Urteil des OLG Köln vom 17.02.1999

OLG Köln (verurteilung, abgabe, stgb, annahme, bestand, kauf, vorsatz, angabe, zeuge, strafzumessung)

Oberlandesgericht Köln, Ss 47/99 - 22 -
Datum:
17.02.1999
Gericht:
Oberlandesgericht Köln
Spruchkörper:
1. Strafsenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
Ss 47/99 - 22 -
Tenor:
Unter Verwerfung der weitergehenden Revision zum Schuldspruch wird
das angefochtene Urteil dahin abgeändert, daß die Verurteilung wegen
versuchter Abgabe von Betäubungsmitteln an Minderjährige entfällt.
Im Rechtsfolgenausspruch wird das angefochtene Urteil aufgehoben
und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung - auch über die
Kosten der Revision an eine andere Strafkammer des Landgerichts Köln
zurückverwiesen.
G r ü n d e :
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Das Amtsgericht hat den Angeklagten wegen Handels mit Betäubungsmitteln in
Tateinheit mit versuchter Abgabe von Betäu-bungsmitteln an Minderjährige zu einer
Freiheitsstrafe von acht Monaten verurteilt. Das Landgericht hat die Berufung des
Angeklagten als unbegründet verworfen. Es hat zum Schuldspruch folgendes
festgestellt :
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"Am 3.12.1997 bot der Angeklagte den beiden Jugendlichen M. Y., geboren am
xx.xx.xxxx, und R. K., geboren am xx.xx.xxxx, auf der Rolltreppe, die von der U-
Bahn-Haltestelle F.platz in Köln zur darüberliegenden Zwischenebene führt,
Heroin zum Kauf an. Dabei verwies er auf die gute Qualität. Die beiden
Jugendlichen, die kein Interesse am Ankauf von Rauschgift hatte, ließen den
Angeklagten stehen und meldeten den Vorfall einer zufällig vorbeikommenden
Polizeistreife. Die sofort erfolgte Nachschau auf den Bahnsteigen der U-Bahn blieb
erfolglos. Beim Zusammentreffen der Suchtrupps auf der Zwischenebene wurde
der Angeklagte dort von den beiden Jugendlichen entdeckt und identifiziert."
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Die Einlassung der Angeklagten, er habe sein Leben mit Drogen kaputt gemacht und
deswegen noch nie Drogen an Dritte weitergegeben, hat das Landgericht aufgrund der
Zeugenaussagen der beiden Jugendlichen und der von ihnen informierten
Polizeibeamten für widerlegt gehalten. Bei der Strafzumessung ist das Landgericht
davon ausgegangen, daß es sich bei der Abgabe von Betäubungsmitteln an
Minderjährige um einen minder schweren Fall im Sinne von § 29 a Abs.2 BtMG handle.
Zur Begründung ist u.a. ausgeführt, daß eine erheblich verminderte Steuerungs-
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fähigkeit des Angeklagten zur Tatzeit im Sinne von § 21 StGB nicht ausgeschlossen
werden könne, weil die Lebensgewohnheiten des Angeklagten die Annahme
nahelegten, daß dieser unter Drogeneinfluß stand, und der Angeklagte nach Angabe
der beiden Jugendlichen und des Zeugen W. einen benommenen Ein-druck gemacht
habe, schwankte und eine undeutliche Aussprache hatte, obwohl Alkoholgeruch bei ihm
nicht festzustellen gewesen sei. Anhaltspunkte für eine Schuldunfähigkeiten des
Angeklagten im Sinne von § 20 StGB hätten sich dagegen nicht ergeben.
Die Revision rügt die Verletzung materiellen Rechts.
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Die damit erhobene allgemeine Sachrüge hat in dem aus dem Tenor ersichtlichen
Umfang Erfolg.
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Die Verurteilung der Angeklagten wegen Handels mit Betäu-bungsmitteln (§ 29 Abs.1
Nr.1 BtMG ) läßt keinen Rechtsfehler erkennen . Nach den dazu getroffenen
Feststellungen, zu denen die vorhandenen Beweise ausreichend gewürdigt sind, hat
der Angeklagte den Zeugen Y. und K. Heroin zum Kauf ange-boten. Ein solches
Kaufangebot stellt ein Handeltreiben im Sinne des Betäubungsmittelrechts dar. Daß die
Zeugen an dem Kaufangebot nicht interessiert waren, ist dafür unerheblich, weil bereits
die auf den eigennützigen Güterumsatz gerichtete Tätigkeit unter den Begriff des
Handeltreibens fällt ( vgl. Endriß, Verteidigung in Betäubungsmittelverfahren [1998], §
12 Rdn 1, 4 m.w.N.).
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Die Verurteilung wegens eines tateinheitlich mit dem Verstoß gegen § 29 Abs. 1 Nr. 1
BtGMG begangenen Versuchs der Abgabe von Betäubungsmitteln an Minderjährige ist
nicht rechts-fehlerfrei. Die dazu getroffenen Feststellungen sind materiell- rechtlich
unvollständig und tragen die Verurteilung nicht.
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Die Annahme eines Verstoßes gegen § 29 Abs. 1 Nr.1 a BtMG setzt voraus, daß der
Adressat der Tathandlung eine Person unter 18 Jahren ist und der Täter die
Minderjährigkeit kennt oder jedenfalls in Betracht zieht ( vgl. Körner, BtMG 4. Aufl., § 29
a Rdn 14). Bei der Minderjährigkeit des Adressaten handelt es sich um ein
Tatbestandsmerkmal, dessen Kenntnis nach § 16 Abs. 1 StGB Voraussetzung für die
Annahme vorsätzlichen Han-delns und damit nach § 15 StGB für die Strafbarkeit der Tat
ist. Insoweit kann für die Bestimmung des § 29 Abs. 1 Nr.1 a BtMG, die dem besonderen
Schutz der Jugend vor den Auswirkungen der ille-galen Drogenszene dienen soll ( vgl.
BGH NStZ 1997, 89, 90; Körner, a.a.O., § 29 a Rdn 1), nichts anderes gelten als für
andere Straftatbestände, die den Schutz Minderjähriger zum Gegenstand haben.
Vorsatz in Bezug auf das Alter des Opfers ist dort jeweils als mindestens bedingter
erforderlich (vgl. Tröndle, StGB 48. Aufl., § 15 Rdn 3,11a; § 176 Rdn 12; § 180 Rdn 24 ;
§ 235 Rdn 9; § 236 Rdn 6). Auch der Täter des § 29 Abs. 1 Nr.1 a BtMG muß daher bei
der (versuchten) Abgabe von Betäubungsmitteln aktuell zumindest mit der Möglichkeit
rechnen, daß es sich bei dem Adressaten der Handlung um einen Minderjährigen
handelt.
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Dem angefochtenen Urteil lassen sich entsprechende Feststel-lungen zum Vorsatz des
Angeklagten nicht entnehmen. Allein aus dem Alter der beiden Jugendlichen zum
Tatzeitpunkt am 3.12. 1997 kann nicht auf ein entsprechendes Bewußtsein des Ange-
klagten geschlossen werden. Immerhin war der am xx.xx.xxxx geborene Zeuge M. Y. xx
3/4 Jahre und der am xx.xx.xxxx geborene Zeuge R. K. bereits über xx 1/2 Jahre alt. Es
hätte deshalb Feststellungen dazu bedurft, ob die Jugendlichen zur Tatzeit nach Statur,
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äußerem Erscheinungsbild und Verhalten für minderjährig zu halten waren (vgl. BGH
bei Miebach NStZ 1998, 131) und ob der Angeklagte entsprechende Wahrnehmungen
treffen konnte. Dabei waren die Umstände der Begegnung und vor allem auch der
Zustand des Angeklagten zu berücksichtigen, der nach Angabe der Zeugen einen
benommenen Eindruck machte, schwankte und eine undeutliche Aussprache hatte.
Die Feststellungen zum subjektiven Tatbestand des § 29 a Abs. 1 Nr. 1 a BtMG sind
hiernach nicht ausreichend, so daß die Verurteilung des Angeklagten wegen versuchter
Abgabe von Betäubungsmitteln an Minderjährige keinen Bestand haben kann .
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Weitere Feststellungen, die insoweit zu einer Verurteilung führen könnten, sind auch
unter Berücksichtigung des Gebots umfassender Sachaufklärung und erschöpfender
Beweiswürdigung nach den Gründen der angefochtenen Entscheidung in Verbindung
mit der allgemeinen Lebenserfahrung nicht zu erwarten ( vgl. Senat VRS 86, 127, 129).
Der Senat hält es nach diesen Erkennt-nismöglichkeiten für ausgeschlossen, daß die in
einer neuen Hauptverhandlung möglichen Feststellungen die rechtsfehlerfreie
Verurteilung der Angeklagten wegen eines Verstoßes gegen § 29 a Abs. 1 Nr. 1 a BtMG
tragen. Dementsprechend ist der Schuld-vorwurf des angefochtenen Urteils dahin zu
ändern, daß die Verurteilung wegen versuchter Abgabe von Betäubungsmitteln an
Minderjährige entfällt.
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Nach dem Gesagten kann nur die Verurteilung der Angeklagten wegen Handels mit
Betäubungsmitteln (§ 29 Abs.1 Nr.1 BtMG )
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Bestand haben. Wegen der damit damit gebotenen erneuten Strafzumessung ist die
Sache an die Vorinstanz zurückzuweisen.
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