Urteil des OLG Köln vom 30.04.1996

OLG Köln (eheliche wohnung, wiedereinsetzung in den vorigen stand, wohnung, materielles recht, lex fori, beschwerde, kind, 1995, zpo, raum)

Oberlandesgericht Köln, 25 UF 82/96
Datum:
30.04.1996
Gericht:
Oberlandesgericht Köln
Spruchkörper:
25. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
25 UF 82/96
Vorinstanz:
Amtsgericht Köln, 313 F 311/95
Tenor:
Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluß des
Amtsgerichts - Familiengericht - Köln vom 12. Februar 1996 - 313 F
311/95 - wird zurückgewiesen. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens
fallen dem Antragsgegner zur Last.
G r ü n d e
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Die Beschwerde des Antragsgegners ist zulässig, hat aber in sachlicher Hinsicht keinen
Erfolg.
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Das Familiengericht hat die eheliche Wohnung der Parteien für die Dauer des
Getrenntlebens durch den angefochtenen Beschluß der Antragstellerin zur alleinigen
Nutzung zugewiesen. Gleichzeitig hat es dem Antragsgegner aufgegeben, die eheliche
Wohnung zu verlassen und an die Antragstellerin herauszugeben.
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Zwischen den Parteien ist noch kein Ehescheidungsverfahren anhängig. Demgemäß ist
der angefochtene Beschluß in einem isolierten Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit
- Wohnungszuweisungsverfahren nach § 18 a HausratsVO - ergangen. Als für die -
gesamte - Dauer des Getrenntlebens der Parteien getroffene Regelung verkörpert er
eine familiengerichtliche Endentscheidung gemäß den §§ 621 e Abs. 1, 621 Abs. 1 Nr. 7
ZPO; gegen die der dadurch beschwerten Partei - hier: Antragsgegner - gemäß § 621 e
Abs. 1 ZPO die sog. Berufungsbeschwerde als das an sich statthafte Rechtsmittel zu
Gebote steht. Diese Beschwerde muß innerhalb einer einmonatigen Notfrist, die mit der
Zustellung der anzufechtenden Entscheidung zu laufen beginnt, bei dem
Beschwerdegericht eingelegt werden - §§ 621 e Abs. 3 Satz 1, Satz 2, 516 ZPO. Der
Beschluß des Familiengerichts ist dem Antragsgegner zu Händen seines
Verfahrensbevollmächtigten am 5. März 1996 zugestellt worden. Beschwerdegericht ist
gemäß § 119 Abs. 1 Nr. 2 GVG das Oberlandesgericht. Der Antragsgegner hat seine
Beschwerde fehlsam bei dem Amtsgericht eingelegt. Das ist aber unschädlich, wenn die
Akten mitsamt der Beschwerde innerhalb des Laufes der einmonatigen Notfrist vom
Amtsgericht an das Oberlandesgericht weitergeleitet werden und dort rechtzeitig
eingehen (BGH FamRZ 1978, 232). So ist es hier geschehen: das Amtsgericht hat die
Akten incl. Beschwerde an das Oberlandesgericht übersandt, wo sie am 25. März 1996 -
also rechtzeitig - eingegangen sind. Damit ist das auf Gewährung von Wiedereinsetzung
in den vorigen Stand wegen vermeintlicher Versäumung der Beschwerdefrist gerichtete
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Gesuch des Antragsgegners gemäß Schriftsatz vom 20. März 1996 gegenstandslos.
Mit weiterem, am 15. April 1996 bei dem Oberlandesgericht eingegangenen Schriftsatz
hat der Antragsgegner seine Beschwerde frist- und formgerecht begründet; §§ 621 e
Abs. 3 Satz 2, 519 ZPO.
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In sachlicher Hinsicht hat das zulässige Rechtsmittel keinen Erfolg. Der angefochtene
Beschluß erweist sich, auch unter Bedachtnahme auf das Beschwerdevorbringen des
Antragsgegners, als richtig.
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Seine materiellrechtliche Grundlage ist § 1361 b Abs. 1 Satz 1 BGB: die Zuweisung der
ehelichen Wohnung der Parteien an die Antragstellerin zur fortan alleinigen Benutzung
durch sie unter gleichzeitiger Entsetzung des Antragsgegners aus der ehelichen
Wohnung ist nach dem Ergebnis der im ersten Rechtszuge durchgeführten
Amtsermittlungen auch zur Überzeugung des Senats unabweisbar geboten, um eine
schwere Härte zu vermeiden, was Voraussetzung für den Erlaß der vom Familiengericht
getroffenen Entscheidung ist.
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Vorab ist anzumerken, daß nicht türkisches, sondern deutsches materielles Recht - die
vorgenannte Vorschrift - einschlägig ist. Das ergibt sich unbeschadet der türkischen
Staatsangehörigkeit der Parteien aus Art. 18 Abs. 1 EGBGB, wenn man mit einer von
Teilen der Rechtsprechung und des Schrifttums vertretenen Ansicht davon ausgeht, die
mit der gerichtlichen Regelung der Rechtsverhältnisse an der ehelichen Wohnung
verbundenen Fragen seien im weiteren Sinne Bestandteil des ehelichen
Unterhaltsrechts (so OLG Düsseldorf NJW 1990, 3091; OLG Karlsruhe FamRZ 1993;
1464; Weber IPRax 1990, 95). Nichts anderes gilt, wenn davon ausgegangen wird, Art.
14 Abs. 1 Nr. 1 EGBGB sei einschlägig (vergl. vor allem OLG Stuttgart FamRZ 1990,
1354 mit eingehender Begründung). Dann gilt zwar mit Blick auf die gemeinsame - und
alleinige - türkische Staatsangehörigkeit der Parteien grundsätzlich materielles
türkisches Rechts. Das türkische Recht kennt aber gemäß Art. 137 ZGB nur während
eines Ehescheidungsprozesses die Möglichkeit, die Rechtsverhältnisse an der
ehelichen Wohnung durch gerichtliche Entscheidung zu regeln. In einem solchen, auch
vorliegend einschlägigen Fall, wo die ausländische Rechtsordnung keine Regelung
vorsieht, muß aber diese Lücke gemäß dem Grundsatz der lex fori durch Anwendung
des am Gerichtsort geltenden materiellen Rechts, hier also durch Anwendung
deutschen Rechts geschlossen werden. Das gilt gerade in Fällen der vorliegend
einschlägigen Art: es wäre unerträglich, mit deutschem Rechtsverständnis ganz
unvereinbar, daß mangels Möglichkeit gerichtlicher Regelung die eheliche Wohnung
dem Stärkeren überlassen werden und der Schwäche weichen müßte (vergl. AG
Recklinghausen FamRZ 1995, 677 unter zutreffendem Hinweis auf Art. 6 EGBGB;
Palandt-Heldrich, BGB, 55. Aufl., Art. 14 EGBGB Rz 18 mit weiteren Nachweisen aus
der Rechtsprechung).
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Die Voraussetzungen der Wohnungszuweisung gemäß § 1361 b BGB liegen vor.
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Aus der Ehe der Parteien stammt die am 27.05.1995 geborene, gegenwärtig knapp
einjährige Tochter S.. Der Senat ist davon überzeugt, daß der Antragsgegner zur Zeiten
des Zusammenlebens der Parteien dieses kleine Kind, wenn es nachts wach wurde und
schrie, wodurch er aufwachte, wiederholt heftig geschüttelt und obendrein geschlagen
hat, wovon es mindestens in einem Fall sichtbare Spuren davontrug. Das hat die
Antragstellerin in ihrer sehr detaillierten eidesstattlichen Versicherung vom 6. Dezember
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1995 glaubhaft geschildert. Ferner sind diese Mißhandlungen des Kindes - anders läßt
sich das unglaubliche Verhalten des Antragsgegners nicht beschreiben - durch die
Aussage des Zeugen A. V., des Bruders der Antragstellerin und Schwagers des
Antragsgegners, bei seiner erstinstanzlichen Vernehmung im Termin vom 9. Februar
1996 bewiesen worden: nachdem er den Antragsgegner wegen dieser Vorkommnisse
mit entsprechenden Vorhaltungen zur Rede gestellt hatte, gab der Antragsgegner zu,
das Kind geschlagen zu haben und "entschuldigte" sich damit, daß er es nervlich nicht
durchhalte, wenn er wegen des Kindergeschreis nachts nicht schlafen könne. Die
eheliche Wohnung der Parteien besteht neben Küche und Dusche aus einem einzigen
Raum. Damit sind weitere Mißhandlungen des Kindes durch den Antragsgegner
vorprogrammiert - der Antragsgegner kann sich ganz offensichtlich nicht beherrschen
und die 3-köpfige Familie müßte ohne jede Ausweichmöglichkeit auf engstem Raum
zusammenleben. Diese schwere, durch das Fehlverhalten des Antragsgegners und
sonst nichts hervorgerufene Härte kann nur so beseitigt werden, daß es bei dem
angefochtenen Beschluß verbleibt.
Desweiteren hat die vom Familiengericht durchgeführte Beweisaufnahme ergeben, daß
der Antragsgegner zu Zeiten des ehelichen, häuslichen Zusammenlebens der Parteien
auch die Antragstellerin wiederholt geschlagen hat, und daß es nach der räumlichen
Trennung der Parteien in der Wohnung der Eltern der Antragstellerin am 14. und 16.
Dezember 1995 zu tätlichen Auseinandersetzungen zwischen ihren
Familienangehörigen und dem Antragsgegner gekommen ist, den es nicht einmal
gestört hat, daß ihm sein Schwager - der Zeuge A. V. - am 14. Dezember 1995
Hausverbot erteilt und die Polizei hinzugerufen hatte, denn zwei Tage später ging es
erneut zur Sache. Dabei ist es für die vom Senat zu treffende Entscheidung ohne
Belang, worauf es letztlich zurückzuführen ist, daß der Antragsgegner die Antragstellerin
geschlagen hat und an den beiden vorgenannten Tagen in tätliche
Auseinandersetzungen mit ihren Familienangehörigen verwickelt war. Von
ausschlaggebender Bedeutung ist sein durch nichts zu billigendes oder auch nur zu
entschuldigendes Fehlverhalten gegenüber dem knapp einjährigen Kind der Parteien,
wobei nach allgemeiner Lebenserfahrung damit gerechnet werden muß, daß es zu
weiteren tätlichen Übergriffen des Antragsgegners gegen das Kind kommen wird, wenn
die Familie weiter wie bisher auf engsten Raum zusammenleben würde. Das aber kann
unter keinen Umständen verantwortet und hingenommen werden, zumal sich derartige
Entgleisungen erfahrungsgemäß nicht verlieren oder abschwächen, sondern steigern,
wenn ihnen nicht Einhalt geboten wird. Die übrigen "Auftritte" des Antragsgegners, wie
sie vorstehend kurz beschrieben wurden, runden das Bild nur ab.
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Der Antragsgegner kann die Antragstellerin auch nicht darauf verweisen, sie solle mit
dem Kind bei ihren Eltern wohnen bleiben. Dort wohnen auf einer Gesamtfläche von 54
qm schon drei andere erwachsene Personen - Eltern und Bruder der Antragstellerin -, so
daß da für die Antragstellerin und das Kind der Parteien auf Dauer kein Platz ist.
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Ebenso spielt es keine Rolle, ob und wielange die Antragstellerin bei der Stadt Köln als
wohnungssuchend gemeldet ist, solange sie keine andere Wohnung hat, wofür nach
Aktenlage nichts ersichtlich ist.
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Schließlich ist im vorliegenden Verfahren nicht zu klären, ob allein die Antragstellerin
oder beide Parteien oder der Bruder des Antragsgegners oder seine Mutter Mieter der
ehelichen Wohnung sind. Abgesehen davon, daß kein Mietvertrag vorgelegt wurde, um
diesen "Dunstkreis" aufzuhellen, geht es hier nur um die Regelung des internen
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Wohnungsverhältnisses zwischen den Eheleuten.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 20 HausratsVO.
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Beschwerdewert: 500,-- DM mtl. Miete x 6 = 3.000,-- DM.
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