Urteil des OLG Köln vom 16.07.1996

OLG Köln (erhebliche bedeutung, 1995, umstände, ampel, beschränkung, aufhebung, gefährdung, umstand, fahrverbot, stpo)

Oberlandesgericht Köln, Ss 347/96 (B) - 214 B -
Datum:
16.07.1996
Gericht:
Oberlandesgericht Köln
Spruchkörper:
1. Strafsenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
Ss 347/96 (B) - 214 B -
Tenor:
Das angefochtene Urteil wird mit den getroffenen Feststellungen
aufgehoben. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung
- auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde - an das Amtsgericht
Bonn zurückverwiesen.
G r ü n d e :
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Das Amtsgericht hat den Betroffenen wegen fahrlässiger Zuwiderhandlung gegen §
37 Abs. 2 StVO zu einer Geldbuße von 250,00 DM verurteilt und ein Fahrverbot für
die Dauer eines Monats angeordnet. Das Amtsgericht hat folgende Feststellungen
getroffen:
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Der Betroffene befuhr am 21.07.1995 mit einem Lkw in B.-H. die L.straße und
befolgte an der Einmün-dung der B.straße nicht das Rotlicht der dortigen
Lichtzeichenanlage, obwohl die Rotphase beim Pas-sieren der Haltelinie bereits 5
Sekunden andauerte. Der Betroffene fuhr mit sehr langsamer Geschwindig-keit. Die
Ampel war zur Tatzeit auf Dauerrot ge-schaltet; die Grünphase wurde durch
Überfahren des Anforderungskontaktes ausgelöst. Bei entsprechender Fahrweise
kann die Ampel in Fahrtrichtung des Betroffenen nach Überfahren des Kontaktes
ohne Halt passiert werden, wenn nicht vor Überfahren des An-forderungskontaktes
ein anderer Verkehrsteilnehmer aus einer anderen Richtung seinerseits eine "Grü-
nanforderung" aus- gelöst hat. Dies kann erfolgen durch einen Pkw, der aus der
B.straße auf die Kreu-zung zufährt oder durch einen Fußgänger, der den
Anforderungsknopf der Fußgängerampel drückt.
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Das Amtsgericht hat zu dieser Frage einen Sachverständigen gehört. Im Urteil heißt
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es insoweit u.a.:
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"Der Sachverständige hat weiter ausgeführt, daß die Beobachtung des Betroffenen,
in der B.straße habe er keinen Gegenverkehr gehabt und er habe auch keinen
Fußgänger an der Fußgängerampel gesehen, ei-ne solche "Grünanforderung"
keineswegs ausschließt. Der Sachverständige hat ausgeführt, daß es eine Vielzahl
denkbarer Möglichkeiten gibt, wie eine solche Grünanforderung ausgelöst werden
kann, ohne daß der Betroffene aus seiner Fahrt- richtung einen entsprechenden Pkw
oder Fußgänger sehen muß. So reicht es vollkommen aus, wenn in der B.straße über
dem Anforderungskontakt ein Fahrzeug wendet oder in eine Einfahrt fährt oder z.B.
wenn Fußgänger den Anforderungsknopf drücken, ohne die Ampel zu benut-zen, wie
dies auch gerade spielende Kinder häufig tun."
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Zum Rechtsfolgenausspruch heißt es in dem Urteil:
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"Ein Abweichen von den im Bußgeldkatalog fest- gesetzten Folgen, hier
insbesondere ein Wegfall des Fahrverbotes, erschien angesichts der besonders
langen Dauer, die die Lichtzeichenanlage hier bereits rot zeigte, nicht mehr
vertretbar."
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Mit der Rechtsbeschwerde des Betroffenen, die sich nur gegen den
Rechtsfolgenausspruch richtet, wird Verletzung materiellen Rechts gerügt.
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Die Rechtsbeschwerde führt zur Aufhebung des Urteils insgesamt und zur
Zurückverweisung der Sache an das Amtsgericht.
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Die bisher getroffenen Feststellungen sind materiellrechtlich unvollständig und
rechtfertigen nicht die Annahme eines Regelfalls nach Nr. 34.2 der BKatV, wonach
bei einem Rotlichtverstoß bei schon länger als 1 Sekunde andauernden Rotphase
ein Fahrverbot von einem Monat zu verhängen ist.
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Der Tatrichter ist an die Indizwirkung des Regel- beispiels nicht gebunden. Ihm bleibt
vielmehr, im Rahmen einer Gesamtwürdigung unter Abwägung der Umstände des
Einzelfalls in objektiver und subjek- tiver Hinsicht zu bestimmen, ob das gesamte
Tatbild vom Durchschnitt der erfahrungsgemäß vorkommenden Fällen in solchem
Maß abweicht, daß das Fahrverbot unangemessen wäre, mithin eine
unverhältnismäßige Reaktion auf objektiv verwirklichtes Unrecht und subjektiv
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vorwerfbares Verhalten darstellt (BVerfG DAR 1996, 196 = NJW 1996, 1809 = NZV
1996, 284). Insbesondere zu Nr. 34.2 BKatV ist anerkannt, daß nur besonders
schwerwiegende Rotlichtverstöße unter diese Regelung fallen
(Senatsentscheidungen NZV 1994, 41 und NZV 1994, 330 = VRS 87, 147 - jeweils
mit weiteren Nachweisen). Besteht noch nicht einmal eine abstrakte Gefährdung
anderer Verkehrsteilneh-mer, so handelt es sich nicht um einen besonders
schwerwiegenden Rotlichtverstoß. Dies kann der Fall sein z.B. bei Mißachtung des
Rotlichts einer Bau-stellenampel (vgl. BayObLG DAR 1996, 31; OLG Düs-seldorf
VRS 88, 218; OLG Hamm VRS 88, 73; SenE NZV 1994, 41), bei Verkehrsregelung
auf einer nur ein-spurig befahrbaren Brücke (OLG Oldenburg NZV 1995, 119 = VRS
88, 309), bei "Frühstartern" (OLG Olden-burg VRS 85, 362 und 85, 450), bei
Weiterfahrt nach Anhalten infolge Verwechslung der für den Fahrer geltenden Licht-
zeichen (OLG Düsseldorf DAR 1993, 271; NZV 1994, 161 = VRS 86, 471; DAR 1996,
107; OLG Hamm DAR 1995, 501 = VRS 90, 455 und NZV 1996, 117 sowie NZV
1996, 206; OLG Karlsruhe NZV 1996, 206; KG VRS 87, 72) oder in ähnlichen
Situationen (vgl. OLG Düssel- dorf NZV 1995, 328 = VRS 89, 226; VRS 90, 149; DAR
1996, 32 = NZV 1996, 39 = VRS 90, 457). Sind solche Umstände ersichtlich, die der
An-nahme einer abstrakten Gefährdung anderer Verkehrs-teilnehmer
entgegenstehen, bedarf es näherer Fest-stellungen zu dieser Frage (ständige
Senatsrecht-sprechung, vgl. SenE NZV 1994, 330 = VRS 87, 147).
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Die besonderen Umstände des vorliegenden Falles drängten zu näheren
Feststellungen zur Frage, ob durch die Fahrweise des Betroffenen eine abstrakte
Gefahrenlage geschaffen wurde. Der Umstand, daß der Betroffene sehr langsam fuhr
und daß es sich um eine Ampel handelte, die bei entsprechender Fahr- weise u.U.
ohne Halt passiert werden konnte, da durch Überfahren des Aufforderungskontaktes
das Grünlicht ausgelöst wurde, unterscheiden diesen Fall erheblich von typischen
Rotlichtverstößen. Zur Bewertung des Unrechts- und Schuldgehalts der Tat fehlt
schon die Angabe, auf welcher Seite - in Fahrtrichtung des Betroffenen - die B.straße
ein-mündet und in welche Richtung der Betroffene fuhr. Sollte die B.straße von rechts
einmünden und der Betroffene nach rechts eingebogen sein, läge die Annahme einer
abstrakten Gefährdung des Verkehrs auf der B.straße nicht gerade nahe (vgl. SenE
NZV 1994, 330 = VRS 87, 147). Wenn - wie der Betroffene sich unwiderlegt
eingelassen hat - auch keine Fuß-gänger die Fahrbahn überqueren wollten (vgl.
hierzu OLG Düsseldorf NZV 1995, 328), ist nach den bishe-rigen Feststellungen nicht
ersichtlich, welche Ver-kehrsteilnehmer durch das Fahrverhalten des Betrof-fenen
hätten beeinträchtigt werden können, zumal der Betroffene sehr langsam fuhr (vgl.
hierzu OLG Düsseldorf VRS 90, 149, 151).
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Da die bisher fehlenden Feststellungen zur abstrakten Gefährlichkeit des
Rotlichtverstoßes von den Feststellungen zum Tathergang nicht zu trennen sind,
muß die Aufhebung auch den Schuldspruch erfassen.
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Der Aufhebung des Schuldspruchs steht nicht ent- gegen, daß die
Rechtsbeschwerde nach dem Inhalt ihrer Begründung auf den
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Rechtsfolgenausspruch beschränkt war. Diese Beschränkung war unwirksam. Für
die Beschränkung einer Rechtsbeschwerde gelten nach § 79 Abs. 3 OWiG die
Grundsätze, die für eine Revision bzw. Berufung (vgl. Kleinknecht/Meyer- Goßner,
StPO, 42. Aufl., § 344 Rdnr. 7) im Straf- verfahren anerkannt sind. Ob die
Voraussetzungen einer wirksamen Rechtsmittelbeschränkung vor- liegen, hat das
Rechtsmittelgericht aus der Sicht des Ergebnisses der Beratung über die zu treffende
Entscheidung zu beurteilen (Kleinknecht/Meyer- Goßner, StPO, 42. Aufl., § 318 Rdnr.
8 m.w.N.). Nach der sogenannten Trennbarkeitsformel ist eine Beschränkung nur
möglich, wenn sie sich auf Beschwerdepunkte bezieht, die nach dem inneren
Zusammenhang des Urteils losgelöst von seinem nicht angegriffenen Teil rechtlich
und tatsächlich selbständig beurteilt werden können, ohne eine Prüfung der
Entscheidung im übrigen erforderlich zu machen (Kleinknecht/Meyer-Goßner, a.a.O.,
§ 318 Rdnr. 6 m.w.N.). Eine Beschränkung auf den Rechtsfolgenausspruch ist
insbesondere dann nicht wirksam, wenn ein Umstand, der für die
Rechtsfolgenentscheidung erhebliche Bedeutung hat, einen untrennbaren Teil der
Schuldfrage bildet und der Anfechtende sich auch dagegen wendet, daß das
Erstgericht einen solchen Umstand angenommen oder nicht angenommen hat (vgl.
SenE NStZ 1989, 339 zu § 318 StPO). Wird - wie mit der Rechtsbeschwerde des
Betroffenen - geltend gemacht, das Amtsgericht habe bei der Verhängung des
Regelfahrverbots nicht die konkreten Umstände des Verkehrsverstoßes
berücksichtigt, so kann folglich die Überprüfung des Urteils durch das
Rechtsbeschwerdegericht nicht auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt bleiben,
wenn die Feststellungen des Amtsgerichts zum Tathergang die konkreten Umstände
nicht erkennen lassen und so unvollständig sind, daß ihnen nicht sicher entnommen
werden kann, ob nicht das gesamte Tatbild erheblich vom Durchschnittsfall abweicht
und deshalb die Indizwirkung der Nr. 34.2 der BKatV entfällt. In einem solchen Fall
fehlt die tatsächliche Grundlage für die im Rahmen des Rechtsfolgenausspruches
vorzunehmende Würdigung der Tat.