Urteil des OLG Köln vom 15.04.1997

OLG Köln (sequestration, kläger, verhältnis zu, anordnung, kenntnis, höhe, sequester, konkurseröffnung, konkursmasse, zeitpunkt)

Oberlandesgericht Köln, 22 U 143/96
Datum:
15.04.1997
Gericht:
Oberlandesgericht Köln
Spruchkörper:
22. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
22 U 143/96
Vorinstanz:
Landgericht Bonn, 7 O 469/95
Normen:
KO § 106; BGB § 407
Leitsätze:
Zwar wird die Sequestration und ein gleichzeitig verhängtes
Veräußerungsverbot bereits mit der richterlichen Anordnung wirksam,
womit auch im Kontokorrentvertrag enthaltene antizipierte Verfügungs-
und Verrechnungsvereinbarungen ihr Ende finden. Jedoch ist eine
verbotswidrig vorgenommene Verfügung gegen das relative
Veräußerungsverbot aus § 106 KO nicht unwirksam, wenn sich der
Erwerber auf guten Glauben berufen kann; § 407 BGB ist analog
anwendbar.
Tenor:
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Landgerichts Bonn
vom 23.05.1996 - 7 O 469/95 - abgeändert und wie folgt neu gefaßt: Die
Klage wird abgewiesen. Die Kosten des Verfahrens beider Instanzen
trägt der Kläger. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Dem Kläger wird
nachgelassen, die Vollstreckung durch die Beklagte durch
Sicherheitsleistung in Höhe von 24.000,-- DM abzuwenden, wenn nicht
die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe
leistet.Die Sicherheitsleistung kann auch durch selbstschuldnerische
Bürgschaft einer deutschen Großbank oder öffentlichen Sparkasse
erbracht werden.
T a t b e s t a n d
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Der Kläger ist Konkursverwalter in dem Konkursverfahren über das Vermögen der Firma
Holz-K. Gebr. K. GmbH.
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Im Rahmen des Verfahrens betreffend den Antrag auf Eröffnung des Konkursverfahrens
über das Vermögen der Gemeinschuldnerin hatte das Amtsgericht Bonn am 22.02.1994
um 10.05 Uhr zur Sicherung der Masse Sequestration angeordnet und ein allgemeines
Veräußerungsverbot verhängt. Zum Sequester war Rechtsanwalt K.-P. H. aus Bad H.
bestellt worden. Eine Veröffentlichung des Beschlusses erfolgte nicht. Er ist der
Beklagten auch nicht in sonstiger Weise durch das Gericht bzw. den Sequester
bekanntgemacht worden.
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Die früheren Geschäftsführer haben die Firma der Gemeinschuldnerin nach
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Sequestrationsanordnung mit Kenntnis und Duldung des Sequesters fortgeführt und
Zahlungsverkehr weiter über das bei der Beklagten unter der Konto-Nr. 2470300/00
unterhaltene Girokonto der Gemeinschuldnerin abgewickelt. Das Konto wurde
durchgehend im Soll geführt. Am Tag vor Erlaß des Sequestrationsbeschlusses betrug
der Debet-Saldo 84.841,17 DM. In dem Zeitraum ab Anordnung der Sequestration bis
zum 30.03.1994 verbuchte die Beklagte auf dem Geschäftskonto Zahlungseingänge in
Höhe von insgesamt 330.804,03 DM, die sie im Rahmen des vereinbarten
kalenderquartalsmäßigen Rechnungsabschlusses zum 30.03.1994 mit dem an diesem
Tage bestehenden Debetsaldo in Höhe von 164.680,06 DM verrechnete.
Am 06.05.1994 wurde über das Vermögen der Gemeinschuldnerin das
Konkursverfahren eröffnet. Die Beklagte kündigte daraufhin mit Schreiben vom
19.5.1994 die Geschäftsverbindung mit der Gemeinschuldnerin und übersandte dieser
einen Rechnungsabschluß per 06.05.1994, der einen Schuldsaldo in Höhe von
209.044,47 DM auswies. Dieser schloß weitere Zahlungseingänge in Höhe von
144.486,10 DM ein, die in der Zeit vom 01.04. - 30.04.1994 auf dem Geschäftskonto
verbucht worden waren.
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Der Kläger, der am 17.07.1995 zum Nachfolger des zunächst zum Sequester und später
auch zum Konkursverwalter bestellten Rechtsanwalts C.-Peter Hill ernannt worden ist,
hat die Auffassung vertreten, die Beklagte habe ab Anordnung der Sequestration keine
Saldierungen und Verrechnungen mehr auf dem Girokonto der Gemeinschuldnerin
vornehmen dürfen. Er hat deshalb die Auszahlung des verrechneten Betrages an die
Konkursmasse verlangt.
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Der Kläger hat beantragt,
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die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger zugunsten der Konkurs-
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masse 475.290,13 DM nebst 4 % Zinsen seit Rechtshängigkeit zu
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zahlen.
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Die Beklagte hat beantragt,
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die Klage abzuweisen,
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hilfsweise ihr zu gestatten, die Zwangsvollstreckung durch Gestellung
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einer eigenen Bankbürgschaft abzuwenden.
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Die Beklagte hat geltend gemacht, daß sie zur Zahlung nicht verpflichtet sei, weil sie
von der Sequestration und dem allgemeinen Veräußerungsverbot keine Kenntnis
erlangt habe.
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Durch Urteil vom 23.05.1996 - 7 O 469/95 -, auf das wegen sämtlicher Einzelheiten
Bezug genommen wird, hat das Landgericht die Beklagte gemäß dem Klageantrag zur
Zahlung verurteilt. Zur Begründung hat das Landgericht ausgeführt, die Verrechnung der
Zahlungseingänge in Höhe von 475.290,13 DM durch die Beklagte sei ohne
Rechtsgrund erfolgt. Mit der Anordnung des Veräußerungsverbots und der damit
verbundenen Sequestration sei die Befugnis der Beklagten, auf dem Kontokorrentkonto
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der Kundin eingehende Zahlungen zu verrechnen, erloschen. Die im
Kontokorrentvertrag enthaltenen antizipierten Verrechnungsabreden würden wegen
ihres verfügungsrechtlichen Charakters von § 106 Abs. 1 S. 3 KO erfaßt.
Gegen dieses ihr 29.05.1996 zugestellte Urteil hat die Beklagte mit am 01.07.1996
eingegangenem Schriftsatz Berufung eingelegt, die sie nach Verlängerung der
Berufungsbegründungsfrist bis zum 21.10.1996 mit am gleichen Tage eingegangenem
Schriftsatz begründet hat.
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Mit der Berufung verfolgt die Beklagte den Antrag auf Klageabweisung weiter. Sie ist der
Auffassung, das Landgericht habe zu Unrecht außer Betracht gelassen, daß sie von der
Anordnung der Sequestration keine Kenntnis gehabt habe. Da das Veräußerungsverbot
nach § 106 KO nur die Wirkungen eines gerichtlichen Veräußerungsverbots i.S.d. § 136
BGB äußere, könne sich ein Kreditinstitut nach § 135 Abs. 2 in Verbindung mit § 407
BGB gegenüber dem Konkursverwalter auf seine Gutgläubigkeit berufen, wenn ihm das
Veräußerungsverbot nicht bekannt gewesen sei. Von dem Sequestrationsbeschluß aber
habe sie erstmals durch Schreiben des Klägers vom 23.08.95 erfahren.
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Die Beklagte beantragt,
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unter Abänderung des Urteils des Landgerichts Bonn vom
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23.05.1996 - Aktenzeichen 7 O 469/95 - die Klage vollum-
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fänglich abzuweisen.
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Der Kläger beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Der Kläger verteidigt unter Wiederholung und Vertiefung seines erstinstanzlichen
Vorbringens das angefochtene Urteil. Er ist der Auffassung, auf eine fehlende Kenntnis
von Sequestration und Veräußerungsverbot komme es nicht an, denn bei
Vorhandensein der Kenntnis würden schon die Anfechtungstatbestände der
Konkursordnung greifen. Die Auffassung der Beklagten laufe darauf hinaus, daß sie
sich in Höhe von DM 475.290,13 DM zu Lasten der nicht weniger gutgläubigen
Gemeinschaft der übrigen Gläubiger vorab und endgültig befriedigen und die zur
Verteilung an alle Gläubiger bestimmte Konkursmasse um diesen Betrag solle
schmälern dürfen. Dies sei unbillig und rechtlich unhaltbar.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den
vorgetragenen Inhalt der von den Parteien gewechselten Schriftsätze und eingereichten
Unterlagen sowie auf den Inhalt der vom Senat beigezogenen Akten 25 N 18/94 AG
Bonn Bezug genommen.
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E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
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Die form- und fristgerecht eingelegte und auch im übrigen zulässige Berufung der
Beklagten hat Erfolg, denn die Beklagte ist nicht verpflichtet, die zwischen
Sequestrationsanordnung und Konkurseröffnung auf dem Geschäftskonto der späteren
Gemeinschuldnerin eingegangenen Geldbeträge zur Konkursmasse zu leisten.
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1.
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Die Beklagte hat in zulässiger Weise die nach Erlaß der Sequestrationsanordnung auf
dem Geschäftskonto der nachmaligen Gemeinschuldnerin eingegangenen Zahlungen
mit dem bestehendem Debet verrechnet bzw. gegenüber diesen Zahlungen mit eigenen
Aufwendungsersatzansprüchen aufgerechnet.
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a)
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Es ist bereits zweifelhaft, ob das gegenüber der nachmaligen Gemeinschuldnerin
verhängte Veräußerungsverbot gegenüber der Beklagten überhaupt zum Tragen
gekommen ist. Unstreitig hat die Gemeinschuldnerin nach dem Sequestrationsbeschluß
vom 22.02.1994 ihre Geschäfte bis zur Konkurseröffnung im Einvernehmen mit dem
gerichtlich bestellten Sequester fortgeführt. Damit ist davon auszugehen, daß der
Sequester seine - zumindest stillschweigende - Zustimmung zu den in diesem Rahmen
erforderlichen Verfügungen erteilt hat und insbesondere auch mit der für die Fortführung
der Geschäfte notwendigen Abwicklung des Giroverkehrs im Rahmen der vertraglichen
Beziehung mit der Beklagten einverstanden war. Dann aber ist im Verhältnis zu den
Gläubigern der Gemeinschuldnerin auch von der Wirksamkeit der in diesem
Zusammenhang erfolgten Verfügungen der Beteiligten dieses Giroverkehrs
auszugehen.
32
b)
33
Ob die Zustimmung des Sequesters vorlag, kann indessen letztlich dahingestellt
bleiben, denn die von der Beklagten vorgenommene Verrechnung ist auch dann als
wirksam anzusehen, wenn von keiner Zustimmung des Sequesters auszugehen sein
sollte.
34
aa)
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Zwar ist mit dem Landgericht davon auszugehen, daß die Sequestration und das
gleichzeitig gegen die nachmalige Gemeinschuldnerin verhängte allgemeine
Veräußerungsverbot bereits mit der richterlichen Anordnung am 22.02.1994 um 10.05
Uhr wirksam geworden ist. Einer Zustellung bedurfte es zur Inkraftsetzung der
Anordnung nicht. Die zweifelsfreie Feststellung des Wirksamwerdens des allgemeinen
Veräußerungsverbots ist durch die Zeitangabe in dem richterlichen Beschluß genauso
gewährleistet, wie wenn man auf den Zeitpunkt der Zustellung abstellt. Ebensowenig ist
die Wirksamkeit des Verfügungsverbots davon abhängig, daß der Adressat das Verbot
kennt. Insoweit gilt bei richterlich angeordneten Verfügungsverboten grundsätzlich
nichts anderes als bei gesetzlich normierten Verfügungsverboten (BGH ZIP 1995, 40,
41).
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bb)
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Im Einklang mit der auch vom Senat geteilten herrschenden Auffassung ist das
Landgericht desgleichen zutreffend davon ausgegangen, daß die zur Sicherung der
Masse angeordnete Sequestration und das allgemeine Veräußerungsverbot nach § 106
KO die im Kontokorrentvertrag enthaltenen antizipierten Verfügungs- und
Verrechnungsvereinbarungen beenden. Da für das Bestehen der Verfügungsmacht der
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Zeitpunkt des Wirksamwerdens eines Rechtsgeschäfts maßgebend ist und nicht der
Zeitpunkt seiner Vornahme, werden diese Vorausverfügungen durch die mit dem
Veräußerungsverbot verbundene Einschränkung der Verfügungsmacht grundsätzlich
hinfällig (vgl. OLG Hamm ZIP 1995, 140 141; Kuhn-Uhlenbruck, Konkursordnung, 11.
Auflage, § 106 Rn. 16, je m.w.N.).
cc)
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Das Verfügungsverbot im Sinne des § 106 KO hat indessen anders als die
Konkurseröffnung nicht schlechthin eine absolute Verfügungssperre zur Folge. Es
äußert vielmehr nur die Wirkungen eines relativen Veräußerungsverbots i.S.d. §§ 135,
136 BGB (h.M., vgl. Kuhn-Uhlenbruck aaO § 106 Rn. 4 m.N.). Folglich ist eine
verbotswidrige Verfügung gemäß §§ 136, 135 Abs. 2 BGB i.V.m. dem entsprechend
anwendbaren § 407 BGB - nur insoweit unwirksam, als sich der Erwerber nicht auf
guten Glauben berufen kann (vgl. OLG Köln WM 1979, 1342, 1344; vgl. auch Kuhn-
Uhlenbruck aaO § 106 Rn. 16d; Canaris ZIP 1986, 1225, 1232; Gerhardt ZIP 1982, 1,
5,). Die entsprechende Anwendung des § 407 BGB ist nach Auffassung des Senats in
diesem Fall gerechtfertigt, weil es ein Gebot der Gerechtigkeit ist, daß die Verfügungen,
die die Bank im berechtigten Vertrauen auf den Fortbestand der Verrechnungsabrede
trifft, im Verhältnis zum Kunden wirksam sind.
40
dd)
41
Da die Beklagte unstreitig vor Konkurseröffnung keine Kenntnis von dem gegen die
Gemeinschuldnerin verhängten - nicht veröffentlichten - allgemeinen
Veräußerungsverbot hatte, kann dieses ihr folglich nicht entgegengehalten werden.
Aufgrund des Gutglaubensschutzes durfte sie ihren Aufwendungsersatzanspruch nach
§§ 675, 670 BGB vielmehr mit den auf dem Girokonto der Kundin eingehenden Geldern
verrechnen. Da der Aufwendungsersatzanspruch der Beklagten aus den während des
Zeitraums zwischen der Verhängung des Veräußerungsverbots und der
Konkurseröffnung im Auftrage der Gemeinschuldnerin ausgeführten Zahlungen den
Betrag der in diesem Zeitraum auf dem Girokonto eingegangenen Zahlungen übersteigt
- das Debet ist im gleichen Zeitraum erheblich angestiegen -, steht dem Kläger nach
alledem ein Anspruch auf Auszahlung der eingezahlten Beträge nicht zu.
42
ee)
43
Entgegen der abweichenden Auffassung des Klägers hat die Beklagte den behaupteten
Aufwendungsersatzanspruch auch hinreichend substantiiert dargelegt. Mit der von ihr
überreichten Kontoverdichtung war der Kläger in die Lage versetzt, die einzelnen
Buchungen an Hand der Buchhaltung der Gemeinschuldnerin zu überprüfen. Daß die
Buchungen der Beklagten mit diesen Unterlagen nicht in Einklang stünden, hat er nicht
konkret dargetan.
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2.
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Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus den §§ 92 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711
ZPO.
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Streitwert für das Berufungsverfahren und zugleich Urteilsbeschwer für den Kläger:
475.290,13 DM
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