Urteil des OLG Köln vom 14.07.2006

OLG Köln: nutzungsrecht, inhaber, auflage, rückruf, software, berechtigung, lizenznehmer, erlöschen, miturheber, lizenzgeber

Oberlandesgericht Köln, 6 U 224/05
Datum:
14.07.2006
Gericht:
Oberlandesgericht Köln
Spruchkörper:
6. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
6 U 224/05
Vorinstanz:
Landgericht Köln, 28 O 349/05
Normen:
UrhG §§ 33 S. 2, 34 Abs. 1, 41
Tenor:
Die Berufung des Klägers gegen das am 16. November 2005
verkündete Urteil der 28. Zivilkammer des Landgerichts Köln (28 O
349/05) wird zurückgewiesen.
Dem Kläger werden auch die Kosten des Berufungsverfahrens auferlegt.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann jedoch die
Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aufgrund
des Urteils zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die
Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils
zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird zugelassen.
G r ü n d e :
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I.
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Die B.-Gesellschaft für Beratung, Planung und Organisation von Hard- und Software
GmbH, zu deren Gründungsgesellschaftern der Kläger gehört hat, vertrieb etwa ab dem
Jahre 1990 das für Reifenhändler bestimmte Computerprogramm "S. Q.". Sie besaß das
ausschließliche Nutzungsrecht an diesem Programm einschließlich der Berechtigung,
es zu verändern und weiter zu entwickeln. Der an der Erstellung des Programms
jedenfalls maßgeblich beteiligte Kläger nimmt für sich in Anspruch, dessen alleiniger
Urheber zu sein. Unter dem 24.09.1997 erwarb die Beklagte durch Vertrag mit der B.-
GmbH neben einer Hardware-Ausstattung die Nutzungsrechte an dem Programm "S.
Q.". Begleitend schloss sie mit der GmbH einen Programmwartungsvertrag ab.
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Im Zuge von Auseinandersetzungen zwischen den Gesellschaftern der B.-GmbH wurde
der Kläger im Februar 2001 als Geschäftsführer abberufen. Die GmbH schloss einen
Kooperationsvertrag mit der Firma Q. S. N.- AG, durch den diese mit dem Vertrieb des
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Programms "S. Q." betraut wurde.
In dem Vorprozess 28 O 561/01 LG Köln = 6 U 27/03 OLG Köln ist der AG die
Verwendung des Programms mit der Begründung untersagt worden, der Beklagte sei
zumindest dessen Miturheber und es fehle an seiner gemäß § 34 Abs. 1 Urhebergesetz
erforderlichen Zustimmung zur Übertragung der Nutzungsrechte auf die neue
Gesellschaft.
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Nachdem die B. ihren Geschäftsbetrieb zum 01.09.2001 eingestellt und später
Insolvenzantrag gestellt hatte, erklärte der Kläger mit Schreiben vom 22.07.2003
gegenüber der GmbH den Rückruf der eingeräumten Nutzungsrechte gemäß § 41
Urhebergesetz. Daraufhin hat die B.-GmbH in dem Verfahren 28 O 655/03 LG Köln
gegen den jetzigen Kläger ein Verbot seiner Behauptung erstrebt, das Programm dürfe
von den Kunden nicht mehr oder nur noch eingeschränkt benutzt werden, und mit der
Behauptung, zur Nutzung berechtigt zu sein, die Unterlassung der Programmnutzung
seitens des Beklagten verlangt. Sie hat dazu die Auffassung vertreten, der Rückruf sei
unwirksam, weil der Beklagte (jetziger Kläger) nicht allein Urheber des Programms sei.
Das Landgericht hat seinerzeit den jetzigen Kläger als Alleinurheber des Programms
angesehen und deshalb die damalige Klage abgewiesen. Diese Entscheidung ist
rechtskräftig, nachdem sie durch Senatsurteil vom 08.04.2005
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(6 U 194/04) bestätigt worden ist.
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Im Anschluss an dieses Senatsurteil forderte der Kläger die Beklagte mit Schreiben vom
14.06.2005 auf, die Nutzung des Programms bis zum 28.06.2005 vorläufig einzustellen
und die Erklärung abzugeben, das Programm gegen seinen ausdrücklich erklärten
Willen nicht weiter zu nutzen. Dem entsprach die Beklagte nicht.
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Der Kläger ist der Auffassung, aufgrund des zwischen ihm und der B.-GmbH
festgestellten Rückrufs der Nutzungsrechte nach § 41 Urhebergesetz sei auch
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das Nutzungsrecht der Beklagten erloschen. Der Heimfall der Nutzungsrechte erfolge
auch hinsichtlich der "Enkelrechte". Unabhängig davon habe die Beklagte ohnehin nur
ein einfaches Nutzungsrecht an dem Programm "S. Q." im ursprünglichen Lieferumfang
und Zustand gehabt. Die nachfolgenden upgrades und neue Versionen seien nicht
lizenziert. Auch die Beendigung des Programmwartungsvertrages zwischen der
Beklagten und der Fa. B. zum 01.09.2001 – die nachfolgende Wartung übernahm die Q.
S. N. AG – habe zu einem Ende der von der Fa. B. GmbH abgeleiteten Nutzungsrechte
geführt.
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Der Kläger hat beantragt,
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1. die Beklagte zu verurteilen, bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung
fälligen Ordnungsgeldes bis zu 250.000,00 €, ersatzweise Ordnungshaft bis zu 6
Monaten, im Wiederholungsfall Ordnungshaft bis zu 2 Jahren, es zu unterlassen,
die Software "S. Q." zu nutzen,
2. an ihn einen gemäß § 287 Abs. 1 ZPO in das Ermessen des Gerichts gestellten
Betrag nebst 5% Zinsen seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
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Die Beklagte hat beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Sie behauptet, dass Programm "S. Q." sei in der gemeinsamen Urheberschaft mehrerer
Personen entwickelt worden. Die ehemaligen Mitgesellschafter der B. GmbH T. und H.
sowie auch die Herren Dr. F. und X. hätten mit urheberrechtlich geschützten Beiträgen
die Entwicklungsarbeiten mitgestaltet. Darauf komme es aber nicht einmal entscheidend
an. Ihr sei nämlich von der Fa. B. GmbH ein zeitlich unbeschränktes Nutzungsrecht an
dem Programm eingeräumt worden. Dieses Nutzungsrecht sei auch bei einer
Wirksamkeit des von dem Kläger erklärten Rückrufs nach § 41 UrhG nicht entfallen.
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Das Landgericht hat sich der Rechtsauffassung der Beklagten angeschlossen und die
Klage abgewiesen. Dagegen richtet sich die Berufung des Klägers, der seine
erstinstanzlich formulierten Klageanträge weiter verfolgt und seine Rechtsansichten
vertieft.
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Die Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil und beantragt, die Berufung
zurückzuweisen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Streitstoffes nimmt der Senat auf die tatsächlichen
Feststellungen in dem angefochtenen Urteil Bezug.
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II.
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Die Berufung des Klägers ist nicht begründet. Das Landgericht hat seine Klage mit
Recht abgewiesen. Ein etwaiger, nach § 41 UrhG wirksam ausgeübter Rückruf hat nicht
zum Verlust auch der Enkelrechte geführt (unten Ziffer 1). Das Nutzungsrecht des
Beklagten ist auch nicht aus anderen Gründen untergegangen (unter Ziffer 2).
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1.
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Der Senat unterstellt ebenso wie das Landgericht, dass der Kläger der alleinige Urheber
der Software "S. Q." gewesen ist und – ohne die Zustimmung anderer Miturheber – unter
dem 22.07.2003 das der B. GmbH eingeräumte Nutzungsrecht nach § 41 UrhG wirksam
zurückgerufen hat. Dadurch ist nach Auffassung des Senats das dem Beklagten seitens
der Fa. B. eingeräumte einfache Nutzungsrecht nicht erloschen.
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a) Nach § 41 Abs. 5 UrhG erlischt das ausschließliche Nutzungsrecht, das der Urheber
einem anderen eingeräumt hat, mit Wirksamwerden des Rückrufs. Eine ausdrückliche
Regelung, welches Schicksal die weiteren Nutzungsrechte nehmen, die der
Rückrufadressat und Inhaber des ausschließlichen Nutzungsrechtes Dritten eingeräumt
hat, findet sich in § 41 UrhG nicht.
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b) Die – soweit ersichtlich – überwiegende Meinung nimmt an, dass mit dem
Wirksamwerden des Rückrufs auch die vom Inhaber des ausschließlichen Nut-
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zungsrechtes Dritten (den sogenannten Enkeln) eingeräumten Nutzungsrechte
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gleichfalls erlöschen. Das Erlöschen des dem Lizenznehmer eingeräumten
Nutzungsrechts sei die Konsequenz dessen, dass es als "Enkelrecht" vom
"Tochterrecht" des Lizenzgebers abhängig sei. Falle das Tochterrecht an den Urheber
zurück und vereinige es sich mit dessen umfassenden Urheberrecht als "Mutterrecht",
so werde auch die am Tochterrecht anhaftende Befugnis des Lizenznehmers wieder in
das Mutterrecht eingegliedert. Der Lizenznehmer könne nicht mehr an abgespaltenen
Rechten und diese auch nicht länger einräumen, als von seiner eigenen Berechtigung
und damit Verfügungsmacht gedeckt sei. Das Abstraktionsprinzip sei bei
Nutzungslizenzen unanwendbar (vgl. insbesondere Schricker, UrhG, 2. Auflage § 35
Rn. 11 unter Hinweis auf Schricker, Verlagsrecht 3. Auflage § 28 Rn. 27;
Möhring/Nicolini/Spautz, 2. Auflage § 35 Rn. 6; Hertin in Fromm – Nordemann, 9.
Auflage, § 34 Rn. 15; Wandtke/Grunert in Wandtke Bullinger, 2. Auflage, § 35 Rn. 7;
Dreier/Schulze, 2. Auflage, § 35 Rn. 16; Heidelberger Kommentar – Kotthoff, § 35 Rn. 8;
Ulmer, Urheber- und Verlagsrecht, 3. Auflage, § 108 IV2; Wente/Härle GRuR 1997, 96,
99; OLG Hamburg GRuR Int 1998, 431, 435 und GRuR 2002, 335; andere Tendenz bei
Brandi-Dohrn GRuR 1983, 146; Held GRuR 1983, 161; Berger GRuR 2004, 20, 24).
Auch der erkennende Senat geht in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass
grundsätzlich urheberlinzenzrechtlich das Abstraktionsprinzip nicht gilt und bei einem
Rechtsverlust in der Person des Lizenzgebers die von ihm abgeleiteten Rechte eines
Lizenznehmers wieder heimfallen, ohne dass es noch eines besonderen
Verfügungsgeschäftes bedürfte.
c) Eine derartige, aus allgemeinen dogmatischen Grundsätzen abgeleitete Lösung wird
den Interessen der Beteiligten, wie sie sich beim Rückrufsrecht darstellt, nicht gerecht.
Das Rückrufsrecht steht nach § 41 Abs. 1 UrhG dem Urheber dann zu, wenn der Inhaber
eines ausschließlichen Nutzungsrechtes das Recht nicht oder nur unzureichend ausübt
und dadurch berechtigte Interessen des Urhebers erheblich verletzt werden. Eine
typische Ausübung des ausschließlichen Nutzungsrechts wird oft darin bestehen, dass
der Inhaber des
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ausschließlichen Nutzungsrechtes gegen Entgelt einfache Nutzungsrechte verleiht –
gerade so wie im Streitfall, wo es zur Geschäftsidee der B. GmbH gehörte, das
urheberrechtlich geschützte und für Reifenhändler entwickelte EDV-Programm an
Reifenhändler zu lizenzieren. Innerhalb dieser Fallgruppe ist es mithin so, dass der
Inhaber des ausschließlichen Nutzungsrechts dieses Recht dann im Sinne des § 41
Abs. 1 UrhG ordnungsgemäß und "zureichend" ausübt, in dem er finanzielle Vorteile
aus der Einräumung der sogenannten Enkelrechte zieht. Erst der entgegengesetzte
Befund, dass nämlich die B. GmbH eines Tages (wegen Insolvenz) keine weiteren
Enkelrechte mehr verliehen hat, hat die Voraussetzungen für das Rückrufsrecht in der
Person des Klägers als Urheber begründet. Die Einräumung des Enkelrechts an den
Beklagten war mithin ein Ausdruck ordnungsgemäßer "Verwaltung" des
ausschließlichen Nutzungsrechtes durch dessen Inhaber, und das Enkelrecht stünde
hinsichtlich seiner Existenz nicht zur Debatte, wenn der Inhaber des ausschließlichen
Nutzungsrechts weiter in der Anfangs geschehenen Weise tätig geblieben und
zusätzliche Enkelrechte eingeräumt hätte. Es wäre nach Auffassung des Senats ein
innerer Widerspruch, in einer derartigen Situation die abgeleiteten Lizenzen
"heimfallen" zu lassen, nur weil nicht noch genügend andere weitere Lizenzen
vergeben worden sind. Aus der Sicht des einfachen Lizenznehmers ist das nicht
plausibel zu begründen. Aus der Sicht und dem Interesse des Urhebers muss es
genügen, dass das auf der zwischenzeitlichen Untätigkeit des Inhabers des
ausschließlichen Nutzungsrechts begründete Rückrufsrecht für die Zukunft dazu führt,
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dass er – der Urheber – zur Verwertung der Nutzungsrechte nun wieder selbst anstelle
des untätigen vormaligen Inhabers initiativ werden kann. Er hat kein
berücksichtigungswertes Interesse daran, dass auch die zur Zeit der ordnungsgemäßen
Nutzungsrechtsverwaltung eingeräumten einfachen Nutzungsrechte wieder an ihn
zurückfallen mit der Folge, dass dadurch auftretende Unbilligkeiten durch
schuldrechtliche Maßnahmen in den Ketten der Nutzungsberechtigungsverträge wieder
ausgeglichen werden müssten.
d) Der Senat gibt dem nach den Ausführungen oben unter c) der Interessenlage eher
entsprechenden Ergebnis den Vorzug gegenüber der Lösung, die
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sich aus rein dogmatischen Grundsätzen ableitet. Er fühlt sich dazu umso mehr
berechtigt, als nach § 33 S. 2 UrhG ausschließliche wie einfache Nutzungsrechte
gegenüber später eingeräumten Nutzungsrechten wirksam bleiben, auch wenn der
Inhaber des Nutzungsrechtes auf sein Recht verzichtet. In diesem Fall bleibt aufgrund
ausdrücklicher gesetzlicher Bestimmungen der Lizenznehmer am Ende der Kette
Inhaber seines Rechtes, auch wenn der (vormalige) Lizenzgeber, von dem er seine
Rechte ableitet, über keine Rechte mehr verfügt. Es geht, um dies klar zu stellen, dem
Senat insoweit nicht um eine analoge Anwendung des § 33 S. 2, deren Berechtigung im
Streitfall schon deshalb zweifelhaft wäre, weil der Beklagte die Nutzungsrechte an der
Software "S. Q." bereits mit Vertrag vom 23.04.2001 erlangt hat, die Neuregelung des §
33 S. 2 UrhG hingegen nach § 132 Abs. 3 UrhG nur "auf Verträge oder sonstige
Sachverhalte", die vor dem 01.07.2002 geschlossen wurden oder entstanden sind, zur
Anwendung zu bringen ist. Vielmehr ist entscheidend die Erwägung, dass der
Grundsatz, abgeleitete Lizenzrechte müssten mit dem Rechtsverlust beim Lizenzgeber
"automatisch" entfallen, auch vom Gesetzgeber nicht ohne Ausnahme durchgeführt
wird. Er muss daher nicht in jedem Einzelfall gegen eine etwa anderes gebietendes
Interessenlage durchgesetzt werden.
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2.
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Hat danach der Rückruf des Klägers aus § 41 UrhG nicht zum Wegfall des
Nutzungsrechtes des Beklagten geführt, so greifen auch die weiteren von dem Kläger im
Laufe des Rechtsstreits noch ins Feld geführten Argumente nicht durch. Der Kläger hat
insoweit zum einen die Auffassung vertreten, das Nutzungsrecht des Beklagten sei
durch die Kündigung des Programmwartungsvertrages zwischen der B. GmbH und dem
Beklagten entfallen. Zum zweiten meint er, die Veränderungen des Programmes und
seiner Versionen bei der Beklagten hätten zu einer Verletzung seiner Urheberrechte
geführt. Beide Argumente hält auch der Senat nicht für stichhaltig. Er beruft sich zur
Begründung auf die eingehenden Ausführungen in dem angefochtenen Urteil unter
Ziffer 2 a) bis c). Die dortigen Ausführungen macht sich der Senat zu eigen.
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3.
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Die Berufung war daher mit der Kostenfolge des § 91 ZPO zurück zu weisen.
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Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit des Urteils ergibt sich aus den
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§§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
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Der Senat hat die Revision zugelassen, weil die Frage, wie sich der Rückruf aus § 41
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UrhG auf die Existenz vorhandener "Enkelrechte" auswirkt, höchstrichterlich noch nicht
geklärt ist und grundsätzliche Bedeutung hat.