Urteil des OLG Köln vom 19.09.2003

OLG Köln: treu und glauben, insolvenz, culpa in contrahendo, genehmigung, kaufvertrag, zwangsvollstreckung, vertragsschluss, anfechtung, falsche auskunft, urkunde

Oberlandesgericht Köln, 12 U 80/02
Datum:
19.09.2003
Gericht:
Oberlandesgericht Köln
Spruchkörper:
12. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
12 U 80/02
Vorinstanz:
Landgericht Köln, 16 O 483/01
Tenor:
1. Die Berufung des Klägers gegen das am 01. März 2002 verkündete
Urteil der 16. Zivilkammer des Landgerichts Köln (16 O 483/01) wird
zurückgewiesen.
2. Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt der Kläger.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger kann die Vollstreckung durch den Beklagten gegen
Sicherheitsleistung in Höhe von 5.000,00 EUR abwenden, wenn nicht
der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
T A T B E S T A N D
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Die Fa. T. Haus und Grund H. GmbH (im folgenden: Gemeinschuldnerin) ist ein
Unternehmen, dessen Gegenstand u.a. der Erwerb und die Veräußerung von
bebauten und unbebauten Grundstücken aller Art auf eigene Rechnung ist. Sie war
Eigentümerin der insgesamt 35 Eigentumswohnungen des Hauses L. Str. 11 im
Wohnpark K.-W., die sie zum Verkauf anbot. Verblieben sind ihr acht Wohnungen. Am
05.02.2001 stellte die Gemeinschuldnerin Antrag auf Eröffnung des
Insolvenzverfahrens. Durch Beschluss vom 23.02.2001 ordnete das AG Rosenheim -
Insolvenzgericht - die vorläufige Insolvenzverwaltung an und bestellte den Beklagten
zum vorläufigen Insolvenzverwalter, was am 02.03.2001 im B. Staatsanzeiger
öffentlich bekannt gemacht wurde.
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Durch notariellen Vertrag vom 08.03.2001 erwarb der Kläger die leerstehende
Wohnung Nr. 176 des Aufteilungsplanes im 8. Obergeschoss des Hauses L. Str. 11
von der Gemeinschuldnerin, wobei diese bei Vertragsschluss durch einen Herrn P. L.
als Vertreter ohne Vertretungsmacht vertreten wurde. Der Kaufpreis von 300.000,00
DM war fällig innerhalb von 10 Tagen nach Absendung der Bestätigung durch den
Notar, dass der Vertrag rechtswirksam sei, insbesondere die Genehmigung des
Verkäufers und die Nachricht über die Eintragung einer Eigentumsvormerkung
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vorliege. Nach § 2.4 des Vertrages unterwarf sich der Kläger wegen der
Zahlungsverpflichtung dem Verkäufer gegenüber der sofortigen Zwangsvollstreckung
aus der Urkunde in sein gesamtes Vermögen und bewilligte die Erteilung
vollstreckbarer Ausfertigungen ohne Nachweise. Vereinbart wurde ein
Gewährleistungsausschluss. Weiter heißt es im Vertrag, der Verkäufer sei mit
Wohngeldzahlungen und sonstigen Verpflichtungen nicht im Rückstand.
Vor Vertragsschluss erwähnten die Mitarbeiter der Gemeinschuldnerin dem Kläger
gegenüber die Einleitung des Insolvenzverfahrens nicht.
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Nachdem am 19.03.2001 in der Presse über die Insolvenz der Gemeinschuldnerin
berichtet worden war, erklärten die Rechtsanwälte M. und H. am 21.03.2001 namens
des Klägers gegenüber dem Beklagten die Anfechtung der bei Abschluss des
Kaufvertrages abgegebenen Willenserklärungen wegen Irrtums und arglistiger
Täuschung.
5
Am 03.05.2001 wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen der
Gemeinschuldnerin eröffnet und der Beklagte zum Insolvenzverwalter bestellt. Er
genehmigte durch notarielle Erklärung vom 30.05.2001 die Erklärungen und Anträge
aus dem Kaufvertrag und wiederholte die Vollmachten. Weiterhin beantragte er die
Löschung der Vermerke über das Insolvenzverfahren Zug-um-Zug mit
Eigentumsumschreibung. Für den Kläger wurde am 07.08.2001 im Grundbuch eine
Vormerkung eingetragen.
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Am 29.08.2001 teilten die für den Beklagten tätigen Rechtsanwälte M.-H. pp. dem
Kläger mit, der Notar habe den Kaufpreis fällig gestellt. Der Kläger könne zur
Abwendung der Zwangsvollstreckung aus der Urkunde bis 12.09.2001 Sicherheit
stellen, ansonsten müssten weitere Maßnahmen ergriffen werden.
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Am 06.07.2001 hat der Kläger beim Landgericht Traunstein
Vollstreckungsabwehrklage gegenüber der Gemeinschuldnerin erhoben und mit am
16.07.2001 eingegangenem Schriftsatz das Passivrubrum auf den Beklagten
umgestellt. Durch Beschluss vom 16.08.2001 hat sich das Landgericht Traunstein für
örtlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit antragsgemäß an das Landgericht
Köln verwiesen.
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Zur Begründung der Klage hat der Kläger vorgetragen, der Kaufvertrag sei im Hinblick
auf die erklärte Anfechtung unwirksam. Die Gemeinschuldnerin hätte ihn vor
Abschluss des Kaufvertrages über ihre - ihm unbekannte - Zahlungsunfähigkeit und
den Insolvenzantrag aufklären müssen. Das Interesse an der Betriebsfortführung habe
eine diesbezügliche Unterlassung nicht gerechtfertigt. Durch die Unterlassung sei er
arglistig getäuscht worden, da er keine Gelegenheit gehabt habe, vom Geschäft
Abstand zu nehmen oder einen anderen Preis zu erzielen. Grund des Verschweigens
sei das Wissen der Gemeinschuldnerin gewesen, dass das Insolvenzverfahren für
seine Kaufentscheidung von Bedeutung sein würde, aber aufgrund der
Zahlungsunfähigkeit eine erhebliche Wertminderung des erworbenen Objekts zu
befürchten gewesen und auch eingetreten sei: statt des mit ihm vereinbarten Preises
von 300.000,00 DM für eine unrenovierte Wohnung biete der Beklagte im Frühjahr
2001 renovierte Wohnungen zu Preisen von 258.400,00 DM bis 277.000,00 DM an.
Zudem bestehe die Gefahr, dass die Gemeinschuldnerin das von 350,00 DM auf
450,00 DM monatlich gestiegene Wohngeld für die von ihm erworbene
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Eigentumswohnung nicht bezahlen könne, sodass er als Käufer eintrittspflichtig sei.
Hätte er von der Zahlungsunfähigkeit gewusst - die Veröffentlichung im B.
Staatsanzeiger habe er nicht gelesen - hätte er den Vertrag nicht abgeschlossen.
Der Kläger hat beantragt,
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die Zwangsvollstreckung aus der notariellen Urkunde des Notars Franz
J. R. vom 08.03.2002, Urkundenrolle Nr. /2001-R für unzulässig zu
erklären.
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Der Beklagte hat beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Er hat vorgetragen, der Vertrag sei nicht unwirksam. Anfechtungsgründe nach §§ 119
ff BGB schieden bereits deshalb aus, da er zur Fortführung des Betriebs verpflichtet
sei. Den Geschäftszweck der Schuldnerin habe er nur durch die Veräußerung von
Wohnungen erfüllen können. Eine Anfechtung nach § 119 Abs. 2 BGB komme im
Hinblick auf den vertraglichen Gewährleistungsausschluss nicht in Betracht, der Wert
eines Gegenstandes stelle keine Eigenschaft im Sinne des § 119 Abs. 2 BGB dar. Die
Anfechtung nach § 123 BGB greife nicht durch, da eine Pflicht zur Aufklärung nicht
bestanden habe: er sei in der Lage, den Kaufvertrag aus der Insolvenzmasse zu
erfüllen. Mit dem Argument, er habe von der Anordnung der vorläufigen
Insolvenzverwaltung keine Kenntnis gehabt, könne der Kläger nicht gehört werden, da
für die Zeit nach der öffentlichen Bekanntmachung gemäss § 23 InsO nach § 9 Abs. 3
InsO vermutet werde, dass der Inhalt der Bekanntmachung bekannt sei.
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Durch Urteil vom 01.03.2002 hat das Landgericht die Klage abgewiesen.
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Zur Begründung hat es ausgeführt, die Zwangsvollstreckung sei nicht unzulässig, da
der Kaufvertrag nicht unwirksam sei. Dem Kläger stünden Anfechtungsrechte weder
aus § 119 Abs. 2 BGB noch aus § 123 BGB zu. Wegen der weiteren Einzelheiten wird
auf den Tatbestand und die Entscheidungsgründe des erstinstanzlichen Urteils Bezug
genommen.
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Gegen das am 14.03.2002 zugestellte Urteil hat der Kläger am 08.04.2002 Berufung
eingelegt und diese am 14.05.2002 begründet.
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Unter Wiederholung seines erstinstanzlichen Vorbringens führt er weiter aus, ihm
stehe ein Anfechtungsrecht nach § 123 BGB zu, da ihn die Gemeinschuldnerin auf
den Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens hätte hinweisen müssen. Denn die
Vermögenslage der Gemeinschuldnerin sei geeignet gewesen, den Vertragszweck -
neben dem Eigentumserwerb auch dessen Hintergrund, nämlich die Nutzung der
Eigentumswohnung als Kapitalanlage durch Fremdvermietung - zu vereiteln. Eine
Aufklärungsverpflichtung habe bestanden, weil die Übereignung nicht gesichert
gewesen sei: ob der Insolvenzverwalter die Übereignung genehmigen würde, sei
ungewiss gewesen. Bei Unterbleiben der Genehmigung wäre seine Forderung
lediglich insolvenzmäßig abgewickelt worden. Eine Aufklärungsverpflichtung habe
weiter bestanden, weil es durch das Insolvenzverfahren zu einem Wertverfall seiner
Wohnung habe kommen können, die von ihm angenommene Werthaltigkeit sei auch
nicht gegeben. Er müsse zur Finanzierung seiner als Kapitalanlage und letztlich als
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Teil seiner Altervorsorge gedachten Immobilie Aufwendungen machen, die in einem
Missverhältnis zum tatsächlichen Wert stünden. Wegen der Berichterstattung in der
überregionalen Presse könne er keine dem Kaufpreis angemessene Mieteinnahmen
erzielen. Schließlich habe eine Aufklärungsverpflichtung auch bestanden im Hinblick
auf das Risiko etwaiger Mithaftung bei den Wohngeldern für die acht noch im
Eigentum der Beklagtenseite verbliebenen Wohnungen. Mit seiner Unkenntnis von
der Veröffentlichung der Anordnung der vorläufigen Insolvenzverwaltung im B.
Staatsanzeiger habe die Beklagtenseite rechnen müssen.
Auch greife der Anfechtungsgrund des § 119 Abs. 2 BGB: die Insolvenz stelle sich als
verkehrswesentliche Eigenschaft des Vertragspartners dar.
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Der Kläger beantragt,
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unter Abänderung des angefochtenen Urteils die Zwangsvollstreckung
aus der notariellen Urkunde des Notars F. J. R. vom 08.03.2001,
Urkundenrollen Nr. /2001-R, für unzulässig zu erklären.
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Der Beklagte beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Der Beklagte tritt der Berufung entgegen und verteidigt das Urteil des Landgerichts,
wobei er auf sein erstinstanzliches Vorbringen Bezug nimmt. Ein Anfechtungsrecht
nach § 123 BGB scheide mangels Aufklärungspflicht über den gestellten
Insolvenzantrag aus. Es habe nicht die Gefahr bestanden, dass man aufgrund der
wirtschaftlichen Bedrängnisse nicht in der Lage sein würde, die Hauptleistungspflicht,
nämlich die Übereignung, zu erfüllen; durch die Genehmigung hätten die
Erfüllungsansprüche den Rang von Masseverbindlichkeiten erlangt. Im übrigen fehle
es an der Arglist. Dass der Kläger eine leerstehende Wohnung als Kapitalanlage
gekauft habe, sei wenig glaubhaft; er hätte ohne weiteres eine vermietete Wohnung
erwerben können. Auswirkungen der Insolvenz auf die Vermietbarkeit seien nicht
ersichtlich. Ein Wertverfall entspreche nicht den Tatsachen, der Preis sei
Verhandlungssache.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die
gewechselten Schriftsätze und die zu den Akten gereichten Unterlagen Bezug
genommen.
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1.
E N T S C H E I D U N G S G R Ü N D E
26
27
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist zwar zulässig, hat im
Ergebnis aber keinen Erfolg.
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Denn das Landgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen:
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Die Vollstreckungsabwehrklage ist nach §§ 794 Abs. 1 Nr. 5, 795, 797 Abs. 5 ZPO
zulässig. Insbesondere besitzt der Kläger ein Rechtsschutzbedürfnis, da der Beklagte
mit Schreiben vom 29.08.2001 gerade "Maßnahmen" ankündigt, soweit der Kläger,
der sich in § 2.4 des notariellen Kaufvertrages wegen seiner Zahlungsverpflichtung
der sofortigen Zwangsvollstreckung unterworfen hatte, als Vollstreckungsschuldner
nicht zur Abwendung der Zwangsvollstreckung aus der Urkunde geeignete
Sicherheiten anbiete. Ein Rechtsschutzbedürfnis ist aber schon dann gegeben, wenn
eine Zwangsvollstreckung ernstlich droht, also auch schon vor Erteilung der
Vollstreckungsklausel und bis zur endgültigen Befriedigung des Gläubigers
(Zöller/Herget, Zivilprozessordnung, 23. Aufl. 2002, § 767 ZPO, Rdz. 8 m.w.N.).
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Begründet ist die Vollstreckungsabwehrklage, wenn bei gegebener Sachbefugnis des
Klägers eine Einwendung durchgreift, die den Anspruch selbst betrifft. Die
Darlegungs- und Beweislast für rechtsvernichtende und rechtshemmende
Einwendungen trägt der Schuldner (Zöller/Herget, a.a.O., § 767 ZPO, Rdz. 11 m.w.N.).
Gründe, auf denen die Einwendung beruhen kann, sind sowohl Irrtums- als auch
Täuschungs- und Drohungsanfechtung (Zöller/Herget, a.a.O., § 767 ZPO, Rdz. 12).
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Vorliegend ist zum 08.03.2001 wirksam ein Kaufvertrag gemäss § 433 BGB bezüglich
der Wohnung Nr. 176 im Haus L. Str. 11 in K.-W. abgeschlossen worden.
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Soweit die Gemeinschuldnerin beim Notartermin durch einen Herrn L. als
vollmachtloser Vertreter vertreten wurde, wurde dessen Willenserklärung durch
notarielle Erklärung des Beklagten vom 30.05.2001 genehmigt, § 177 Abs. 1 BGB. Die
Genehmigung hatte rückwirkende Kraft, § 184 Abs. 2 BGB. Zuvor war der Vertrag
schwebend unwirksam (Palandt/Heinrichs, Bürgerliches Gesetzbuch, 61. Aufl. 2002, §
178 BGB, Rdz. 5). Ob das Schreiben des Klägers vom 21.03.2001, mit dem die
Anfechtung des Vertrages erklärt wurde, in einen Widerruf nach § 178 BGB
umgedeutet werden kann, braucht nicht entschieden zu werden: denn das in § 178
BGB vorgesehene Widerrufsrecht des anderen Teils während des Schwebezustands
setzt voraus, dass dem Widerrufenden der Mangel der Vertretungsmacht bei
Vertragsschluss nicht bekannt war. Der vorliegende Kaufvertrag weist die fehlende
Vertretungsmacht des Herrn L. aber gerade ausdrücklich aus.
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Die Genehmigung des Beklagten stellt sich auch nicht im Hinblick auf § 177 Abs. 2
BGB als verfristet dar, denn das Schreiben der Klägerseite aus der Zeit vor der
Genehmigung kann nicht als Aufforderung zur Erklärung über die Genehmigung
gewertet werden, eine solche Auslegung lässt der Wortlaut nicht zu.
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Entgegen der Auffassung des Klägers ist der Kaufvertrag nicht aufgrund der im
Schreiben vom 21.03.2001 erklärten Anfechtung als von Anfang an nichtig
anzusehen, § 142 BGB. Denn auch nach Auffassung des Senats steht dem Kläger
kein Anfechtungsgrund zur Seite.
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Als solcher scheidet § 123 BGB aus. In Betracht kommt allein ein Täuschen durch
Unterlassen oder Verschweigen, also durch wissentliches, stillschweigendes Dulden
fremden Irrtums, weil dem Kläger seitens der Verkäuferseite vor Vertragsschluss nicht
mitgeteilt worden ist, dass zuvor die Einleitung eines Insolvenzverfahrens beantragt
worden war. Eine Täuschung durch Unterlassen bzw. Verschweigen bedingt jedoch
ein Vertragsverhältnis, nach dem der andere zur Erwartung von Offenheit berechtigt
ist. Vorauszusetzen ist somit eine Rechtspflicht zur Aufklärung (Offenbarungspflicht)
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(so Münchener Kommentar/ Kramer, 4. Aufl. 2001, § 123 BGB, Rdz. 16). Ob eine
solche Offenbarungspflicht nach Treu und Glauben in concreto besteht, bestimmt sich
nach den Anschauungen, welche für einen fairen Geschäftsverkehr bestehen, wobei
es auf die Art des Geschäftstypus ankommt (Münchener Kommentar/ Kramer, a.a.O., §
123 BGB, Rdz. 17 m.w.N.).
Dabei ist gerade für das Kaufvertragsrecht anerkannt, dass die Aufklärungspflicht nicht
zu weit ausgedehnt werde darf. Es besteht wegen der widerstreitenden Interessen
keine Rechtspflicht für ein Verkäufer, den Käufer über alle - auch erheblichen -
Umstände von sich aus umfassend aufzuklären, die für dessen Vertragsentschluss
von Bedeutung sein können (BGH ZIP 2002, 853, 856). Vielmehr muss der Grundsatz
berücksichtigt werden, dass derjenige, der einen Vertrag schließt, sich selbst darüber
zu vergewissern hat; es braucht daher nicht auf Umstände hingewiesen zu werden,
von denen angenommen werden darf, der Vertragspartner werde nach ihnen fragen,
falls er auf sie Wert legt (BGH NJW 1989, 763, 764; Münchener Kommentar/Kramer,
a.a.O., § 123 BGB, Rdz. 18).
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Dass die Verkäuferseite dem Kläger bezüglich der Insolvenz eine falsche Auskunft
erteilt hätte - zu einer wahrheitsgemäßen Aufklärung ist der Erklärungsgegner stets
verpflichtet, wenn eine Nachfrage zu einem bestimmten Punkt erfolgt (vgl. BGHZ 74,
383, 392; Erman/Palm, Bürgerliches Gesetzbuch, 10. Aufl. 2000, § 123 BGB, Rdz. 14)
- ist vorliegend nicht vorgetragen. Auch sind keine Anhaltspunkte für ein besonderes
Vertrauensverhältnis zwischen den Vertragsparteien ersichtlich - auch in einem
solchen Fall, z.B. bei familiärer oder persönlicher Verbundenheit (BGH NJW 1992,
300, 302), langjähriger vertrauensvoller Geschäftsbeziehung oder einem
Dauerschuldverhältnis mit engem persönlichen Kontakt (Palandt/Heinrichs, a.a.O., §
123 BGB, Rdz. 5c), kann eine Aufklärungspflicht bestehen. Auch aus der besonderen
Stellung des Erklärenden und des Erklärungsempfängers im Wirtschaftverkehr ergibt
sich eine solche Pflicht nicht: der Gemeinschuldnerin als Erklärungsempfängerin kam
nicht aufgrund ihrer Fachkunde eine besondere Vertrauensstellung zu, auf die sich
der nicht sachkundige und/oder unerfahrene Erklärende verlassen durfte; die
Erklärung des Klägers war gleichfalls nicht maßgeblich von seiner geschäftlichen
Unerfahrenheit geprägt (vgl. dazu Erman/Palm, a.a.O., §123 BGB, Rdz. 16 m.w.N.).
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Eine Mitteilung kann vom Verkäufer nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung
der Verkehrsauffassung bei Vertragsverhandlungen, auch wenn die Parteien
entgegengesetzte Interessen verfolgen, aber ebenfalls für solche Umstände erwartet
werden, die nur dem Verkäufer bekannt sind und von denen er weiß oder wissen
muss, dass sie für den Käufer von wesentlicher Bedeutung für den Vertragsschluss
sind, etwa deshalb, weil sie den Vertragszweck vereiteln können (BGH NJW 1996,
451, 452; NJW 2001, 2163, 2164; ZIP 2002 853, 856; Erman/Palm, a.a.O., § 123 BGB,
Rdz. 18; Palandt/Heinrichs, a.a.O., § 123 BGB, Rdz. 5b). Zur Aufklärung einer
wirtschaftlichen Bedrängnis besteht dann Veranlassung, wenn der Käufer vorleistet
und der Verkäufer weiß, dass er die ihn treffenden begründeten Verbindlichkeiten
nicht erfüllen kann (vgl. BGH NJW 1983, 676, 677). Weiß der Verkäufer, dass dem
Käufer die wahre Sachlage unbekannt geblieben ist, oder rechnet er damit und nimmt
er es in Kauf, dass eine Unkenntnis des Käufers auf dessen Willensentschluss von
Einfluss sein kann, ist in seinem Schweigen eine Täuschung des Vertragspartners zu
sehen (BGH NJW-RR 1998, 1406).
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Eine solche Aufklärungsverpflichtung bestand im vorliegenden Fall nach Auffassung
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des Senats nicht. Relevanter Umstand im o.g. Sinn kann allein die
Zahlungsunfähigkeit bzw. Überschuldung der Gemeinschuldnerin in Verbindung mit
dem gestellten Insolvenzantrag sein - wobei auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses
abzustellen ist. Davon, dass dieser Umstand aber - erkennbar für die
Gemeinschuldnerin - für den Kläger von wesentlicher Bedeutung war und den
Vertragszweck vereiteln konnte, kann nicht ausgegangen werden.
Insoweit hat das Landgericht zu Recht entscheidend auf den Umstand abgestellt, dass
der Verkäufer seiner im Rahmen der aus § 433 Abs. 1 BGB resultierenden
Hauptleistungspflicht nachkommen konnte. Eine Eigentumsübertragung war der
Gemeinschuldnerin aber sowohl zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses als auch der
Eröffnung des Insolvenzverfahrens möglich.
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Die Sachlage stellt sich damit anders da, als in den vom BGH in WM 1981, 792, 793
und in NJW 1983, 676, 677 entschiedenen Fällen, in denen eine Aufklärungspflicht
angenommen wurde, weil zur Zeit des Vertragsschlusses der Käufer zur Erfüllung
unvermögend war bzw. weil der Verkäufer bei Vorleistungspflicht des Käufers wusste,
dass er seinen Verbindlichkeiten nicht mehr nachkommen konnte.
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Da der gegenseitige Vertrag von keiner Seite erfüllt war, konnte der
Insolvenzverwalter entscheiden, ob er vom Kläger Erfüllung verlangen sollte oder
nicht. Soweit ein Insolvenzverwalter Erfüllung verlangt, hat der Vertragspartner die
nach dem Vertrag geschuldete Leistung zur Insolvenzmasse zu bewirken, der
Anspruch auf die Gegenleistung wird zur Masseverbindlichkeit nach § 55 InsO. Der
Verwalter hat deshalb den Vertrag so zu erfüllen, wie die Gemeinschuldnerin zu
erfüllen hätte. Er hat sämtliche Verpflichtungen aus dem Vertrag, dessen Erfüllung er
gewählt hat, als Masseverbindlichkeit nach § 53 InsO aus der Insolvenzmasse vorweg
zu befriedigen (vgl. dazu Münchener Kommentar zur Insolvenzordnung/Hefermehl,
2001, § 55 InsO, Rdz. 113). Vorliegend hat der Beklagte durch die Genehmigung des
Vertrages Erfüllung verlangt. Die wirtschaftliche Lage des Klägers stellt sich damit
nicht anders dar als bei fehlender Insolvenz und Erfüllung durch die
Gemeinschuldnerin. Soweit der Insolvenzverwalter nicht Erfüllung wählt, verbleibt es
beim bisherigen Zustand: durch die Insolvenzeröffnung erlöschen die gegenseitigen
Erfüllungsansprüche, aber nicht der Vertrag (BGH NJW 1992, 507, 508; BGHZ 129,
336, 338; 135, 25, 26; vgl. auch Münchener Kommentar zur InsO/Hefermehl, a.a.O., §
55 InsO, Rdz. 111). In diesem Fall hätte der Kläger damit den Kaufpreis nicht zu
zahlen brauchen. Seine wirtschaftliche Lage - unstreitig war das Grundstück zur Zeit
des Vertragsschlusses den vereinbarten Preis wert - hätte sich nicht anders
dargestellt, als ohne die Insolvenz.
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Soweit der Kläger argumentiert, bereits in der Möglichkeit des Insolvenzverwalters,
Nichterfüllung des Vertrages zu wählen, sei eine Gefährdung des Vertragszwecks zu
sehen, kann dem jedenfalls im vorliegenden Fall nicht gefolgt werden. Denn es ist zu
berücksichtigen, dass die Position des Klägers ohnehin noch keine sichere war: er
hatte den Vertrag mit einem Vertreter ohne Vertretungsmacht geschlossen, was zur
schwebenden Unwirksamkeit des Vertrages führte; zum Erreichen der
Eigentümerstellung bedurfte es noch der Genehmigung durch die Gemeinschuldnerin.
Ob aber eine Wahl durch den Insolvenzverwalter oder eine Genehmigung durch den
Verkäufer zu erfolgen hatte, erscheint im Ergebnis unerheblich.
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Den Bedenken des Klägers im Hinblick auf in der Vergangenheit nichtgezahlte
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Wohngelder kann nicht gefolgt werden. Abgesehen davon, dass eine Nichtzahlung
des Wohngeldes nicht dazu führen könnte, eine Vereitelung des Vertragszweckes ins
Auge zu fassen, hätte der Kläger vor Vertragsschluss von der Gemeinschuldnerin
Nachweise erbitten können, ob die in § 1.3 des Vertrages gegebene Zusage zutreffe,
die Wohngelder seien gezahlt. Der Umstand, dass die Gemeinschuldnerin
Eigentümerin weiterer Wohnungen war und bei einem Ausfall der diesbezüglichen
Wohngeldzahlungen auf die übrigen Eigentümer Mehrzahlungen zukommen konnten,
erscheint gleichfalls nicht von Relevanz: dies tangiert den Vertragszweck ebenfalls
nicht. Im übrigen ist für den vorliegenden Fall zu konstatieren, dass sich die
Befürchtungen des Klägers offensichtlich nicht bewahrheitet haben: die
Beklagtenseite hat das Wohngeld bisher gezahlt. Soweit der Kläger ausführt, das
Wohngeld sei seit Vertragsschluss um ca. 100,00 DM erhöht worden, stellt sich dieses
Vorbringen als unerheblich dar; worauf diese Erhöhung denn beruht, ist unbekannt.
Denkbar hierfür sind mehrere Gründe, z.B. ein neuer und teuerer Hausverwalter,
besondere Kosten im Gemeinschaftseigentum, etc.
Auch das Vorbringen des Klägers im Berufungsrechtszug kann nicht zu einer anderen
Entscheidung führen. Soweit er ausführt, die Eigentumswohnung sei als
Kapitalanlage erworben worden, ist unklar, ob dies überhaupt Gegenstand der
Vertragsverhandlungen war. Der Vortrag des Klägers enthält eine solche Behauptung
nicht. Nur dann hätte sich die Gemeinschuldnerin auf dieses Kaufmotiv bei der
Abwägung, ob sie den Kläger von ihrer Insolvenz benachrichtigen muss, einstellen
können. Zudem ist das Vorbringen des Beklagten, es sei wenig glaubhaft, dass er die
Wohnung als Renditeobjekt gekauft habe, als Bestreiten einer solchen Mitteilung
aufzufassen - Beweis für den Inhalt der Vertragsverhandlungen hat der Kläger jedoch
nicht angetreten.
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Selbst wenn aber die Nutzung einer - nicht vermieteten - Wohnung als Kapitalanlage
Inhalt der Verkaufsgespräche gewesen wäre, stellte sich die fehlende Mitteilung der
Insolvenz nicht als vertragszweckvereitelnd dar. Denn es ist nicht ersichtlich, dass
dadurch zwangsläufig ein Wertverlust bei den Wohnungen eintreten muss, jedenfalls
dann nicht, wenn dem Gemeinschuldner nur noch 8 von 35 der vorhandenen
Wohnungen, also weniger als 25 %, gehören. Im übrigen konterkariert der Kläger
seine Argumentation selber, wenn er vorträgt, die Wohnungen als Altersvorsorge
erworben zu haben. Wie sich aus dem Kaufvertrag ergibt, war er zum Zeitpunkt des
Vertragsschlusses erst 40 Jahre alt, sodass bis zum Ruhestand noch ein Zeitraum von
ca. 20 Jahren vor ihm lag. Inwieweit sich bei dieser Zeitspanne eine Insolvenz im Jahr
2001 soll auswirken können, bleibt unklar. Die Entwicklung der Immobilienpreise in
der Zukunft ist ungewiss, hängt von vielerlei Faktoren ab.
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Soweit die Beklagtenseite nach Vertragsschluss Wohnungen zu günstigeren Preisen
angeboten hätte, stellte dies zwar einen für den Kläger misslichen Umstand dar; die
Gründe hierfür könnten aber vielfältig sein: neben einer Preissenkung durch den
Beklagten zwecks schnellerer Liquiditätssteigerung kommen als Gründe auch eine
Sättigung des Marktes in Betracht sowie ein ungeschicktes Verhandlungsverhalten
des Klägers.
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Nicht nachzuvollziehen ist das Argument, die Insolvenz führe dazu, dass auch
Mieteinnahmen, die dem vertraglich vereinbarten Kaufpreis angemessen seien, nicht
erzielt werden könnten. Abgesehen davon, dass dieser Vortrag unsubstantiiert ist, da
nicht vorgetragen wird, von welchen Mieteinnahmen der Kläger ausgegangen ist und
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welche er heute erzielen könnte, die beantragte Einholung eines
Sachverständigengutachtens damit nicht in Betracht kommt, mangelt es an der
Darlegung eines zwingenden Zusammenhanges zwischen der Insolvenz der
Gemeinschuldnerin und den Mietpreisen. Diese sind auf längere Sicht angelegt und
hängen von der Größe, Lage und Ausstattung einer Wohnung ab - nicht aber davon,
wie die momentane finanzielle Situation eines einzelnen Eigentümers von vielen
aussieht.
Auch mit einer Anfechtung des Vertrages nach § 119 BGB kann der Kläger nicht
durchdringen.
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Nach § 119 Abs. 2 BGB gilt als Erklärungsirrtum auch der Irrtum über solche
Eigenschaften der Person oder Sache, die im Verkehr als wesentlich angesehen
werden. Eigenschaften einer Person oder Sache sind neben den auf der natürlichen
Beschaffenheit beruhenden Merkmalen auch tatsächliche oder rechtliche Verhältnisse
und Beziehungen zur Umwelt, soweit sie nach der Verkehrsanschauung für die
Wertschätzung oder Verwendbarkeit von Bedeutung sind. Diese Beziehungen
müssen aber in der Sache oder Person selbst ihren Grund haben, von ihr ausgehen
oder sie unmittelbar kennzeichnen (Palandt/Heinrichs, a.a.O., § 119 BGB, Rdz. 24
m.w.N.).
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Verkehrswesentliche Eigenschaft einer Person kann die Zahlungsfähigkeit und
Kreditwürdigkeit sein; dies gilt allerdings nur für einen Kreditkäufer bzw. den Partner
eines Kreditgeschäfts (Münchener Kommentar/Kramer, a.a.O., § 119 BGB, Rdz. 126).
Um einen solchen Fall handelt es sich vorliegend jedoch nicht. Die
Zahlungsunfähigkeit bzw. Insolvenz der Gemeinschuldnerin scheiden als
verkehrswesentliche Eigenschaft aus, berechtigen nicht zur Anfechtung: es liegt kein
Dauerhaftschuldverhältnis vor, mit der Zahlung des Kaufpreises und der Übereignung
der Wohnung sind die Beziehungen der Parteien des Kaufvertrags beendet.
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Verkehrswesentlich ist die Eigenschaft einer Sache, wenn die Verhältnisse einen
unmittelbaren Einfluss auf die Brauchbarkeit bzw. den Wert des Gegenstandes haben
(BGHZ 16, 54, 57), hingegen fallen Eigenschaften außer Betracht, welche sich
lediglich mittelbar auf die Bewertung der Sache auswirken. Letzteres trifft auf den Wert
oder den Marktpreis zu, ebenso für die wirtschaftliche Verwertungsmöglichkeit beim
Kauf einer Sache (BGHZ 16, 54, 57). Die Zahlungsunfähigkeit bzw. Insolvenz der
Gemeinschuldnerin sind hier nicht von Relevanz.
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Der Beklagte ist schließlich auch nicht aus Treu und Glauben gehindert, aus der
notariellen Urkunde zu vollstrecken. Denn dem Kläger kann kein
Schadensersatzanspruch nach den Grundsätzen der culpa in contrahendo wegen
Verletzung vorvertraglicher Informationspflichten - dieser kann auch auf Befreiung von
der Vertragspflicht gehen (vgl. dazu Erman/Palm, a.a.O., § 123 BGB, Rdz. 8 m.w.N.). -
zugesprochen werden. Auch in diesem Fall wäre Voraussetzung eine Täuschung (vgl.
nur BGH ZIP 2002, 853, 854), die aber gerade zu verneinen ist.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige
Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
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Gründe für die Zulassung der Revision sind nicht gegeben, insbesondere da die
Sache keine grundsätzliche Bedeutung hat.
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Streitwert und Beschwer für den Beklagten: 153.387,56 EUR (= 300.000,00 DM).
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