Urteil des OLG Köln vom 15.12.1997

OLG Köln (culpa in contrahendo, ordre public, kläger, verhältnis zu, unerlaubte handlung, örtliche zuständigkeit, internationale zuständigkeit, schiedsabrede, deutschland, verbindung)

Oberlandesgericht Köln, 16 U 34/97
Datum:
15.12.1997
Gericht:
Oberlandesgericht Köln
Spruchkörper:
16. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
16 U 34/97
Vorinstanz:
Landgericht Köln, 3 O 37/96
Tenor:
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil der 3. Zivilkammer des
Landgerichts Köln vom 18.2.1997 - 3 O 37/96 -, soweit die Klage gegen
die Beklagte zu 3) als unzulässig abgewiesen worden ist, aufgehoben
und die Sache insoweit zur erneuten mündlichen Verhandlung und
Entscheidung an das Landgericht zurückverwiesen. Die
Kostenentscheidung bleibt dem Landgericht vorbehalten. Das Urteil ist
vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand:
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Der Kläger klagt aus abgetretenem Recht des in K./A. ansässigen Arztes Dr. D. J..
Dieser war mit der in K. ansässigen Beklagten zu 1) in Verbindung getreten, deren
Geschäftsführer der Beklagte zu 2) war und die sich mit der Vermittlung von
Warentermin-, Devisentermin- und Optionsgeschäften befaßte. Er erteilte ihr Vollmacht,
ihn bem Kauf und Verkauf im Termin- und Optionshandel zu vertreten, und stellte ihr für
derartige Geschäfte insgesamt 107.500,-- DM zur Verfügung. Durch ihre Vermittlung
schloß er mit der Beklagten zu 3), einem Brokerunternehmen mit Sitz in London, eine
vorformulierte Kundenvereinbarung zur Ausführung entsprechender Transaktionen auf
sogenannter "Execution-only"-Basis. Die Vertragspartner vereinbarten für ihren Vertrag
die Geltung des englischen Rechts und unterwarfen sich einem vom London Court of
International Anbitration zu bestellenden Schiedsrichter, der nach den Regeln dieses
Schiedsgerichts urteilen sollte. Dr. J. erhielt eine Broschüre, in der auf die mit den
geplanten Geschäften verbundenen Risiken sowie auf zu erwartende Kosten und
Gebühren hingewiesen war. Auf die Kundenvereinbarung (Bl. 46 ff. d.A.) und die
Broschüre (Bl. 20 ff. d.A.) wird Bezug genommen. Die von der Beklagten zu 1) für Dr. J.
getätigten Geschäfte, die die Beklagte zu 3) ausführte, endeten bis auf einen Betrag von
11.432,51 DM mit einem Totalverlust.
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Der Kläger hat die Beklagten als Gesamtschuldner auf Schadensersatz in Anspruch
genommen und hierzu behauptet, die Telefonverkäufer der Beklagten zu 1) hätten Dr. J.
exorbitante Gewinne in Aussicht gestellt, ohne ihn über die Risiken und die enormen
Kosten aufzuklären, wodurch die Warnfunktion der Broschüre unterlaufen worden sei.
Die Beklagte zu 1) sei als Agentur der Beklagten zu 3) in Deutschland tätig geworden.
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Der Kläger hat gemeint, die Schiedsabrede mit der Beklagten zu 3) sei unwirksam, weil
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sie gegen zwingende Schutzbestimmungen des deutschen Rechts verstoße. Der mit ihr
geschlossene Vertrag falle als Verbrauchervertrag unter Art. 29 EGBGB.
Der Kläger hat beantragt,
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die Beklagten gesamtschulnderisch zu verurteilen, an ihn 96.079,49 DM nebst 7,5 %
Zinsen aus 7.500,-- DM seit dem 23.9.1994, aus 50.000,-- DM seit dem 24.10.1994,
aus 38.567,49 DM seit dem 26.10.1994, aus 5.724,58 DM für die Zeit vom 26.10.1994
bis zum 10.7.1995 und aus 5.707,93 DM für die Zeit vom 26.10.1994 bis zum
25.10.1995 zu zahlen.
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Die Beklagte zu 3) hat beantragt,
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den Rechtsstreit dem Europäischen Gerichtshof zur Vorabentscheidung über die
Auslegung bestimmter Vorschriften des GVÜ vorzulegen,
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hilfsweise, die Klage abzuweisen.
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Sie hat die Klage für unzulässig gehalten, weil es an der internationalen Zuständigkeit -
insbesondere nach Art. 5 Nr. 5 GVÜ - fehle und die Einrede des Schiedsvertrags
entgegenstehe. Den gesamten Vortrag betreffend die Telefonverkäufer der Beklagten zu
1) hat sie mit Nichtwissen bestritten.
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Die Beklagten zu 1) und 2) sind nicht vertreten gewesen.
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Durch Teilversäumnis- und Schlußurteil vom 18.2.1997 hat das Landgericht die
Beklagten zu 1) und 2) als Gesamtschuldner antragsgemäß verurteilt und die Klage
gegen die Beklagte zu 3) als unzulässig abgewiesen. Das Landgericht hat seine
Zuständigkeit nach Art. 5 Nr. 3 GVÜ verneint, weil in seinem Gerichtsbezirk keine
unerlaubte Handlung verübt worden sei. Ferner hat es ausgefürt, daß nicht ersichtlich
sei, daß es sich bei der Beklagten zu 1) um eine Agentur oder sonstige Niederlassung
der Beklagten zu 3) gehandelt habe, so daß auch Art. 5 Nr. 5 GVÜ nicht einschlägig sei.
Die Wirksamkeit der Schiedsvereinbarung hat es offen gelassen. Hilfsweise hat es
darauf hingewiesen, daß eine zulässige Klage derzeit unbegründet wäre, weil dem
Vortrag des Klägers nicht hinreichend zu entnehmen sei, daß sich die Anpreisungen der
Telefonverkäufer letztlich als Pflichtverletzung erweisen würden.
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Gegen dieses ihm am 28.2.1997 zugestellte Urteil, auf dessen gesamten Inhalt
verwiesen wird, hat der Kläger am 27.3.1997 Berufung eingelegt und diese nach
wirksamer Fristverlängerung bis 28.5.1997 am 27.5.1997 begründet.
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Durch Beschluß des High Court of Justice vom 10.3.1997 - 00950/97 - sind für die
Beklagte zu 3) zwei sogen. "Administrators" (=Sanierungsverwalter) bestellt worden mit
dem Ziel, die Angelegenheiten der Gesellschaft so zu verwalten, daß ihr Überleben
gesichert wird und der laufende Geschäftsbetrieb ganz oder teilweise aufrechterhalten
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werden kann. Die Administratoren haben einer Fortsetzung des Rechtsstreits
zugestimmt.
Der Kläger führt aus, das Lnadgericht habe den Anwendungsbereich des Art. 5 Nr. 5
GVÜ zu sehr eingeengt. Die Beklagte zu 1) habe in dem fraglichen Zeitraum sämtliche
Geschäfte für die Beklagte zu 3) in Deutschland abgewickelt.
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Die Schiedsvereinbarung sei unwirksam, weil sie in Verbindung mit der
Rechtswahlklausel stehe, was im Ergebnis dazu führen würde, einem nicht
börsentermingeschäftsfähigen Inländer den im deutschen Recht zwingend
vorgesehenen Schutz zu versagen. Der Kläger bemängelt weiterhin die unzureichende
Aufklärung seines Zedenten durch die Telefonverkäufer, deren Fehlverhalten die
Beklagte zu 3) sich zurechnen lassen müsse.
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Der Kläger beantragt,
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unter Abänderung des angefochtenen Urteils die Beklagte zu 3)
gesamtschuldnerisch neben den bereits verurteilten Beklagten zu 1) und 2)
entsprechend seinem erstinstanzlichen Klageantrag zu verurteilen.
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Die Beklagte zu 3) beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Sie macht sich die Ausführungen des angefochtenen Urteils zu eigen. Im übrigen erhebt
sie erneut die Schiedseinrede und führt hierzu aus, die Schiedsabrede in Verbindung
mit der Rechtswahlklausel verletze zumindest dann nicht den deutschen ordre public,
wenn Schadensersatzansprüche aus culpa in contrahendo zu beurteilen seien. Sie
leugnet jedes Aufklärungsverschulden.
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E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
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Die zulässige Berufung des Klägers führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils im
Verhältnis zur Beklagten zu 3) und zur Zurückverweisung der Sache an das Landgericht
gemäß § 538 Abs. 1 Nr. 2 ZPO. Die Klage gegen die Beklagte zu 3) ist entgegen der
Annahme des Landgerichts zulässig.
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Das Verfahren ist nicht in entsprechender Anwendung von § 240 ZPO unterbrochen.
Die Anordnung einer "administration" nach englischem Recht ist nicht mit einer
Konkurseröffnung nach deutschem Recht vergleichbar, da es sich nur um eine
Zwangsverwaltung mit dem Ziel der Sanierung des betroffenen Unternehmens handelt,
durch die eine weitere Einzelzwangsvollstreckung nicht ausgeschlossen wird.
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Darüber hinaus haben di Administratoren der Beklagten zu 3) einer Forsetzung des
Rechtsstreits zugestimmt.
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Das Landgericht hat seine internationale und seine zugleich hierauf beruhende örtliche
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Zuständigkeit zu Unrecht verneint. Die internationale Zuständigkeit folgt zweifelsfrei aus
Art. 6 Nr. 1 GVÜ, der einen besonderen Gerichtsstand der Streitgenossenschaft vorsieht,
so daß sich weitere Ausführungen zu Art. 5 GVÜ erübrigen. Da die Beklagte zu 1) ihren
Sitz in K. hat, konnte der Kläger hier auch die als Gesamtschuldnerin in Anspruch
genommene Beklagte zu 3) verklagen.
Der Zulässigkeit der Klage steht auch die von der Beklagten zu 3) erhobene
Schiedseinrede nicht entgegen. Die Schiedsvereinbarung zwischen dem Zedenten und
der Beklagten zu 3), die mit einer Wahl des englischen Rechts für alle aus dem
Vertragsverhältnis hergeleiteten Ansprüche verbunden ist, ist in Deutschland nicht
anzuerkennen. Gemäß Art. 29 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 2 EGBGB ist für das
Vertragsverhältnis zwischen Dr. J. und der Beklagten zu 3) die Anwendung deutschen
Rechts zwingend vorgeschrieben. Der Vertrag betraf nämlich die Erbringung von
Dienstleistungen zu nicht beruflichen oder gewerblichen Zwecken des Zedenten; dem
Vertragsschluß war eine Werbung in Deutschland vorausgegangen, und hier hatte der
Zedent die zum Vertragsschluß erforderlichen Willenserklärungen abgegeben, die
seitens der Beklagten zu 1) an die Beklagte zu 3) weitergeleitet wurden. Die von der
Beklagten zu 3) geschuldeten Dienstleistungen waren auch nicht ausschließlich
außerhalb Deutschlands zu erbringen, vielmehr war auch der deutsche Markt in das
Tätigkeitsfeld einbezogen. Mangels gültiger fremder Rechtswahl unterliegt ein derartiger
Verbrauchervertrag dem Aufenthaltsstatut des Verbrauchers, also dem deutschen
Recht. Diese zwingende gesetzliche Regelung, die im Interesse des Verbrauchers liegt,
würde unterlaufen, wenn man die Vereinbarung eines ausländischen Schiedsgerichts
zuließe, das nicht an die Anwendung des deutschen Rechts gebunden wäre, sondern
im Gegenteil das von den Parteien nach dortigem Rechtsverständnis wirksam gewählte
Heimatrecht zur Anwendung brächte. Der Schutzgedanke, der der Unwirksamkeit der
fremden Rechtswahl zugrunde liegt, hat zur Folge, daß auch die Vereinbarung eines
ausländischen Schiedsgerichts unwirksam ist.
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Die Unwirksamkeit der Schiedsabrede erstreckt sich auch auf die
Schadensersatzansprüche, die der Kläger im vorliegenden Rechtsstreit in erster Linie
aus culpa in contrahendo wegeen unterlassener Risikoaufklärung, zum Teil aber auch
aus positiver Vertragsverletzung wegen Spesenreiterei geltend macht. Für beide
Anspruchsarten - auch für einen Schadenersatzanspruch bei der Vertragsanbahnung -
gilt einheitlich das Vertragsstatut.
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Unabhängig von der Regelung in Art. 29 EGBGB entspricht es der ständigen
Rechtsprechung des BGH (WM 1987, 1153 f. und WM 1995, 100 f.), daß eine
Schiedsabrede in Verbindung mit einer Rechtswahlklausel, die Börsentermingeschäfte
von nicht termingeschäftsfähigen Inländern betrifft, in Deutschland wegen Verstoßes
gegen den deutschen ordre public nicht anerkannt werden kann, weil dies zur
Nichtbeachtung des Termineinwands führen würde. Der Senat teilt die Aufassung des
OLG Düsseldorf (Urteil vom 26.5.1995 - 17 U 240/94), daß die Nichtanerkennung der
Schiedsabrede nicht auf die vom BGH entschiedenen Fälle zu beschränken ist, in
denen der Termin- und Differenzeinwand notwendig ist, um die Rückzahlung der
investierten Gelder zu ermöglichen, sondern daß die Unwirksamkeit auch solche Fälle
erfassen muß, in denen Schadensersatz wegen unterlassener Risikoaufklärung und
wegen Spesenreiterei geltend gemacht wird.
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Die Zurückverweisung der Sache an das Landgericht ist nach § 538 Abs. 1 Nr. 2 ZPO
notwendig. Das Landgericht, das den Sachvortrag des Klägers im Verhältnis zu den
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Beklagten zu 1) und 2) zu Recht als schlüssig angesehen hat, wird im Wege der
Beweisaufnahme zu klären haben, ob und inwieweit die in der Broschüre enthaltenen
Hinweise zum Risiko der geplanten Geschäfte durch die Anpreisungen der
Telefonverkäufer der Beklagten zu 1) so relativiert wurden, daß der Zedent ihnen keine
Aufmerksamkeit mehr zu schenken brauchte, als er die Kundenvereinbarung
unterzeichnete. Das Landgericht wird ggf. auch weiter zu prüfen haben, inwieweit sich
die Beklagte zu 3) das etwaige Fehlverhalten der Telefonverkäufer der Beklagten zu 1)
zurechnen lassen muß, das den einzelnen Investitionen des Zedenten vorausgegangen
sein soll. Schließlich wird dem Kläger Gelegenheit zu geben sein, seinen durch die
behauptete Spesenreiterei entstandenen Schaden zu spezifizieren, der offenbar noch
weiter hilfsweise geltend gemacht werden soll. Sollte es hierauf nach entsprechender
Substantiierung ankommen, wird das Landgericht diesen Vorwurf kaum ohne
sachverständige Hilfe abschließend beurteilen können.
Die Kostenentscheidung war dem Landgericht vorzubehalten.
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Die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10; eine Sicherheitsleistung entfällt.
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Die Einholung einer Vorabentscheidung des Europäischen Gerichtshofs zur Auslegung
bestimmter Vorschriften des GVÜ ist nicht angezeigt, da das Urteil revisibel ist.
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