Urteil des OLG Köln vom 27.01.1998

OLG Köln (stgb, freiheitsstrafe, blutalkoholkonzentration, stpo, umstände, geldstrafe, täter, sache, verhandlung, stv)

Oberlandesgericht Köln, Ss 720/97 - 13 -
Datum:
27.01.1998
Gericht:
Oberlandesgericht Köln
Spruchkörper:
1. Strafsenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
Ss 720/97 - 13 -
Tenor:
Das angefochtene Urteil wird mit seinen Feststellungen aufgehoben. Die
Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die
Kosten der Revision, an eine andere Abteilung des Amtsgerichts
Siegburg zurückverwiesen.
G r ü n d e:
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Das Amtsgericht hat die Angeklagte wegen fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr (§ 316
StGB) zu einer Freiheitsstrafe von drei Monaten mit Bewährung verurteilt. Ferner hat es
ihr die Fahrerlaubnis entzogen, den Führerschein eingezogen und angeordnet, daß vor
Ablauf von zehn Monaten keine neue Fahrerlaubnis erteilt werden dürfe (§§ 69, 69 a
StGB). Die Schuldfeststellungen lauten wie folgt:
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"Am 24. Mai 1997 gegen 1.25 Uhr befuhr die Angeklagte nach erheblichem
Alkoholkonsum -die Blutalkoholkonzentration betrug 1,35 Promille- mit dem PKW...unter
anderem die B 484 in Lohmar. Die Angeklagte hätte erkennen können und müssen, daß
sie alkoholbedingt fahruntauglich war."
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Zur Strafzumessung heißt es u.a.:
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"Nach Würdigung...(aller) Umstände ist das Gericht zu dem Ergebnis gelangt, daß eine
Freiheitsstrafe von drei Monaten erforderlich und ausreichend ist...Zu Gunsten (der
Angeklagten) ist hierbei insbesondere ihr Geständnis berücksichtigt. Zu (ihren)
Lasten...mußte demgegenüber (die) einschlägige Vorverurteilung (erg.: durch Urteil vom
08.11. 1994 wegen fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr zu einer Geldstrafe von 30
Tagessätzen) gewertet werden. Aus ihr folgt, daß die Angeklagte sich durch die
Verhängung einer Geldstrafe nicht von der Teilnahme am Straßenverkehr unter
Alkoholeinfluß abhalten läßt."
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Gegen das Urteil richtet sich die auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte (Sprung-)
Revision der Angeklagten mit der Sachrüge.
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Das Rechtsmittel hat (vorläufigen) Erfolg.
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Es führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils in vollem Umfang und zur
Zurückverweisung der Sache an die Vorinstanz (§§ 353, 354 Abs. 2 StPO).
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Zwar hat die Verteidigung die (Sprung-) Revision durch Schriftsatz vom 01.12. 1997
ausdrücklich auf die Anfechtung des Rechtsfolgenausspruchs beschränkt. Diese
Erklärung ist jedoch unwirksam. Nach anerkannter und richtiger Auffassung ist eine
Beschränkung nicht möglich, wenn die Feststellungen zur Tat, sei es auch nur zur
inneren Tatseite, so knapp, unklar, unvollständig oder widersprüchlich sind, daß sie
keine hinreichende Grundlage für die Prüfung der Rechtsfolgenentscheidung bilden
(vgl. BGHSt. 33, 59; BGH NStZ 1994, 130; Senat VRS 77, 452; SenE vom 30.08. 1996 -
Ss 424/96- und vom 04.11. 1997 -Ss 547/97-; BayObLG VRS 93, 108; Kleinknecht/
Meyer-Goßner, StPO, 43. Aufl., § 344 Rn. 7; § 318 Rn. 16 m.w.N.). So verhält es sich
hier. Im angefochtenen Urteil wird lediglich mitgeteilt, die "Blutalkoholkonzentration"
habe 1,35 Promille betragen. Ob es sich dabei um den Entnahmewert handelt oder
einen für die Tatzeit hochgerechneten Wert, geht daraus nicht hervor. Auch der
Zeitpunkt, zu dem die Blutprobe entnommen worden ist, wird nicht angegeben. Die
Alkoholbeeinflussung zur Tatzeit ist für den Schuldspruch von wesentlicher Bedeutung.
Je nach Zeitspanne zwischen Tatbegehung und Blutentnahme kann Anlaß bestehen,
die Frage der Schuldfähigkeit zu prüfen (vgl. OLG Köln NStZ 1984, 379; VRS 65, 384;
BayObLG VRS 89, 128; Kleinknecht/Meyer-Goßner a.a.O. § 318 Rn. 17 m.w.N.). Liegt
zwischen Tatzeit und Blutentnahme ein längerer Zeitraum, wie es gerade in ländlichen
Bezirken erfahrungsgemäß häufiger vorkommen kann, wenn der diensthabende Arzt
anderweitig im Einsatz ist, kann sich bei ordnungsgemäßer Rückrechnung mit den für
den Täter günstigsten Werten -d.h. ein stündlicher Abbauwert von 0,2 Promille und ein
einmaliger Sicherheitszuschlag von 0,2 Promille ab Trinkende (vgl. BGH StV 1991, 18;
Senat NStZ 1989, 24; Tröndle, StGB, 48. Aufl. § 20 Rn. 9 f m.w.N.)- eine Tatzeit-
Blutalkoholkonzentration ergeben, die eine Prüfung und Erörterung des § 20 StGB
notwendig macht. Da nach den lückenhaften Urteilsgründen des Amtsgerichts für das
Revisionsgericht nicht erkennbar ist, ob der Tatrichter diesen Gesichtspunkt zu Recht
unerörtert gelassen hat, fehlt es nicht nur an einer wirksamen Revisionsbeschränkung,
sondern zugleich auch an vollständigen Schuldfeststellungen mit der Folge, daß die
angefochtene Entscheidung insgesamt keinen Bestand haben kann. Gemäß § 354 Abs.
2 StPO ist die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung unter Beachtung der
oben angeführten Grundsätze an die Vorinstanz zurückzuverweisen.
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Für die neue Verhandlung wird bemerkt:
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Im Falle der Verurteilung wegen einer (folgenlosen) Trunkenheitsfahrt ist der Tatrichter
regelmäßig verpflichtet, neben der Höhe der Blutalkoholkonzentration und der
Schuldform weitere Umstände festzustellen, die geeignet sind, den Schuldumfang näher
zu bestimmen und einzugrenzen (vgl. BayObLG VRS 93, 108; OLG Karlsruhe VRS 79,
199, 200). Wichtige Kriterien sind dabei Dauer und Länge der bereits zurückgelegten
und noch beabsichtigten Fahrstrecke, Verkehrsbedeutung der befahrenen Straßen
sowie der private oder beruflich bedingte Anlaß der Fahrt. Bedeutsam kann ferner sein,
ob der Täter auf einer "Zechtour" war und in Fahrbereitschaft getrunken hat oder eher
zufällig zur Alkoholaufnahme kam, ob er aus eigenem Antrieb handelte oder von Dritten
verleitet wurde, ob ihm bewußte oder unbewußte Fahrlässigkeit anzulasten ist und ob er
sich in ausgeglichener Gemütsverfassung oder einer Ausnahmesituation befand (vgl.
BayObLG a.a.O.). Feststellungen hierzu oder wenigstens zu einigen nach Lage des
Einzelfalles besonders bedeutsamen Umständen sind im allgemeinen zur näheren
Bestimmung des Schuldgehalts der Tat als Grundlage für eine sachgerechte
Rechtsfolgenbemessung erforderlich. Anders verhält es sich nur, wenn außer der
Angabe von Tatzeit, Tatort und Blutalkoholwert keine weiteren, für den Schuldumfang
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wesentlichen Feststellungen mehr möglich sind, weil der Angeklagte zu den näheren
Tatumständen schweigt und Beweismittel dafür entweder nicht zur Verfügung stehen
oder nur mit unverhältnismäßigem Aufwand zu beschaffen wären. In diesem Fall sind
nach Auffassung des Senats (SenE vom 04.11. 1997 a.a.O.; zweifelnd, aber offen
gelassen: BayObLG a.a.O.) auch die knappen, auf Tatzeit, Tatort und Blutalkoholwert
beschränkten Angaben als Grundlage für den Schuldspruch ausreichend, sofern im
Urteil hinreichend klargestellt wird, daß sich darüber hinaus kein Ansatzpunkt zur
Aufklärung näherer Tatumstände, die für den Schuldgehalt bestimmend sein könnten,
gezeigt hat.
Freiheitsstrafen unter 6 Monaten dürfen nach § 47 Abs. 1 StGB nur verhängt werden,
wenn besondere Umstände, die in der Tat oder der Persönlichkeit des Täters liegen, die
Verhängung einer Freiheitsstrafe zur Einwirkung auf den Täter oder zur Verteidigung
der Rechtsordnung unerläßlich machen. Als Ausnahme von der Regel (vgl. Tröndle
a.a.O. § 47 Rn. 1 m.w.N.) muß die Festsetzung der Freiheitsstrafen, seien es Einzel-
und/oder Gesamtstrafen, im Urteil nachvollziehbar begründet werden (§ 267 Abs. 3 Satz
2 StPO). Dem Urteil muß sich somit nachprüfbar entnehmen lassen, weshalb der
Tatrichter die Voraussetzungen des § 47 Abs. 1 StGB bejaht hat (vgl. SenE. vom 01.07.
1997 -Ss 364/97-). Wird die Notwendigkeit einer kurzen Freiheitsstrafe auf
(einschlägige) Vorbelastungen gegründet, bedarf es hinreichender Darlegungen über
die den einzelnen Verurteilungen zugrunde liegenden Sachverhalte und
gegebenenfalls auch über den hiermit zusammenhängenden Umfang der Schuld, damit
das Revisionsgericht überprüfen kann, ob der Tatrichter die Voreintragungen in ihrer
Bedeutung und Schwere richtig gewertet hat (vgl. BGH, bei Holtz, MDR 1990, 97; SenE
vom 16.05. 1997 -Ss 162/97-; OLG Koblenz StV 1994, 291, 292), zumal selbst bei
einschlägigen Vorstrafen die Verhängung von Geldstrafe nicht grundsätzlich
ausgeschlossen ist (vgl. OLG Köln StV 1984, 378). Ob es zur Einwirkung auf einen
Wiederholungstäter unerläßlich ist, auf Freiheitsstrafe zu erkennen, hängt von den
Umständen des Einzelfalles ab, so auch vom Gewicht und dem zeitlichen Abstand einer
oder mehrerer Vorstrafen (vgl. OLG Köln a.a.O.).
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