Urteil des OLG Köln vom 11.01.1994

OLG Köln (stgb, treffen, beschränkung, schaden, polizei, sache, wohnung, unfall, strafkammer, aufhebung)

Oberlandesgericht Köln, Ss 575/93 - 265 -
Datum:
11.01.1994
Gericht:
Oberlandesgericht Köln
Spruchkörper:
1. Strafsenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
Ss 575/93 - 265 -
Tenor:
Das angefochtene Urteil wird mit seinen Feststellungen aufgehoben. Die
Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die
Kosten der Revision, an eine andere Strafkammer des Landgerichts
Köln zurückverwiesen.
G r ü n d e
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Das Amtsgericht hat den Angeklagten wegen "Ver-kehrsunfallflucht" zu einer
Geldstrafe von 20 Tagessätzen zu je 65,-- DM verurteilt und ein Fahr-verbot von 1
Monat angeordnet ("§§ 142, 44 StGB").
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Zu den Feststellungen zum Schuldspruch, der Beweis-würdigung und der rechtlichen
Würdigung heißt es im amtsgerichtlichen Urteil:
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"Am 25.11.1991 gegen 0.30 Uhr befuhr der Angeklagte die K 25 in P-B. Er kam aus
bisher unbeklärten Gründen nach rechts von der Fahrbahn ab und fuhr durch
mehrere Büsche auf ein Feld.
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Anschließend entfernte sich der Angeklagte vom Un-fallort, ohne die für die
Unfallursache erforderli-chen Feststellungen treffen zu lassen.
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Es entstand ein Sachschaden in Höhe von 598,20 DM. Der Schaden ist durch die
Versicherung der Firma des Angeklagten reguliert worden.
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Der Angeklagte läßt sich dahin ein, das ihm nicht bewußt gewesen sei, daß er einen
Schaden verursacht habe.
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Er läßt vortragen, daß dem Feststellungsinteresse des Geschädigten dadurch
Genüge getan war, daß sich die Polizei an die Firma des Angeklagten, die Hal-terin
des PKW war, gewandt habe.
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Mit dieser Meinung geht der Angeklagte fehl. Er ist (: hat) nach einem Unfall, es ist
zweifelsfrei, daß hier ein Unfall vorgelegen hat, selbst dafür zu sorgen, das sämtliche
Umstände der Tat aufgeklärt werden. Er hätte statt sich zu einem Taxistand fah-ren
zu lassen und sich dann in die eigene Wohnung zu begeben, die Polizei rufen
müssen, die dann die notwendigen Feststellungen hätte treffen können....
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Danach steht fest, daß der Angeklagte sich eines Verstoßes gegen § 142 StGB
strafbar gemacht hat."
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Gegen dieses Urteil hat der Angeklagte Berufung eingelegt, die er auf das Strafmaß
beschränkt hat. Die Strafkammer hat die Beschränkung für wirksam erachtet und
demgemäß angenommen, die Feststellun-gen des Amtsgerichts seien für sie
bindend, ihr obliege "allein noch die Prüfung der Frage, wie der Angeklagte zu
bestrafen ist".
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Gegen das Berufungsurteil richtet sich die Revision des Angeklagten mit der
Sachrüge und der nicht aus-geführten - also unzulässigen - Rüge der Verletzung
formellen Rechts.
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Die Revision hat mit der Sachrüge (vorläufigen) Er-folg. Sie führt zur Aufhebung des
angefochtenen Ur-teil und zur Zurückverweisung der Sache an die Vor-instanz.
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Das angefochtene Urteil kann keinen Bestand haben, weil es keine eigenen
Feststellungen enthält, obwohl die Beschränkung der Berufung entgegen der
Auffassung des Landgerichts unwirksam ist.
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Die Wirksamkeit einer Berufungsbeschränkung ist vom Revisionsgericht von Amts
wegen zu prüfen (vgl. BGHSt 27, 70, 72; st. SenRspr., vgl. SenE VRS 73, 385).
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Voraussetzung für eine wirksame Beschränkung der Berufung auf den
Rechtsfolgenausspruch ist, daß die Feststellungen zur Tat eine ausreichende
Grundlage für die Strafzumessung bilden. Sind die Feststellungen zur Schuldfrage
derart knapp, unvollständig, unklar und widerspruchsvoll, daß der Unrechts- und
Schuldgehalt der Tat nicht einmal in groben Zügen erkennbar wird, ist die Berufungs-
beschränkung unwirksam (st. SenRspr., vgl. SenE VRS 73, 385 und 77, 452 sowie
vom 15.12.1993 - Ss 512/93). Unwirksam ist die Beschränkung ins-besondere, wenn
das amtsgerichtliche Urteil die tatsächlichen Grundlagen eines angewandten Straf-
tatbestandes nicht erkennen läßt (BayObLG VRS 67, 357; vgl. SenE VRS 73, 385
und vom 26.05.1992 - Ss 189/92 -).
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Hier ist das amtsgerichtliche Urteil bereits hin-sichtlich der objektiven Tatseite
unvollständig und unklar.
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Soweit das Amtsgericht mit der Formulierung:
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"Anschließend entfernte sich der Angeklagte vom Un-fallort, ohne die für die
Unfallursache erforderli-chen Feststellungen treffen zu lassen..."
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gemeint haben sollte, der Angeklagte habe nicht eine nach den Umständen
angemessene Zeit gewartet (§ 142 Abs. 1 Nr. 2 StGB), fehlt dieser Annahme mangels
ordnungsgemäßer Feststellungen zu dem zeit-lichen Ablauf eine tragfähige
Grundlage (vgl. SenE vom 23.04.1993 - Ss 85/93 -; zur Dauer der Wartepf-licht, die
sich nach den Umständen des Falles, ins-besondere Art und Schwere des
Fremdschadens, Ver-kehrsdichte, Tageszeit, Witterung pp. richtet, vgl.
Jagusch/Hentschel, StVR, 32. Aufl., Rdnr. 39, 41 zu § 142 StGB m. Rsprnachw.).
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Soweit das Amtsgericht in anderem Zusammenhang ausgeführt hat, der Angeklagte
hätte statt sich zu einem Taxistand fahren zu lassen und sich dann in die eigene
Wohnung zu begeben, die Polizei rufen müssen, die dann notwendige
Feststellungen hätte treffen können, ist überdies zu besorgen, daß das
erstinstanzliche Gericht das Vorliegen der Vor-aussetzungen des § 142 Abs. 1 StGB
einerseits und diejenigen der Abs. 2 und 3 andererseits mitein-ander vermengt hat,
obwohl beide Tatbestände sich gegenseitig ausschließen (vgl. SenE vom
23.04.1993 - Ss 85/93 -; vgl. Lackner, StGB, 20. Aufl., § 142 Rdnr. 21 m.w.N.). Hat der
Täter seine Pflicht aus § 142 Abs. 1 StGB ohne Rechtfertigung oder Entschuldigung
verletzt, ist er endgültig strafbar; die nachträgliche Ermöglichung von Feststellung hilft
ihm dann nicht, so daß Abs. 2 keine Bedeutung mehr hat (Dreher/Tröndle, StGB, 46.
Aufl., § 142 Rdnr. 7; Lackner a.a.O.).
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Sollte das Amtsgericht, das nicht mitgeteilt hat, welchen der Tatbestände des § 142
StGB es als ver-wirklicht angesehen hat, auf § 142 Abs. 2 StGB ab-gestellt haben,
hätte es zudem außer acht gelassen, daß bei nächtlicher Unfallverursachung mit
Sach-schaden in der Regel die Meldung beim Geschädigten oder der Polizei in den
Morgenstunden des nächsten Tages noch als unverzüglich gelten kann, wenn die
Haftungslage eindeutig ist (SenE DAR 1992, 152 m.N.).
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Im übrigen hebt die Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Antragsschrift zutreffend
hervor, angesichts der mitgeteilten Einlassung des Angeklagten, es sei ihm nicht
bewußt gewesen, daß er einen Schaden verursacht habe, hätte es näherer
Feststellungen zu dem äußeren Erscheinungsbild des Unfalls sowie ei-ner
Begründung der Annahme eines zumindest bedingt vorsätzlichen Handelns bedurft.
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Nach alledem hätte das Landgericht die gesamten Feststellungen zur Schuldfrage in
eigener Verant-wortung treffen müssen. Da dies nicht geschehen ist, ist das
Berufungsurteil materiell-rechtlich unvollständig und bedarf der Aufhebung.
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