Urteil des OLG Köln vom 15.11.2005

OLG Köln: vorläufige einstellung, haftbefehl, polizei, verfall, kaution, untersuchungshaft, tod, sicherheitsleistung, adresse, entschuldigung

Oberlandesgericht Köln, 2 Ws 525-527/05
Datum:
15.11.2005
Gericht:
Oberlandesgericht Köln
Spruchkörper:
2. Strafsenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
2 Ws 525-527/05
Schlagworte:
behaupteter Tod des Angeklagten
Normen:
StPO § 116 Abs. 4; § 124 Abs. 1
Tenor:
Die Beschwerde und die sofortige Beschwerde werden auf Kosten des
Angeklagten verworfen.
Gründe:
1
I.
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Der Angeklagte wurde am 09.01.2004 in B. festgenommen. Am 10.01.2004 erließ das
Amtsgericht Aachen Haftbefehl wegen des dringenden Tatverdachts des Einsatzes
gefälschter Zahlungskarten mit Garantiefunktion mit einem verursachten Schaden in
Höhe von ca. 30.000 €; als Haftgrund nahm das Amtsgericht Fluchtgefahr an. Aufgrund
Haftverschonungsbeschlusses des Amtsgerichts Aachen wurde der Angeklagte am
22.03.2004 gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 20.000 € aus der Untersuchungshaft
entlassen.
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Zu dem auf den 11.08.2004 bestimmten Hauptverhandlungstermin vor dem Landgericht
Aachen wurde der Angeklagte ordnungsgemäß geladen, erschien jedoch nicht. Sein
Verteidiger legte eine angebliche algerische Sterbeurkunde vor, wonach der Angeklagte
am 28.06.2004 an seinem Geburtsort in Algerien verstorben sei. Er beantragte, den
Haftbefehl aufzuheben, die Kaution freizugeben und das Verfahren nach § 206a StPO
einzustellen. Das Landgericht Aachen stellte eine Entscheidung über die Anträge
zurück und beschloss, zunächst die Echtheit der Sterbeurkunde überprüfen zu lassen.
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Mit dem nunmehr angegriffenen Beschluss hat das Landgericht Aachen auf Antrag der
Staatsanwaltschaft Aachen und nach Einholung einer Stellungnahme des Verteidigers
entschieden, den Haftverschonungsbeschluss aufzuheben und den Haftbefehl wieder in
Vollzug zu setzen. Weiter hat es die Sicherheit für verfallen erklärt und das Verfahren
vorläufig nach § 205 StPO eingestellt. Die Anträge des Verteidigers aus der
Hauptverhandlung hat es zurückgewiesen. Zur Begründung führt das Landgericht aus,
dass die über das algerische Generalkonsulat in Bonn vermittelte Überprüfung der
Sterbeurkunde seitens der angeblichen algerischen Ausstellungsbehörde ergeben
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habe, dass die Urkunde "nicht authentisch" sei. Dies deute darauf hin, dass der
Angeklagte sich durch Vortäuschung seines Versterbens dem Verfahren entziehen und
die Kaution retten wolle. Dies werde ergänzend bestätigt durch die Ermittlungen der
französischen Polizei, die an der ursprünglich angegeben Wohnanschrift des
Angeklagten in der Nähe von Paris lediglich die Mutter des Angeklagten angetroffen
habe; diese habe ausgesagt, dass ihr Sohn hier nicht wohne, aber am Leben sei und sie
von Zeit zu Zeit besuche.
Gegen diesen ihm am 10.10.2005 zugestellten Beschluss wendet sich der Verteidiger
des Angeklagten mit seinem als "Beschwerde und sofortige Beschwerde" bezeichneten
Rechtsbehelf, der am 13.10.2005 bei dem Landgericht Aachen eingegangen ist. Er
erklärt darin, dass er den Beschluss seinem gesamten Inhalt nach anfechte. Sein
Mandant sei verstorben; die bisherigen Ermittlungen seien nicht ausreichend. Des
weiteren verweist er auf bereits früher benannte Zeugen aus dem familiären Umfeld des
Angeklagten in Frankreich, die das Versterben des Angeklagten bestätigen könnten.
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Das Landgericht Aachen hat der Beschwerde nicht abgeholfen und den Rechtsbehelf
insgesamt dem Oberlandesgericht vorgelegt.
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Die Generalstaatsanwaltschaft beantragt, die Beschwerde, soweit sie sich gegen die
vorläufige Verfahrenseinstellung nach § 205 StPO richtet, wegen § 305 Satz 1 StPO als
unzulässig und den Rechtsbehelf im übrigen als unbegründet zu verwerfen.
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Der Verteidiger hat auf mündliche Erörterung gemäß § 124 Abs. 2 Satz 3 StPO
verzichtet.
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II.
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Der Rechtsbehelf ist zulässig, aber unbegründet.
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1. Der Rechtsbehelf ist insgesamt zulässig. Soweit er sich gegen den Verfall der
Sicherheit richtet, handelt es sich gemäß § 124 Abs. 2 Satz 2 StPO um eine sofortige
Beschwerde; insofern ist die Wochenfrist des § 311 Abs. 2 StPO gewahrt. Im übrigen ist
der Rechtsbehelf als einfache Beschwerde gegen die Aufhebung des
Haftverschonungsbeschlusses und die Wiederinvollzugsetzung des Haftbefehls sowie
gegen die vorläufige Verfahrenseinstellung zu verstehen. Der Zulässigkeit dieser
Beschwerde auch gegen die vorläufige Verfahrenseinstellung steht § 305 Satz 1 StPO
nicht entgegen. Denn es handelt sich insoweit, anders als bei der die vorläufige
Einstellung ablehnenden Entscheidung, nicht um eine der Urteilsfällung dienende und
mit ihr in unmittelbarem Zusammenhang stehende Entscheidung ohne eigene
prozessuale Bedeutung, die aus verfahrensökonomischen Gründen gemäß § 305 Satz1
StPO zusammen mit dem Urteil selbst anzugreifen ist (so i. Erg. auch Meyer-Goßner,
StPO, 48. Aufl. 2005, § 205 Rz. 4; Tolksdorf, in: Karlsruher Kommentar, StPO, 5. Aufl.
2003, § 205 Rz. 15). Vielmehr verhindert die vorläufige Verfahrenseinstellung ja gerade
- momentan - die Urteilsfällung und entfaltet insofern eigene prozessuale Bedeutung;
eine Verfahrensverzögerung durch die Notwendigkeit, zunächst über die Beschwerde
zu entscheiden, steht gerade nicht zu befürchten.
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2. Der Rechtsbehelf ist jedoch unbegründet.
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a) Zunächst liegen die Voraussetzungen für die Aufhebung des
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Haftverschonungsbeschlusses und die Wiederinvollzugsetzung des Haftbefehls gemäß
§ 116 Abs. 4 Nr. 2 StPO vor. Der Angeklagte ist trotz ordnungsgemäßer Ladung der
Hauptverhandlung ohne genügende Entschuldigung ferngeblieben; der Zweck der
Außervollzugsetzung des Haftbefehls gegen Sicherheitsleistung wurde verfehlt. Es gibt
keinerlei Veranlassung, das Ergebnis der über die algerischen Behörden geführten
Ermittlungen hinsichtlich der Unechtheit der Sterbeurkunde anzuzweifeln; inwiefern
diese unzureichend sein sollen, wie der Verteidiger des Angeklagten behauptet, ist nicht
erkennbar.
Die Aussage der Mutter des Angeklagten gegenüber der französischen Polizei stützt
dieses Ergebnis zusätzlich. Eine Vernehmung weiterer in Frankreich wohnhafter
Zeugen aus dem familiären Umfeld des Angeklagten erscheint demgegenüber nicht
erforderlich. Wenn sogar im Strengbeweisverfahren eine im pflichtgemäßen Ermessen
des Gerichts stehende gewisse Vorabwürdigung bei Auslandszeugen anerkannt ist (vgl.
§ 244 Abs. 5 Satz 2 StPO), so muss dies erst recht im Freibeweisverfahren außerhalb
der Hauptverhandlung gelten. Vor dem Hintergrund des eindeutigen Ergebnisses der
durchgeführten Ermittlungen ist die Vernehmung weiterer Zeugen aus dem familiären
Umfeld des Angeklagten nicht geboten. Es bleibt unklar, aus welchen Gründen die
übrigen Familienmitglieder vom Versterben des Angeklagten, zu dem keinerlei
konkretisierende Angaben gemacht wurden, Kenntnis haben sollen, während sich die
Mutter im Hinblick auf die Besuche ihres Sohnes geirrt haben müsste.
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b) Auch die Voraussetzungen für den Verfall der bislang nicht frei gewordenen
Sicherheit nach § 124 Abs. 1 StPO liegen vor. Der Angeklagte hat sich der
Untersuchung, die mit der vorläufigen Einstellung noch keinen endgültigen Abschluss
gefunden hat, entzogen, indem er zu der Hauptverhandlung nicht erschienen ist und
versucht hat, seinen Tod vorzutäuschen. Er steht der Untersuchung nicht mehr jederzeit
ungehindert zur Verfügung; nach den Ermittlungen der französischen Polizei hält er sich
unter seiner ursprünglichen Adresse in Frankreich nicht (mehr) auf. Dem Verfall steht
auch die Wiederinvollzugsetzung des Haftbefehls nicht entgegen, denn eine Freigabe
der Sicherheit gemäß § 123 Abs. 1 Nr. 2 StPO hätte nur erfolgen können, wenn die
Untersuchungshaft als solche vollzogen, also angetreten worden wäre.
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c) Zuletzt liegen die Voraussetzungen für eine vorläufige Verfahrenseinstellung nach §
205 StPO vor. Der Angeklagte ist derzeit unbekannten Aufenthalts.
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III.
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Die Kosten des Verfahrens trägt entsprechend § 473 Abs. 1 StPO der Angeklagte.
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