Urteil des OLG Köln vom 07.09.1999

OLG Köln: ausführung, untersuchungshaft, familie, ausnahme, aufwand, verfügung, anstaltsordnung, staat, anstalten, gleichbehandlung

Oberlandesgericht Köln, 2 Ws 497/99
Datum:
07.09.1999
Gericht:
Oberlandesgericht Köln
Spruchkörper:
2. Strafsenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
2 Ws 497/99
Schlagworte:
Ausführung; Untersuchungshaft
Normen:
StPO § 119
Tenor:
Die Beschwerde wird verworfen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden der Beschwerdeführerin
auferlegt.
Gründe:
1
I.
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Die Beschwerdeführerin, die sich sich seit dem 17. Dezember 1997 unter dem Verdacht
der Beteiligung an der Ermordung ihres Ehemanns durch den Mitangeklagten M. in
Untersuchungshaft (§ 112 Abs.3 StPO) befindet, ist durch Urteil der 1.
Schwurgerichtskammer des Landgerichts Aachen vom 23. März 1999 wegen Beihilfe
zum Mord zu einer Freiheitsstrafe von 10 Jahren verurteilt worden. Gegen das Urteil
haben sowohl die Angeklagte als auch die Staatsanwaltschaft Revision eingelegt.
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Mit dem angefochtenen Beschluss hat der Vorsitzende der Schwurgerichtskammer den
mit Anwaltsschriftsatz vom 20. August 1999 gestellten Antrag abgelehnt, der Ausführung
der Angeklagten auf ihre Kosten zur standesamtlichen Eheschließung ihres Sohnes P.
N. am 9. September 1999 im Standesamt der Stadt T. zuzustimmen.
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Der hiergegen mit Schriftsatz des Verteidigers vom 31. August 1999 eingelegten
Beschwerde hat der Vorsitzende nicht abgeholfen (Beschluss vom 1. September 1999).
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II.
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Die gemäß § 304 Abs.1 StPO zulässige Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg.
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Der Vorsitzende der Schwurgerichtskammer hat in fehlerfreier Ausübung des ihm in §
119 Abs.3 und 4 StPO eingeräumten Ermessens die Genehmigung der Ausführung
abgelehnt.
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1.
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Gesetzliche Grundlage für die Gestaltung der Untersuchungshaft ist - bis zum
Inkrafttreten des UHaftG - § 119 Abs.3 StPO. Nach dieser Vorschrift dürfen dem
Untersuchungsgefangenen nur solche Beschränkungen auferlegt werden, die der
Zweck der Untersuchungshaft oder die Ordnung in der Vollzugsanstalt erfordert.
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Eine Sonderregelung für "Bequemlichkeiten", zu denen die Ausführung des
Gefangenen gehört, enthält § 119 Abs.4 StPO.
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Danach darf sich der Gefangene auf seine Kosten Bequemlichkeiten verschaffen,
soweit sie mit dem Zweck der Haft vereinbar sind und nicht die Ordnung in der
Vollzugsanstalt stören.
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Ausführungen sollen nach der - an die Formulierung der entsprechenden Regelung in
der Untersuchungshaftvollzugsordnung (Nr. 41 Abs.2 UVollzO) anknüpfenden -
Rechtsprechung und Literatur bewilligt werden, wenn die Erledigung wichtiger und
unaufschiebbarer persönlicher, geschäftlicher oder rechtlicher Angelegenheiten die
Anwesenheit des Gefangenen an einem Ort außerhalb der Anstalt erforderlich machen
(vgl. Kleinknecht/ Janischowski, Das Recht der Untersuchungshaft, Rdn 401; Wendisch
in: Löwe/Rosenberg, StPO, 24.Aufl., § 119 Rdn.116, Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO,
44.Aufl., § 119 Rdn.40). Da es sich bei einer Ausführung um eine Bequemlichkeit
handelt, durch die der Gewahrsam, das Prinzip der Untersuchungshaft, gelockert wird,
sind sie auf solche Fälle zu beschränken, in denen die Anwesenheit des Gefangenen
außerhalb der Anstalt dringend geboten ist (LR-Wendisch, a.a.O., OLG Bremen MDR
1963,158, OLG Koblenz GA 1973,157).
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2.
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In Abwägung der widerstreitenden Interessen der Gefangenen einerseits und der
konkreten vollzuglichen Belange in diesem Fall andererseits - der Haftzweck dürfte
einer Ausführung nicht entgegenstehen - gehört die Teilnahme der
Untersuchungsgefangenen an der Eheschließung des Sohnes in T. auch unter
Beachtung des grundrechtlichen Schutzes der Familie nicht zu den Angelegenheiten,
für die die Ausführung der Angeklagten zu bewilligen ist.
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Die Ausführung der Angeklagten zu dem beantragten Zweck müsste nach der
Stellungnahme des Leiters der Justizvollzugsanstalt Köln vom 24. August 1999, die
auch der Vorsitzende der Schwurgerichtskammer seiner Entscheidung zugrunde gelegt
hat, von zwei Bediensteten durchgeführt werden. Für die Ausführung nach Trier sind
unter Berücksichtigung der Hin- und Rückfahrtzeiten mindestens 10 Stunden
anzusetzen. Dieser personelle und zeitliche Aufwand kann nach der Stellungnahme des
Anstaltsleiters nicht geleistet werden, weil die in diesem Bereich tätigen Bediensteten
mit den dringend notwendigen Ausführungen zu Ärzten, Krankenhäusern u.ä.
ausreichend ausgelastet sind. Eine Ausführung käme, wie die Stellungnahme zu
verstehen ist, nur durch den Einsatz von Bediensteten in Betracht, die aus anderen
Bereichen zu diesen Zweck abgezogen werden müssten. Hierdurch aber würde die
Ordnung der Anstalt erheblich gestört.
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Zwar gehört die Ausführung zur Fürsorge für den Verhafteten. Der Staat muss dazu
Personal zur Verfügung stellen. Demzufolge rechtfertigt Mangel an
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Bewachungspersonal die Ablehnung berechtigter Ausführungsanträge nicht (LR-
Wendisch, a.a.O., Rdn. 108; Boujong in: Karlsruher Kommentar, StPO, 4. Aufl., § 119
Rdn.66). Anderseits können die personellen Möglichkeiten der Vollzugsanstalten auch
nicht gänzlich unberücksichtigt bleiben. Ausführungen müssen nach der
Personalausstattung der Anstalten, die sich an der Aufgabe der Bewachung und der
Erreichung der vollzuglichen Ziele orientiert und darauf zugeschnitten ist, die Ausnahme
bleiben, zumal es der Gleichbehandlungsgrundsatz gebieten würde, die einem
Gefangenen aus familiären Gründen bewilligte Ausführung auch anderen Gefangenen
zu gewähren.
Eine solche Ausnahme wird nicht durch die gewünschte Teilnahme an der
Eheschließung des Sohnes in einem entfernt gelegenen Ort begründet.
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Dass die Teilnahme der Mutter an der Eheschließung des Sohnes wünschenswert und
der Wunsch nach Teilnahme verständlich ist, bedarf keiner weiteren Begründung. Es
handelt sich um einen Akt, der im Leben der Familie eine hohe Bedeutung hat, bei dem
die Teilnahme der Mutter auch aus Gründen des familiären Zusammenhalts von
Bedeutung ist. Zwingend erforderlich ist die Teilnahme der Mutter für die Durchführung
der Eheschließung des Sohnes andererseits nicht. Eine Ausführung zu diesem Zweck
kann deshalb nicht mit denselben Maßstäben gemessen werden, wie etwa diejenige zur
eigenen Eheschließung eines Untersuchungsgefangenen.
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Würde man dem Wunsch der Antragstellerin auf Ausführung zur Eheschließung des
Sohnes als berechtigt im Sinne des § 119 Abs.4 StPO anerkennen, könnte anderen
Gefangenen in ähnlicher Situation eine Ausführung ohne Verstoß gegen das Gebot der
Gleichbehandlung nicht verweigert werden. Dabei wäre es, wenn man das Erfordernis
einer zwingend gebotenen persönlichen Anwesenheit aufgäbe, kaum möglich, eine
Grenze zu ziehen zwischen solchen familiären Anlässen, bei denen eine Ausführung
noch gerechtfertigt ist, und solchen, bei denen dies nicht der Fall ist. Die hieraus
resultierende Ausweitung der Ausführungsmöglichkeiten für Untersuchungsgefangene
wäre indes mit den zur Verfügung stehenden personellen Mitteln schlechterdings nicht
zu leisten und deshalb mit der Anstaltsordnung unvereinbar.
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Ist aber aus diesem Grund ein Festhalten an den strengen Maßstäben für eine
Ausführung geboten, ist der Antrag der Angeklagten auf Ausführung abzulehnen. Denn
diese ist, wie sich aus der Stellungnahme des Anstaltsleiters ergibt, im Einzelfall mit der
Anstaltsordnung unvereinbar, weil sie einen unverhältnismäßig hohen Aufwand
erfordert.
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III.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 Abs.1 Satz 1 StPO.
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