Urteil des OLG Köln vom 07.05.1998

OLG Köln (kläger, fahrzeug, höhe, unfall, höchstgeschwindigkeit, lasten, fahrspur, verkehrsinsel, betriebsgefahr, mitverschulden)

Oberlandesgericht Köln, 18 U 241/97
Datum:
07.05.1998
Gericht:
Oberlandesgericht Köln
Spruchkörper:
18. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
18 U 241/97
Vorinstanz:
Landgericht Aachen, 11 0 54/95
Tenor:
Auf die Berufung des Klägers wird - unter Zurückweisung des
Rechtsmittels im übrigen - das am 21. August 1997 verkündete Urteil der
11. Zivilkammer des Landgerichts Aachen - 11 0 54/95 - teilweise
abgeändert. Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an
den Kläger 4.221,64 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 28.1.1995 zu
zahlen. Die weitergehende Klage wird abgewiesen. Die Kosten des
Berufungsverfahrens tragen der Kläger zu einem Drittel und die
Beklagten zu zwei Dritteln. Die Kosten des erstinstanzlichen
Rechtsstreits tragen der Kläger zu 58 % und die Beklagten zu 42 %. Das
Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
1
Die Berufung ist teilweise begründet.
2
Dem Kläger steht gegen die Beklagten als Gesamtschuldner gemäß §§ 7 Abs. 1, 17
StVG, 3 PflVersG ein Anspruch auf Ersatz von einem Drittel des bei dem Verkehrsunfall
vom 13.10.1994 in H. erlittenen, der Höhe nach unstreitigen Schadens von 12.664,92
DM zu.
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Der Kläger begehrt mit der Berufung noch Ersatz von 50 % des Schadens, räumt also
ein, daß der Unfall für ihn kein unab-wendbares Ereignis iS von § 7 Abs.2 StVG
dargestellt hat und seinem Sohn als Fahrzeugführer auch ein gewisses Mitverschulden
anzulasten ist.
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Die nach § 17 StVG gebotene Abwägung der Verschuldensanteile kann entgegen der
Auffassung des Landgerichts nicht zum Aus-schluß der beim Zusammenstoß mehrerer
Fahrzeuge grundsätzlich bestehenden Ersatzpflicht des Fahrzeughalters und seiner
Haft-pflichtversicherung führen.
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Voraussetzung dafür wäre, daß dem Beklagten zu 1. als Fahrzeugführer kein
Mitverschulden angelastet werden könnte und die Betriebsgefahr seines Fahrzeugs
gegenüber einem wegen groben Verschuldens ganz überwiegenden Ver-
ursachungsanteil des Unfallgegners zurücktreten würde. Dieses Voraussetzungen sind
hier nicht gegeben.
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Allerdings ist eine wesentliche Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit
durch den Sohn des Klägers bewiesen.
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Die Feststellung des Sachverständigen Dr.-Ing. P., daß das Fahrzeug des Klägers vor
dem Unfall mit einer Mindestge-schwindigkeit von 98 km/h gefahren und die zulässige
Höchstgeschwindigkeit damit um ca. 96 % überschritten worden ist, wird von dem
Kläger nicht angegriffen. Der Kläger meint aber, dem Beklagten zu 1. sei ein erheblicher
Verursachungsbeitrag anzulasten. Er habe die Vorfahrt verletzt und bei dem guten
Ausbauzustand und der Streckenführung der bevorrechtigten Straße durch unbebautes
Gelände mit deutlich höheren Geschwindigkeiten als innerorts zulässig rechnen
müssen.
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Von einer Vorfahrtverletzung, d.h einem Verstoß des Beklagten zu 1. gegen § 8 StVO
kann allerdings nicht ausgegangen werden. Ein zu beachtendes Vorfahrtrecht besteht
nur dann, wenn in dem Augenblick, in welchem der wartepflichtige Verkehrsteilnehmer
mit dem Einfahren in die Vorfahrtstraße beginnt, das berechtigte Fahrzeug bereits
sichtbar geworden ist. Die bloße Möglichkeit, daß auf der Vorfahrtstraße ein anderes
Fahrzeug herannahen könnte, löst noch keine Wartepflicht aus (BGH NZV 1994, 184
m.w.N.). Bei der Abwägung der Verursachungsbeiträge dürfen nur bewiesene oder
unstreitige Tatsachen zu Lasten des jeweiligen Unfallbeteiligten berücksichtigt werden.
Der Beklagte zu 1. hat nach den mit der Berufung ebenfalls nicht angegriffenen Fest-
stellungen des Sachverständigen Dr.-Ing. P. beim Ein-biegen in die Vorfahrtstraße das
herannahende Fahrzeug mög-licherweise noch nicht bemerken können, weil seine
Sicht durch eine Kuppe eingeschränkt war.
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Auch wenn dem Beklagten zu 1. hiernach keine Verletzung der Wartepflicht nach § 8
StVO anzulasten ist, liegt aber ein fahrlässiger Verkehrsverstoß vor. Wenn der zunächst
Warte-pflichtige berechtigt in die Kreuzung bzw. Einmündung eingefahren ist, richten
sich die Verhaltenspflichten der beteiligten Kraftfahrer für die nun entstandene
Verkehrssituation nach den Grundregeln des § 1 StVO (BGH a.a.O.). Diese verlangen
ständige Vorsicht und gegenseitige Rücksicht aller Verkehrsteilnehmer.
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Der Einbiegende hat deshalb dem Umstand Rechnung zu tragen, daß das Einfahren in
die Fahrbahn des herannahenden Kraft-fahrers besondere Gefahren mit sich bringt, die
ihn zu besonderer Sorgfalt verpflichten und ihn dazu nötigen, zur Vermeidung eines
Unfalls das ihm Mögliche zu tun (BGH a.a.O.).
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Um dieser Sorgfaltspflicht nachzukommen, hätte der Beklagte zu 1) sich angesichts der
durch die Straßenkuppe für ihn begrenzten Sicht in die Vorfahrtstraße hineintasten
müssen. Dies war hier ohne weiteres möglich, weil auf dem mittleren, durch die
Abbiegespur auf der Vorfahrtstraße gebildeten Fahrstreifen neben der Verkehrsinsel
gefahrlos hätte angehalten werden können. Jedenfalls hätte der Beklagte zu 1) an
dieser Stelle erneut nach rechts schauen müssen, um sich zu vergewissern, daß kein
Fahrzeug nahte. Dabei hätte er bemerkt, daß er vor dem mit hoher Geschwindigkeit
herannahenden Fahrzeug des Klägers nicht mehr gefahrlos davor auf dessen Fahrspur
einbiegen konnte. Denn die Fahrzeuge sind nach den nicht angegriffenen
Feststellungen des Sachverständigen Dr. P. noch im Einmündungsbereich in Höhe des
Beginns der Verkehrsinsel auf der Fahrspur des Klägerfahrzeugs kollidiert, bevor der
Beklagte zu 1) dort vollständig eingebogen war. Nach seiner Einlassung in der
Klageerwiderung hat der Beklagte zu 1). das Fahrzeug des Klägers aber erst
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wahrgenommen, als er hinter sich ein Bremsenquietschen hörte.
Der Verstoß des Beklagten zu 1) gegen seine Sorgfaltspflichten erhöht die
Betriebsgefahr seines Fahrzeugs derart, daß sein Verursachungsanteil an dem Unfall
nicht völlig hinter dem grob verkehrswidrigen Verhalten des Sohnes des Klägers
zurücktritt.
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Bei der Haftungsverteilung kann die vom Kläger erwähnte Entscheidung des OLG Köln
(Urteil vom 7.2.1997 OLGR 1997, 143) nicht herangezogen werden. Dort war dem
Kläger lediglich anzu-lasten, daß er die schlechte Einsichtsmöglichkeit des Einbie-
genden nicht berücksichtigt hatte. Auch die Entscheidung des BGH (Urteil vom
14.2.1984 , VRS Bd. 67, Nr. 43), auf die sich die Beklagten berufen, betrifft einen anders
gelagerten Fall. Der Geschwindigkeitsüberschreitung von 100 % stand dort eine
Vorfahrtverletzung aus grober Unaufmerksamkeit gegenüber. Weil die Geschwindigkeit
des bevorrechtigten Fahrzeugs nur schwer abzuschätzen war, hat der BGH dem
bevorrechtigten Fahrzeug einen Haftungsanteil von 2/3 angelastet.
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Im vorliegenden Fall liegt keine Vorfahrtverletzung vor. Dem Beklagten zu 1) ist nur ein
Verstoß gegen das Gebot der gegenseitigen Rücksichtnahme anzulasten.
Überschreitungen der zulässigen Höchstgeschwindigkeit werden heute u.a. wegen der
großen Verkehrsdichte allerdings sehr viel strenger geahndet, als dies noch zum
Zeitpunkt der vorgenannten Entscheidung des BGH der Fall war. Dies rechtfertigt es,
auch hier von einer Quote von 2:1 zu Lasten des Klägers auszugehen. Die Beklagten
sind dem Kläger deshalb in Höhe von 4.221,64 DM nebst Verzugszinsen in der
gesetzlichen Höhe schadensersatzpflichtig.
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Die Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 92 Abs.1, 97 Abs.1, 708 Nr. 10, 713
ZPO .
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Berufungsstreitwert: 6.332,46 DM
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