Urteil des OLG Köln vom 15.02.2000

OLG Köln: in dubio pro reo, eigenkonsum, abgabe, rauschgift, grenzwert, beweiswürdigung, herkunft, auflage, fahrrad, einziehung

Datum:
Gericht:
Spruchkörper:
Entscheidungsart:
Tenor:
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Aktenzeichen:
Oberlandesgericht Köln, Ss 537/99 - 35 -
15.02.2000
Oberlandesgericht Köln
1. Strafsenat
Beschluss
Ss 537/99 - 35 -
Das angefochtene Urteil wird mit seinen Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die
Kosten der Revision, an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Köln
zurückverwiesen.
G r ü n d e :
Das Amtsgericht hat den Angeklagten wegen unerlaubten gewerbsmäßigen
Handeltreibens mit Heroin in acht Fällen und wegen Handeltreibens mit Heroin in nicht
geringer Menge in Tateinheit mit unerlaubter Abgabe von Heroin zu einer
Gesamtfreiheitsstrafe von 3 Jahren verurteilt. Zugleich hat es die Einziehung von
Überführungsstücken und Bargeld sowie den Verfall des sichergestellten Geldbetrages
angeordnet.
Das Amtsgericht hat zum Schuldspruch folgende Feststellungen getroffen:
"In der Zeit vom 11.04.1999 bis zum 15.04.1999 fand der Angeklagte bei der gesondert
verfolgten jugendlichen Zeugin B. Unterkunft, die ihn schon etwa 1 1/2 Jahre lang kannte.
In der Zeit vom 17.03. bis zum 10.04.1999 verkaufte der Angeklagte mindestens alle drei
Tage, also in insgesamt 8 Fällen, der gesondert verfolgten J. P. zunächst zwei bis drei
Gramm Heroin für 130,00 DM und in der Folgezeit Heroinmengen für 50,00 bis 130,00 DM.
In dem Zeitraum, als der Angeklagte bei der gesondert verfolgten Zeugin B. wohnte ...
beschaffte er sich von einem unbekannten Dealer ... mindestens einmal 50 Gramm Heroin
mittlerer Qualität für 900,00 DM. Einen Teil dieses Heroins verpackte er in zehn Beutel zu 2
1/2 bis 3 Gramm zum Verkauf. Nach telefonischer Bestellung auf einem seiner Handys ließ
er das Rauschgift im wesentlichen durch den gesondert verfolgten Sch. mit seinem Fahrrad
ausliefern und für 130,00 DM pro Beutel verkaufen. Das restliche Heroin diente teils dem
Eigenkonsum des Angeklagten und des Sch. und des Kühlem sowie dem Eigenkonsum
der Zeugin B. , der der Angeklagte aus einem Beutel nach Bedarf Drogen austeilte."
Gegen dieses Urteil richtet sich die Sprungrevision des Angeklagten, mit der Verletzung
formellen und materiellen Rechts gerügt wird.
Das Rechtsmittel hat (vorläufigen) Erfolg. Es führt bereits auf die Sachrüge zur Aufhebung
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der angefochtenen Entscheidung und Zurückverweisung der Sache an das Amtsgericht;
die Verfahrensrügen bedürfen keiner Entscheidung.
Die Feststellungen des Amtsgerichts zum Schuldspruch sind materiell-rechtlich
unvollständig. Sie lassen den Schuldumfang der Taten nicht hinreichend erkennen.
Bei einer Verurteilung wegen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz sind für die
zutreffende Beurteilung des Schuldumfangs neben der Mitteilung der Art des
Betäubungsmittels (vgl. BGH NJW 1992, 380) auch Feststellungen zur Rauschgiftmenge
(BGH aaO) sowie zum Wirkstoffgehalt des Rauschgifts erforderlich (vgl. BGH aaO; BGH
NStZ 1984, 556 und bei Schoreit NStZ 1994, 327; BayObLG NStZ-RR 1998, 55; ständige
Senatsrechtsprechung, vgl. Senatsentscheidung vom 12.01.1999 - Ss 2/99 = StV 1999, 440
und vom 19.10.1999 - Ss 414/99; vgl. zu allem auch Weber, BtmG, vor §§ 29 ff. Rdnr. 483
bis 503). Ohne diese Angaben erschließen sich in der Regel weder der objektive
Unrechtsgehalt der Tat noch das Maß der persönlichen Schuld des Täters
(Senatsentscheidungen aaO; Weber aaO).
Ist eine Untersuchung des Rauschgifts nicht mehr möglich, so muss der Tatrichter
versuchen, den Wirkstoffanteil des Rauschgifts und die Gesamtmenge unter Auswertung
sonstiger Umstände, etwa der Einschätzung durch die Konsumenten, des Preises und der
Herkunft zu ermitteln (ständige Senatsrechtsprechung, vgl. Senatsentscheidung vom
19.10.1999 - Ss 414/99; Weber aaO, Rdnr. 500 mit Nachweisen) und ggfls. unter
Berücksichtigung des Grundsatzes "in dubio pro reo" anzugeben, von welcher
Mindestqualität er ausgegangen ist (vgl. Senatsentscheidung aaO; Weber aaO).
Unbestimmte Qualitätsbezeichnungen (wie z. B. das Rauschgift sei von "durchschnittlicher"
oder "mittlerer" Qualität) reichen in der Regel nicht aus (vgl. BGH bei Schoreit NStZ 1985,
59; Senatsentscheidung vom 30.04.1993 - Ss 93/93; Körner, BtmG, 4. Auflage, § 29 a Rdnr.
70 mit Nachweisen).
Diesen Grundsätzen entspricht das angefochtene Urteil nicht.
Was den Schuldspruch wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln (Heroin) in 8 Fällen
betrifft, fehlt in der mit "verkaufte der Angeklagte ... J. P. zunächst 2 bis 3 Gramm Heroin für
130,00 DM" beschriebenen Fallgestaltung die Angabe der Wirkstoffmenge und hinsichtlich
den mit "und in der Folgezeit Heroinmengen für 50,00 bis 130,00 DM" umrissenen Fällen
sowohl die Angabe des Wirkstoffanteils des Heroins als auch die Mitteilung der jeweils
verkauften Heroinmenge.
Davon abgesehen bleibt nach den Feststellungen infolge der Formulierungen "zunächst"
und "in der Folgezeit" unklar, ob es sich bei dem Komplex "zwei bis drei Gramm Heroin für
130,00 DM" um einen oder mehrere Fälle und bei dem Komplex "Folgezeit" um sieben
oder weniger Fälle handelt.
Was den Schuldspruch wegen Handeltreibens mit Heroin in nicht geringer Menge in
Tateinheit mit unerlaubter Abgabe von Heroin angeht, lässt sich den Feststellungen zum
Wirkstoffgehalt der 50 Gramm Heroin nichts zureichendes entnehmen. Die bloße
Mitteilung, es habe sich um Heroin "mittlerer Qualität" gehandelt, reicht - nach dem oben
Ausgeführten - nicht aus. Diese unbestimmte Qualitätsbezeichnung ermöglicht zudem nicht
die Nachprüfung, ob das Tatbestandsmerkmal "in nicht geringer Menge" des § 29 a Abs. 2
Nr. 2 BtmG erfüllt ist (der Grenzwert der nicht geringen Menge für Heroin beträgt 1,5 Gramm
Heroinhydrochlorid, vgl. Weber aaO, § 29 a Rdnr. 92 mit Nachweisen).
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Im übrigen liegt der (unbestimmten) Qualitätsangabe keine nachvollziehbare
Beweiswürdigung des Amtsgerichts zugrunde. Den Gründen des Urteils lässt sich nicht
entnehmen, aus welchen Beweisergebnissen das Amtsgericht seine Überzeugung, es
habe sich um Heroin mittlerer Qualität gehandelt, gewonnen hat.
Für die neue Hauptverhandlung wird im Hinblick auf die im aufgehobenen Urteil mitgeteilte
Aussage der Zeugin B. auf folgendes hingewiesen:
Schwächt ein Zeuge in der Hauptverhandlung seine ursprünglich den Angeklagten
belastende Aussage ab, muss das Gericht, wenn es die Verurteilung des Angeklagten auf
die Aussage des Zeugen in der Hauptverhandlung stützt, die nicht fernliegende Möglichkeit
in Betracht ziehen, dass der Zeuge eine nicht zutreffende Darstellung wenigstens teilweise
aufrecht erhalten wollte (vgl. BGH StV 1992, 2 und 149; vgl. auch BGH NJW 1998, 3788,
3790 und NJW 1999, 802).