Urteil des OLG Köln vom 13.12.2010

OLG Köln (bundesrepublik deutschland, zulässigkeit der rechtshilfe, rechtshilfe in strafsachen, herausgabe von gegenständen, herausgabe, rechtshilfe, daten, beweismittel, aargau, stpo)

Oberlandesgericht Köln, 6 AuslS 121/10
Datum:
13.12.2010
Gericht:
Oberlandesgericht Köln
Spruchkörper:
2. Strafsenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
6 AuslS 121/10
Leitsätze:
Zu den Voraussetzungen der Zulässigkeit der Leistung von Rechtshilfe
gemäß §§ 59, 66 IRG - hier Herausgabe gespiegelter Daten, die bei
einer Wohnungsdurchsuchung sichergestellt worden sind - an die
Schweiz
Tenor:
Die Leistung von Rechtshilfe aufgrund des schweizerischen
Rechtshilfeersuchens des Bezirksamts Z. vom 26.1.2010 ist hinsichtlich
der Herausgabe der gespiegelten Daten von den anlässlich der
Wohnungsdurchsuchungen bei den Betroffenen sichergestellten
Datenträgern (im einzelnen aufgeführt) zulässig.
Die Einwendungen der Betroffenen hiergegen werden zurückgewiesen.
G r ü n d e
1
I.
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Das Bezirksamt Z./Schweiz betreibt wegen des Verdachts der vorsätzlichen Tötung des
deutschen Staatsangehörigen D., der am 27.11.2009 auf einem abgelegenen Fußweg
in K./Aargau erschossen aufgefunden worden ist, ein Ermittlungsverfahren gegen bisher
unbekannte Täter. Mit Schreiben vom 9.12.2009 hat das Bezirksamt um Rechtshilfe
ersucht und in der Folgezeit diverse Ermittlungsmaßnahmen u.a. gegen die Ehefrau des
Getöteten und die gemeinsamen Söhne beantragt. Der Verdacht gegen die
Angehörigen wurde zunächst darauf gestützt, diese hätten äußerst zurückhaltende,
teilweise widersprüchliche und gelegentlich sogar offensichtlich unrichtige Angaben
gemacht. Außerdem habe die Ehefrau, die in der Nacht vom 28. auf den 29.11.2009
über den Todesfall informiert worden ist, bereits bei ihrer Vernehmung am 2.12.2009
ausgesagt, die Unterlagen über eine Lebensversicherung des Getöteten dem Ehemann
ihrer Cousine, der als Rechtsanwalt tätig sei, übergeben zu haben.
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Mit Rechtshilfeersuchen vom 26.1.2010 hat das Bezirksamt Z. u.a. um
Hausdurchsuchungen bei der Ehefrau und einem der Söhne , bei denen sich der
Verstorbene häufiger aufgehalten habe, ersucht. Bei den Hausdurchsuchungen stehe
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im Vordergrund, mehr über die Tätigkeiten und das soziale Umfeld des Verstorbenen zu
erfahren. Die Staatsanwaltschaft K. hat die Rechtshilfe bewilligt und mit Verfügung vom
28.1.2010 beim Amtsgericht K. gemäß §§ 102, 103, 105, 162 StPO die Anordnung der
Durchsuchung der Wohnungen beantragt.
Aufgrund der auf §§ 102, 105, 162 StPO gestützten Beschlüsse des Amtsgerichts K.
vom 2.2.2010 fand am 23.2.2010 die Wohnungsdurchsuchung bei den Betroffenen statt.
Dabei wurden folgende freiwillig herausgegebene Gegenstände sichergestellt: (im
einzelnen aufgeführt)
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Die auf den Datenträgern vorhandenen Daten wurden gesichert und auf externe
Datenträger kopiert. Die Geräte und Originaldatenträger sind den Betroffenen
inzwischen wieder ausgehändigt worden.
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Mit Schreiben vom 4.6.2010 hat das Bezirksamt Z. um Übermittlung der gespiegelten
Daten ersucht.
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Die Beistände der Betroffenen haben mit Schriftsätzen vom 19.8.2010, Rechtsanwalt S.
zusätzlich mit Schriftsatz vom 6.12.2010 zur Frage der Überlassung der
Sicherungskopien an die schweizerischen Behörden unter Hinweis auf den Beschluss
des Landgerichts K. vom 26.7.2010, durch den die Rechtswidrigkeit der Anordnung der
Telefonüberwachung gegen die Betroffenen festgestellt worden ist, Bedenken
hinsichtlich der Rechtmäßigkeit der Durchsuchungs- und Beschlagnahmebeschlüsse
angemeldet, da das Rechtshilfeersuchen der schweizerischen Behörden die
Konkretisierung der Tatverdachts nicht habe erkennen lassen.
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Mit Fax vom 17.11.2010 hat das Bezirksamt Z. erneut um die Herausgabe der
gespiegelten Daten ersucht und zum Tatverdacht ergänzend ausgeführt:
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"Tatsache ist, dass der Verstorbene über insgesamt fünf reine Risiko-
Lebensversicherungen mit Unfallzusatz mit einer Gesamtversicherungssumme von
€ 1'513'656.00 verfügte. Diese Risiko-Lebensversicherungen haben wohlgemerkt
keinen Rückkaufswert und sind nicht kapitalbildend. Nach Ablauf der
Vertragsdauer fallen einbezahlte Beiträge (hier im Umfang von ca. € 50'000.00)
also vollumfänglich dahin. Alle fünf Versicherungen wurden vor rund zehn Jahren
mit einer zehnjährigen Vertragsdauer abgeschlossen. Die erste wäre am 3.
Dezember 2009 ausgelaufen, eine zweite am 1. Januar 2010. Innerhalb von
gerade einmal 35 Tagen nach dem Todesfall wäre dadurch die
Versicherungssumme für den Begünstigten um rund 50 % bzw. um € 746'716.00
geschmälert worden.
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Eine weitere Tatsache ist, dass der Sohn xy Alleinerbe und Alleinbegünstigter aus
den Lebensversicherungen seines Vaters ist. Zwar ist durchaus möglich, dass er
tatsächlich keine Kenntnis über diese Lebensversicherungen gehabt hat, wie er
dies in der Einvernahme vom 2. Dezember 2009 bei der Kantonspolizei Aargau
aussagte. Vor dem Hintergrund, dass aber bereits am 30. November 2009 bei
zumindest einer der Versicherungen durch den damaligen Anwalt der Familie D.
der Versicherungsfall unter Nennung aller fünf Versicherungspolicen angezeigt
wurde, lässt weitere Ermittlungshandlungen in diesem Bereich als zwingend
notwendig erscheinen. Im Raume steht dabei wohlgemerkt nicht nur ein
Tötungsdelikt zum Nachteil von D., sondern auch ein kaschierter Suizid und somit
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faktisch ein versuchter Versicherungsbetrug. Die Versicherungen würden im Falle
einer Selbsttötung nämlich "nur" rund die Hälfte auszahlen."
Mit Verfügung vom 18.11.2010 hat die Staatsanwaltschaft K. die Akten der
Generalstaatsanwaltschaft vorgelegt und Bedenken hinsichtlich der Rechtmäßigkeit der
Durchsuchungsanordnungen geäußert. Die Generalstaatsanwaltschaft ist diesen
Bedenken beigetreten und hat dem Senat die Akten mit dem Antrag vorgelegt, die von
den schweizerischen Behörden erbetene Rechtshilfe für unzulässig zu erklären und den
Antrag auf Herausgabe der sichergestellten Beweismittel zurückzuweisen.
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II.
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1. Eine Entscheidung des Senats ist nach § 61 Abs. 1 S.2 IRG veranlasst. Nach dieser
Bestimmung hat das Oberlandesgericht zum einen auf Antrag der
Generalstaatsanwaltschaft (Alt.1), zum anderen im Falle des § 66 IRG auf Antrag des
von der Herausgaberechtshilfe Betroffenen (Alt.2) darüber zu entscheiden, ob die
Voraussetzungen für die Leistung der Rechtshilfe gegeben sind. Jedenfalls nach der
ersten Alternative ist hier die Entscheidung des Senats veranlasst.
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2. Die Zulässigkeit der Rechtshilfe beurteilt sich nach § 59 IRG, hinsichtlich der
Herausgabe der Unterlagen zusätzlich nach § 66 IRG und des weiteren nach Art. 3 ff
EuRhÜbk, da sowohl die Bundesrepublik Deutschland als auch die Schweiz
Vertragsstaaten des Europäischen Übereinkommens vom 20. April 1959 über die
Rechtshilfe in Strafsachen – EuRhÜbK – sind. Des weiteren ist der bilaterale Vertrag
vom 13.11.1969 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der
Bundesrepublik Deutschland über die Ergänzung des EuRhÜbK und die Erleichterung
seiner Anwendung zu beachten (vgl. Schomburg/Lagodny, Internationale Rechtshilfe in
Strafsache, 5. Auflage, Vertragstabelle zum EuRhÜbk S. 522 ff, sowie zum
Ergänzungsvertrag S. 628 ff).
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3. Der in Art. 15 Abs. 1 EuRhÜbK vorgesehenen Übermittlung des Ersuchens auf
diplomatischem Weg bedurfte es nicht. Der Ergänzungsvertrag vom 13.11.1969
bestimmt abweichend hiervon in Art. VIII Abs. 1, dass die Justizbehörden der beiden
Staaten unmittelbar miteinander verkehren können.
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4. Nach §§ 59, 66 Abs. 1 IRG ist Rechtshilfe "auf Ersuchen einer zuständigen Stelle
eines ausländischen Staates" zu leisten, wobei es der Prüfung der Zuständigkeit der
ersuchenden Stelle in der Regel nicht bedarf, wenn diese nach ihrem Geschäftsbereich
und den Gepflogenheiten im zwischenstaatlichen Rechthilfeverkehr für die Stellung des
Ersuchens befugt erscheint (Wilkitzki in Grützner/Pötz/Kreß, Internationaler
Rechtshilfeverkehr in Strafsache, 3. Auflage, § 59 IRG, Rdn. 12).
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Von einer solchen Befugnis ist bei dem Untersuchungsrichter des Kantons Aargau, der
das Ersuchen gestellt hat, ohne weiteres auszugehen.
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5. Für den Inhalt des Ersuchens um Herausgabe werden nach § 66 Abs. 2 IRG
gegenüber der sonstigen Rechtshilfe im Rahmen des § 59 IRG zusätzliche
Anforderungen gestellt (vgl. Johnson in Grützner/Pötz/Kreß a.a.O. § 66, Rdn. 5 ). Diese
sind hier erfüllt.
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a) Soweit (nur) gespiegelte Daten herausgegeben werden sollen, unterfällt dies dem
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Anwendungsbereich des § 66 IRG. Denn diese kommen in gleicher Weise wie Originale
ebenfalls als Beweismittel in Betracht, so dass ihre Herausgabe nicht als bloßes
Auskunftsersuchen zu behandeln ist (vgl BGHSt 33,196,208 ff; Senat 11.6.03 – 6 Ausl
27/03-5/03 -; Schomburg/Lagodny, a.a.O. § 66 Randnr. 8 m.w.N.; Johnson in
Grützner/Pötz/Kreß, a.a.O. § 66 Rdn. 13).
b) Die Gegenstände , die herausgegeben werden sollen, müssen so genau wie möglich
bestimmt sein. Das ist in dem Ersuchen vom 9.12.2009 mit genügender Bestimmtheit
geschehen.
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c) Dem Herausgabezweck des § 66 Abs. 1 Nr. 1 IRG, wonach zur Herausgabe erbetene
Gegenstände "als Beweismittel für ein ausländisches Verfahren dienen können"
müssen, genügt es nach höchstrichterlicher, verfassungsrechtlich unbedenklicher
Rechtsprechung, wenn die Gegenstände Beweisbedeutung gewinnen können und dies
nach den Umständen des Falles nicht völlig ausgeschlossen erscheint (BVerfG, NStZ-
RR 02,16; BGHSt 20,170,173; 27,222,227; zustimmend Schomburg/Lagodny a.a.O., §
66 Randnr.12; Johnson in Grützner/Pötz/Kreß, a.a.O. § 66 Rdn. 12).
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Erforderlich ist nur, dass ein ausländisches Verfahren in einer strafrechtlichen
Angelegenheit anhängig ist, für das die Gegenstände als Beweismittel erbeten werden.
Das ist hier nach dem Inhalt des Rechtshilfeersuchens unzweifelhaft der Fall. Eine
nähere Begründung für die Notwendigkeit der Herausgabe ist hingegen nicht
erforderlich.
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Ob die Gegenstände beweiserheblich oder -geeignet sind, bedarf keiner konkreten
Feststellung. Dies unterliegt vielmehr der Beurteilung durch den ersuchenden Staat aus
der Sicht seines eigenen Verfahrens (BGHSt 27,222,227). Den Beweiswert der
Gegenstände kann der ersuchende Staat nämlich erst beurteilen, wenn er sie erhalten
hat (Grützner/Pötz/Wilkitzki a.a.O., § 66 Randnr. 10; Schomburg/Lagodny a.a.O., § 66
Randnr.12).
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6. Das nach § 66 Abs. 2 Nr. 1 IRG zu beachtende Erfordernis beiderseitiger Strafbarkeit
ist im Falle der vorsätzlichen Tötung eines Menschen unproblematisch erfüllt. Nach dem
schweizerischen StGB ergibt sich die Strafbarkeit aus §§ 111, 112 StGB, nach
deutschem Recht aus §§ 211, 212 StGB.
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7. Soweit die Herausgabe von Gegenständen nach § 66 Abs. 2 Nr. 2 IRG - der im
Rahmen der Prüfung nach Art. 5 Abs. 1 lit c EuRhÜbK zu berücksichtigen ist - weiter
das Formalerfordernis einer Beschlagnahmeanordnung des ersuchenden Staates
voraus setzt, kann an deren Stelle eine sog. Ersatzerklärung der nach dem Recht des
ersuchenden Staates für die Beschlagnahmeanordnung zuständigen Stelle treten. Eine
solche Erklärung kann aus Sicht des Senats hier in ausreichender Weise darin gesehen
werden, dass das Ersuchen von einem Untersuchungsrichter des Kantons Aargau
gestellt worden ist, zu dessen rechtlichen Befugnissen es nach §§ 85, 95 der StPO des
Kantons Aargau gehört, jeden als Beweismittel geeigneten Gegenstand zu
beschlagnahmen. Eine weitergehende Erklärung ist daher entbehrlich.
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8. Die Erledigung des Rechtshilfeersuchens ist auch entsprechend Art. 5 Abs. 1 lit c
EuRHÜbK nach der deutschen Strafprozessordnung zulässig. Die herauszugebenden
Gegenstände sind nicht beschlagnahmt, sondern freiwillig übergeben worden.
Allerdings geschah dies im Rahmen einer Wohnungsdurchsuchung, so dass auf deren
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Rechtmäßigkeit abzustellen ist. Die Wohnungsdurchsuchung gemäß § 102 StPO setzt
keinen gesteigerten Verdacht voraus. Ausreichend ist, dass der Verdächtige als Täter
oder Teilnehmer der Straftat in Betracht kommt (BGH NStZ 2000, 46). Der Tatverdacht
braucht noch nicht so weit konkretisiert zu sein, dass die Beschuldigteneigenschaft
schon begründet werden kann. Daher sind auch Durchsuchungen bei Personen
zulässig, die zunächst informatorisch als Zeugen zu hören sind (Meyer-Goßner, StPO,
53. Auflage, § 102 Rdn. 3). Ob die Verdachtsgründe - wie das Landgericht in der
Entscheidung über vom 26.7.2010 angenommen hat - die Anordnung der
Telefonüberwachung nicht rechtfertigten, kann dahingestellt bleiben. Für die
Wohnungsdurchsuchung reichten die zu diesem Zeitpunkt vorliegenden Erkenntnisse
der schweizerischen Behörden, insbesondere die rasche Übergabe der
Lebensversicherungsunterlagen an einen Rechtsanwalt, aus. Tatsächlich ist, wie die
schweizerischen Behörden mit Schreiben vom 17.11.2010 ergänzend mitgeteilt haben,
der Versicherungsfall bereits am 30.11.2010 unter Nennung aller fünf
Versicherungspolicen gemeldet worden. Hinzu kommt der kurz bevorstehende Verfall
eines erheblichen Teils der Versicherungssumme, der weitere Nachforschungen bei
den Angehörigen rechtfertigt. Da die Ermittlungen allein durch die schweizerischen
Behörden geführt werden - das Polizeipräsidium K. sieht nach einem Vermerk vom
26.8.2010 keine Anhaltspunkte, die eine erfolgversprechende Weiterführung der
Ermittlungen ermöglichen - ist die umgehende Überlassung der gespiegelten Daten an
das Bezirksamt Z. geboten.
9. Die Leistung von Rechtshilfe und insbesondere die Herausgabe der sichergestellten
Daten ist nicht unverhältnismäßig und stellt sich auch sonst nicht als unzulässiger
Grundrechtseingriff dar. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz besagt nur, dass der Eingriff
nicht außer Verhältnis zur Bedeutung der Strafsache stehen darf, und dass andere,
weniger einschneidende Maßnahmen zur Erreichung des Zwecks nicht zur Verfügung
stehen dürfen (BGHSt 27,222,227). Letzteres ist vorliegend nicht der Fall. Da es um die
Aufklärung eines Tötungsdelikts geht, verstößt der Eingriff in die Rechtssphäre der
Betroffenen nicht gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.
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Beachtliche Einwendungen gegen die Herausgabe sind von den Betroffenen auch nicht
erhoben worden. Dass sich unter den gesicherten Dateien möglicherweise Urlaubsfotos
finden, reicht dazu nicht, zumal auch diese von Beweisbedeutung sein können.
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