie sich diese – weder für sich genommen noch in ihren unmittelbaren
Auswirkungen auf die Preisbildung misszuverstehende – Bindung des Erdgaspreises
an die Preisentwicklung für Heizöl angesichts der tatsächlichen Gegebenheiten des
Heizöl- und Ergas-Marktes wirtschaftlich auswirkt, ist allein eine Frage der inhaltlichen
Angemessenheit der Klausel.
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(2) Während der Bundesgerichtshof in seinen beiden "Flüssiggas-Urteilen" (NJW-RR
2005, 1717 [1718], sub II 3 a; NJW 2007, 1054 [Tz. 23]) einen insgesamt praktisch
unkontrollierbaren Preiserhöhungsspielraum der dortigen Klauselverwender zur
Erzielung zusätzlicher Gewinne zu Lasten ihrer Vertragspartner beanstandet hat, kann
davon bei der hier zu beurteilenden Klausel keine Rede sein. Wegen der mathematisch
exakten Bindung des Erdgas-Arbeitspreises und seiner Anpassungen an den
Heizölpreis-Index drohen bei Anwendung der Klausel weder unkontrollierbare noch
willkürliche Preiserhöhungen. Der einzige veränderliche Wert unter den für den Erdgas-
Arbeitspreis determinierenden Faktoren – der Faktor "HEL" – ist eine klar definierte, vom
Statistischen Bundesamt mit objektiven Methoden ermittelte Größe, auf deren
Entwicklung die Beklagte, soweit erkennbar, keinen Einfluss nehmen kann.
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Aus dieser Art der Klauselgestaltung folgt zugleich, dass der Grundsatz der
kundenfeindlichsten Auslegung im Verbandsprozess zur Beurteilung des Streitfalles
letztlich nichts beiträgt. Da nach der mathematischen Formel jede Veränderung des vom
Statistischen Bundesamt ermittelten Heizölpreises zu einer streng verhältnismäßigen
Veränderung des Erdgas-Arbeitspreises führt, lässt die Klausel Zweifel an ihrem Inhalt,
die nach der Unklarheitenregel des § 305c Abs. 2 BGB im Individualprozess durch die
denkbar kundenfreundlichste, im Verbandsprozess durch die kundenfeindlichste
Auslegung auszuräumen wären, nicht zu.
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(3) Nach Auffassung des Senats erweist sich die angegriffene HEL-Klausel auch nicht
deshalb als sachlich unangemessene Regelung zum Nachteil der Erdgas-Kunden der
Beklagten, weil sie ihrer Art nach neben einer Weitergabe eigener
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Bezugskostensteigerungen unter Umständen – bei etwa abweichenden
Gestaltungsmöglichkeiten der Verträge mit ihren Vorlieferanten – auch eine
Vergrößerung ihrer Gewinnspanne durch bloße Anpassung des Endpreises für Erdgas
in Korrelation zum Heizölpreis zulässt. Mit dem Kläger ist allerdings davon auszugehen,
dass es – unabhängig von der rechtssystematischen Einordnung der Klausel als
Kostenelementeklausel gemäß § 1 Abs. 2 Nr. 3 Preisklauselgesetz (PrKG) vom
07.09.2007 oder als Spannungsklausel gemäß § 1 Abs. 2 Nr. 2 PrKG – für die
Angemessenheit der HEL-Klausel letztlich darauf ankommt, ob ihre Anwendung das
Verhältnis von Leistung und Gegenleistung im Wesentlichen unberührt lässt oder ob die
Klausel darauf angelegt ist, dieses Verhältnis in einer die Kunden benachteiligenden
Weise zu verändern, weil die Entwicklung der Selbstkosten (Erdgas-Bezugskosten) der
Beklagten voraussehbar hinter der Entwicklung des Heizölpreises zurückbleibt. Dies
kann jedoch nicht festgestellt werden.
Es ist gerichtsbekannt (§ 291 ZPO), bedarf also nicht des von der Beklagten
angetretenen Zeugenbeweises, dass die Preisgestaltung der Verträge aller
Gasversorgungsunternehmen mit ihren Kunden wie auch mit ihren Vorlieferanten seit
Erschließung des Erdgases als Energiequelle für den deutschen Markt – also seit den
60er Jahren – an die Entwicklung des Ölpreises gekoppelt ist, so dass die
Ölpreisbindung der Gaspreise einer inzwischen gefestigten Praxis entspricht (vgl.
Büdenbender, NJW 2007, 2945 [2950] bei Fußnote 49). Vor diesem Hintergrund
erscheint die Annahme derzeit eher theoretisch, ein Gasversorgungsunternehmen sei in
der Lage, mit seinen Vorlieferanten auch eine vom Ölpreis unabhängige Preisgestaltung
auszuhandeln. Abweichungen der nach der HEL-Klausel berechneten
Endverbrauchspreise von den eigenen Bezugspreisen des Klauselverwenders können
sich zwar aus unterschiedlichen Vertragslaufzeiten ergeben; ein dauerhaftes
Missverhältnis in der Entwicklung von Endverbrauchspreisen und eigenen
Bezugskosten droht damit aber noch nicht. Ob unter künftig veränderten
Marktverhältnissen etwas anderes zu gelten hat, war vom Senat nicht zu entscheiden.
Erst recht hat der Senat im Rahmen der streitgegenständlichen Klauselkontrolle nicht
dazu Stellung zu nehmen, ob eine Veränderung der Preisbildungsusancen auf dem
Erdgasmarkt energie- oder wirtschaftspolitisch wünschenswert sein mag; soweit der
Kläger auf die zuletzt wieder stark volatilen Ölpreise hinweist, der – trotz
aufsehenerregender Vorgänge der jüngeren Vergangenheit wie der zeitweiligen
Einstellung von Erdgaslieferungen aus T. in die V. – keine entsprechenden
Schwankungen von Angebot und Nachfrage auf dem Erdgasmarkt gegenüberstünden,
kommt es darauf im Ergebnis nicht an.
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Jedenfalls aus derzeitiger Sicht kann auch nicht angenommen werden, dass die
Bindung des Erdgas-Arbeitspreises an die Entwicklung eines Heizölpreis-Indexes
bereits deshalb sachlich unangemessen ist, weil es sich bei Erdgas und Heizöl um
weder gleichartige noch vergleichbare Güter im Sinne von § 1 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2 PrKG
handelt. Denn obwohl die leitungsgebundene Versorgung der Verbraucher mit Erdgas
und ihre Belieferung mit Heizöl nicht als gleichartig zu bezeichnen sind, stehen doch die
Gasversorgungsunternehmen – wovon auch der Gesetzgeber und die höchstrichterliche
Rechtsprechung ausgehen – auf dem Wärmemarkt in einem (Substitutions-)
Wettbewerb mit den Anbietern konkurrierender Heizenergieträger wie Heizöl, Strom,
Kohle und Fernwärme (BGH, NJW 2007, 2540 [Tz. 34] m.w.N.), so dass die Anbindung
des Gaspreises an die Preisentwicklung eines dieser anderen – insoweit
vergleichbaren – Energieträger nicht von vornherein unvertretbar erscheint (vgl. obiter
BGH, NJW-RR 2005, 1717 [sub II 3 b] zu einer "Kohle-Lohn-Klausel").
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2. Unbegründet ist die Berufung dagegen in Bezug auf die vom Landgericht für
unwirksam erklärte Preisänderungsklausel.
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Wie das Landgericht zutreffend ausgeführt hat, gewährt der pauschale
Preisänderungsvorbehalt unter Nr. 2 ihrer Anlage 46 der Beklagten – entgeben den von
der höchstrichterlichen Rechtsprechung aufgestellten Kriterien (vgl. insbesondere BGH,
NJW 2007, 1054 [Tz. 23]) – einen praktisch unkontrollierbaren
Preiserhöhungsspielraum. Wann und aus welchem Grund der Beklagten eine
Preisänderung möglich sein soll, lässt die Klausel völlig offen; insbesondere fehlt es
(noch weitgehender als im Fall des OLG Bremen, OLGR 2008, 1 = ZIP 2008, 28) an der
Angabe jeglicher Anhaltspunkte, aus denen der Verbraucher bei Vertragsabschluss die
Voraussetzungen der auf ihn zukommenden Preissteigerungen erkennen und die
Berechtigung einer vom Verwender sodann vorgenommenen Erhöhung überprüfen
kann.
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Diese vollständige Intransparenz der Klausel wird auch nicht durch das dem Kunden
eingeräumte Sonderkündigungsrecht ausgeglichen. Dass sich dieses
Sonderkündigungsrecht methodisch an § 5 Abs. 2 GasGVV anlehnt und – dem
Berufungsvorbringen zufolge – für sich genommen noch zu keiner unangemessenen
Benachteiligung des Kunden führen mag, kann nicht genügen. Denn jedenfalls im
Rahmen des hier in Rede stehenden Vertragstyps wird der Kunde angesichts der für ihn
undurchschaubaren Voraussetzungen einer Preisänderung bereits dadurch in sachlich
unangemessener Weise entgegen Treu und Glauben benachteiligt, dass er – bei
Wirksamkeit der Klausel – auf ein Preiserhöhungsverlangen der Beklagten nur mit einer
Kündigung des Erdgas-Lieferungsvertrages reagieren könnte, ohne eine
Änderungskündigung der Beklagten abwarten und seine Entscheidung zur Fortsetzung
des Vertragsverhältnisses mit diesem Erdgas-Versorger von einer plausiblen Darlegung
der für die Preiserhöhung maßgeblichen Gründe abhängig machen zu können.
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III.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die
vorläufige Vollstreckbarkeit aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
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In Bezug auf die Beurteilung der HEL-Klausel hat der Senat – der Anregung beider
Parteien folgend – gemäß § 543 Abs. 2 Nr. 1 ZPO die Revision zugelassen, weil der in
Rede stehenden Inhaltskontrolle von an den Heizölpreis-Index anknüpfenden
mathematischen Preisanpassungsklauseln in Erdgas-Lieferverträgen über den Streitfall
hinaus grundsätzliche Bedeutung zukommt. Im Übrigen beruht das Urteil auf
tatrichterlicher Rechtsanwendung im Einzelfall, so dass kein Anlass für eine Zulassung
der Revision bestand.
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Der Streitwert erster Instanz wird gemäß § 63 Abs. 3 GKG in Abänderung des
landgerichtlichen Beschlusses vom 17.12.2007 auf 50.000,00 € festgesetzt, wovon –
bezogen auf die vier in erster Instanz streitgegenständlichen Klauseln – je 12.000,00 €
auf die Unterlassungsanträge und je 500,00 € auf den jeweiligen Antrag zur
Veröffentlichungsbefugnis entfallen. Für das Berufungsverfahren bleibt es – bezogen
auf nur noch zwei streitgegenständliche Klauseln – bei der Festsetzung im
Senatsbeschluss vom 18.02.2008.
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