Urteil des OLG Köln vom 14.06.2000

OLG Köln: operation, schmerzensgeld, dokumentation, behandlungsfehler, lähmung, chefarzt, abrede, atembeschwerden, organisation, patient

Oberlandesgericht Köln, 5 U 258/99
Datum:
14.06.2000
Gericht:
Oberlandesgericht Köln
Spruchkörper:
5. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
5 U 258/99
Vorinstanz:
Landgericht Aachen, 11 O 139/96
Tenor:
Auf die Berufung der Beklagten wird das am 29. November 1999
verkündete Urteil der 11. Zivilkammer des Landgerichts Aachen - 11 O
139/96 - unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels
teilweise abgeändert und insgesamt wie folgt neu gefasst: Die gegen die
Beklagte zu 3) gerichtete Klage wird abgewiesen. Die Beklagten zu 1),
2) und 4) werden unter Abweisung der Klage im übrigen als
Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin 36.620,- DM nebst 4%
Zinsen aus einem Betrag von 26.540,- DM seit dem 30. September 1996
und 4% Zinsen aus einem weiteren Betrag von 10.080,- DM seit dem 1.
Juli 1999 zu zahlen. Darüber hinaus werden die Beklagten zu 1) und 2)
als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin 4% Zinsen aus 26.540,-
DM zu zahlen für die Zeit vom 10. Juni 1996 bis 29. September 1996. Es
wird festgestellt, dass die Beklagten zu 1), 2) und 4) als
Gesamtschuldner verpflichtet sind, der Klägerin aufgrund des Eingriffes
vom 19. Oktober 1993 den noch entstehenden materiellen Schaden zu
ersetzen, soweit er nicht auf Dritte übergegangen ist bzw. übergeht. Die
Kosten des Rechtsstreits beider Instanzen werden wie folgt verteilt: Von
den Gerichtskosten haben die Klägerin 51% und die Beklagten zu 1), 2)
und 4) als Gesamtschuldner 49% zu tragen. Die außergerichtlichen
Kosten der Klägerin haben die Beklagten zu 1), 2) und 4) als
Gesamtschuldner zu 49% zu tragen. Die außergerichtlichen Kosten der
Beklagten zu 1), 2) und 4) hat die Klägerin zu 35% zu tragen. Die
außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu 3) hat die Klägerin zu 100%
zu tragen. Im übrigen findet eine Kostenerstattung nicht statt. Das Urteil
ist vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
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Die Klägerin hatte sich bereits im Jahr 1948 einer Schilddrüsenoperation unterzogen,
die eine Lähmung des rechten Stimmbandnervs zur Folge hatte. Nach einer einjährigen
logopädischen Behandlung traten bei der Klägerin keine Sprachstörungen mehr auf.
Nachdem es seit 1990 zu Atembeschwerden gekommen war, stellte sich die Klägerin
auf Anraten ihrer Hausärztin am 12. Oktober 1993 bei dem während des Rechtsstreits
verstorbenen Beklagten zu 2) (im folgenden nur: Beklagter zu 2)), dem damaligen
Chefarzt der chirurgischen Abteilung der Beklagten zu 1), vor, der der Klägerin zu einer
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Rezidivoperation riet. Diese Operation wurde am 19. Oktober 1993 von der Beklagten
zu 3), der Oberärztin der chirurgischen Abteilung, vorgenommen. Nach dem operativen
Eingriff trat eine Lähmung des linken Stimmbandes auf. In der Folgezeit musste sich die
Klägerin wegen auftretender Atemnot mehreren Nachoperationen unterziehen.
Die Parteien streiten in erster Linie darum, ob die Klägerin über die Risiken der
Rezidivoperation bei dem Gespräch am 12. Oktober 1993 mit dem Beklagten zu 2) oder
am Tag vor der Operation durch den Beklagten zu 4), dem Stationsarzt, hinreichend
aufgeklärt worden ist.
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Die Klägerin hat behauptet, sie sei weder über Behandlungsalternativen noch
insbesondere über die - unstreitig erhöhten - Risiken einer Stimmbandlähmung bei einer
Rezidivoperation aufgeklärt worden. Hätte sie von diesen Risiken erfahren, hätte sie die
nicht lebenswichtige Operation jedenfalls zum damaligen Zeitpunkt nicht durchführen
lassen. Zu den Folgen der Operation hat sie behauptet, sie könne nicht mehr richtig
sprechen und singen; wegen Atemnot könne sie sich auch nicht mehr richtig bücken
und nicht mehr über längere Strecken wandern. Auch ihren Haushalt könne sie nur noch
eingeschränkt selbst führen; sie sei auf eine Haushaltshilfe angewiesen, die seit 1.
Januar 1994 4 Stunden in der Woche für sie tätig sei.
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Die Klägerin hat Ersatz der Aufwendungen für die Haushaltshilfe für die Zeit vom 1.
Januar 1994 bis 30. September 1999 in Höhe von 16.620,- DM sowie ein
Schmerzensgeld, dessen Höhe sie mit 35.000,- DM für angemessen hält, beansprucht.
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Sie hat beantragt,
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1. die Beklagten zu 1) bis 4) als Gesamtschuldner zu verurteilen, an sie 16.620,- DM
nebst 4% Zinsen vom 6.540,- DM seit dem 10. Juni 1996 und 4% Zinsen aus
10.080,- DM ab dem 1. Juli 1999 zu zahlen;
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1. die Beklagten zu 1) bis 4) als Gesamtschuldner zu verurteilen, an sie aufgrund des
Vorfalles vom 19. Oktober 1993 ein angemessenes, in das Ermessen des Gerichts
gestelltes Schmerzensgeld nebst 4% Zinsen seit dem 10. Juni 1996 zu zahlen;
hinsichtlich des Beklagten zu 4) bezüglich der Verzinsung ab dem 30. September
1996;
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1. festzustellen, dass die Beklagten zu 1) bis 4) verpflichtet sind, ihr aufgrund des
Eingriffes vom 19. Oktober 1993 den noch entstehenden materiellen Schaden zu
ersetzen, soweit er nicht auf Dritte übergegangen ist bzw. übergeht.
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Die Beklagten haben beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Sie haben behauptet, die Klägerin ordnungsgemäß aufgeklärt zu haben.
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Das Landgericht hat der Klage nach Beweiserhebung mit Urteil vom 29. November
1999 bis auf einen Teil des Zinsanspruchs stattgegeben. Hiergegen richtet sich die
form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Beklagten.
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Sie stellen nach wie vor in Abrede, die Klägerin nur unzureichend über die Risiken eine
Stimmbandlähmung bei einer Schilddrüsenrezidivoperation aufgeklärt zu haben. Sie
weisen zudem darauf hin, dass die Klägerin über diese Risiken schon wegen der
Erstoperation im Jahr 1948 und der dort bereits erlittenen Stimmbandlähmung
vollständig informiert gewesen sei. Darüber hinaus behaupten sie hilfsweise, die
Klägerin hätte selbst bei mangelhafter Aufklärung in die Operation eingewilligt, weil es
zu einem operativen Vorgehen praktisch keine Alternative gegeben habe.
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Die Beklagten beantragen,
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unter Abänderung des angefochtenen Urteils die Klage abzuweisen.
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Die Klägerin beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Sie verteidigt das angefochtene Urteil und trägt insbesondere vor, sie hätte sich - gerade
mit Rücksicht auf die bereits seit der Erstoperation vorhandene Lähmung des rechten
Stimmbandes - bei zutreffender Aufklärung über das Risiko einer Stimmbandlähmung
dafür entschieden, die Rezidivoperation nicht sofort durchführen zu lassen, sondern
zunächst abgewartet, wie sich das Wachstum der Schilddrüse weiter entwickelt hätte.
Zumindest hätte sie den Rat weiterer Ärzte eingeholt.
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Die Klägerin stützt ihr Klagebegehren nunmehr auch auf Behandlungsfehler der
Beklagten und trägt vor, es sei mangels hinreichender Dokumentation nicht überprüfbar,
ob die Beklagten bei der Operation alles unternommen hätten, um den Stimmbandnerv
zu schonen. Dies müsse daher von den Beklagten dargetan werden. Zudem sei die
Stimmbandlähmung bereits am 21. Oktober 1993 festgestellt worden; die Verlegung
zum Klinikum sei aber erst am 27. Oktober 1993 erfolgt. Wäre sie früher verlegt und
nachoperiert worden, wären die Schäden geringer gewesen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf Tatbestand und
Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils und auf die Schriftsätze der Parteien
nebst Anlagen Bezug genommen.
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Entscheidungsgründe
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Die zulässige Berufung der Beklagten hat in der Sache zum Teil Erfolg.
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I.
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Zu Recht und mit zutreffenden Erwägungen, denen sich der Senat anschließt und auf
die zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen wird (§ 543 Abs. 1 ZPO),
hat das Landgericht die Beklagten zu 1), 2) und 4) zur Leistung von Schadensersatz und
Schmerzensgeld verurteilt.
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1. Auch der Senat kann sich aufgrund der erstinstanzlich durchgeführten
Beweisaufnahme nicht die positive Überzeugung bilden, dass die Klägerin über die
erhöhten Risiken einer Stimmbandlähmung bei einer Rezidivoperation der Schilddrüse
hinreichend aufgeklärt worden ist. Es ist unstreitig, dass sich dieses Risiko bei einer
Rezidivoperation um eine Mehrfaches erhöht. Darüber muss ein Patient, der sich einer
solchen Operation unterziehen will, aufgeklärt werden (vgl. OLG München, AHRS
4265/104; OLG Hamm, AHRS 4265/114). Das stellen auch die Beklagten nicht in
Abrede. Dabei kommt es nicht maßgebend darauf an, um welchen genauen Prozentsatz
das Risiko einer Stimmbandlähmung erhöht ist und ob dem Patienten ein solcher
Prozentsatz, wenn er sich exakt ermitteln ließe, im Rahmen des Aufklärungsgesprächs
auch mitzuteilen ist. Der Patient muss über die Risiken nur im großen und ganzen
aufgeklärt werden. Dazu hätte es vorliegend ausgereicht, die Klägerin darauf
hinzuweisen, dass das Risiko einer Stimmbandlähmung bei einer Rezidivoperation der
Schilddrüse jedenfalls deutlich erhöht ist. Eine solche Aufklärung war auch nicht
deswegen entbehrlich, weil die Klägerin bereits im Jahr 1948 als Folge der ersten
Schilddrüsenoperation eine Stimmbandlähmung erlitten hatte. Es bestehen keine
Anhaltspunkte dafür, dass die Klägerin aufgrund dieser - zudem 45 Jahre
zurückliegenden - Erfahrung sichere Kenntnis davon hatte, dass sich das Risiko einer
Stimmbandlähmung bei einer erneuten Schilddrüsenoperation erhöhen würde.
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Dass die Beklagten zu 2) und 4) die Klägerin - wie sie behaupten - insbesondere
hinsichtlich dieses Risikos hinreichend aufgeklärt haben, steht nicht sicher fest. Der
Aufklärungsbogen, den der Beklagte zu 4) verwendet hat, betrifft die Erstoperation der
Schilddrüse und enthält daher bezüglich des Risikos einer Rezidivoperation keine
zureichenden Angaben. Über das erhöhte Risiko einer Stimmbandlähmung findet sich
in dem von der Klägerin unterzeichneten Aufklärungsbogen auch kein handschriftlicher
Vermerk. Ebenso kann der Dokumentation des Beklagten zu 2) auf dem unter dem 12.
Oktober 1993 erstellten Schriftstück keine maßgebende Aussagekraft zukommen. Er hat
dort lediglich oberhalb des Vermerks "Indikationsgespräch" den Zusatz "mit Rekurrens"
aufgeführt; das legt nicht zwingend einen bestimmten Inhalt der der Klägerin zuteil
gewordenen Aufklärung nahe.
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Damit stehen sich lediglich die Angaben der betroffenen Ärzte - der Beklagten zu 2) und
4) - bei ihrer vom Landgericht angeordneten Parteivernehmung und die Bekundungen
des als Zeugen vernommenen Ehemannes der Klägerin gegenüber. Die Beklagten zu
2) und 4) haben zwar bestätigt, entsprechend ihrer ständigen Übung auch auf die
erhöhten Risiken einer Stimmbandlähmung hingewiesen zu haben. Das wird - wie
ausgeführt - durch ihre Dokumentation aber nicht belegt. Dagegen hat der Ehemann der
Klägerin bekundet, weder der Beklagte zu 2) noch der Beklagte zu 4) hätten sie über die
insoweit bestehenden Risiken aufgeklärt. Auch dem Senat erscheint dessen Aussage
nicht von vornherein unglaubhaft. Er hat aus einer persönlichen Erinnerung den Inhalt
der Gespräche mit den Beklagten zu 2) und 4) durchaus detailreich und in sich
schlüssig wiedergegeben. Von daher vermag der Senat nicht sicher auszuschließen,
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dass sich der Verlauf der beiden Aufklärungsgespräche auch so zugetragen haben
kann, wie es der Ehemann der Klägerin geschildert hat. Bei dieser Sachlage sieht sich
der Senat außerstande, zu der positiven Überzeugung zu gelangen, dass die Beklagten
zu 2) und 4) die Klägerin so über das erhöhte Risiko einer Stimmbandlähmung bei einer
Rezidivoperation der Schilddrüse aufgeklärt haben, wie es erforderlich gewesen wäre.
Das geht zu Lasten der insoweit darlegungs- und beweispflichtigen Beklagten zu 1), 2)
und 4). Übermäßige Anforderungen an die Beweisführung werden damit an die
Beklagten nicht gestellt. Sie hätten es insbesondere durch eine ausreichende
schriftliche Dokumentation des Inhalts des Aufklärungsgesprächs - vor allem durch die
Verwendung eines auf die konkrete Operation zugeschnittenen Aufklärungsbogens - in
der Hand gehabt, eine ordnungsgemäße Aufklärung der Klägerin zu belegen.
2. Dass die Klägerin auch bei gehöriger Aufklärung sogleich in die Rezidivoperation
eingewilligt hätte, steht nicht fest. Der Zustand der Klägerin verlangte eine sofortige
Operation nicht. Dass die Klägerin bei einer ordnungsgemäßen Risikoaufklärung in
einen Entscheidungskonflikt geraten wäre, hat sie plausibel dargetan. Es erscheint vor
dem Hintergrund der Erfahrungen im Anschluss an die Erstoperation im Jahr 1948 ohne
weiteres nachvollziehbar, dass die Klägerin, wenn sie von dem erhöhten Risiko einer
Stimmbandlähmung erfahren hätte, sich jedenfalls nicht - wie tatsächlich geschehen -
innerhalb sehr kurzer Zeit zu der Operation entschieden, sondern zumindest noch den
Rat weiterer Ärzte eingeholt hätte. Dies hat sie im Kern auch bei ihrer Anhörung vor dem
Senat bekräftigt. Akute Atembeschwerden hatte die Klägerin nach ihren Angaben zum
damaligen Zeitpunkt noch nicht. Ihre Hausärztin suchte sie nicht wegen Luftnot, sondern
wegen erhöhter Leberwerte auf. Es erscheint daher durchaus nachvollziehbar, dass sie
sich, auch wenn ihr der Beklagte zu 2) zu einer Operation geraten und sie zutreffend
über deren Risiken aufgeklärt hätte, zumindest nicht sogleich zu einer Rezidivoperation
entschlossen hätte, sondern sich nach etwaigen Behandlungsalternativen erkundigt
hätte. Insoweit hat die Klägerin darauf hingewiesen, dass ihr Bruder in vergleichbarer
Situation eine Jodtherapie hatte durchführen lassen. Auch wenn darin aus
medizinischer Sicht für die Klägerin keine Behandlungsalternative bestanden hätte, ist
jedenfalls nachvollziehbar, dass sie, statt sofort in die Operation einzuwilligen, vorab
noch weiteren ärztlichen Rat eingeholt hätte. Ob die Klägerin - wie sie weiter erklärt hat -
tatsächlich noch wenigstens 1 bis 2 Jahre mit einer Operation gewartet und auch
stärkere Beschwerden noch in Kauf genommen hätte, mag nicht ganz zweifelsfrei
erscheinen, stellt die Plausibilität ihres Entscheidungskonfliktes aber nicht grundsätzlich
in Frage. Vor dem Hintergrund der Komplikationen, die schon bei dem Ersteingriff
aufgetreten waren, und wegen der fehlenden akuten Beschwerden der Klägerin
erscheint es zumindest plausibel, dass die Klägerin sich eine längere Überlegungsfrist
ausbedungen hätte, so dass die Operation jedenfalls nicht - wie tatsächlich geschehen -
kurzfristig schon am 19. Oktober 1993 in dem von der Beklagten zu 1) betriebenen
Krankenhaus durchgeführt worden wäre.
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3. Der Senat hält allerdings ein Schmerzensgeld in Höhe von 35.000,- DM, das das
Landgericht der Klägerin zugebilligt hat, für überhöht. Nach Auffassung des Senats ist
ein Betrag von 20.000,- DM angemessen. Hierbei berücksichtigt der Senat zwar
einerseits die erheblichen Auswirkungen, die die Stimmbandlähmung nach sich
gezogen hat. Die Klägerin hat sich mehreren Folgeoperationen unterziehen müssen.
Die Sprechstimme der Klägerin ist stark beeinträchtigt, ihre Rufstimme ist brüchig und
wenig belastbar und ihre Singstimme ist nicht schwellfähig. Wegen bestehender
Atemnot schon bei geringer Belastung kann nicht mehr - wie früher - an Wanderungen
teilnehmen. Ferner kann sie nur kurzzeitig in gebückter Haltung verharren. Diese
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Beeinträchtigungen der Lebensführung hat der Sachverständige Prof. Dr. G. in seinem
Gutachten vom 21. April 1999 bestätigt; dagegen haben die Beklagten substantiierte
Einwände nicht mehr erhoben. Auf der anderen Seite muss berücksichtigt werden, dass
die Klägerin sich über kurz oder lang einer Rezidivoperation hätte unterziehen müssen
und bis dahin an - wahrscheinlich zunehmenden - Beschwerden gelitten hätte. Zudem
ist in Rechnung zu stellen, dass den Beklagten ein Behandlungsfehler - wie unter III.
noch darzulegen sein wird - nicht unterlaufen ist, sondern sie alleine aufgrund eines
Aufklärungsversäumnisses haftbar gemacht werden. Unter Berücksichtigung aller
Umstände erscheint dem Senat ein Schmerzensgeld von 20.000,- DM angemessen (vgl.
auch OLG Düsseldorf, Urt. v. 26. August 1982 - 8 U 15/80 -, n.v., IMM-Dat. 2/99 Nr. 1983;
OLG Stuttgart, VersR 1995, 661 = IMM-Dat. 2/99 Nr. 1982; s. auch OLG Köln, Urt. v. 19.
April 1991, n.v., Hacks/Ring/ Böhm, Schmerzensgeldtabelle, 19. Aufl., Nr. 1656).
Ferner stehen der Klägerin auch die Aufwendungen für eine Haushaltshilfe (4 Stunden
wöchentlich à 15,- DM) für die Zeit vom 1. Januar 1994 bis 30. September 1999 in einer
Gesamthöhe von 16.620,- DM zu. Dass die Klägerin ihren Haushalt nicht mehr
vollständig alleine führen kann, hat der Sachverständige Prof. Dr. G. mit
nachvollziehbarer Begründung als überwiegend wahrscheinlich angesehen. Gegen
diese, zur Überzeugungsbildung des Senats ausreichende Feststellung (§ 287 ZPO)
haben die Beklagten im Berufungsrechtszug substantiierte Einwendungen nicht mehr
erhoben.
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Begründet ist auch der Feststellungsantrag. Es erscheint nicht ausgeschlossen, dass
der Klägerin noch weitere materielle Schäden entstehen werden.
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II.
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Hingegen haftet die Beklagte zu 3), die die Operation bei der Klägerin am 19. Oktober
1993 verantwortlich durchgeführt, die Klägerin aber nicht selbst aufgeklärt hat, nicht
wegen eines Aufklärungsversäumnisses.
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Aufklärungspflichtig über die Risiken einer Operation ist allerdings in erster Linie der
Operateur selbst. Der Operateur kann jedoch die Aufklärung einem anderen übertragen,
den dann primär die Haftung für Aufklärungsversäumnisse trifft (vgl. Steffen/Dressler,
Arzthaftungsrecht, 8. Aufl., Rdn. 425 m.w.N.). Es muss allerdings sichergestellt sein,
dass es sich bei der Person des Aufklärenden um einen hierzu kompetenten Arzt
handelt, dem sämtliche Umstände, die Bedeutung für die Aufklärung haben, bekannt
sind. Das gerade in größeren Krankenhäusern übliche, grundsätzlich nicht zu
beanstandende arbeitsteilige Vorgehen, bei dem die Aufklärung einem anderen als dem
operierenden Arzt übertragen wird, darf sich nicht zu Lasten des Patienten auswirken.
Es muss durch geeignete organisatorische Maßnahmen, insbesondere durch klare
Zuständigkeitsregelungen, sichergestellt sein, dass sich die mit einer Arbeitsteilung
verbundenen Risiken für den Patienten, vor allem eine unzureichende Information des
Aufklärenden, nicht erhöhen (vgl. OLG Zweibrücken, Urt. v. 17. März 1998 - 5 U 9/97 -,
n.v., in juris dokumentiert). Demgemäß haftet der Operateur für eine mangelhafte
Aufklärung, die sich als vermeidbare Folge einer unzureichenden Organisation darstellt;
der nicht aufklärende Arzt muss die Information durch einen Kollegen so organisieren,
dass sie voll gewährleistet bleibt (vgl. auch Laufs/Uhlenbruck, Handbuch des Arztrechts,
§ 66 Rdn. 1; OLG Karlsruhe, VersR 1998, 718, 719). Ist dies - entweder durch den
Operateur selbst oder aufgrund einer bestehenden Organisation im Rahmen des
Krankenhausbetriebes - sichergestellt, braucht der operierende Arzt sich nicht in jedem
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Einzelfall vor dem Eingriff bei dem aufklärenden Kollegen zu vergewissern, ob dieser
den Patienten auch tatsächlich in dem notwendigen Umfang über die Operationsrisiken
aufgeklärt hat. Vielmehr kann er sich grundsätzlich darauf verlassen, dass die
Aufklärung ordnungsgemäß durchgeführt worden ist. Für den vorliegenden Fall
bedeutet dies, dass die Beklagte zu 3) keine Haftung trifft. Es ist nichts dafür vorgetragen
oder ersichtlich, dass entweder der Beklagte zu 2) als Chefarzt der chirurgischen
Abteilung oder der Beklagte zu 4) als Stationsarzt nur über unzureichende Informationen
über die Klägerin verfügten, so dass sie deshalb nicht in der Lage gewesen wären,
diese ordnungsgemäß aufzuklären. Die Klägerin hat selbst vorgetragen, beide Ärzte auf
die Erstoperation im Jahr 1948 hingewiesen zu haben. Sie waren daher ohne weiteres
imstande, auf das erhöhte Risiko einer Stimmbandlähmung bei einer Rezidivoperation
der Schilddrüse hinzuweisen. Wenn sie dies - wovon im vorliegenden Fall zu Lasten der
Beklagten zu 2) und 4) auszugehen ist - nicht in dem notwendigen Umfang getan haben,
tragen sie dafür die alleinige Verantwortung.
Eine Haftung der Beklagten zu 3) ergibt sich auch nicht aus § 831 BGB. Weder der
Stationsarzt noch erst recht nicht der Chefarzt sind Verrichtungsgehilfen des Operateurs;
insoweit fehlt es jedenfalls an dem zu fordernden Abhängigkeitsverhältnis (vgl. dazu
Palandt/Thomas, BGB, 59. Aufl., § 831, Rdn. 26).
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III.
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Die Beklagten haften der Klägerin nicht aufgrund eines Behandlungsfehlers bei der
Operation am 19. Oktober 1993. Den knappen Ausführungen der Klägerin, die in der
Berufungsinstanz erstmals den Vorwurf eines Behandlungsfehlers erhoben hat, fehlt die
Schlüssigkeit. Die Klägerin unterstellt den Beklagten ohne nähere Darlegung ein
behandlungsfehlerhaftes Vorgehen, ohne sich auch nur ansatzweise mit der
Stellungnahme der von ihr angerufenen Gutachterkommission auseinanderzusetzen;
diese hat unter Auswertung des Operationsberichtes und der sonstigen
Behandlungsunterlagen keine Verletzung der ärztlichen Sorgfalt feststellen können,
sondern ist davon ausgegangen, dass eine indirekte Schädigung des Stimmbandnervs
vorliege, die eine nicht immer vermeidbare und daher nicht vorwerfbare Folge der
Operation sei. Wenn die Klägerin gleichwohl behaupten will, der Nerv sei
behandlungsfehlerhaft nicht ausreichend geschont worden, hätte dies einer näheren
Darlegung bedurft. Alleine der Umstand, dass die Lähmungserscheinungen kurze Zeit
nach der Operation eingetreten sind, belegt für sich genommen - entgegen der
Mutmaßung der Klägerin - keinen Behandlungsfehler während der Operation.
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Soweit die Klägerin einen (weiteren) Behandlungsfehler darin sieht, nicht sogleich nach
Feststellung der Stimmbandlähmung in das Klinikum A. verlegt worden zu sein, ist auch
nicht ansatzweise substantiiert dargetan, wie sich eine frühere Verlegung auf ihren
Gesundheitszustand ausgewirkt hätte. Die pauschale Behauptung, die Folgeschäden
seien in diesem Fall geringer gewesen, reicht dazu nicht aus.
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IV.
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Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 92 Abs. 1, 708 Nr. 11, 713
ZPO.
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Berufungsstreitwert:
45
56.620 DM (davon 5.000,- DM für den Feststellungsantrag)
46
Beschwer für beide Parteien:
47
unter 60.000,- DM
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