Urteil des OLG Köln vom 21.10.2008

OLG Köln: ärztliche behandlung, witwe, fahrlässigkeit, zustellung, doppelversicherung, versicherungsleistung, vergleich, arbeitsgericht, behandlungsfehler, patient

Oberlandesgericht Köln, 9 U 59/08
Datum:
21.10.2008
Gericht:
Oberlandesgericht Köln
Spruchkörper:
9. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
9 U 59/08
Vorinstanz:
Landgericht Köln, 24 O 190/07
Tenor:
Die Berufung der Klägerin gegen das am 7.2.2008 verkündete Urteil der
24. Zivilkammer des Landgerichts Köln - 24 O 190/07 - wird
zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens werden der Klägerin auferlegt.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Klägerin wird gestattet, die
Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des
vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht die Beklagte vor der
Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120 % des zu vollstreckenden
Betrages leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
G r ü n d e :
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I. Die Klägerin klagt aus abgetretenem Recht des Kommunalen Schadensausgleichs
der Länder C., N., T. und U. (im Folgenden: LTB). Es handelt sich um einen
Zusammenschluss im Sinne von § 1 Abs. 3 Nr. 3 VAG, der bezweckt, durch Umlegung
von Haftpflichtschäden Risiken seiner Mitglieder auszugleichen. Mitglied ist der E-Kreis,
der Träger des Krankenhauses Gardelegen ist. Insoweit gewährt der LTB
Haftpflichtdeckung für das Krankenhaus und die dort beschäftigten Ärzte.
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In § 1 Abs. 1 der Allgemeinen Verrechnungsgrundsätze des LTB heißt es (Bl. 187):
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" Ausgleichsfähig sind nach Maßgabe der folgenden Bestimmungen alle
Haftpflichtentschädigungen, die von den Mitgliedern aufgrund gesetzlicher
Haftpflichtbestimmungen zu leisten sind. Dazu gehören auch
Haftpflichtentschädigungen aufgrund der persönlichen Haftpflicht der für die
Kommunalverwaltungen in dienstlicher Verrichtung handelnden Personen, wenn und
soweit kein anderweitiger Haftpflichtversicherungsschutz besteht."
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In dem Krankenhaus war Frau D. V. als Assistenzärztin in der Weiterbildung tätig, ab
Juni 1998 im 3. Ausbildungsjahr. Arbeitsvertragliche Grundlage war BAT-O. Frau V.
hatte bei der Rechtsvorgängerin der Beklagten eine Berufshaftpflichtversicherung
abgeschlossen. Dieser Versicherung liegen die AHB, Stand 1994 (Bl. 78 ff), sowie die
Besonderen Bedingungen und Risikobeschreibungen (BBR) Haftpflichtversicherung für
Ärzte, Zahnärzte, Medizinstudenten im praktischen Jahr (MPJ), Krankenanstalten
zugrunde (Bl. 84 ff).
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Es kam in der Nacht vom 16. auf den 17.März.1998 zu einem Zwischenfall in der
chirurgischen Abteilung, in der Frau V. den Nachtdienst hatte. Der Patient H., bei dem
am 16.März eine Schilddrüsen-Operation durchgeführt worden war, klagte gegenüber
der Nachtschwester über Luftnot. Auf telefonische Mitteilung der Nachtschwester
ordnete Frau V. an, dass der Patient das Beruhigungsmittel G erhalten sollte. Es kam
dann zu einem Herz- und Atemstillstand des Patienten. Er konnte reanimiert werden,
verstarb aber am 27.4.1999. Die Witwe nahm vor dem Landgericht X – 21 O 314/00 –
den E-Kreis W. und Frau V. auf Schadensersatz und Schmerzensgeld in Anspruch.
Nach Beweisaufnahme durch Sachverständigengutachten kam es zu einem Vergleich,
der dahin ging, dass sich die dortigen Beklagten als Gesamtschuldner verpflichteten,
41.500,00 € an die Witwe des Patienten zu zahlen. Der LTB zahlte diesen Betrag an die
Witwe aus (Freigabe vom 14.7.2004).
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Die Klägerin verklagte sodann Frau V. vor dem Arbeitsgericht Potsdam (8 Ca 1427/06)
in Höhe von 80 % des Vergleichsbetrages. Die Klage wurde abgewiesen durch Urteil
vom 18.10.2006, weil die Klägerin die Verfallfrist nach § 70 BAT-O nicht beachtet hatte.
In dem Arbeitsgerichtsverfahren hatte die Klägerin der hiesigen Beklagten den Streit
verkündet (Zustellung 20.12.2005). Kenntnis von der bestehenden
Berufshaftpflichtversicherung der Ärztin erhielt die Klägerin erst Ende 2004. Den
Versicherungsfall meldete Frau V. durch ihre Anwälte unter dem 19.1.2005 (Bl. 76).
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Die Klägerin hat vorgetragen, der Ärztin sei ein grober Behandlungsfehler unterlaufen.
Im Wege der Teilklage hat die Klägerin zunächst einen Betrag von 10.000,00 € als
Ausgleichsanspruch nach § 59 Abs. 2 VVG a.F. geltend gemacht.
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Die Klägerin hat beantragt,
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die Beklagte zu verurteilen, an sie 10.000,00 € nebst Zinsen in
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Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit
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Rechtshängigkeit (4.7.2007) zu zahlen.
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Die Beklagte hat beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Die Beklagte hat vorgetragen, es liege kein Behandlungsfehler vor. Im Verhältnis zu
Frau V. hafte sie nur für Haftpflichtfälle wegen grober Fahrlässigkeit. Für den Bereich
der einfachen Fahrlässigkeit seien die Voraussetzungen des § 59 VVG a.F. nicht
gegeben. Wegen der Freistellungsverpflichtung des Kreises gegenüber Frau V. würde
der Ausgleichsanspruch keinen Sinn machen. Außerdem könne die Verletzung der
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Anzeigeobliegenheit entgegengehalten werden. Schließlich hat sich die Beklagte auf
Verjährung berufen.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Es hat im Wesentlichen ausgeführt, die
Klage sei wegen Verjährung unbegründet. Der Ausgleichsanspruch sei mit dem
Versicherungsfall 1998 entstanden. § 199 Abs. 1 Nr. 2 n. F. BGB sei anzuwenden. Das
Verhalten des LTB, sich bei Frau V. nicht wegen der Frage einer privaten
Berufshaftpflichtversicherung vor 2004 zu erkundigen, führe zur Annahme von grober
Fahrlässigkeit im Hinblick auf die den Anspruch begründenden Umstände. Insoweit
hätte sich eine Nachfrage nach der Berufshaftpflichtversicherung aufgedrängt. Von
einem Ausgleichsanspruch in solchen Fällen sei die Klägerin z. B. in der Sache
Landgericht Köln 24 O 559/05 ausgegangen. Es sei auch keine rechtzeitige Hemmung
eingetreten, weil der Anspruch zum Zeitpunkt der Zustellung der Streitverkündung
bereits verjährt gewesen sei. Der Klageerweiterungsschriftsatz vom 20.12.2007, der
nach Schluss der mündlichen Verhandlung eingegangen sei, sei nicht mehr zuzustellen
gewesen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die tatsächlichen
Feststellungen im angefochtenen Urteil und die Entscheidungsgründe Bezug
genommen.
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Hiergegen wendet sich die Berufung der Klägerin. Sie macht nunmehr in der
Berufungsinstanz einen erweiterten Antrag auf Zahlung und Feststellung geltend. Der
LTB habe bisher an die Hinterbliebenen 98.518,33 € gezahlt. Der hälftige
Erstattungsanspruch betrage 49.259,16 €. Der Feststellungsantrag beruhe darauf, dass
die Rentenkasse noch einen Anspruch von 56.615,03 € geltend mache. Verjährung sei
nicht eingetreten. Grob fahrlässige Unkenntnis liege nicht vor. Es sei auf die
Bediensteten der Regressabteilung abzustellen und nicht auf die zuvor tätigen
Schadensachbearbeiter. Die Verjährungsfrist habe erst zum 1.1.2005 zu laufen
begonnen und habe am 31.12.2007 geendet. Die Klägerin könne sich auf die Hemmung
vom 20.12.2005 bis 28.5.2007 berufen. Mit Schriftsatz vom 15.9.2008 hat die Klägerin
vorgetragen, dass auch ein Anspruch gemäß § 67 VVG a.F. in Betracht komme, wenn §
59 Abs. 2 VVG a.F. nicht eingreife.
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Die Klägerin beantragt,
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unter Abänderung des angefochtenen Urteils
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1. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 49.259,16 € zuzüglich
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Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus
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10.000,00 € seit Rechtshängigkeit (4.7.2007) und aus 39.259,16 € ab
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Zustellung der Berufungsbegründung zu zahlen;
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2. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, an die Klägerin
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50 % der Schadensersatzleistungen zu erstatten, die die Klägerin bzw.
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der Kommunale Schadenausgleich als Zedent auf die fehlerhaft
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ärztliche Behandlung des Herrn H.I. am 16./17.3.1998
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Dritten gegenüber zukünftig zu erbringen hat.
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Die Beklagte beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Die Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil, vertieft ihren erstinstanzlichen Vortrag
und verweist auf die Erforderlichkeit der Prüfung der Eintrittspflicht im Hinblick auf
anderweitigen Haftpflichtversicherungsschutz. Spätestens im September 2000
anlässlich der Klageerhebung durch die Witwe habe sich die Frage einer weiteren
Versicherung aufgedrängt. Dies belege auch der Arbeitsgerichtsprozess.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf den Inhalt der
Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
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Die beigezogenen Akten des Arbeitsgerichts Potsdam 8 Ca 1427/06 sind Gegenstand
der mündlichen Verhandlung gewesen.
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II. Die in formeller Hinsicht bedenkenfreie Berufung der Klägerin ist nicht begründet. Das
Landgericht hat im Ergebnis zu Recht die Klage abgewiesen.
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1. Ein Anspruch der Klägerin gegen die Beklagte nach den §§ 59 Abs. 2 VVG a.F., 398
BGB besteht nicht.
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a) Der Anspruch scheitert allerdings nicht an der Frage, ob der LTB Versicherer im
Sinne von § 59 Abs. 2 VVG a.F. ist. Bei dem LTB handelt es sich um einen nicht
rechtsfähigen Zusammenschluss von Gebietskörperschaften. Die privatrechtlichen
Beziehungen zwischen dem LTB und seinen Mitgliedern unterliegen dem
Versicherungsvertragsgesetz (vgl. BGH VersR 1968, 138). Demnach ist die Regelung
des § 59 Abs. 2 VVG a.F. - jedenfalls entsprechend - anwendbar.
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b) Die Voraussetzungen eines Ausgleichsanspruchs nach § 59 Abs. 2 VVG a.F. liegen
indes nicht vor. Nach § 1 Abs. 1 der Allgemeinen Verrechnungsgrundsätze des LTB
sind von seiner Eintrittspflicht Haftpflichtentschädigungen, die aufgrund gesetzlicher
Haftpflichtbestimmungen zu leisten sind, nur erfasst, wenn und soweit kein
anderweitiger Haftpflichtversicherungsschutz besteht. Es handelt sich dabei um eine
Subsidiaritäsklausel, die eine Doppelversicherung ausschließt (vgl. BGH VersR 1968,
138; VersR 2004, 994; Kolhosser in Prölss/Martin, VVG, 27. Aufl., § 59 Rn 23 f). Der LTB
war hinsichtlich der neben dem Krankenhausträger in Anspruch genommenen Ärztin
nicht eintrittspflichtig.
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Bedenken an der Wirksamkeit dieser Klausel im Hinblick auf die §§ 307 ff BGB (früher
§§ 9 ff AGBG) bestehen nicht (vgl. BGH VersR 2004, 994). Eine unangemessene
Benachteiligung ist nicht erkennbar.
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Da für den maßgeblichen Versicherungsfall ein anderweitiger
Haftpflichtversicherungsschutz nach AHB und den Besonderen Bedingungen
bestanden hat, sind die Voraussetzungen einer Doppelversicherung nicht gegeben. Die
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Versicherungsnehmerin V. war gegen die gesetzliche Haftpflicht als Ärztin versichert.
Dass die Leistungspflicht des Berufshaftpflichtversicherers auch die Prüfung der Frage
umfasst, ob zugunsten des Versicherungsnehmers ein arbeitsrechtlicher
Freistellungsanspruch besteht, und dass sie auch für dessen Durchsetzung greift, ändert
an der Beurteilung nichts. Entgegen der schriftsätzlich zum Ausdruck gebrachten
Ansicht der Beklagten sehen ihre Bedingungen keine Beschränkung ihrer Eintrittspflicht
auf Fälle grober Fahrlässigkeit vor. Hiervon ist sie zuletzt auch ausgegangen.
Eine Doppelversicherung im Sinne von § 59 VVG hat nicht vorgelegen.
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2. Eine Haftung der Beklagten ergibt sich aber auch nicht aus den §§ 67 VVG a.F. , 398
BGB aus dem Gesichtspunkt des Übergangs von Ersatzansprüchen in Verbindung mit
der Abtretung durch den LTB.
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Insoweit ist nicht mehr zweifelhaft, ob dieser Anspruch aus nach § 67 VVG a.F.
übergegangenem Recht vom Vortrag der Klägerin erfasst und Gegenstand der Klage
war, denn die Klägerin stützt sich jetzt auch auf einen solchen Anspruch. Der Anspruch
ist aber unbegründet.
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Hat der Subsidiärversicherer irrtümlich eine Versicherungsleistung erbracht, zu der er
wegen der Subsidiaritätsklausel gegenüber dem Versicherungsnehmer nicht verpflichtet
war, so geht der Anspruch des Versicherungsnehmers gegen den Primärversicherer auf
die Versicherungsleistung nach § 67 Abs. 1 S.1 VVG a. F. auf den Subsidiärversicherer
über (vgl. BGH VersR 1989, 250). So liegt es hier.
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Gegenüber diesem Anspruch kann sich die Beklagte als Haftpflichtversicherer jedoch
auf Leistungsfreiheit wegen Obliegenheitsverletzungen nach den §§ 5 Nr. 2 und 5, 6
AHB, 6 Abs. 3 VVG a. F. berufen.
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Nach § 5 Nr. 2 AHB ist jeder Versicherungsfall dem Versicherer unverzüglich,
spätestens innerhalb einer Woche, schriftlich anzuzeigen. Unstreitig hat die
Versicherungsnehmerin V. den Versicherungsfall vom März 1998 erst im Januar 2005
(Bl. 76) angezeigt. Die Vorsatzvermutung des § 6 Abs. 3 VVG a.F. ist nicht widerlegt.
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Außerdem hat die Versicherungsnehmerin V. gegen das Anerkennungsverbot nach § 5
Nr. 5 AHB verstoßen. Im Rechtsstreit vor dem Landgericht X hat die dortige Beklagte am
2.6.2004 einen Vergleich geschlossen, ohne die vorherige Zustimmung des
Versicherers einzuholen. Darin ist ein Verstoß gegen das Anerkenntnisverbot zu sehen
(vgl. Voit/Knappmann in Prölss/Martin, § 154 Rn 8). Die Beklagten in jenem Rechtsstreit
haben sich als Gesamtschuldner im Vergleichswege verpflichtet, an die Witwe des
verstorbenen Patienten 41.500,00 € zu zahlen (vgl. Anlage K1 der beigezogenen Akte
Arbeitsgericht Potsdam – 8 Ca 1427/06 ). Die Zustimmung des Haftpflichtversicherers
wurde nicht eingeholt. Auch insoweit ist die Vorsatzvermutung nicht widerlegt.
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Auf Leistungsfreiheit wegen Obliegenheitsverletzung der Versicherungsnehmerin im
Sinne von § 6 AHB hat sich die Beklagte jedenfalls auch in der Klageerwiderung
berufen.
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Auf die Frage der Verjährung des Anspruchs kam es danach nicht mehr an.
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Die Ausführungen der Klägerin im nicht nachgelassenen Schriftsatz vom 30.9.2008
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geben keinen Anlass zur Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung.
3. Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision nach § 543 ZPO sind nicht
gegeben. Die Rechtssache hat keine über den Einzelfall hinausgehende grundsätzliche
Bedeutung und eine Entscheidung des Revisionsgerichts ist auch nicht zur Fortbildung
des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich.
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Die prozessualen Nebenentscheidungen über die Kosten und die vorläufige
Vollstreckbarkeit beruhen auf §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711 ZPO.
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Streitwert für das Berufungsverfahren: 71.905,17 € (49.259,16 € + 22.646,17 €)
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