Urteil des OLG Köln vom 13.03.1998

OLG Köln (explosion, 1995, höhe, kerze, stationäre behandlung, eigenes interesse, wohnung, bezug, kreis, schmerzensgeld)

Oberlandesgericht Köln, 3 U 131/97
Datum:
13.03.1998
Gericht:
Oberlandesgericht Köln
Spruchkörper:
3. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
3 U 131/97
Vorinstanz:
Landgericht Aachen, 1 O 72/96
Schlagworte:
Sozialhilfeträger Rückabtretung Schadensersatz
Normen:
SGB § 116; SGB I § 32; BSHG § 91 ABS. 4
Leitsätze:
1. Die Rückabtretung von auf den Sozialhilfeträger gemäß § 116 SGB X
übergegangenen Schadensersatzansprüchen an den Geschädigten ist
wegen Verstoßes gemäß § 32 I unwirksam. 2. § 91 Abs. 4 BSHG n. V. ist
auf gemäß § 116 SGB X übergegangene Schadensersatzansprüche
nicht analog anzuwenden.
Rechtskraft:
nicht rechtskräftig
Tenor:
Auf die Berufung der Beklagten und die Anschlußberufung der Klägerin
wird das am 13. Mai 1997 verkündete Urteil der 1. Zivilkammer des
Landgerichts Aachen - 1 O 72/96 - teilweise abgeändert und wie folgt
insgesamt neu gefaßt: Die Beklagte zu 1) wird verurteilt, die Klägerin
von deren Zahlungsverpflichtung aus Anlaß des Schadensfalles vom 21.
April 1995 im Hause J. 31 in E. in Höhe eines Betrages von 55.906,11
DM zu Schaden-Nr. BSI 51 21 3 50001 11 508 669 gegenüber der X.-
Versicherung freizustellen. Es wird festgestellt, daß die Beklagte zu 1)
verpflichtet ist, der Klägerin sämtliche materiellen Schäden zu ersetzen,
die ihr aus Anlaß der Explosion vom 21. April 1995 im Hause J. 31 in E.
seit dem 2. Januar 1996 entstanden sind und noch entstehen werden,
soweit sie nicht von dritter Seite getragen werden und auf diese ü-
bergegangen sind. Die weitergehende Klage gegen den Beklagte zu 1)
wird abgewiesen. Die Beklagte zu 2) wird verurteilt, an die Klä-gerin
20.550,00 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 12. Dezember 1996 zu zahlen.
Im übrigen wird die Berufung zurückgewiesen. Von den Kosten des
Rechtsstreits werden die Gerichtskosten und die außergerichtlichen
Kosten der Klägerin zu 14,6 %, der Beklagten zu 1) zu 75,5 % und der
Beklagten zu 2) zu 9,9 % auferlegt. Die außergerichtlichen Kosten der
Beklagten zu 1) fallen dieser selbst zu 83,8 % und der Klägerin zu 16,2
% zur Last. Die Beklagte zu 2) trägt ihre außergerichtlichen Kosten
selbst. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte zu 1) darf die
Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 76.000,00 DM
abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in
gleicher Höhe leistet.
T a t b e s t a n d :
1
Die Klägerin macht gegen die Beklagten Schadensersatzansprüche aufgrund einer
Gasexplosion am 21. April 1995 in ihrer Wohnung J. 31 in E. geltend. Die heute 84-
jährige Klägerin, die in der Wohnung allein lebte, betrieb in der Küche einen Gasherd
über eine Propangasflasche. Für den 21. April 1995 hatte sie bei der Beklagten zu 1),
die eine Eisen- und Haushaltswarenhandlung einschließlich Gasanlagen und Zubehör
betreibt, die Lieferung einer neuen Gasflasche bestellt. Die Beklagte zu 2), die seit dem
15. März 1994 im Geschäft der Beklagten zu 1) tätig ist, wurde von dieser mit der
Lieferung und dem Austausch der Gasflasche bei der Klägerin beauftragt. Die Beklagte
zu 2) war hinsichtlich der Handhabung und des Austausches der Gasflaschen
ausreichend unterwiesen worden und hatte das Wechseln der Gasflaschen bereits
früher bei der Klägerin mehrfach vorgenommen. Nachdem die Beklagte zu 2) mit dem
Abschrauben der alten Gasflasche begonnen hatte, kam es zu einer Explosion, bei der
sowohl die Klägerin als auch die Beklagte zu 2) schwer verletzt wurden und die
Wohnung der Klägerin erheblich beschädigt wurde. Während des Auswechselns der
Gasflasche brannte in einiger Entfernung auf dem Küchentisch eine Kerze. Die Klägerin
wurde im Zeitraum vom 21. April bis 27. April 1995 auf der Intensivstation und
anschließend stationär bis zum 31. Mai 1995 ärztlich behandelt. Am 4. Mai 1995 mußte
sich die Klägerin einer Hauttransplantation zur Behandlung der erlittenen
Verbrennungen u.a. im Gesicht und an den Händen unterziehen. Die von der Klägerin
aufgrund der Explosion erlittenen Verletzungen sind inzwischen abgeheilt. Bezüglich
des Gesundheitszustandes der Klägerin nach Abschluß der ärztlichen Behandlung wird
auf das fachchirurgische Gutachten der Dres. G., H. und von S. vom 11. März 1996 (Bl.
84 ff. d.A.) verwiesen. Die Gebäudeversicherung des Hauseigentümers machte mit
Schreiben vom 22. August 1995 (Bl. 7 d.A.) gegenüber der Klägerin einen auf sie
übergegangenen Schadensersatzanspruch wegen Gutachterkosten in Höhe von
3.716,69 DM (Bl. 8 d.A.) sowie des in der Wohnung eingetretenen Schadens in Höhe
von insgesamt 52.189,42 DM geltend. Hinsichtlich der Zusammensetzung des geltend
gemachten Sachschadens wird auf das zugrundeliegende Gutachten des Architekten
W. vom 23. Juni 1995 (Bl. 9 f.d.A.) Bezug genommen. Die Klägerin wurde nach der
Entlassung aus dem Krankenhaus ab dem 31. Mai 1995 im Altenheim des Kreises A., J.
in E., untergebracht. Die Pflegekosten wurden vom Kreis A. als Sozialhilfeträger
übernommen. Mit schriftlicher Abtretungserklärung vom 30. Mai 1996 (Bl. 133 d.A.) trat
der Kreis A. die gemäß § 116 SGB X auf ihn übergegangenen
Schadensersatzansprüche gegen den Verursacher der Gasexplosion an die Klägerin
ab. Die Pflegekosten belaufen sich für den Zeitraum vom 31. Mai 1995 bis zum 31.
Januar 1996 gemäß einer Aufstellung des L. abzüglich übergeleiteter Renten auf
30.108,87 DM (Bl. 90, 91 f.d.A.). Mit Schreiben vom 15. Juni 1996 forderte die Klägerin
die Beklagte zu 2) erfolglos zur Zahlung eines angemessenen Schmerzensgeldes bis
zum 19. Juni 1996 auf.
2
Die Klägerin hat behauptet, die Explosion sei darauf zurückzuführen, daß die Beklagte
zu 2) die alte Gasflasche vor dem Auswechselvorgang nicht ordnungsgemäß
zugeschraubt habe. Dies ergebe sich aus dem Umstand, daß die Gasflasche vom
Zeugen K. nach der Explosion mit 7-8 Umdrehungen habe geschlossen werden
müssen. Die Gasflasche sei nicht defekt gewesen, da sich die Explosion sonst zu einem
früheren Zeitpunkt ereignet hätte. Sie habe wegen der infolge der Explosion erlittenen
Verletzungen nicht mehr in ihre Wohnung zurückkehren können, sondern in das
Altenheim in E. ziehen müssen. Die Klägerin hat ein Schmerzensgeld in Höhe von
20.000,00 DM für angemessen gehalten.
3
Sie hat beantragt,
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1.
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7
die Beklagte zu 1) zu verurteilen, sie von der Zahlungsverpflichtung aus Anlaß des
Schadensfalles vom 21. April 1995 (Gebäudeexplosionsschaden) im Hause J. 31 in
E., in Höhe eines Betrages von 55.906,11 DM zu Schaden-Nr. BSI 51 21 3 50001 11
508 669 freizustellen;
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2.
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die Beklagte zu 1) zu verurteilen, zu ihrer Freistellung an den Oberkreisdirektor des
Kreises A. zum Aktenzeichen 50.31-3/2075 the/cr 30.108,87 DM als Erstattung des
Nettosozialhilfeaufwandes für den Zeitraum 31. Mai 1995 bis zum 31. Januar 1996 zu
zahlen;
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3.
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festzustellen, daß die Beklagte zu 1) verpflichtet ist, ihr sämtliche materiellen
Schäden zu ersetzen, die ihr aus Anlaß der Explosion vom 21. April 1995 im Hause
J. 31 in E. seit dem 1. Februar 1996 entstanden sind und noch entstehen werden,
soweit sie nicht von dritter Seite getragen werden;
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4.
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die Beklagte zu 2) zu verurteilen, an sie 550,00 DM nebst 4 % Zinsen hieraus ab
Klagezustellung (12. Dezember 1996) zu zahlen;
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5.
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23
die Beklagte zu 2) zu verurteilen, an sie ein angemessenes Schmerzensgeld zu
zahlen.
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Die Beklagten haben
25
Klageabweisung
26
beantragt.
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Sie haben behauptet, die Explosion sei auf einen Defekt der Gasflasche
zurückzuführen. Eine unbeschädigte Gasflasche lasse sich schon mit 4 bis maximal 5
Umdrehungen schließen. Der zur Explosion notwendige Sättigungsgrad von Propangas
in der Luft habe in der kurzen Zeitspanne zwischen der Abmontage der alten Gasflasche
und der Explosion unter normalen Umständen nicht erreicht werden können. Jedenfalls
treffe die Klägerin ein Mitverschulden an der Explosion, weil sie eine Kerze auf dem
Küchentisch habe brennen lassen.
28
Nach Beweisaufnahme hat das Landgericht der Klage durch Urteil vom 13. Mai 1997
(Bl. 187 ff. d.A.), auf das vollinhaltlich Bezug genommen wird, stattgegeben, wobei es
der Klägerin ein Schmerzensgeld in Höhe von 20.000,00 DM zugebilligt hat. Zur
Begründung hat es ausgeführt, die Beklagte zu 2) habe die Gasexplosion beim
Auswechseln der Gasflaschen fahrlässig herbeigeführt, indem sie die alte Flasche vor
dem Austausch nicht ordnungsgemäß zugeschraubt und nicht dafür Sorge getragen
habe, daß die auf dem Tisch brennende Kerze gelöscht oder entfernt wurde. Ein Defekt
an der Flasche sei durch die Beweisaufnahme nicht bestätigt worden. Die Klägerin treffe
im Hinblick auf die brennende Kerze kein Mitverschulden. Die Beklagte zu 1) müsse
sich das Verschulden der Beklagten zu 2) als ihrer Erfüllungsgehilfin zurechnen lassen.
Die Klägerin ihrerseits müsse sich das Verschulden der Beklagten zu 1) als ihrer
Erfüllungsgehilfin gegenüber dem Vermieter zurechnen lassen. Ihr stehe insofern ein
Anspruch auf Freistellung von dem auf die Gebäudeversicherung gemäß § 67 VVG
übergegangenen Anspruch in Höhe von 55.906,11 DM zu. Ferner sei die Beklagte zu 1)
verpflichtet, die Klägerin von dem Aufwendungsersatzanspruch des Oberkreisdirektors
des Kreises A. in Höhe des Nettosozialhilfeaufwandes von 30.108,87 DM für den
Zeitraum vom 31. Mai 1995 bis zum 31. Januar 1996 freizustellen. Der gemäß §§ 90
Abs. 4, 116 Abs. 1 SGB X auf den Kreis A. übergegangene Schadensersatzanspruch
sei der Klägerin am 30. Mai 1996 wirksam abgetreten worden. Die Unterbringung der
Klägerin im Altersheim sei auf die durch die Gasexplosion erlittenen körperlichen
Verletzungen sowie die dadurch notwendige Krankhausbehandlung zurückzuführen.
Hierdurch sei die Klägerin zum Pflegefall geworden. Der Feststellungsantrag
hinsichtlich der weiteren materiellen Schäden sei im Hinblick auf die dauerhafte
Heimunterbringung der Klägerin begründet.
29
Gegenüber der Beklagten zu 2) stehe der Klägerin ein Schadensersatzanspruch in
Höhe von 550,00 DM wegen der Kosten für ein ärztliches Attest zu. Ferner könne sie ein
Schmerzensgeld in Höhe von 20.000,00 DM verlangen, bei dessen Bemessung vor
allem ins Gewicht gefallen sei, daß die Klägerin infolge der durch die Explosion
erlittenen Verletzungen zum Vollpflegefall geworden sei.
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Gegen dieses ihnen am 9. Juni 1997 zugestellte Urteil haben die Beklagten am 8. Juli
1997 Berufung eingelegt und diese nach entsprechender Fristverlängerung am 8.
September 1997 begründet.
31
Sie meinen, ein Verschulden der Beklagten zu 2) an der Gasexplosion sei nicht
bewiesen. Das Gas könne auch durch einen Defekt am Ventil der Flasche ausgetreten
sein, wofür gerade die Schnelligkeit des Geschehens spreche. Jedenfalls trage die
Klägerin ein Mitverschulden, weil sie nicht dafür Sorge getragen habe, daß die Kerze
auf dem Küchentisch gelöscht oder entfernt wurde. Andere auf dem Tisch stehende
Gegenstände hätten der Beklagten zu 2) den Blick auf die Kerze verstellt. Die Beklagte
zu 1) könne nicht als Erfüllungsgehilfin der Klägerin in bezug auf ihre mietvertraglichen
Pflichten angesehen werden. Die Höhe der Zahlungsverpflichtung gegenüber der X.-
Versicherung könne auch nicht 55.906,11 DM ausmachen, weil sich die
Versicherungssumme auf lediglich 50.000,00 DM belaufe. Eine Rückabtretung von auf
den Sozialhilfeträger übergegangenen Ansprüchen sei nicht zulässig und daher nichtig.
Die Explosion sei auch nicht kausal für die Gewährung von Sozialhilfe an die Klägerin.
Diese sei schon vor der Explosion schwerbehindert und nicht in der Lage gewesen, sich
selbst zu versorgen. Soweit die Klägerin schon vor dem Schadensfall Sozialhilfe
bezogen habe, bestehe keine Kongruenz zwischen der gewährten Sozialhilfe und dem
Explosionsschaden.
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Die Beklagten beantragen,
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unter Abänderung des angefochtenen Urteils die gegen beide Beklagte gerichtete
Klage abzuweisen.
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Die Klägerin beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Im Wege der Anschlußberufung beantragt sie ferner,
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das zuzusprechende Schmerzensgeld ab 12. Dezember 1996 mit 4 % p.a. zu
verzinsen.
41
Sie behauptet, die Beklagte zu 2) habe beim Auswechseln der Gasflaschen das Ventil
der alten Flasche auf- statt zugedreht. Ihr - der Klägerin - könne kein Mitverschulden
angelastet werden. Die Beklagte zu 2) habe die brennende Kerze, die nicht zu
übersehen gewesen sei, als potentielle Gefahrenquelle erkennen müssen. Im übrigen
sei wahrscheinlich ein elektrischer Funke des Kühlschrankmotors Auslöser der
Explosion gewesen. Bis zum Unfall habe sie sich allein in ihrer Wohnung ohne fremde
Hilfe in allen Dingen des täglichen Lebens selbst versorgen können. Demgegenüber sei
sie nunmehr für praktisch alle Verrichtungen des täglichen Lebens auf Hilfe
angewiesen. Ihr psychisches Wohlbefinden sei durch den Unfall völlig zerstört worden.
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Bei der Gebäudeversicherung handele es sich um eine gleitende Neuwertversicherung;
die aktuelle Versicherungssumme, bezogen auf das Jahr 1995, betrage 1.012.071,80
DM.
43
Die Klägerin meint, der Sozialhilfeträger habe den auf ihn übergegangenen Anspruch
wirksam auf sie rückübertragen, und legt vorsorglich eine neue Abtretungserklärung des
Kreises A. vom 31. Dezember 1997 vor. Sie habe ein Interesse an der Geltendmachung
dieses Anspruchs, da ihr ein Aufwendungsersatzanspruch gemäß § 29 S. 2 BSHG
drohe und ihr Sohn durch den Kreis A. unter dem Gesichtspunkt der Unterhaltspflicht in
Anspruch genommen werde. Die von ihr vor dem Unfall bezogenen
Sozialhilfeleistungen hätten mit den Aufwendungen des Landschaftsverbandes
Rheinland für Pflegeleistungen nichts zu tun.
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Die Beklagte zu 2) beantragt,
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Zurückweisung der Anschlußberufung.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf den Inhalt der in
beiden Instanzen gewechselten Schriftsätze nebst überreichten Urkunden Bezug
genommen.
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Die Akte 42 Js 322/95 StA A. ist Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
49
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e:
50
Die in formeller Hinsicht nicht zu beanstandende Berufung der Beklagten zu 1) hat im
erkannten Umfang Erfolg. Hingegen ist die Berufung der Beklagten zu 2) unbegründet.
51
Das Landgericht hat eine Haftung der Beklagten für das Unfallereignis vom 21. April
1995 zu Recht bejaht. Auch der Senat hat nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme
keinen Zweifel daran, daß die Beklagte zu 2) die Gasexplosion fahrlässig herbeigeführt
hat, indem sie die auszutauschende Gasflasche vor dem Abschrauben der
Herdzuleitung nicht ordnungsgemäß zugeschraubt hat. Anders läßt es sich nicht
erklären, daß die Zeugin A. unmittelbar vor dem Explosionsknall ihren Bekundungen
zufolge ein lautes Zischen gehört hat; denn ein solches tritt nach den überzeugenden
Ausführungen des Sachverständigen B. in seinem im Ermittlungsverfahren erstatteten
Gutachten vom 8. Mai 1995 (Bl. 45 d.BA) nur dann auf, wenn das Flaschenventil nicht
dicht verschlossen ist. Des weiteren haben die Feuerwehrleute, nämlich die Zeugen K.
und G., bei ihrem Eintreffen festgestellt, daß aus dem Ventil der Gasflasche eine ca. 1 m
lange Flamme brannte. Nach den Angaben des Zeugen K. hat dieser das Ventil sodann
mit ca. 7 oder 8 Umdrehungen zugedreht. Es ist anzunehmen, daß es sich dabei um
einzeln angesetzte Handbewegungen und nicht etwa um volle Umdrehungen von 360°
gehandelt hat; denn in der damaligen kritischen Situation hat der Zeuge mit Sicherheit
nicht genau auf das Handrad geschaut, um die Zahl der vollen Umdrehungen
festzustellen. Insofern kann man aus der angegebenen Zahl nicht auf einen möglichen
technischen Defekt des Flaschenventils schließen. Entscheidend ist, daß es weit
aufgestanden hat. Da die Beklagte zu 2) nach ihren eigenen Angaben im
Ermittlungsverfahren (Bl. 83 d.GA) vor dem Zischen und der Explosion so lange an dem
Rad des Flaschenventils gedreht hatte, bis sie auf Widerstand stieß, kann dies nur
bedeuten, daß sie das Ventil auf- statt zugedreht hatte. In diesem Zustand kann sich die
Gasflasche keinesfalls schon vor dem Auswechseln befunden haben. Sonst wäre es
schon längst während des Gebrauchs der Gasflasche zum Kochen beim Anzünden des
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Herdes zu einer Explosion gekommen. Daß das Ventil nach dem Brand undicht war,
läßt sich damit erklären, daß die zur Abdichtung erforderliche Kunststoffdichtung infolge
Hitzeeinwirkung verbrannt war, wie der Sachverständige B. festgestellt hat.
Es kann offenbleiben, ob die für die Explosion ursächliche Zündquelle ein Funken des
anspringenden Kühlschrankmotors oder die auf dem Tisch stehende brennende Kerze
war; denn im Hinblick auf die volle Verantwortlichkeit der Beklagten zu 2) ist dies
irrelevant. Der Schuldvorwurf gründet sich auf das Öffnen der Rändelmutter des
Schlauchanschlusses bei Offenlassen des Flaschenventils. Wenn die Beklagte zu 2)
außerdem auch noch die brennende Kerze auf dem Küchentisch übersehen hat, obwohl
diese, wenn man aufrecht in der Küche stand, mit Sicherheit zu sehen war, so ist
hieraus ein zusätzlicher Schuldvorwurf gegen die Beklagte zu 2) herzuleiten. Nicht etwa
begründet dieser Umstand ein Mitverschulden der Klägerin im Sinne von § 254 BGB;
denn es wäre Sache der Beklagten zu 2) gewesen, die mit den
Sicherheitsbestimmungen vertraut sein mußte, sich vor dem Auswechseln der
Gasflasche nach möglichen Zündquellen umzuschauen und gegebenenfalls die
Klägerin hiernach zu befragen.
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Was den geltend gemachten Schaden anbetrifft, ist der gegen die Beklagte zu 1)
gerichtete Anspruch auf Freistellung von den Zahlungsverpflichtungen gegenüber der
X.-Versicherung begründet. Insoweit wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf die
zutreffenden Ausführungen des Landgerichts in dem angefochtenen Urteil Bezug
genommen. Das Berufungsvorbringen bietet keinen Anlaß zu einer abweichenden
Beurteilung. Vielmehr treffen nach Auffassung des Senats den Mieter beim
Auswechseln einer Gasflasche selbstverständlich mietvertragliche Obhutspflichten
gegenüber dem Vermieter, da hiermit eine Gefährdung von dessen Eigentum verbunden
ist. Da die Klägerin sich bei der Wahrung dieser Obhutspflichten der Beklagten bedient
hat, haftet sie für deren Verschulden gemäß § 278 BGB (vgl. Palandt-Heinrichs BGB 56.
Aufl., § 278 Rdnr. 16).
54
Soweit die Beklagte zu 1) hinsichtlich der Schadenshöhe geltend macht, die
Versicherungssumme betrage nur 50.000,00 DM, folgt aus diesem Umstand nicht, daß
die X.-Versicherung an den Vermieter nur 50.000,00 DM hätte zahlen müssen; denn es
handelt sich um eine gleitende Neuwertversicherung. Die aktuelle
Versicherungssumme beträgt tatsächlich 1.012.071,80 DM, wie sich aus dem Gutachten
des Sachverständigen W. (Bl. 11, 16 d.A.) ergibt. Der Freistellungsanspruch ist daher in
voller Höhe begründet.
55
Dagegen steht der Klägerin gegen die Beklagte zu 1) kein Anspruch auf Erstattung des
Sozialhilfeaufwands in Höhe von 30.108,87 DM für die Zeit vom 31. Mai 1995 bis zum
31. Januar 1996 an den Kreis A. zu. Entgegen der Auffassung des Landgerichts ist die
Klägerin insoweit nicht aktivlegitimiert. Die Rückabtretung des gemäß § 116 SGB X auf
den Oberkreisdirektor A. übergegangenen Schadensersatzanspruchs mit Schreiben
vom 30. Mai 1996 ist wegen Verstoßes gegen § 32 SGB I unwirksam, weil sie zum
Nachteil des Sozialleistungsberechtigten von den Vorschriften des SGB abweicht. Der
Senat schließt sich insoweit der Rechtsprechung des BGH an (vgl. BGH NJW 94, 1733
und FamRZ 96, 1203 ff., 1207 ff.). Die Entscheidungen des BGH sind zwar zu gemäß §
91 BSHG übergegangenen Unterhaltsansprüchen ergangen. Die Erwägungen, der
Sozialhilfeempfänger dürfe nicht mit dem (Kosten-)Risiko der Prozeßführung belastet
werden, gelten aber in gleicher Weise für den nach § 116 SGB X übergegangenen
Anspruch. Prozeßökonomische Erwägungen hat der BGH ausdrücklich nicht für eine
56
Prozeßführung durch den Sozialhilfeempfänger anerkannt. Der Gesetzgeber hat nun
zwar auf diese höchstrichterliche Rechtsprechung durch Änderung des § 91 Abs. 4
BSHG, die seit dem 1. August 1996 in Kraft ist, reagiert. Hiernach ist dem
Sozialhilfeträger nunmehr die treuhänderische Rückübertragung des übergegangenen
Unterhaltsanspruchs auf den Hilfeempfänger gegen Kostenübernahme gestattet. Die
Abtretung vom 30. Mai 1996 ist im vorliegenden Fall aber vor der gesetzlichen
Neuregelung vorgenommen worden. Insofern verbleibt es - unabhängig von der
Anwendbarkeit des § 91 Abs. 4 BSHG auf den gemäß § 116 SGB X übergegangenen
Anspruch - bei der Nichtigkeit, da die Änderung des § 91 BSHG nicht zurückwirkt (vgl.
OLG Düsseldorf und OLG Frankfurt FamRZ 97, 501).
Soweit der Kreis A. nunmehr den Anspruch auf Ersatz von Pflegekosten erneut unter
dem 31. Dezember 1997 auf die Klägerin rückübertragen hat, ist auch diese Abtretung
nach § 32 SGB I nichtig. Eine unmittelbare Anwendung des § 91 Abs. 4 BSHG n.F.
kommt nicht in Betracht, da diese Vorschrift nur für Unterhaltsansprüche gilt. Nach
Auffassung des Senats scheidet auch eine analoge Anwendung dieser Vorschrift - wie
sie etwa vom OLG Köln für den nach § 7 UVG übergegangenen Unterhaltsanspruch
bejaht wird (OLG R 97, 49) - auf den gemäß § 116 SGB X übergegangenen
Schadensersatzanspruch aus. Bei der gesetzlichen Neuregelung haben die
Besonderheiten des Unterhaltsprozesses im Vordergrund gestanden. Im Hinblick
darauf, daß die Unterhaltsverpflichteten des öfteren monatlich wechselnde Zahlungen
leisten mit der Folge, daß der Unterhaltsberechtigte bei Nicht- oder Teilzahlung Hilfe
zum Lebensunterhalt erhält, erschien es aus prozeßökonomischen Gründen sinnvoll,
wenn der Unterhaltsprozeß einheitlich durch die Unterhaltsberechtigten geführt wird.
Diese besondere Situation ist aber bei gemäß § 116 SGB X übergangenen
Schadensersatzansprüchen nicht gegeben. Der Gesetzgeber hat hier auch von einer
entsprechenden Neuregelung abgesehen. Eine analoge Anwendung des § 91 Abs. 4
BSHG verbietet sich daher.
57
Es kommt auch keine Umdeutung der Abtretung in eine Einziehungsermächtigung in
Betracht, da diese ebenfalls wegen Verstoßes gegen § 32 SGB I nichtig wäre (vgl. OLG
Düsseldorf a.a.O.). Es bedarf daher keiner Entscheidung, ob die Klägerin ein eigenes
Interesse an der Prozeßführung hat.
58
Der gegenüber der Beklagten zu 1) gemachte Feststellungsantrag ist begründet.
Insoweit wird auf die zutreffenden Ausführungen des Landgerichts Bezug genommen.
59
Des weiteren steht der Klägerin gegen die Beklagte zu 2) gemäß § 823 Abs. 1 BGB ein
Schadensersatzanspruch in Höhe von 550,00 DM wegen der Kosten für das ärztliche
Attest zu. Auch insofern wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf die zutreffenden
Ausführungen des Landgerichts in dem angefochtenen Urteil verwiesen.
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Der gegen die Beklagte zu 2) gerichtete Schmerzensgeldanspruch ist ebenfalls in der
zuerkannten Höhe von 20.000,00 DM begründet. Der Senat geht übereinstimmend mit
dem Landgericht davon aus, daß die Klägerin infolge der durch die Explosion erlittenen
Verletzungen ein Vollpflegefall geworden ist. Wie der Sachverständige Dr. G.
überzeugend ausgeführt hat, ist die jetzige Unfähigkeit der Klägerin, sich selber zu
versorgen, sehr wahrscheinlich auf die lange Immobilisation durch das
Verbrennungstrauma - 6 Wochen stationäre Behandlung - zurückzuführen. Die
Behauptung der Beklagten 2), die Klägerin sei schon vor dem Unfall von der Nachbarin,
der Zeugin A., versorgt worden, auch ihr Neffe, der Zeuge Gi., habe sich regelmäßig um
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sie gekümmert, ist nicht hinreichend substantiiert. Soweit der Zeuge Gi. im
Ermittlungsverfahren angegeben hat, er kümmere sich regelmäßig um die Klägerin (Bl.
8 d.BA), kann dem nur die Bedeutung beigemessen werden, daß er sie regelmäßig
besucht hat. Eine Hilfe des Zeugen bei den täglichen Verrichtungen scheidet schon
deshalb aus, weil er nicht in E., sondern in S. wohnt. Die Zeugin A. hat angegeben, sie
gehe jeden Morgen gegen 9.00 Uhr zur Klägerin, um dort nach dem Rechten zu sehen
(Bl. 21 d.BA). Auch dies kann nicht dahin verstanden werden, daß die Zeugin die
Klägerin gepflegt, ihr also beim An- und Auskleiden, Waschen, Einkaufen und Kochen
geholfen hätte. Unstreitig war die Klägerin nicht bettlägerig. Eine Vernehmung der
Zeugin zu Art und Umfang der "Versorgung" der Klägerin wäre unzulässige
Ausforschung.
Entscheidend für den immateriellen Schaden der Klägerin ist, daß sie vor dem Unfall
selbständig - wenn auch vielleicht mit nachbarlichen Hilfeleistungen - in ihrer Wohnung
leben konnte und nun für den Rest ihres Lebens zum Vollpflegefall geworden ist, was
für sie eine gravierende psychische Beeinträchtigung bedeutet. Dafür, daß sie vorher
noch rüstig gewesen ist, spricht der Umstand, daß sie noch bis Ende Juli 1993 als
selbständige Kauffrau einen "Tante-Emma-Laden" geführt hat. Im Hinblick darauf, daß
mit fortschreitendem Alter ohnehin mit körperlichen Beeinträchtigungen zu rechnen war
und die Verletzungen gut abgeheilt sind, hält der Senat allerdings auch eine
Heraufsetzung des Schmerzensgeldes nicht für geboten.
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Die mit der Anschlußberufung verfolgten Prozeßzinsen sind gemäß §§ 284 Abs. 1 S. 2,
288 Abs. 1 BGB begründet.
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Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 92, 97 Abs. 1, 100 Abs. 2 ZPO.
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711 S.
1, 713 ZPO.
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Streitwert für das Berufungsverfahren: 206.564,98 DM
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Beschwer der Klägerin: 30.108,87 DM
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Beschwer der Beklagten zu 1): 155.906,11 DM
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Beschwer der Beklagten zu 2): 20.550,00 DM
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