Urteil des OLG Köln vom 24.03.2004

OLG Köln: unterbringung, schutzwürdiges interesse, psychisch kranker, psychose, behandlung, rechtswidrigkeit, gefährdung, nahrungsaufnahme, öffentlich, krankheit

Oberlandesgericht Köln, 16 Wx 60/04
Datum:
24.03.2004
Gericht:
Oberlandesgericht Köln
Spruchkörper:
16. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
16 Wx 60/04
Vorinstanz:
Landgericht Köln, 1 T 51/04
Tenor:
Auf die weitere sofortige Beschwerde der Betroffenen vom 12.03.2004
wird der Beschluss der 1. Zivilkammer des Landgerichts Köln vom
20.02.2004 - 1 T 51/04 - aufgehoben.
Es wird festgestellt, dass die durch Beschluss des Amtsgerichts Köln
vom 10.01.2004 - 175a XIV 52046.L - angeordnete vorläufige
Unterbringung der Betroffenen in einem psychiatrischen Krankenhaus
rechtswidrig war.
Die außergerichtlichen Auslagen der Betroffenen werden der S L
auferlegt.
Rechtsbeschwerdewert: 3.000,- EUR
G R Ü N D E
1
Bei der Betroffenen besteht nach fachärztlicher Diagnose eine manische Psychose.
Durch Beschluss vom 10.01.2004 ordnete das Amtsgericht Köln auf den Antrag des
Beteiligten zu 2) auf der Grundlage der §§ 11, 14 PsychKG NW im Wege der
einstweiligen Anordnung die vorläufige Unterbringung der Betroffenen wegen akuter
2
Fremd- und Eigengefährdung in einem psychiatrischen Krankenhaus längstens bis zum
20.02.2004 mit sofortiger Wirksamkeit an. Das Landgericht hat die hiergegen eingelegte
sofortige Beschwerde der Betroffenen, mit der diese nach zwischenzeitlich erfolgter
Entlassung aus der stationären Behandlung die Feststellung der Rechtswidrigkeit der
Unterbringungsmaßnahme begehrt hat, zurückgewiesen.
3
1.
4
Die weitere sofortige Beschwerde der Betroffenen, mit der diese - wie bereits in zweiter
Instanz - die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Anordnung der vorläufigen
5
geschlossenen Unterbringung erstrebt, ist zulässig. Durch die während des
zweitinstanzlichen Verfahrens erfolgte Entlassung der Betroffenen aus der stationären
Behandlung ist das von der Betroffenen zunächst mit dem Ziel der Aufhebung der
beanstandeten Unterbringungsmaßnahme eingelegte Rechtsmittel unzulässig
geworden. Der Betroffene kann aber mit seinem Rechtsmittel die Feststellung der
Rechtswidrigkeit der - beendeten - Unterbringungsmaßnahme verfolgen, weil er infolge
des mit der Unterbringungsmaßnahme verbundenen tiefgreifenden Grundrechtseingriffs
ein schutzwürdiges Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit des Eingriffs hat
(vgl. BayObLG NJW-RR 2004, 8; Marschner/Volckart, Freiheitsentziehung und
Unterbringung, 4. Aufl., D 13).
2.
6
Das Rechtsmittel hat auch in der Sache selbst Erfolg.
7
Die Entscheidungen des Amts- und Landgerichts sind nicht frei von Rechtsfehlern (§§
27 Abs. 1 FGG, 545, 546, 559 ZPO).
8
Das Landgericht hat ausgeführt: Die Unterbringung der Betroffenen, die nach dem dem
Antrag des Beteiligten zu 2) beigefügten ärztlichen Attest vom 09.01.2004 an einer
Psychose leide, sei nach § 11 PsychKG NW zu Recht angeordnet worden. In dem
ärztlichen Attest werde eine weitere Progredienz dieser Psychose bis zu einer völligen
körperlichen Erschöpfung der Betroffenen bescheinigt. Hinzu träten Hämatome, die sich
die Betroffene selbst zugefügt habe. Die Abmagerung der Betroffenen sei alarmierend.
Die in dem ärztlichen Attest enthaltenen Angaben seien im Rahmen persönlichen
Anhörung der Betroffenen durch den Richter des Amtsgerichts bestätigt worden. Die
festgestellten Befunde würden eine sofortige Behandlung unter geschlossenen
Bedingungen gebieten.
9
Diese Ausführungen halten der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
10
Nach § 11 Abs. 1 PsychKG NW ist die Unterbringung von Personen, die an einer
Psychose leiden, zulässig, wenn und solange durch ihr krankheitsbedingtes Verhalten
gegenwärtig eine erhebliche Selbstgefährdung oder eine erhebliche Gefährdung
bedeutender Rechtsgüter anderer besteht, die nicht anders abgewendet werden kann.
Gegenwärtig ist die Gefahr gemäß Absatz 2 der genannten Vorschrift, wenn ein
schadensstiftendes Ereignis unmittelbar bevorsteht oder sein Eintritt zwar
unvorhersehbar, wegen besonderer Umstände jedoch jederzeit zu erwarten ist.
11
Die Vorinstanzen haben das Vorliegen einer gegenwärtigen Gefahrenlage zum
Zeitpunkt der Anordnung der Unterbringungsmaßnahme zu Unrecht bejaht. Dafür, dass
von der Betroffenen eine Fremdgefährdung ausging, fehlen jegliche Anhaltspunkte. Es
bestand auch keine erhebliche Eigengefährdung im Sinne von § 11 Abs. 1 PsychKG,
die eine geschlossene Unterbringung der Betroffenen erforderlich machte.
12
Zwar leidet die Betroffene an einer Psychose und es hatte sich bei ihr nach Absetzen
des ihr verordneten Medikaments Y eine Essstörung eingestellt, aufgrund derer sie
bereits 8 kg abgenommen hatte. Nach ärztlicher Einschätzung war eine weitere
Progredienz der Erkrankung bis zur völligen körperlichen Erschöpfung
höchstwahrscheinlich und jederzeit zu erwarten. Die Betroffene befand sich danach zum
Zeitpunkt der Anordnung der Unterbringungsmaßnahme zweifelsohne in einer
13
gesundheitsgefährdenden Situation. Jedoch rechtfertigt nicht jede Gefährdung der
eigenen Gesundheit eine geschlossene Unterbringung.
Die öffentlich-rechtliche Unterbringung dient auch im Falle der Selbstgefährdung in
erster Linie dem Allgemeininteresse (vgl. Marschner/Volckart, a.a.O., B 36, 136). Sie ist
zwar nicht nur dann zulässig, wenn sie der Schutz der Allgemeinheit verlangt, sondern
kann sich auch durch den Schutz des Betroffenen rechtfertigen (vgl. BVerfG NJW 1982,
691 ff.). Jedoch gibt der Umstand, dass ein psychisch Kranker infolge seines
Krankheitszustandes und der damit verbundenen fehlenden Einsichtsfähigkeit die
Schwere seiner Erkrankung und die Notwendigkeit von Behandlungsmaßnahmen nicht
zu erkennen vermag oder trotz einer solchen Erkenntnis sich infolge der Krankheit nicht
zu einer Behandlung entschließen kann, der staatlichen Gemeinschaft nicht
ausnahmslos die Befugnis zur Anordnung von Unterbringungsmaßnahmen, weil schon
im Hinblick auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz bei weniger gewichtigen Fällen eine
derart einschneidende Maßnahme unterbleiben muss und somit auch dem psychisch
Kranken in gewissen Grenzen die "Freiheit zur Krankheit" belassen bleibt (vgl. BVerfG,
a.a.O.). Danach können nur Selbstgefährdungen von erheblichem Gewicht, die der
Allgemeinheit - wie im Falle des Suizids - nicht zumutbar sind, eine öffentlich-rechtliche
Unterbringung rechtfertigen (vgl. Marschner/Volckart, a.a.O., B 137). Die Grenzziehung
im Einzelnen bereitet im Bereich der Gefährdung der eigenen Gesundheit
Schwierigkeiten. Der erforderliche Schweregrad soll jedenfalls erreicht sein, wenn der
Betroffene sich selbst verstümmelt, die Nahrungsaufnahme krankheitsbedingt
verweigert und zu verhungern droht oder die Einnahme lebenswichtiger Medikamente
ablehnt (vgl. Marschner/Volckart, a.a.O., B 138). Eine derart schwerwiegende
Gesundheitsgefährdung ist im vorliegenden Fall, in dem die Betroffene zwar nicht in
ausreichendem Maß Nahrungsmittel zu sich nimmt und aufgrund dessen bereits
erheblich an Gewicht verloren hat, hierdurch jedoch (noch) nicht zu verhungern droht,
nicht gegeben.
14
Im übrigen stehen in den Fällen der krankheitsbedingten Verweigerung der
Nahrungsaufnahme bzw. Medikamenteneinnahme zunächst weniger einschneidende
Maßnahmen als eine Unterbringung zur Verfügung. In derartigen Fällen kann zunächst
versucht werden, der krankheitsbedingten Gesundheitsgefährdung durch die Bestellung
eines Betreuers mit dem Aufgabenkreis der Gesundheitsfürsorge entgegen zu wirken.
Denn es besteht die Möglichkeit, dass der Betreuer den Betroffenen durch positive
Einflussnahme zur Nahrungsaufnahme bzw. Medikamenteneinnahme bewegen kann.
15
Das Rechtsbeschwerdeverfahren ist gerichtsgebührenfrei, § 128 b KostO. Die Auslagen
der Betroffenen waren der S L nach § 13 a Abs. 2 Satz 3 FGG i.V.m. § 13 a Abs. 1 Satz
2 FGG als derjenigen Gebietskörperschaft, welcher der Beteiligte zu 2) angehört,
aufzuerlegen, da das Verfahren ergeben hat, dass ein begründeter Anlaß, den
Unterbringungsantrag zu stellen, nicht vorgelegen hat.
16